So ganz normal anders

So ganz normal anders
Foto (Montage): Rainer Hörmann
CSD-Gottesdienste sind wichtig - sie provozieren immer noch, obwohl oder gerade weil sie schon selbstverständlich geworden sind. Sie können einem das Herz und die Seele öffnen, einfach nur schön sein oder auch langweilig und konventionell. Fast schon zu normal?

Das Aufregendste an einem Gottesdienst anlässlich der Christopher-Street-Day-Parade, den ich unlängst besuchte, schienen mir zunächst die fünf oder sechs kerligen Ledermänner, die in den Bankreihen vor mir saßen. Ich dagegen: olle blaue Jeans, tröges Karo-Hemd, also eher angepasster Halbspießer, dem nichts anderes übrig blieb, als sich wehmütig an die eigenen, guten alten (Ledermann-)Tage zu erinnern. Bis ich durch ein voluminöses Orgelspiel in meinen weltlichen Gedanken unterbrochen wurde und ein Gottesdienst seinen Lauf nahm, wie Gottesdienste das halt so tun.

Liturgie ist Liturgie, da muss man durch. Es ist das Wesen von Ritualen, dass sie Bekanntes in bekannter Weise wiederholen. Da steckt ein bisschen Aberglaube darin und ganz viel an Überlieferung. Man könnte es auch Macht der Gewohnheit, in diesem Fall: der christlichen Gewohnheit nennen. Verblüffend ist dabei, dass einen diese Abläufe in vorgegebenen Bahnen langweilen können und/oder einen gerade deshalb frei machen für Inspiration, vielleicht sogar für Gottes Wort. Kann passieren, muss nicht.

Das gilt auch für Gottesdienste, die einem Thema wie dem CSD gewidmet sind oder in denen beispielsweise ein schwules bzw. lesbisches Paar gesegnet wird. Sie sind irgendwie anders, aber in der Struktur ziemlich gleich. Wieso also dieses Unbehagen mancher Menschen? An der Art des Gottesdienstes kann es nicht liegen. Zumindest nicht in besagtem Gottesdienst. Weder wurde Judy Garlands "Somewhere over the Rainbow" noch "Y.M.C.A" von Village People gesungen. Wäre das nicht das Mindeste, was man vom Schreckgespenst erwarten könnte? Aber nein, nichts dergleichen.

Die Predigt thematisierte einerseits aktuelle Themen wie die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, andererseits das Leben und Lieben von Homosexuellen und Transgender in einem ganzheitlichen, christlichen Menschenbild. Aber trotz engagierter Predigt und Regenbogenfahne unterschied sich der Gottesdienst in seinem Ablauf, seinen Liedern, seinen Gebeten, seinen Fürbitten, dem Abendmahl, dem unvermeidlichen Friedensgruß-Händeschütteln für mich kaum von einem "gewöhnlichen" Sonntagsgottesdienst.

Wenn ein solch "artiger" Abend immer noch brisant ist, dann deshalb, weil sich hier Menschen in und mit ihrem Anderssein in einer Kirche versammeln. Man mag die "Provokation" mit theologischen Debatten erörtern, tatsächlich aber geht es doch im Kern darum, dass sich überhaupt schwule, lesbische, bisexuelle, transidentische Menschen, junge wie alte, zusammen mit ihren Freundinnen und Freunden zeigen und sich zu erkennen geben. Dass sie sich "erdreisten", ihre Lektüre der Bibel zu thematisieren und vorzustellen. So gesehen wird aus dem Gottesdienst dann doch eine "Demonstration". Er weist darauf hin, dass auch Lesben, Schwule, Transgender ihren Platz haben. Er zeigt, dass letzten Endes Homosexuelle ihren Glauben mit der Kirche feiern und zeigen können; sie müssen es nicht gegen sie tun. Durch festgefügte Rituale und das engagierte Wirken derer, die den Gottesdienst organisiert haben, eröffnen sich sprichwörtlich Räume. Räume, in denen sich "etwas" ereignen kann - in der Beziehung zu Gott, in der Beziehung zwischen den Menschen. Ob man diese Räume auch wirklich in ihrer ganzen Länge, Breite und Tiefe ausschreitet? Hängt es nicht zuletzt von mir selbst ab, frage ich mich noch, als prompt die Orgel wieder einsetzt.

Nachtrag: Ich stelle mir vor, so ein CSD-Gottesdienst fände an einem ganz gewöhnlichen Sonntagmorgen um 10 Uhr ohne die drei Buchstaben vor dem Wort Gottesdienst statt ... Ob es überhaupt jemandem auffallen würde? Wahrscheinlich nicht. Es sei denn an der Regenbogenfahne und natürlich an ein, zwei kerligen Männern in der Kirchenbank vor einem!

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