Der magische Moment der Anwesenheit

Der magische Moment der Anwesenheit
Ein Journalist veröffentlicht ohne Genehmigung nicht an ihn gerichtete Mails einer Journalistin. Talkshows tragen dazu bei, dass "bestimmte Themen überproportional behandelt und andere kaum beachtet werden". Außerdem: Ist "Der gleiche Himmel" eine "zusammengeleimte IM-Romeo-Geschichte" von "epischer Bräsigkeit"? Haben Feuilletons "ihren pädagogischen Auftrag liquidiert"?

Der Mythos, die Bild-Zeitung habe in den vergangenen Jahren eine Art Zivilisierungsprozess durchlaufen, hält sich hartnäckig, zu den Gläubigen gehören auch sonst recht vernünftig wirkende Menschen. Dass der Zivilisierungsprozess insbesondere bei Julian Reichelt, dem Vorsitzenden der Bild-Chefredaktionen, noch auf sich warten lässt, zeigt der Umgang, den er gerade gegenüber der freien Journalistin Petra Sorge an den Tag legt. Diese hatte in der Zeit in einem Artikel in Sachen Andreas Lubitz auf ein Interview mit dessen „angeblicher Ex-Freundin (…), der Stewardess Maria W.“ hingewiesen, das die Bild-Zeitung im März 2015 druckte, und in dem Zusammenhang die Einschätzung des zuständigen Düsseldorfer Staatsanwalts Christoph Kumpa zitiert („Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist“). 

Reichelt veröffentlichte nun bei Twitter, wie der Bildblog schreibt,

„in einem Screenshot zwei Mails, die Sorge während ihrer Recherche an (…) Kumpa geschickt hatte (…) Julian Reichelt veröffentlicht also nicht-öffentliche, vertrauliche E-Mails einer Journalistin eines anderen Mediums, die nicht an ihn gerichtet waren und die er sich irgendwie beschafft hat“.

Der "Bild-Oberchef" veröffentlicht also „E-Mails anderer Leute“, wie es in der Headline zusammengefasst ist. Was das rein Inhaltliche angeht, macht Autor Moritz Tschermak für die Schwer-von-Kapee-Fraktion noch einmal Folgendes deutlich:

„Nirgends im Artikel gibt es den Vorwurf, dass Bild die Frau erfunden habe. Es wird lediglich der Staatsanwalt zitiert, der der Meinung ist, dass die Geschichte der Frau nicht stimme.“

Darüber hinaus bemerkt Tschermak bei Reichelt generell ein auffälliges sozialmediales Verhalten, dessen Opfer Sorge wurde:

„In 23 weiteren Tweets (Stand: Sonntag, 21:56 Uhr) legte der Bild-Chef nach (…) Viele dieser und seiner anderen Tweets wurden von verschiedenen Bild-Regionalredaktionen retweetet. Und auch der Bild-Hauptaccount schickte eine Vielzahl von Reichelts Nachrichten über Petra Sorge an seine 1,58 Millionen Follower. Kampagnenjournalismus funktioniert auch bei Twitter.“ 

Wohlgemerkt: auch. Sorge selbst hat die „ausgesprochen fragwürdige Methode, fremde E-Mails zu veröffentlichen“ (Tschermak) unter anderem in einem Facebook-Post aufgegriffen, sie schreibt dort: 

„Die Zeit hat mir erst einmal davon abgeraten, juristische Schritte einzuleiten. Jetzt erstmal den Rauch verziehen lassen und dann schauen wir weiter.“

[+++] Der Schwerpunkt im heutigen Altpapier soll allerdings bei vielfältigen Betrachtungen des deutschen Fernsehens liegen. Was sich vor allem anhand des Programms in dieser Woche aufdrängt. Erst einmal sei aber erinnert an eine Äußerung, die Wolfgang Schweiger, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft der Stuttgarter Universität Hohenheim, vor einer Woche in einem von Tilmann P. Gangloff für das Verdi-Magazin M - Menschen Machen Medien geführten Interview gemacht hat:

„In der Kommunikationswissenschaft gibt es (…) den Begriff ‚Agenda Setting‘. Nehmen wir das Beispiel Flüchtlingsdebatte. Die meisten Menschen haben keinerlei Kontakt zu Flüchtlingen, von Problemen ganz zu schweigen. In den sozialen Netzwerken bekommt dieses Thema eine viel größere Bedeutung, als es dem politischen Tagesgeschäft angemessen ist.“

Ja, aber - ließe sich ergänzen - nicht nur in den sozialen Netzwerken, sondern auch bzw. vor allem in den öffentlich-rechtlichen Talkshows. Dies verdeutlicht der SPD-Bundesabgeordnete und Blogger Marco Bülow, der den Eindruck hatte, „dass diese Talkshows eher ein Zerrbild der Realität darstellen und mit dazu beitragen, dass bestimmte Themen überproportional behandelt und andere kaum beachtet werden“. Weshalb er es schließlich „genauer wissen“ wollte und 204 Sendungen der „fünf relevantesten politischen Talkshows von ARD und ZDF“ aus dem Zeitraum von Oktober 2015 bis Anfang März 2017 auswertete. Ergebnis: „ein krasses Missverhältnis bei den Themen“. Konkret:

„So wichtig einige Themen sicher waren und sind, niemand kann rechtfertigen, dass in 1,5 Jahren jede vierte Sendung speziell das Thema Flüchtlinge behandelt und sich fast jede zweite Sendung generell mit dem Themenkomplex Flüchtlinge, Islam, Terror/IS, Populismus/Extremismus befasst hat. In nur sechs von 204 Sendungen wurde über Armut und Ungleichheit diskutiert. Wichtigen Themen wie NSU, Rassismus und rechte Gewalt wurde zum Beispiel jeweils nur eine Sendung gewidmet. Klimawandel kam sogar gar nicht vor.

Der maßgebliche Aspekt der Talkshow-Generalkritik sollte also vielleicht gar nicht die Einladungspolitik sein, sondern das „Agenda-Setting“ (Schweiger), das die Redaktionen dieser Sendungen betreiben.

[+++] Am kommenden Freitag werden wieder die Grimme-Preise verliehen. Katrin Schuster befasst sich in ihren in der Medienkorrespondenz veröffentlichten „Notizen aus der Grimme-Jury ‚Information und Kultur’“ vor allem mit der Unterkategorie „Besondere journalistische Leistung“ (Disclosure: Ich war am Vorauswahlprozess beteiligt): 

„Alle der in dieser Rubrik insgesamt vier Nominierungen, darunter eine von der Jury selbst stammende Nachnominierung, hatten ernsthafte Chancen auf einen Grimme-Preis (der in dieser Rubrik jedoch nur einmal vergeben werden darf)“,

schreibt Schuster. Sie erwähnt unter anderem die ARD-Korrespondentin Shafagh Laghai, die mit ihren „Beiträgen, Kommentaren und Reportagen aus Zentralafrika (…) ein ums andere Mal das düstere Gerede vom ‚dunklen Kontinent‘ (erhellt)“ sowie „Flüchtlinge in Templin“, eine „Reportage-Reihe mit Doku-Soap-Elementen über ein brandenburgisches Dorf, in dem ein Flüchtlingsheim errichtet und bald auch bewohnt wird“. Die Reihe lief dort, wo „besondere journalistische Leistungen“ sonst selten zu entdecken sind, nämlich im ZDF-„Morgenmagazin“. Das Rennen machte schließlich der von der Jury nachnominierte Filmemacher Ashwin Raman (siehe Altpapier). Schusters Fazit:

„Jenseits der spannungsreichen Bandbreite der journalistischen Leistungen und ihrer offenkundigen Vielzahl, die manche Sorgen über den Niedergang der Zunft zerstreuen könnte, stehen die Auszeichnung für Ashwin Raman wie auch die hohen Bewertungen von Shafagh Laghai und der Reihe über die Flüchtlinge in Templin für eine markante Tendenz: Der eigene journalistische Augenschein, das Vor-Ort-Gehen, das möglichst nahe Dabeisein und Dabeibleiben, dies wird nicht nur von Jurorinnen und Juroren hoch geschätzt, sondern es eröffnet in ach so globalisierten Zeiten auch weiterhin neue Perspektiven und andere Deutungshorizonte. Nur darf man es nicht als ‘analoge’ Gegenbewegung zur digitalisierten Gesellschaft verstehen; vielmehr ermöglicht erst die zeitgenössische Technik jene Mobilität und Flexibilität, durch die – nicht zuletzt durch die häufige Identität von Autor und Kameramann – bislang unerhörte Geschichten ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden können. Und in jeder der in diesem Jahr im Wettbewerb ‚Information und Kultur’ mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Produktionen gibt es ihn auf die eine oder andere Weise – jenen beinahe magischen Moment der Anwesenheit.“ 

Zu den Grimme-Preisträgern im vergangenen Jahr gehörte Constantin Schreiber, der damals noch bei n-tv im Einsatz war, mittlerweile aber bei der ARD gelandet ist. Für den Tagesspiegel hat Sabine Sasse mit Schreiber über den „Moscheereport“ gesprochen, dessen erster Teil heute bei Tagesschau24 zu sehen ist, einem Programm, das in der Regel nicht mit der Erstausstrahlung von Reportagen aufwartet. „Acht Monate lang“ hat Schreiber „verschiedene Moscheen in Deutschland besucht, die Predigten aufgezeichnet, übersetzt und mit Experten besprochen“. Sasse fragt:

"Wie haben die Imame und Gläubigen reagiert, als sie mit Ihrer Kamera angekommen sind?"

"Wir haben in den Moscheen immer mit Genehmigung gedreht. Das heißt, dass meistens eher Unverfängliches gepredigt wurde, wenn wir da waren. Zum Beispiel waren wir in der Dar-as-Salam-Moschee in Berlin-Neukölln, als der Mitbegründer der islamistischen al-Nahda-Partei aus Tunesien eine unglaublich integrative, Deutschland lobende Gastpredigt hielt. In Tunesien setzen sich die Mitglieder dieser Partei für die Wiedereinsetzung des Kalifats ein. Deshalb haben wir nochmal jemanden inkognito an einem anderen Freitag hingeschickt, und da war die Predigt das Gegenteil von integrativ und rief die Gläubigen auf, sich vom Leben in Deutschland abzugrenzen."

Ebenfalls ab heute zu sehen, jedenfalls unter dw.com (und später dann auch im linearen Fernsehen, bei Phoenix und ZDF Info): Jana Pareigis’ in der taz vorgestellte Dokumentation „Afro.Deutschland“. Ausgangspunkt des Films ist folgender:

„Etwa eine Million Schwarze Menschen leben heute in Deutschland – in einer weiß dominierten Gesellschaft; ‚Schwarz‘ groß geschrieben, um zu betonen, dass es sich nicht um ein beschreibendes Adjektiv, sondern eine politische Selbstbezeichnung handelt.“

Saida Rößner schreibt des weiteren:

„Die Doku ist dynamisch angelegt. Pareigis reist quer durch Deutschland. In 52 Minuten spricht sie mit zehn Schwarzen Menschen. Ihre Ge­sprächs­part­ner*innen sind Personen mit und ohne deutschen Pass. Dadurch stellt der Film Vielfalt von Perspektiven und Orten dar (…) ‚Afro.Deutschland‘ zeigt auch, dass Rassismus nicht auf rechte Gewalt reduziert werden kann. Es geht um subtilere Ausprägungen, die zur Normalität in Deutschland geworden sind: diskriminierende Begriffe, die immer wieder verwendet werden, oder grenzüberschreitendes Verhalten gegenüber Schwarzen Personen.“

[+++] Vom Nonfiktionalen ins Fiktionale: Eines der realen Vorbilder für die deutsche Adaption der Amazon-Serie „Good Girls Revolt“ wird Ingrid Kolb sein, die langjährige Leiterin der Henri-Nannen-Schule - und zwar aufgrund ihres Wirkens für den Stern. Darüber berichtet der Spiegel (€), der in diesem Zusammenhang Kolbs 1977 erschienene Titelgeschichte über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz („Deutsche Chefs - Ferkel im Betrieb?“) herausstellt. 

„Die Heldin der Serie, die das ZDF aktuell drehen lässt, arbeitet in verantwortlicher Position beim fiktiven Magazin Relevant. Sie will nackte Brüste vom Cover und das Machogehabe aus der Redaktion verbannen. Statt Ingrid Kolb heißt sie Sarah Wolf, beide sind derselbe Jahrgang“,

schreibt das Magazin. Die Figur der Serie sei aber auch angelehnt an Peggy Parnass, Wibke Bruhns und Alice Schwarzer, sagt Produzent Jan Kromschröder, der einst beim Stern als Redakteur im vom Kolb geleiteten Ressort mit dem sympathisch-anachronistischen Titel „Erziehung und Gesellschaft“ gearbeitet hat. Aufhänger des Textes ist i.Ü. ein Besuch bei jenen früheren Newsweek-Redakteurinnen, die Vorbild für das „Good Girls Revolt“-Original waren.

[+++] Kommen wir nun aber in die Gegenwart des fiktionalen Fernsehens: Heute startet im ZDF die Miniserie „Der gleiche Himmel“, „eine zusammengeleimte IM-Romeo-Geschichte“ (Nikolaus von Festenberg, Tagesspiegel). Martin Wolf (Der Spiegel) fallen die Ähnlichkeiten zu „Deutschland 83“ auf, wie „Der gleiche Himmel“ von Nico Hofmann produziert:

„‚Der gleiche Himmel‘ wirkt bisweilen wie ein Remake, nur eben Siebziger- statt Achtzigerjahre. Dazu werden Versatzstücke aus anderen Kino- und Fernsehfilmen neu kombiniert (…) Besonders gründlich haben die Schöpfer von ‚Der geteilte Himmel‘ (…) offenbar ‚Das Leben der Anderen‘ studiert. Eine Szene im Stasi-Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen wirkt, freundlich formuliert, wie eine Hommage an (Florian von) Donnersmarck.“

Cornelius Pollmer (SZ) meint: 

„Es lassen sich (…) einige Dinge aufzählen, die in Summe und bei hinreichender Missgunst 'Der gleiche Himmel' am Ende doch wieder zu einer doofen Revue über die so grausame wie letztlich unfähige Unrechtsstaats-DDR machen. Kritisieren ließen sich die massivhölzernen Drehbuchsätze, in die selbst Tom Schilling zuweilen und verstörend plötzlich kippt. Und wo wir schon bei Holz sind: Fast jede Fernseharbeit über die DDR geht noch vor Drehbeginn in den Holzschnitt, und sei er auch noch so fein gearbeitet.“ 

Wolf sieht es nicht unähnlich:

„Die DDR, die Stasi, Agenten in Ost und West, das ist für viele Drehbuchautoren und Regisseure mittlerweile ein Stoff wie einst der Kampf von Cowboys und Indianern in den Western aus Hollywood (…) Zu empfindlich sollt man als Zuschauer dabei nicht sein. Indianerfilme wurden ja auch nicht für Indianer gemacht.“

Das mag auf den ersten Blick amüsant klingen. Dass Rundfunkbeitragszahler, die die DDR erlebt haben, mit einem gewissen Recht mehr erwarten als aus Wessi-Perspektive erzählte Western, steht auf einem anderen Blatt.

„Kritisieren ließe sich schließlich, dass ein 'großer Dreiteiler' (ZDF) dem Einmaleins der deutschen Fernsehmathematik folgend in Summe ziemlich genau viereinhalb Stunden dauert, an deren Ende man als Zuschauer verblüfft feststellt, dass die wesentlichen Figuren ihr Suchen und Finden gerade erst begonnen zu haben scheinen“,

schreibt wiederum Pollmer, und daran anknüpfend lässt sich mit Nikolaus von Festenberg sagen:

Der Dreiteiler hat zwar 270 Minuten Zeit, aber keine Lust, Motivationen zu klären oder inneren Wandel plausibel zu machen. Oder überhaupt einem zentralen Handlungsstrang zu folgen. Er verliert sich und führt den Zuschauer in alle möglichen Gefilde, ohne dass ein Gesamtbild entsteht oder ein Grundgefühl. Wo nimmt ‚Der gleiche Himmel’ eigentlich seine epische Bräsigkeit her?“

Weitgehend wohlwollend fällt dagegen das Urteil Ulla Hanselmanns (Stuttgarter Zeitung) aus, „Der gleiche Himmel“ möge zwar „nicht ganz so fesseln“ wie „Deutschland 83“, „ist weniger dynamisch und zielstrebig, hat weniger spannende Thrillermomente – trotzdem überzeugt der klar auf ein internationales Publikum ausgerichtete Dreiteiler mit einer ganz eigenen Aura“. 

Auch zu haben: ein Welt-Porträt des Dreiteiler-Darstellers Ben Becker sowie ein Welt-Interview mit der britischen Drehbuchautorin Paula Milne, „die kein Wort Deutsch spricht“. Und Torsten Zarges hat für dwdl.de mit dem u.a. auch von epd medien (siehe Altpapier von Freitag) interviewten Regisseur Oliver Hirschbiegel gesprochen.

[+++] Am morgigen Dienstag läuft der ebenfalls bereits viel Aufmerksamkeit auf sich ziehende Pilotfilm zu „Über Barbarossaplatz“. Julia Dettke bemerkt in einem Interview, das sie für die FAS (€) mit Darsteller Joachim Król geführt hat.

„(Das) Kranke, auch Rohe, Harte wird in „Über Barbarossaplatz“ ja ganz offensiv ins Zentrum gerückt, auch ästhetisch: mit harten Schnitten, der starken Körperlichkeit, insgesamt einer Rohheit der Bilder und Dialoge, auch der Figuren untereinander, die man aus dem deutschen Fernsehen nicht gewohnt ist.“

Über die Arbeitsweise des Regisseurs Jan Bonny sagt Król in dem Gespräch:

„Jan wollte die Stadt zum weiteren Hauptdarsteller machen. Er hat gesagt: Wir erzählen die Stadt mit, und zwar anders, als das Fremdenverkehrsamt es gerne hätte. Wir gehen dahin, wo es wehtut. Zum Teil haben wir ohne Absperrer gedreht. In der Nachtszene zum Beispiel, wenn wir in diesem Backshop sitzen, laufen ja immer wieder Leute durchs Bild, auch Obdachlose. Das Büfett für die Filmcrew war nach einer Viertelstunde leer. Das wahre Leben kam ans Set, es war ein ungeschützter Dreh. Dem Aufnahmeleiter wurde zwischendurch der Laptop geklaut. Gegen Lösegeld wieder ausgehändigt.“

Die Stadt, von der hier die Rede ist, ist übrigens Köln. Claudia Tieschky (SZ) schreibt:

„Der Sound ist sofort da, vom ersten Moment an, wie ein Rauschen, aus dem alles kommt. Der Sound, das ist die Stadt, die Straßenbahn, das Kreischen von Metall auf Metall, Reifen auf nassem Asphalt, Wortgewirr auf dem Bürgersteig, Hupen, etwas wildere Jazzbläser. Oben, also über dem Kölner Barbarossaplatz,geht die Psychotherapeutin Greta Chameni in der Praxis herum, raucht und telefoniert, gruppiert ein paar Dinge, Topfpflanzen zum Beispiel. Ihre Praxis: okay, aber weit entfernt vom üblichen Fernsehdoktor oder dem Milieu ‚Akademiker und Singles mit Niveau‘. Vor allem dringt die Stadt durch alle Ritzen, auch noch beim Besprechen der Seelennot; Schallschutz ist eine Komfortzone, die hier nicht existiert.“

Offenbar haben wir es hier also zu tun mit in einem in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Pilotfilm, „so überraschend, originell und mutig (…) wie das, was Amerikaner, Briten oder Dänen unermüdlich als Import liefern“. Der Film wirft aber auch einige ARD-sendeplatzpolitische Fragen auf - die naturgemäß so komplex sind, dass an diesem Thema Interessierte hiermit animiert seien, Tieschkys Text komplett zu lesen.


Altpapierkorb

+++ Arbeiten die von der Bertelsmann-Firma Arvato zusammengestellten Facebook-Content-Lösch-Trupps in Berlin unter arbeitsschutzrechtlich zulässigen Bedingungen? „Zwei Mitarbeiter des Berliner Landesamts für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LaGetSi) haben Ende Februar Mitarbeiter befragt und Unterlagen mitgenommen. Die Behörde prüft, ob Arvato sich ausreichend um die psychische Gesundheit seiner Mitarbeiter kümmert, die ständig belastenden Inhalten ausgesetzt sind, und ob die Firma sich an das Arbeitszeitrecht hält“, meldet der Spiegel. SZ.de verweist darauf, dass der Besuch der Beamten durch einen im Dezember veröffentlichten Artikel des SZ-Magazins (siehe Altpapier) ausgelöst worden sei.

+++ Parkett „zählt seit 33 Jahren zu den renommiertesten Kunstzeitschriften weltweit“, wird nun aber eingestellt. Die NZZ hat ein Interview mit der Mitgründerin Bice Curiger geführt, das am Ende in eine Generalabrechnung mündet: „Einerseits gibt es nicht nachvollziehbare Preise bei Kunstauktionen, anderseits schwindet der Wille, sich mit Kunst vertieft auseinanderzusetzen. Auch in den Feuilletons der Zeitungen! Unsere 68er Generation hat sich für Demokratisierung eingesetzt, und ein Feuilleton ist ein wunderbares Mittel, breites Verständnis für immer noch sogenannt Elitäres herzustellen – aber nicht, wenn dort nur noch über Frisuren und Rezepte geschrieben wird. Eine Zeitung liquidiert damit ihren pädagogischen Auftrag, den sie eigentlich hätte.“ - „Aber das Internet sorgt doch für Demokratie auch in diesem Bereich?“ -„Eben nicht! Es bricht Information auf ein hierarchieloses Einerlei herunter.“

+++ „Das Fotografieren habe ich mir selber beigebracht, indem ich anderen Fotografen im Internet folgte. Als ich im Herbst 2013 für die Nachrichtenagentur AFP zu arbeiten begann, hatte ich zuerst nur eine Amateurkamera. Ich hoffte, mit meinen Bildern etwas ändern, die Öffentlichkeit beeinflussen zu können. Und tatsächlich haben viele Zeitungen meine Fotos gedruckt; einmal sah ich eines meiner Fotos sogar im UN-Sicherheitsrat.“ Der Fotograf Karam al-Masri (siehe Altpapier, oben im Korb), der sechs Monate in IS-Haft verbrachte und während der Belagerung Aleppos im Herbst 2016 „als einer der letzten Reporter“ aus dem Ostteil der Stadt berichtete, schildert in der SZ vom Wochenende (€) seine Erfahrungen.

+++ Bei Carta schlägt Heiko Hilker vor, dass ARD und ZDF das nun zur Verfügung stehende Geld, das eigentlich für die Rechte an den Übertragungen der Olympischen Spiele in der Zeit zwischen 2018 bis 2024 eingeplant war, gezielt für bestimmte Programmgenres wie den Kurzfilm, den Animationsfilm für Jugendliche und Erwachsene beziehungsweise den langen Dokumentarfilm einsetzen. Wenn man für die 135 Mio. Euro (Rechtekosten nebst konservativ angesetzten Produktionskosten), die man für zwei Olympische Spiele zu zahlen bereit war, Programm mit einem Durchschnittspreis von 5.000 Euro je Minute produzieren ließe, würde man 450 Stunden Programm gewinnen, das man auch wiederholen kann. Somit könnte man an 45 Tagen jeweils 10 Stunden neuproduzierte Inhalte bieten – oder an 365 Tagen je 75 Minuten.“

+++ Wie besinnungslose Journalisten bzw. Leute, die ihren Beruf verfehlt zu haben scheinen, derzeit aber Geld mit einer mit Journalismus zu verwechselnden Tätigkeit verdienen, Werbung für ein neues Pizza-Produkt aus Bielefeld machen, beschreibt schließlich Boris Rosenkranz (Übermedien).

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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