Eine neue psychologische Studie zeigt: Glaube hängt mit der Empathiefähigkeit zusammen - weniger einfühlsame beziehungsweise stärker autistische Menschen glauben seltener an Gott. Andere überprüfte kognitive Merkmale wie Intelligenz oder Interesse für Naturwissenschaft spielten dagegen keine Rolle.
In der "Süddeutschen Zeitung" bin ich heute auf den interessanten Artikel "Hallo lieber Gott - Einfühlsame Menschen sind eher religiös" gestoßen (31.5., Seite 24, bisher nicht hier online). Er berichtet über ein Paper von Psychologen aus Kanada und den USA, das gestern im renommierten wissenschaftlichen Journal "PLoS One" erschienen ist. Leider verheddert der SZ-Kollege sich etwas bei den Schlussfolgerungen aus den Studien - aber der Reihe nach.
In mehreren Studien untersuchten die Forscher den Zusammenhang zwischen Glauben an Gott oder andere höhere Mächte und der Fähigkeit, sich in andere Menschen und deren Gedanken hineinzuversetzen - Wissenschaftler nennen das "Mentalisieren" oder "Theory of Mind". Dass es einen solchen Zusammenhang gibt, scheint naheliegend: Zumindest wer sich Gott als persönliches, ansprechbares Gegenüber vorstellt, macht dabei ja offensichtlich von der Fähigkeit zu mentalisieren Gebrauch (was gut in das jüdisch-christliche Konzept passt, dass Gott den Menschen zu seinem Gegenüber erschaffen hat, dass es also zwischenmenschliche Beziehungen und die Beziehung Mensch-Gott wichtige Parallelen aufweisen).
Mit ihren insgesamt vier Untersuchungen an unterschiedlichen Versuchsgruppen (Jugendliche, Studenten und Erwachsene, jeweils aus Kanada oder den USA) konnten die Forscher den vermuteten Zusammenhang nun empirisch belegen: Je höher der sogenannte Empathie-Quotient, ein Maß für die Einfühlsamkeit, beziehungsweise je weniger autistische Züge ein Proband hatte, desto größer der Glaube - jedenfalls im statistischen Mittel. Oder andersherum: Mangelnde Empathiefähigkeit ist offensichtlich ein Faktor, der Unglauben begünstigt (natürlich gibt es auch noch andere).
Interessante Nebenaspekte
Viel interessanter als dieser generelle Befund sind aber diverse Seitenaspekte, die sich ergaben. So ist wohl ein entscheidender Faktor für die lange bekannte Tatsache, dass Frauen im Schnitt deutlich gläubiger als Männer sind, dingfest gemacht: eben der psychologische Unterschied, dass Frauen im Schnitt auch einfühlsamer sind. Andere unter die Lupe genommene Faktoren - wie Einkommensunterschiede oder die bei Männern stärker ausgeprägte Neigung zu systematischem Denken - liefern den Ergebnissen zufolge dagegen keinen Beitrag zum Glaubensgefälle zwischen den Geschlechtern.
Nun hat die Studie natürlich zunächst mal nur Korrelationen gemessen - also einen statistischen Zusammenhang, der nichts mit ursächlichen Effekten zu tun haben muss. Nur weil weniger einfühlsame Menschen seltener gläubig sind, muss die fehlende Empathie nicht unbedingt die Ursache dafür sein. Die Autoren bringen diese Einschränkung auch deutlich zum Ausdruck und diskutieren verschiedene konkurrierende Erklärungsmodelle. Viele davon stehen aber der Studie zufolge - und hier führt der Artikel in der "Süddeutschen" in die Irre - eben doch im Widerspruch oder jedenfalls in Spannung zu den Versuchsergebnissen.
Alternativerklärung 1: Zum Autismus neigende Menschen gehen vermutlich seltener in Gottesdienste, weil die Gemeinschaft mit anderen Menschen für sie anstrengend ist. Wer aber seltener zum Gottesdienst geht, ist aber vielleicht eben deshalb weniger gläubig. Hängen fehlendes Einfühlungsvermögen und Unglaube also nur indirekt zusammen, und der Gottesdienstbesuch ist die eigentlich entscheidende Einflussgröße? Nein, sagt die Studie: Auch wenn bewusst Gruppen mit gleichem Gottesdienstbesuch verglichen wurden, gab es einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Autismus und Unglauben.
Alternativerklärung 2: Verursacht Glaube ein höheres Einfühlungsvermögen statt umgekehrt? Das würde die Korrelation ebenso erklären. Die Forscher nennen nun zwei Möglichkeiten. Zum einen ist denkbar, dass gläubige Menschen durch ihre vermehrten Sozialkontakte, beispielsweise in einer Kirchengemeinde, ihr Einfühlungsvermögen verbessern. Dass konnte die Studie aber ausschließen, da neben Empathie und Glauben auch die Häufigkeit von Gottesdienstbesuchen erhoben wurde und diese verschiedenen Einflüsse dadurch mathematisch auseinanderklamüsert werden konnten. Zum anderen ist denkbar, dass die innere Zwiesprache mit Gott oder Göttern ein wirksames Training für das Einfühlungsvermögen auch im zwischenmenschlichen Bereich darstellt. Dazu machen die durchgeführten Untersuchungen keine Aussage.
Alternativerklärung 3/4: Autistische Züge könnten mit einem erhöhten Interesse für mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer / mit erhöhtem IQ einhergehen, und diese Faktoren könnten Unglauben begünstigen. Aber auch diesen Denkmöglichkeiten widerspricht die Datenlage, da die Forscher zumindest in einem Teil der vier Studien auch das Interesse für die besagten Fächer / den IQ kontrollierten.
Alternativerklärung 5: Das Geschlechtergefälle in Sachen Glauben könnte durch andere psychologische Eigenschaften als die Empathiefähigkeit bedingt sein. Insbesondere Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit gelten als Charaktermerkmale, die mit Religiosität einhergehen. Diese Alternativerklärung scheitere allerdings ebenfalls an den erhobenen Daten, schreiben die Studienautoren.
Fazit
Unterm Strich spricht alles dafür, dass das Einfühlungsvermögen eines Menschen sich unmittelbar darauf auswirkt, wie leicht es ihm fällt, an Gott zu glauben. Und dass die Defizite des starken Geschlechts in Sachen Empathie eine entscheidende Ursache dafür sind, dass Männer im Durchschnitt weniger gläubig sind.
Interessant ist zudem der Aspekt, dass das Interesse für Mathematik und Naturwissenschaften statistisch eben keinen (negativen) Einfluss auf den Glauben hat. Ein Punkt, von dem ich selbst längst überzeugt bin, der aber der Intuition vieler Menschen zuwiderzulaufen scheint.
Was die Studie leider nicht beantwortet, ist die Frage, inwieweit sich das alles beeinflussen lässt: Wer um den Glauben ringt, aber nicht so recht vertrauen kann - könnte der womöglich durch gezieltes Empathie-Training weiterkommen? Und hilft umgekehrt Glaube Menschen vielleicht wirklich dabei, empathischer zu werden? Die Studienautoren konnten das ja zumindest nicht ausschließen - und aus christlicher Sicht es nahe liegen: Wenn Gott real ist und ihm die Entwicklung jedes Menschen am Herzen liegt, wie Christen es glauben, dann sollte gelebter Glaube einen Menschen ja auch tatsächlich "christlicher", also liebevoller in seinem Verhalten andern gegenüber machen. Wie spricht Gott doch gleich durch den Propheten Jeremia: "Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben." (Jeremia 31,33 und Hebräer 8,10).
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