Welche Rolle hat Gott dem Menschen in der Schöpfung zugedacht? In einem Internetvideo bin ich einem Gedanken begegnet, der in das ganz große Bild von Ursprung und Bestimmung des Menschen Wissenschaft und Technik integriert.
Als Nichttheologe vermag ich nicht zu beurteilen, wie neu und originell der Gedanke des Londoner Theologen Lincoln Harvey wirklich ist, auf den ich in diesem Video der BioLogos Foundation gestoßen bin (letztere wurde von Francis Collins, dem früheren Direktor des Humangenomprojekts, gegründet und ist eine der relativ zahlreichen, guten Adressen in der englischsprachigen Welt zum Thema Glaube und Wissenschaft). Aber jedenfalls hat er mich fasziniert – und ist für das Thema dieses Blogs höchst relevant, weshalb ich ihn hier kurz wiedergeben will.
Schöpfung heißt auch: Kulturauftrag
Harvey betrachtet die Bibel als Ganzes, quasi aus der Vogelperspektive. Zunächst bringt er Anfangs- und Endpunkt zueinander in Bezug: Alles beginnt im Buch Genesis in einem Garten: "Nicht notwendigerweise ein statischer Paradies-Zustand", kommentiert Harvey, "sondern etwas, das gepflegt und kultiviert werden muss". Endpunkt der großen Reise ist im Buch Offenbarung das himmlische Jerusalem: eine Stadt, also ein komplexes soziales, auf vielen menschlichen Errungenschaften basierendes Gefüge. Aus diesem großen Bogen ergibt sich für Harvey, dass Kultur – im breitesten Sinne, also Kunst, Wissenschaften, Technik, Wirtschaft, gesellschaftliche Strukturen ... – zu Gottes Bestimmung für seine Geschöpfe gehört.
Anders ausgedrückt (das sind nun eher meine Worte): Nur im Kontext einer lebendigen Kultur – und dazu gehört ein sich immer weiter entwickelndes Wissen von der Welt – kann der Mensch ganz Mensch sein. Auch der Glaube, kirchliches wie persönlich-spirituelles Leben, gehören in diesen dynamischen kulturellen Kontext. Sich davon abzukapseln, ob nun wegen eines angeblichen stetigen Werteverfalls oder weil der Wissensfortschritt Glaubensvorstellungen zu bedrohen scheint, stünde im Widerspruch zu Gottes Willen. Vielmehr soll der Mensch gerade als Teil dieses kulturellen, schöpferischen Prozesses in Beziehung zu dem treten, der die Welt geschaffen hat.
Brot und Wein als Hinweis
Konkret macht Harvey das am Beispiel des Abendmahls. Dabei werden nicht Korn und Trauben, also unverarbeitete Naturprodukte dargebracht, sondern vom Menschen technisch weiterverarbeitete Produkte: Brot und Wein. Harvey: "Wenn man so möchte: Im Zentrum des christlichen Gottesdienstes steht Technologie." Trete man von den Debatten über Wissenschaft und Religion einen Schritt zurück, könne man sagen: Der Mensch ist als Repräsentant Gottes in die Welt gestellt, um mit ihr in Beziehung zu treten und sie Gott wieder darzubringen – und die (naturwissenschaftliche) Erforschung der Schöpfung ist ein Teil dieser.priesterlichen Berufung.
Blog-Startseite | Über diesen Blog | Blog abonnieren (RSS-Feed)