Big Data und der Journalismus

Big Data und der Journalismus
Mit Daten kann man so manches anstellen. Etwa das gesellschaftspolitische Engagement im Profi-Fußball sichtbar machen. Aber werden wir alle deshalb zu Marionetten unserer digitalen Existenz? Ansonsten hat die Tagesschau noch ein Problem mit den journalistischen Kriterien für ihre Berichterstattung.

Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter, während die Niederlage zumeist ein Waisenkind bleibt. Das ist bei Wahlen nicht anders als sonst im Leben. Insofern kann es nicht erstaunen, wenn plötzlich alle möglichen Leute ihren Anteil am Wahlsieg von Donald Trump in den Vereinigten Staaten für sich reklamieren. In den Medien finden solche Geschichten gerne Resonanz. Dem Zufall will schließlich niemand sein Leben anvertrauen, noch nicht einmal Journalisten. So fand an diesem Wochenende ein Artikel im Schweizer „Das Magazin“ einen enormen Widerhall in der Echokammer des Journalismus. Die beiden Autoren Mikael Krogerus und Hannes Grassegger fanden den Stein des Weisen für den Wahlsieg Donald Trumps. Es geht um Big Data und die bis dahin ungeahnten Möglichkeiten des Microtargeting. Trumps Wahlkampfteam habe dieses Instrument meisterhaft genutzt. Forbes macht sogar Trumps Schwiegersohn für diesen Erfolg verantwortlich.

Den Grundgedanken dieses Ansatzes findet man in folgenden Sätzen aus "Das Magazin". Mit Big Data wissen die Analytiker mehr über jeden Einzelnen als dieser sogar über sich selbst.

„Aus einfachen Onlineaktionen lassen sich verblüffend zuverlässige Schlüsse ziehen. Zum Beispiel sind Männer, die die Kosmetikmarke MAC liken, mit hoher Wahrscheinlichkeit schwul. Einer der besten Indikatoren für Heterosexualität ist das Liken von Wu-Tang Clan, einer New Yorker Hip-Hop-Gruppe. Lady-Gaga-Follower wiederum sind mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit extrovertiert. Wer Philosophie likt, ist eher introvertiert. … . Bald kann sein Modell anhand von zehn Facebooks-Likes eine Person besser einschätzen als ein durchschnittlicher Arbeitskollege. 70 Likes reichen, um die Menschenkenntnis eines Freundes zu überbieten, 150 um die der Eltern, mit 300 Likes kann die Maschine das Verhalten einer Person eindeutiger vorhersagen als deren Partner. Und mit noch mehr Likes lässt sich sogar übertreffen, was Menschen von sich selber zu wissen glauben.“

Diese These lässt den Wahlsieg Trumps nicht mehr als Zufall erscheinen, sondern als das zielgerichtete Handeln digitaler Hexenmeister.

„Es ist das Ocean-Modell. «Wir bei Cambridge Analytica», sagt Nix, «haben ein Modell entwickelt, das die Persönlichkeit jedes Erwachsenen in den USA berechnen kann.» Jetzt ist es absolut still im Saal. Der Erfolg des Marketings von Cambridge Analytica beruhe auf der Kombination dreier Elemente: psychologische Verhaltensanalyse nach dem Ocean-Modell, Big-Data-Auswertung und Ad-Targeting. Ad-Targeting, das ist personalisierte Werbung, also Werbung, die sich möglichst genau an den Charakter eines einzelnen Konsumenten anpasst.“

Es passt zur Debatte über die Rolle sozialer Netzwerke und den Strukrwandel digitalisierter Öffentlichkeiten. Entsprechend groß an diesem Wochenende die Resonanz vor allem von Journalisten auf diesen Artikel. Hier scheinen sich alle Befürchtungen über die Rolle von Big Data zu bestätigen. Allerdings war das schon immer ein behavoristischer Irrglaube. Jens Scholz macht in seinem Blog wichtige Anmerkungen zu diesem Thema.

„Wie kommen Menschen immer wieder auf die irgendwie religiös mathematikhörige Idee, dass man menschliches Verhalten derart leicht kategorisieren, vorhersagen und dann sogar steuern könnte? Selbst auf dem Finanzmarkt, der viel mathematischer und in weniger Dimensionen funktioniert hat man bewiesen, dass eine egal mit wie vielen Daten unterfütterte Vorhersage kein bisschen genauer ist, als eine Vorhersage, die auf reinen Zufallszahlen basiert. Man braucht ein magisches Weltbild, um an eine Formel zu glauben, die mathematisch das Wort errechnet, das man einem Menschen sagen muss, damit er plötzlich und willenlos seine Meinung ändert. Viele B-Movies der Fünfziger leben von diesem Gedanken, denn man glaubte schon mal daran, dass eine extreme politische Idee irgendwelche Zauberkräfte hatte, die Menschen zu willenlosen Anhängern macht. Damals wars der Kommunismus.“

Das Problem von Big data ist nämlich nicht, dass man alles von allen weiß. Es wird vielmehr nur der entsprechende Eindruck erzeugt. Menschen können sich allerdings gezwungen sehen, sich in ihrem digitalen Ich dem Konformitätsdruck solcher Systeme anzupassen. Vielleicht sollte man doch noch einmal Frank Schirrmachers Ego lesen.

+++ Der Nutzen von Big Data ist dabei für den Journalismus unumstritten. Allerdings will er wohl nicht das Verhalten von Fußballern gegenüber den Steuerbehörden prognostizieren. Er begnügt sich damit die ihm zugespielten Informationen über das bisherige Handeln auszuwerten. Der Fußball ist ein Geschäft und deren Stars können den Hals nicht voll genug bekommen. Das ahnte man schon immer. Aber Football Leaks macht nachvollziehbar, wie dieses System funktionierte. Seine Logik erinnert an die Panama Leaks über die Rolle und Funktionsweise von Steueroasen. Hier erklärt der Spiegel seine Methode der Datenanalyse. Es „eröffnet einen ungeschönten und umfassenden, einen einmaligen Einblick in den Maschinenraum der Gelddruckerei Fußball“, so der Spiegel.

„Viele Wochen nach Beginn des Projekts fügen sich Tausende Puzzleteile zu einer Geschichte über den wohl größten und bekanntesten Fußballspieler der Welt zusammen: Cristiano Ronaldo. Begriffe wie "Steuerprüfung", "British Virgin Islands", "Bildrechte" tauchen ab Juli zunehmend in der Trefferliste der Rechercheure auf. Währenddessen arbeitet jeder von ihnen an mehreren Themen gleichzeitig, versucht relevante Verträge zu sammeln, Geldflüsse nachzuverfolgen und Firmenkonstruktionen zu entschlüsseln.“

Erstaunlich ist aber immer wieder die Leichtigkeit mit der Hacker offensichtlich an solche Datensätze herankommen. Das Thema Datenschutz scheint selbst dort keine Rolle zu spielen, wo tatsächlich jemand etwas zu verbergen hat. Insofern geht es nicht darum, ob man das zukünftige Handeln etwa von Weltstars des Fußballs wie Christiano Ronaldo und Mesut Özil vorhersagen kann. Der Steuerspartrieb unter Spitzenverdienern ist schließlich keine völlig neue Erkenntnis. Vielmehr ob der Schutz der Privatsphäre noch zu erhalten ist, wenn solche Daten so einfach zu bekommen sind. Nicht immer besteht nämlich ein „öffentliches Interesse“ an dieser Form der Transparenz. Das führt hier zu entsprechender Berichterstattung, wie jetzt im Spiegel. In anderen Fällen kann es auch zur mißbräuchlichen Verwendung solcher Daten führen. Daher von dieser Stelle ein Gruß an Edward Snowden.

+++ Die Tagesschau war in früheren Zeiten das wichtigste Informationsmedium vieler Bürger. Ohne die Berichterstattung in der Tagesschau hatten manche Ereignisse praktisch nicht stattgefunden, so der damalige Eindruck. Die Nutzung anderer Informationsquellen war schwierig, wenn auch nicht ausgeschlossen. Man konnte etwa Zeitung lesen. Das hat sich geändert. Heute hat die Tagesschau diese Funktion längst verloren. Deren Berichterstattung ist somit zu einem Kampf um politische (und journalistische) Relevanz geworden. An diesem Wochenende war das wieder einmal zu erleben. In Freiburg war eine Studentin vergewaltigt und ermordet worden. Als Tatverdächtig gilt ein junger unbegleiteter Flüchtling aus Afghanistan. Die Tagesschau hatte auf eine Berichterstattung verzichtet, weil sie das als ein „regionales Ereignis“ definierte, ohne bundesweite Bedeutung. ARD-Aktuell Chefredakteur Kai Gniffke hat das im Blog der Tagesschau so begründet.

„Jeder Mord ist fürchterlich. Der Fall in Freiburg besonders, weil ein junges Menschenleben ausgelöscht wurde. Die Redakteurinnen und Redakteure bei der Tagesschau sind nicht gefühllos. Aber wir berichten nur sehr selten über einzelne Kriminalfälle. Es gibt im Medienmarkt Redaktionen, die sich auf die Berichterstattung über Kriminalfälle spezialisiert haben und dies in der Regel auch sehr angemessen tun. Die Tagesschau berichtet über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse. Da zählt ein Mordfall nicht dazu. Das heißt nicht, dass in der Tagesschau Verbrechen niemals thematisiert werden. Natürlich ist die Entwicklung von Verbrechen in Deutschland ein wichtiges Thema. Aber wir können und wir wollen nicht über jeden der circa 300 Mordfälle pro Jahr berichten (wobei interessant ist, dass diese Zahl in den vergangenen 15 Jahren dramatisch abgenommen hat).“

Nun ist es schon seltsam, warum Gniffke die persönliche Betroffenheit und Anteilnahme der Tagesschau-Redakteure so besonders herausstellt. Seit wann gelten eigentlich solche Befindlichkeiten als journalistisches Kriterium? Die Kritik an dieser Entscheidung formuliert der Stern.

„Spätestens seitdem drei Wochen nach der Tötung von Maria L. im nahe gelegenen Endingen eine weitere Frau vergewaltigt und getötet wurde, kennt den Fall die ganze Republik. Sogar "Aktenzeichen XY ungelöst" berichtete darüber, die Pressekonferenz zur Festnahme wurde live auf N24 und N-TV übertragen. Doch die "Tagesschau" nennt den Fall "regional" und verschweigt den Fahndungserfolg der Freiburger Polizei in ihrer 20-Uhr-Ausgabe. … . Viel verheerender ist die Wirkung, die das Verschweigen der Festnahme eines 17-jährigen Flüchtlings aus Afghanistan hat. Sie leistet den Hetzern Vorschub, die traditionelle Medien wie die "Tagesschau" unter den Generalverdacht der Lügenpresse stellen. Deren Version: Die "Tagesschau" verschwieg die Festnahme, weil es sich um einen Flüchtling handelte.“

Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Allerdings sitzt die Tageschau mittlerweile in einer Falle, in die sie sich selbst manöveriert hat. Es geht nämlich nicht mehr um journalistische Kriterien, sondern um politische Relevanz. Wer einmal mit diesem Kriterium hantiert hat, darf sich aber über die Folgen nicht wundern. Und es ist in derVergangenheit eben zu häufig passiert, dass man sich über die politischen Folgen von Berichterstattung Gedanken gemacht hat anstatt über journalistische Kriterien. Ob etwa Zuschauer Meldungen über die Kriminalität unter Flüchtlingen falsch interpretieren könnten, nämlich als Bestätigung fremdenfeindlicher Vorurteile.

Das kann tatsächlich passieren. Aber es blieb schon immer dem Zuschauer überlassen, wie er mit solchen Informationen umgeht. Das nennt sich politische Meinungsbildung. Diese muss bekanntlich niemanden gefallen. Es hat Journalisten auch nicht in erster Linie zu interessieren, ob Zuschauer manche Informationen anders interpretieren als er es gerne hätte. Insoweit ist der Freiburger Mordfall ein gutes Beispiel dafür, wie der Jounalismus zum politischen Schlachtfeld geworden ist. Eines ist aber ziemlich sicher: Wenn die Tagesschau berichtet hätte, wäre die Kritik von der politischen Konkurrenz gekommen. Wieso sie sich mit ihrer Berichterstattung an der Hetze gegen Flüchtlinge beteiligt hat.


Altpapierkorb

+++ Jahresrückblicke haben vor allem dann ein Problem, wenn das Jahr noch nicht vorbei ist. Den Anfang machte wie immer RTL mit Günther Jauch. Dazu die Kritik auf DWDL. „Wer die zurückliegenden elf Monate verschlief und erst zu "Menschen, Bilder, Emotionen" wieder erwachte, lief also Gefahr, 2016 für ein extrem ereignisloses Jahr zu halten. Man möchte daher gar nicht wissen, was noch alles hätte passieren müssen, damit RTL seinen Jahresrückblick mit etwas mehr Relevanz versieht. Und so bleibt nach einem langen Abend vor allem eine Frage: War was?“. Bestimmt. Wir schalten nach Wien und Rom.

+++ Ansonsten noch zwei weitere Artikel über das Social Media Phänomen Donald Trump. Buzzfeed analysiert seine Tweets. So erfahren wir immerhin, was Trump für wichtig gehalten hat und welche Quellen er benutzte. Dazu passt auch dieser Artikel mit der Frage, wen Trump auf Twitter blockt. Hoffentlich nicht China, so könnte man meinen. Dazu jetzt auch Stephan Winterbauer auf Meedia. Ob man gleich von einer "linken Verschwörungstheorie" reden sollte, ist aber zu bezweifeln.

+++ „Aufzuhalten ist der Niedergang wahrscheinlich nicht. Konservative klagen, viele Journalisten lebten in einer linken Blase. Das ist zwar nicht ganz falsch, doch Ursache der Krise ist es eben nicht, schliesslich sinken die Auflagezahlen bei der Weltwoche (und auch bei der BaZ) genauso wie beim Tages-Anzeiger. Grund dafür ist der Strukturwandel. Die Glaubwürdigkeitskrise gibt es dagegen, seit es Zeitungen gibt, denn als besonders vertrauenswürdig galten Journalisten noch nie. Neu ist lediglich, dass heute jeder Leser seine Zweifel öffentlich machen kann.“ Nachzulesen n der Basler Zeitung. Anlass für den Artikel ist der Rollenwechsel von Roger Koeppel. Wem noch frustrierende Anmerkungen über die Lage des Journalismus fehlen sollten: „Natürlich ist Köppels Wandlung auch eine Folge der Zeitungskrise: Befänden wir uns im Jahr 1990, wäre er wohl nie im Bundeshaus gelandet: Chef­redaktor zu sein, das war damals noch etwas. Wer heute etwas gelten will, tut anscheinend besser daran, sich weitere Betätigungsfelder zu suchen.“

+++ Ganz so schlecht scheint aber die Lage für Publizisten nicht zu sein. „Das Wochenmagazin l’Espresso schätzte vor ein paar Wochen, dass der Blog von Beppe Grillo bis zu 700.000 Euro im Jahr einbringen könnte, und die Seite Tze Tze immerhin noch rund 300.000 Euro. Ob sich diese Gelder zwischen Casaleggio Associati und der Fünf-Sterne-Bewegung ähnlich vermischen, wie die Inhalte, bleibt offen.“ Ein Bericht der Tagesschau, keineswegs nur von „regionalem Interesse“. Nur um weitere Missverständnisse zu vermeiden.

+++ Über ihre Erfahrungen im österreichischen Wahlkampf berichtete Corinna Milborn, Info-Chefin des österreichischen Privatfernsehsenders Puls 4 in der Süddeutschen Zeitung. „Diese ganze Hass-im-Netz-Thematik trifft in meinem Fall nur dann zu, wenn es um die FPÖ geht und Herr Strache etwas über mich postet. Das ist dann wie ein Startschuss zu einem Massenangriff. Da kommen Tausende Kommentare, viele von gefälschten Profilen, außerdem sehr viele von Leuten, die das Interview gar nicht gesehen haben, aber einfach mitmachen. Die allermeisten diffamierenden Kommentare sind allerdings nicht klagbar, sondern genau an der Grenze des Klagbaren.“

+++ Wie geht es weiter mit der Olympia-Berichterstattung? Der Tagesspiegel hat dazu interessante Anmerkungen. Es bleibt ja ein Rätsel, wie Discovery die Rechtekosten überhaupt refinanzieren will, wenn ARD und ZDF keine Sublizenzen erwerben. „Für die Vermarktung ist Discovery zuversichtlich. 1,3 Milliarden Euro hat das Unternehmen für die Olympia-Rechte gezahlt, 300 Millionen Euro sollten durch Sublizenzen an ARD und ZDF wieder hereinkommen. Nun müssen andere Refinanzierungsquellen erschlossen werden. Dabei setzen die Amerikaner darauf, dass einige Beschränkungen, mit denen ARD/ZDF zu kämpfen haben, für Discovery nicht gelten, zum Beispiel für die Vermarktung der digitalen Flächen, Stichwort Eurosport Player. Um das Thema Mitarbeiter muss man sich wohl keine Sorgen machen. Obwohl Discovery und Eurosport noch keine Olympia-Stellen ausgeschrieben haben, gebe es reichlich Anfragen von ARD- und ZDF-Mitarbeitern. „Das läuft schon fast von allein.“ Nur als Basisinformation: Olympische Spiele dauern nur wenige Tage. In diesem Zeitraum muss Discovery die Einnahmen generieren, die sie zur Refinanzierung brauchen.

+++ Was jetzt auch nicht mehr fehlt? Übermedien zur Berichterstattung der Tagesschau über Freiburg.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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