Ein Fernseh-Fußballspiel für zehn Millionen Euro

Ein Fernseh-Fußballspiel für zehn Millionen Euro
Das entspricht dem Preis von sieben "Tatort"-Folgen. Selbst wenn die Spiele spannend sein sollten: Die ausufernde Grauzone am Spielfeldrand ist ein wachsendes Problem.

Zwei Fußballspiele der vergangenen sieben Tage fanden viel Beachtung. Als Spiele waren sie allenfalls mittelgut. Das erste verlor die deutsche Nationalmannschaft nach eher schlechtem Spiel deutlich, das zweite nach besserem Spiel knapp. Fürs erste wurden am Samstag im ZDF 9,61 Millionen Fernsehzuschauer gemessen, recht wenig für Nationalmannschafts-Spiele, fürs zweite am Dienstag 11,69 Millionen. Das verbuchte die ARD als "vollen Erfolg" mit "hervorragendem Marktanteil" bei jüngeren, also unter 50-jährigen Zuschauern.

Teammanager Oliver Bierhoff war mit dem Spiel zufrieden. Nationalmannschafts-Kapitän Manuel Neuer war es, als er danach vor der Sponsorenwand befragt wurde, nicht mit dem Ergebnis, aber mit dem Spiel ("sehr mutig"). Bundestrainer Jogi Löw äußerte sich wortgleich, als er von Moderator Alexander Bommes mit "Wie geht's Ihnen?" begrüßt, zum Interview erschien. Der dabei anwesende Experte Thomas Hitzlsperger hatte schon zur Halbzeit die Leistung der Löw-Mannschaft "nicht hoch genug ein(zu)schätzen" genann  ...

Und da wird es langweilig bis ärgerlich. Zum einen, weil das Gerede in der Halbzeit in einer keineswegs nachrichtenarmen Zeit auf Kosten der "Tagesthemen" ging (und das nach dem Spiel auch; die Nachrichtensendung wird an Fußballabenden eben auf knapp zehn Minuten in der Pause eingedampft). Zum anderen: ARD und ZDF kommen kaum umhin, möglichst viel möglichst gut zu finden, weil sie für die Übertragungsrechte viel Geld bezahlt haben. Sie zahlen

"insgesamt bis zu 122 Millionen Euro für die zwei Spielzeiten der europäischen Fußball-Nationenliga in den Jahren 2018/19 und 2020/21. Im Paket enthalten sind bis zu zwölf Spiele der deutschen Nationalmannschaft. Scheidet das DFB-Team zu einem frühen Zeitpunkt aus, fällt ein etwas niedrigerer Preis an",

berichtete "epd medien" im Oktober 2017. Das Recht, jedes der beiden Spiele übertragen zu dürfen, kostete also mehr als 10 Millionen Euro.

Zur Wiederholung ungeeignet

Bekanntlich lassen Zahlen sich unterschiedlich interpretieren. So wurde pro am Samstag gemessenem Zuschauer rund ein Euro bezahlt, bei mehr Zuschauern in der ARD rein rechnerisch sogar weniger. Das klingt ganz vernünftig. Andererseits ist es irrsinnig teuer. Die Fernsehrechte an der gesamten Fußball-WM im Sommer mit deutlich mehr und deutlich spannenderen Live-Spielen, in denen am Ende sogar der Weltmeister ermittelt wurde, kosteten 218 Millionen Euro – also nicht einmal das doppelte der zwölf Nations League-Spiele.

Den griffigsten Vergleichswert bietet der unangefochtene Top-Titel im regelmäßigen Programm: Für den "Tatort" gilt, den "Sendeplatzprofilen im Ersten" zufolge, ein "durchschnittlicher Minuten­preis für die 90-minütigen Folgen" von "15.500 Euro brutto". Ein "Tatort"-Film kostet also höchstens 1,4 Millionen Euro, eher etwas weniger (schon weil die Folgen nie 90 Minuten dauern, da vor und nach jeder Sendung ja Platz für zwei bis drei Eigenwerbe-Trailer bleiben muss). Überdies lassen Krimis sich, anders als Fußballspiele, prima wiederholen. Das hat zwar nicht nur Vorteile; gerade die rechnerisch kostendämpfende Wiederholbarkeit trägt dazu, dass das lineare Programm trotz zahlreicher Kanäle oft eintönig wirkt. Doch bei der Berechung ist es ein Faktor. Für den Preis des Spiels Frankreich gegen Deutschland hätten sich sieben "Tatort"-Folgen produzieren lassen. Oder ziemlich viel "Babylon Berlin":

"Von den 40 Millionen Produktionskosten zahlt die ARD zwölf Millionen, Sky fünf Millionen, zwölf Millionen Euro kommen über verschiedene Förderungen zusammen, Beta Film wird sich seine elf Millionen Euro über den bereits sehr gut laufenden Weltvertrieb mehr als zurückverdienen",

schrieb der "Tagesspiegel" 2017. Das wurde nicht offiziell bestätigt, widersprochen wurde erst recht nicht. Für eine Halbzeit eines der Spiele hätte die ARD den Sky-Anteil mit übernehmen und alles allein erstausstrahlen können. (Dieser Hinweis kam von Heiko Hilker vom Dresdner DIMBB-Institut zu dieser Medienkolumne). Das muss nicht heißen, dass das die ungewöhnliche Koproduktion keine gute Idee war. ARD-Serien genießen, anders als die "Tatort"-Reihe, keinen glänzenden Ruf. Durch die Vorab-Auswertung beim gerade für Serien geschätzten Sky bekam die ARD viel Vorab-Promo ab, die sie allein kaum überzeugend hätte entfalten können.

Die "Bindewirkung" der Mannschaft

Noch einmal andererseits: Ihre Gründe haben alle im boomenden Geschäft mit Fernseh-Fußball. "Auch aus Solidarität zu den kleineren Fußballnationen in Europa, die über die Länderspiele große Teile ihres nationalen Verbandshaushaltes erwirtschaften", so sagte zumindest Rainer Koch, der Vizepräsident des DFB, habe der europäische Fußballverband UEFA die neue Nations League ersonnen. Durch die der DFB natürlich auch einiges, ähm, erwirtschaftet. Die UEFA weiß aber auch, dass überall in Europa öffentlich-rechtliches Fernsehen eine wichtige Rolle spielt, dass es dank Rundfunkbeiträgen (oder "-gebühren" oder "-abgaben", wie sie auch heißen) über sichere Einnahmen verfügt, jedoch immer mehr Konkurrenz gegenübersteht. Dazu zählen außer dem Pay-TV inzwischen auch Streamingdienste. In Deutschland wurden sogar die vielen Millionen, mit denen das ZDF bis zur vergangenen Saison 2017/18 Champions League-Fernsehrechte gekauft hatte, mehr oder minder frei, da diese League inzwischen ausschließlich bei Sky und DAZN zu sehen ist (wie die UEFA schon daher weiß, weil sie auch die Champions League veranstaltet). An den sicheren und bislang noch immer gestiegenen Einnahmen teilzuhaben, ist das legitime Interesse der UEFA.

"Wenn wir den Anspruch haben, auch künftig Europa- und Weltmeisterschaften im Fußball zu übertragen - können wir es uns dann leisten, dass in den ganzen Phasen dazwischen die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei uns im Programm gar nicht vorkommt?",

sagte indes der Hessische Rundfunk-Intendant (und damit ARD-Vertreter) Manfred Krupp im "epd medien"-Interview. Er bezog sich darauf, dass die WM- und EM-Qualifikationsspiele inzwischen bei RTL laufen, das am meisten für diese Rechte bezahlte. Daher boten ARD und ZDF für die Nations League viel Geld. "Fußball-Großereignisse" seien "für die Bindewirkung des öffentlich-rechtlichen Systems elementar", sagt Krupp, "wir erreichen damit Publika, die wir mit unserem sonstigen Angebot nur noch partiell erreichen".

Das ist auch ein Punkt. Die Öffentlich-Rechtlichen werden von allen bezahlt, von vielen eher ungern, von jungen Zuschauern eher selten eingeschaltet, und sie brauchen Akzeptanz, die niemand so gut spendet wie eine erfolgreich und/oder gut spielende Nationalmannschaft.

Bloß stecken die Sender in der Doppelrolle, dass sie für Veranstaltungen teuer bezahlen, die sie sowohl zwecks "Bindewirkung" groß präsentieren als auch journalistisch begleiten. Und das Schauspiel, dass im Rahmenprogramm viele Reporter vielen Akteuren vorhersehbare Fragen stellen, vorhersehbare Antworten bekommen und dann drüber reden, wirkt rund um weniger erfolgreiche und gute Spiele noch absurder.

"Fußball und Sendeanstalten (sind) durch die TV-Verträge in einer 'Produktionskette' verwachsen, die unabhängige Berichte schwierig gestalten. Schließlich hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Zudem wird der Sportjournalismus von vielen Medien und Reportern als reiner Unterhaltungsbetrieb betrachtet, bei dem es sich vor allem um das Verbreiten von ein paar taktischen Modellen, Statistiken und Ergebnissen, gespickt mit guter Laune und flotten Sprüchen rund um 'König Fußball' dreht. Journalisten, Manager und Spieler seien eine verschworene Gemeinschaft, säßen im gleichen Boot, finden diese unkritischen, distanzlosen Sportreporter, die von Kritikern daher auch als Fan-Reporter gescholten werden."

Das steht im Fazit des gerade erschienenen Otto-Brenner-Stiftungs-Arbeitspapiers "Zwischen Fanreportern und Spielverderbern" (PDF, 64 Seiten). Der Autor Tonio Postel zieht da vor allem andere, angrenzende Konfliktfelder auf – zwischen Vereinen, die noch klarer kommerzielle Unternehmen als UEFA und DFB sind und aus Fernsehrechten ebenfalls immer mehr Geld beziehen (aber nicht zu Unrecht beklagen, dass vor allem englische Clubs ein Vielfaches mehr beziehen ...) und andererseits Reportern der Verlags-Medien, deren Budgets tendenziell sinken. Was diese Reporter wiederum von ARD und ZDF unterscheidet.

Es ist ein komplexes Feld. Doch die ausufernde, unspannende Grauzone am Spielfeldrand vor und nach den Spielen ist ein offenkundiges Problem. Helfen könnte, Teile der Sendezeit mit wirklich kritischen Journalisten zu bestreiten, die keine Unterhaltungsmoderatoren oder Ex-Fußballer sind. Oder: den Umstand, dass sonst nur noch partiell erreichte gerade Publika zuschauen, zu nutzen, um diesen dann Nachrichten oder anderes gutes Programm, das Aufmerksamkeit verdienen würde, zu zeigen.

 

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