Jamaika: Blutiger Kampf um Gangsterhochburg

Jamaika: Blutiger Kampf um Gangsterhochburg
Blutiger Machtkampf in der Karibik: Bei schweren Kämpfen zwischen Drogenbanden und Sicherheitskräften sind in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston nach Behördenangaben rund 30 Menschen getötet worden.
26.05.2010
Von Franz Smets

Unter den Toten seien 26 Zivilisten und drei Polizisten, teilte die Polizei mit. Außerdem seien 25 Personen verletzt und mehr als 200 Verdächtige festgenommen worden. Seit Montag versuchen Polizei und Armee, das Armenviertel Tivoli Gardens zu stürmen, um dort den mutmaßlichen Drogenboss Christopher "Dudus" Coke festzunehmen. Die USA fordern seine Auslieferung.

Starke Armee- und Polizeieinheiten haben seit dem Wochenende Tivoli Gardens abgeriegelt, in dem sich Coke (41) mit seinen bewaffneten Anhängern verschanzt hat. Wie lokale Medien berichteten, waren in den Straßen des Viertels schwere Explosionen zu hören und Rauchschwaden zu sehen. Der Ausbruch der Gewalt hatte sich Ende der vergangenen Woche an der Entscheidung der Regierung entzündet, Coke, einen gesuchten Drogenboss, an die USA auszuliefern.

Bitte um Blutspenden

Angesichts der Schießereien in vielen Teilen der Hauptstadt baten die Behörden die Einwohner, Blut zu spenden. Die Fluggesellschaft Air Jamaika sagte mehrere Flüge ab. Die Regierung ordnete zudem am Dienstag die Schließung der Schulen im Stadtzentrum an. Cokes Anhänger versperrten die Zufahrten zu Tivoli Gardens unweit des Stadtzentrums mit Barrikaden. Sie schichteten Sandsäcke zu Wällen auf und füllten unter anderem Kühlschränke mit Sand. "Sie stellen sich auf Krieg ein", wurde ein Polizist zitiert.

Premierminister Bruce Golding sagte den Banden den Kampf an und verhängte in der Hauptstadt einen für einen Monat geltenden Ausnahmezustand. Inzwischen griffen die Unruhen auch auf die zur Metropolenregion zählende Stadt Spanish Town über, wo eine Polizeiwache beschossen wurde. Auch aus anderen Stadtteilen wurden Schießereien gemeldet.

Jamaika: Ein Land als Geisel der Drogenmafia

"Ein Drogenboss hat Jamaika in Geiselhaft genommen", kommentiert eine lokale Zeitung. Christopher "Dudus" Coke (41) hat sich in seinem Viertel Tivoli Gardens verschanzt, um sich mit Hilfe seiner Anhänger gegen eine Auslieferung an die USA zu stemmen. Mit blutiger Gewalt: Mehrere Polizisten, Soldaten und Zivilisten starben, seit Premierminister Bruce Golding am Sonntag den Ausnahmezustand über West Kingston verhängte, um des mutmaßlichen Gangsterbosses habhaft zu werden.

Bereits im August vergangenen Jahres hatten die USA einen Auslieferungsantrag gestellt. Doch hatte sich die Regierung von Golding gesträubt. Der Premier selbst hat seinen Wahlkreis in Tivoli Gardens, das, weil Coke es beherrscht, auch dessen kleine Republik genannt wird. Viele Menschen dort verehren "Dudus", wie sie ihn nennen, wegen seiner Wohltaten und weil er für Ordnung sorgt. Tivoli Gardens ist der Stadtteil mit der geringsten Kriminalitätsrate in der jamaikanischen Hauptstadt.

"Jesus starb für uns und wir werden für Dudus sterben"

"After God, then Dudus" (Erst kommt Gott, dann Dudus), war vergangene Woche auf einem Plakat zu lesen, als die Menschen auf die Straße gingen, um gegen die Auslieferung Cokes an die USA zu protestieren. Und auf einem anderen stand: "Jesus starb für uns und wir werden für Dudus sterben." Doch manche befürchten, dass ihr Land am Rande eines Abgrunds steht. "Gott ist immer dann nicht da, wenn schwarze Menschen Probleme haben", schrieb ein Leser an die Zeitung "Jamaica Gleaner".

"Er (Coke) ist ein einflussreicher Geschäftsmann, eng verbandelt mit dem Premierminister und dessen Partei", sagte am Dienstag ein politischer Analyst. "Dank seiner Kontakte hat sein Unternehmen eine Menge von Regierungsaufträgen bekommen."

Parteien bilden Allianzen mit Drogenbanden

Es ist jamaikanische Tradition, dass die beiden politischen Parteien, die sich an der Macht abwechseln, die Stadtviertel in den Innenstädten der Karibikinseln beherrschen. Dabei pflegen sie jeweils Allianzen mit den dortigen Banden einzugehen, um ihre Macht abzusichern und etwa auch Wahlsiege sicherzustellen. Nach und nach haben in den vergangenen Jahren Drogenbosse, die "Dons", die Macht übernommen. Coke ist der einflussreichste von ihnen.

Mit dem Angriff auf Tivoli Gardens wird nach Ansicht von Beobachtern erstmals der Versuch unternommen, der organisierten Kriminalität, die sich des Landes bemächtigt hat, ernsthaft die Stirn zu bieten. Allerdings ist noch nicht sicher, ob der Kampf um Cokes Republik tatsächlich zu einem Wendepunkt in der Geschichte Jamaikas wird. "Die Verfilzung der Kriminalität mit beiden Parteien ist sehr stark", sagt ein politischer Analyst.

Drogenhandel ist wichtigste Einnahmequelle

Der Drogenhandel bleibt für das arme Land eine wichtige Einnahmequelle, vielleicht die wichtigste. In Jamaika wird Marihuana produziert, konsumiert und exportiert. Außerdem ist die Insel eine wichtige Drehscheibe für den internationalen Drogenschmuggel von Südamerika in die USA, Kanada und nach Europa.

Deshalb konzentriert sich die bewaffnete Auseinandersetzung derzeit allein auf das Zentrum der jamaikanischen Hauptstadt Kingston, und vor allem auf Tivoli Gardens. "In den übrigen Stadtteilen ist alles weitgehend normal", sagte am Dienstag ein Augenzeuge. Und in den Touristenzentren im Norden sei von den Ereignissen in Kingston nichts zu spüren. "Die Touristen bekommen davon nur etwas mit, wenn sie fernsehen."

dpa