Und das ist erst der Anfang

Und das ist erst der Anfang
Auch heute wieder mit einem Paukenschlag, Morddrohungen und "Herzblut". Fernsehkrimis (und die Reaktionen darauf) als "braune Pampe" betrachtet. Gute-Laune-Bonusmaterial: der neue Möbel-Prospekt mit Thommy Gottschalk drauf. Außerdem: Die Handball-WM sorgt für wieder ganz neue Medien-Spannung.

Das Bitterste vorweg: Ein einflussreicher Staatschef und wichtiger außenpolitischer Partner der deutschen Bundesregierung

"underlined the importance of a free media for a developed country in his message. He also urged the media to remain true to accurate and objective news reporting."

Beim Zitatgeber handelt es sich um Präsident Recep Tayyip Erdogan. Der 10. Januar ist in der Türkei immer der Tag der arbeitenden Journalisten (turkishminute.com).

Falls Sie die türkische Sprache beherrschen: Auszüge aus Erdogans Botschaft gibt es hier zu sehen. Falls Sie es gerade nicht präsent haben sollten: Dass "die Hexenjagd gegen Journalisten in der Türkei ... alle bekannten Dimensionen" sprenge, ist die aktuelle Haltung der Reporter ohne Grenzen. Ein Interview mit der kürzlich freigelassenen, allerdings weiterhin mit lebenslanger Gefängnisstrafe bedrohten Schriftstellerin und Journalistin Asli Erdogan hatte die Süddeutsche gestern im Feuilleton (unfrei online). Und mit Berichten über die anlaufende Rest-Entdemokratisierung des EU-Beitrittskandidaten Türkei sind die außenpolitischen Ressorts vieler deutschsprachiger Medien derzeit voll.

[+++] Das relativiert natürlich, was im Inland geschieht. Gestern abend in der Talkshow "Unter den Linden" des ARD-ZDF-Beibootsenders Phoenix saßen Hans-Ulrich Jörges und Roland Tichy entspannt beieinander und diskutierten die spannende Frage "Was bringt 2017?" so einvernehmlich, dass unbefangene Zuschauer kaum hätten unterscheiden können, wer von beiden einen umstrittenen "liberal-konservativen", auch als "neurechts" bezeichneten Autorenblog verantwortet.

Was in der Sendung nicht vorkam: der "Paukenschlag am Mittag" (horizont.net), dass Tichy am gestrigen Montag also die "Herausgeberschaft bei Xing News nieder"-gelegt hat (tichyseinblick.de).

Freiwillig oder eher nicht? "Wie viele Nutzer ihre Accounts als Protest über das Wochenende gekündigt haben", also nach der Anti-Tichy-/Xing-Kampagne (Altpapier gestern), "ist unklar. Die Anzahl der Kündigungen bewege sich 'aktuell im normalen Bereich', erklärte ein Sprecher gegenüber Gründerszene" (gruenderszene.de). "Echte Kündigungen aber habe es nicht mehr gegeben als sonst auch, hieß es bei Xing" (Michael Hanfeld, FAZ). Das Netzwerk Xing gehört gut zur Hälfte Hubert Burdas Konzern.

Im zweiten Kommentar unter dem horizont.net-Artikel schreibt ein Kommentator:

"Nachdem Hensel gekündigt hatte stand tagelang auf Tichys Einblick, daß Hensel gefeuert wurde. Also Tichys Sprachgebrauch nach wurde Tichy von Xing gefeuert."

Das bezieht sich auf den Werber Gerald Hensel, der im Dezember die #KeinGeldFürRechts-Aktion initiiert hatte. Anschließend war er, auch wegen Morddrohungen, von seinem Posten zurückgetreten und erst mal untergetaucht (Altpapier). Von Morddrohungen schreibt, außer von "Herzblut", wiederum auch Tichy in seiner oben verlinkten Meldung.

"Das publizistische Klima in Deutschland wird rauer", meint Christian Meier auf Springers welt.de, und weiter unten:

"Die heiß geführte Debatte, die im Kern eine Diskussion um die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen ist, droht aus dem Ruder zu laufen, wenn Drohungen und Diffamierungen zur Normalität werden. Vermutlich ist das aber erst der Anfang ...",

denn die deutschsprachige Ausgabe des deutlich umstritteneren US-amerikanischen breitbart.com wird ja noch auf dem Meinungsmarkt erwartet. Dass Kampagnen gegen rechts und von rechts funktionieren, teilweise mit ähnlichen Mitteln arbeiten, vermutlich zu unterschiedlichen Anteilen, ist sozusagen bewiesen. Was bringt 2017? Die Eskalationsstufen sind nach oben offen.

Die Reaktionen in den sog. soz. Medien sind wie stets geteilt:

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Einen sinnvoll ambivalenten Kommentar hat Spreeblick-er Johnny Haeusler für wired.de verfasst:

"Ein Teil von mir applaudiert diesem Beispiel, das man als 'Abstimmung mit den Konten' bezeichnen kann und das gezeigt hat, dass sichtbar viele Menschen rechtes Gedankengut nicht mitfinanzieren wollen. Ein anderer Teil von mir aber zweifelt auch an der Aktion, die Fragen zum prinzipiellen Umgang mit politischen Gegnern und vor allem anderen Netzwerken, Marken und Unternehmen aufwirft, deren Personal- (oder auch Finanzierungspolitik) wohl selten so klar ist wie im Beispiel Xing/Tichy. Eigentlich wünsche ich mir, dass der Text bei Tichys Einblick noch immer online wäre. Selten hat ein Artikel so deutlich gezeigt, welch Geistes Kind manche 'Liberal-Konservative' tatsächlich sind ..."

Verschwunden ist er natürlich nicht. Schließlich verschwindet nichts im Internet, zumindest nicht, wenn jemand wollen sollte, dass es verschwindet. "Der umstrittene Text kann jetzt auf der Seite des Publizisten David Berger nachgelesen werden. Berger will damit ein Zeichen gegen 'Nannyjournalismus' setzen, wie er es formuliert. Der katholische Theologe ist einer der Autoren von Tichys Einblick ..." (wuv.de).

[+++] Nur scheinbar harter Schnitt: Kommt denn heute zur sog. besten Sendezeit ein Krimi? Natürlich, und natürlich im ZDF. Es ist ein deutscher, der in England spielt. Der zurzeit erfrischendste Fernseh-(Fiktions-)Kritiker, Oliver Jungen, dichtet über "Inspektor Jury spielt Katz und Maus" auf der FAZ-Medienseite:

"Ein Plot wie ein Plumpudding ist das, eine zu brauner Pampe verkochte Melange aus Ingredienzien, welche man schon einzeln kaum anrühren würde. Das Ergebnis ist so irre und senil, dass man es nur als Herausforderung begreifen kann, der man sich mit britischem Stoizismus stellen muss."

So, dass Leser sich einfach unbefangen kurz "braune Pampe" ausmalen, sind die Zeiten freilich nicht. Als es gestern im Altpapier um die öffentlich-rechtliche Krimi-Flut ging, hatte ich, um es nicht zu kompliziert zu machen, den zu dem Zeitpunkt jügstausgestrahlten Fernsehkrimi weggelassen, den "Tatort".

"Die Ausgabe vom Sonntag, 'Land in dieser Zeit', lässt die sozialen Medien braun anlaufen",

titelte dann taz.de in einer Zusammenfassung der "Tatort"-Reaktionen, die Onlinemedien wegen der vielen Klicks auf den Second Screens immer gerne anstellen.

Dieser "Tatort" [den ich selbst nicht gesehen habe] war ein spezieller Fall. Inhaltlich engagierte er sich gegen rechts bzw., wie es einer der Kommissare wohl sagte: gegen "braune Scheiße", oder bemühte sich, sich dagegen zu engagieren. Bereits in Vorbesprechungen fanden ihn wenige Kritiker gut, auch Anna Klöpper in der TAZ. "Das Gegenteil von subtil", schrieb Tilmann P. Gangloff mit seinem großen Herz für Fernsehfilme hier nebenan und prophezeite, dass "die Macher dieses Krimis womöglich exakt das Gegenteil ihrer guten Absichten erreichen"  könnten. So ist es dann wohl gekommen.

"Reichlich zynisch könnte man zusammenfassen: Wer den Zorn dieser Trolle auf sich zieht, hat alles richtig gemacht",

fasst zwar die Autorin der TAZ-Nachlese zusammen. Aber genau das ist die Frage: Ist so ein Zorn, wenn er sich geäußert hat, ruhiggestellt und sozusagen eine Zeitlang unschädlich, oder ver-x-facht er sich in sogenannten sozialen Medien, desto mehr Nutzer ihren eigenen Zorn auch noch mit hinausblasen?

"Öfter mal die Klappe halten"  (Ulrike Simon Ende 2016 in der RND-Madsack-Medienkolumne) bleibt ein guter Rat, würde ich sagen.

[+++] Wo bleibt das Positive? Hier. Es liegt der Süddeutschen Zeitung bei und ist ein Möbelmarkt-Prospekt, auf dem und in dem Thommy Gottschalk in traditionsreichen Retro-Outfits grinst, dass einem ganz schwummrig wird. Der mediale Zusammenhang besteht darin, dass Thommy Gottschalk im Bayerischen Dudel-Rundfunk auch gerade wieder zu hören ist.

"Begeisterte Hörerreaktionen nach Auftakt von 'Gottschalk - Die Bayern 1 Radioshow'/ Thomas Gottschalk rockt wieder!", überschlägt sich der BR per Pressemitteilung. Kritischere Reaktionen gibt's aber auch.

"Früher erzählte auf Familienfeiern Opa vom Krieg. Heute kommt Thomas Gottschalk und erzählt von den Sechzigern, als ihn irgendeine Sheila sitzen gelassen hat, und er Trost bei einem Song von Status Quo fand. Ja, das Früher, das ist sein Ding, jetzt, wo er einmal im Monat drei Stunden bei Bayern 1 am Mikrofon stehen und alles spielen und sagen darf, was er will. Das mit dem Dürfen ist ein bisschen sein Problem ...",

schreibt Hans Hoff in der Süddeutschen. Über die Details dieses Dürfens erfährt man in dem Artikel nichts. Schließlich liegen der Süddeutschen ja Möbel-Prospekte bei, und "präsentiert von einer Möbelkette, kehrt Deutschlands letzter Showmaster" ja "zu seinen Wurzeln zurück", wie Jörg Seewald in der mutmaßlich möbelprospekt-freien FAZ schreibt:

"Im Alter, erfahren wir dann, hat Gottschalk sein Herz für Country-Musik entdeckt. Sagt er, spielt Johnny Cash und plaudert dahin, einige Freunde hätten ihm geraten, er möge doch bitte so in Würde altern wie Cash. Ob ihm das gelingt? Cash hätte im Radio bestimmt nicht erzählt, dass ihm ein Song von Status Quo 1969 über Liebeskummer hinweggeholfen hat ...."

Gute Medienkritik ist unter anderem, wenn es deutlich schöner (und zeitsparender) ist, etwas zu lesen als es selbst zu sehen, hören oder gehört zu haben.

Zum Sport in den Korb.


Altpapierkorb

+++ Immer noch spannend: nicht nur die Handball-Weltmeisterschaft, sondern auch, ob und wenn, von wem Bewegtbilder übertragen werden. Das schien in der kuriosen Form geklärt, dass die Bank namens DKB die Übertragung übernimmt (Altpapier), und zwar mit Hilfe von Googles Youtube, das "durch Geoblocking der Vorgabe des Rechtevergebers BeIn Sports ..., die Spiele nur in Deutschland zu zeigen" (horizont.net), locker erfüllt. Nun aber: steht "noch nicht fest, ob das rechtlich auch erlaubt ist. 'Die Medienanstalten haben begonnen, den Fall zu prüfen', sagte Pressesprecherin Anneke Plaß von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg,  gestern der Berliner Zeitung" (Berliner Zeitung). Die Landesmedienanstalten erfüllen keine wirklich wichtigen Funktionen, aber schon die, Lizenzen an Sender zu vergeben. Und "sollte die DKB auf ihrer Homepage aber einen Live-Kommentar und vielleicht auch Interviews vor und nach den Spielen anbieten wollen, so wäre das ein kuratierter Inhalt, für den wohl eine Rundfunk-Lizenz erforderlich wäre". +++

+++ Donald Trumps Medien-Strategie umreißt Washington-Korrespondent Thomas Seibert im Tagesspiegel:  "Zum einen will der 70-jährige Populist die traditionelle Torwächter-Rolle und die Kontrollfunktion der Medien aushebeln, indem er wichtige Stellungnahmen über Twitter direkt an die Öffentlichkeit bringt, ohne sich kritischen Fragen stellen zu müssen. Zum anderen benutzt er Zeitungen und Fernsehsender, wenn es ihm geboten erscheint". +++

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+++ "Man könnte das Russen-Hickhack zwischen den mächtigen Diensten und dem bald mächtigsten Mann der Welt als ein weiteres Kapitel der alltäglichen politischen Seifenoper betrachten, an die man sich mit einem Präsidenten Trump wohl gewöhnen muss" (Constanze Kurz, gestern im FAZ-Feuilleton, über US-amerikanische Berichte, denen zufolge russische Geheimdienste die US-amerikanischen Wahlen beeinflusst hätten). +++

+++ Das Privatfernsehen steigt wieder ein in den deutschen Fernsehkrimi. "Mitunter ist die Schnittfrequenz gerade im Vergleich zum Durchschnittstempo deutscher Serien fast schon atemberaubend", meint Tilmann P. Gangloff zur Sat.1-Krimiserie "Einstein" (Tagesspiegel), und: "Die Hauptfigur ist ... derart atypisch fürs hiesige Fernsehen, dass die Schlichtheit der weiteren Mitwirkenden kaum ins Gewicht fällt". +++ "Die Schnittfolgen sind schnell, es gibt Wischblenden, und in Gesprächsszenen schwenkt die Kamera mit einem hörbaren 'wusch' zwischen den Dialogpartnern hin und her. Die Lösungswege in Gefahrensituationen werden erst durch die Kamera abgefahren und dann noch einmal mittels Computeranimation sichtbar gemacht – einfach weil es geht. Gut, dass Unterhaltung etwas mit der Zeit gemeinsam hat. Auch sie ist relativ" (Axel Weidemann, FAZ). +++

+++ Die aktuellen "Tatorte" des MDR erregen Kritik auch des Thüringer Rechnungshofs (Spiegel-Meldung, frei online im Standard). +++

+++ "Die Figur des Ernst Bienzle – vom Vielschreiber Felix Huby in den frühen 90ern ersonnen – hatte ansatzweise das Gebrochene, das heute für jeden Ermittler Dienstvorschrift ist. So lebte Bienzle in einer komplizierten Beziehung mit seiner Hannelore. Sein superbruddelnder Hausbesitzer Walter Schultheiß, die schauspielerische Personifikation des Klischeeschwaben, sollte wohl dazu dienen, Bienzle als nur halbtypischen Schwaben kenntlich zu machen. Das misslang gründlich" (aus Peter Unfrieds TAZ-Nachruf auf den verstorbenen Ex-"Tatort"-Kommissars-Darsteller Dietz-Werner Steck). +++ "Und dann auch noch handy-, pistolen- und autofrei - was war das für ein unzeitgenössischer 'Tatort'-Kommissar, den Autor Felix Huby da in den 1990 Jahren ins Leben rief. Und was hatte er für einen Erfolg" (Markus Ehrenberg, Tsp.). +++

+++ Ebenfalls gestorben ist "eine der großen Blattmacherinnen des deutschen Magazin-Journalismus": die frühere Brigitte-Chefredakteurin, und zuletzt -Herausgeberin Anne Volk (brigitte.de). +++

+++ Positives aus Polen: "Die rechtsnationale Regierung in Warschau rückte von ihren Plänen ab, den Zugang von Journalisten zum Abgeordnetenhaus einzuschränken" (Standard). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

 

 

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