Für Volker Herres – oder denjenigen, den er unter seinem Namen den hier vom Kollegen Lübberding empfohlenen, nicht verifizierten Twitter-Account betreiben lässt – war gestern ein aufregender Tag.
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(Ganz recht, Letzteres ist ein Link zum Qualitätcontentgaranten Web.de.)
So twitterte der ARD-Programmdirektor von früh bis spät, auf dass niemand das „interaktive und internationale Fernsehereignis“ (Das Erste über das Programm des Ersten) verpasste, das ab 20.15 Uhr unter dem Namen „Terror – Ihr Urteil“ auf Sendung ging, und von dem Sie sicher schon wissen, dass es sich dabei um die Verfilmung des Theaterstücks von Ferdinand von Schirach handelte, bei der die Zuschauer über Schuld oder Unschuld eines Bundeswehr-Piloten abstimmen durften, der eine von Terroristen entführte Passagiermaschine vom Himmel schoss, bevor sie ins vollbesetzte Münchner Olympiastadion einschlagen konnte (zuletzt Altpapier am Mittwoch und gestern).
„Schon der Titel klingt ein bisschen so, als ob Johannes B. Kerner am Ende eine Liste der zehn beliebtesten Strafmaße der Deutschen verlesen würde“,
meinte dazu bereits vor der Ausstrahlung Lukas Fuhr bei Carta, um sich dann über die Versuchsanordnung aufzuregen:
„Dass die Entscheidung keine leichte ist, dass Major Koch sie sich nicht leicht macht, zeigt von Schirachs Stück – eine fast schon rührend klassische tragische Konstellation, in der ein Mensch nur schuldig werden kann. Das zu sehen, kann kathartisch sein. Und deshalb ist es auch nicht falsch, den Film als Film zu sehen. Falsch ist es, ihn als Demokratisierung des Rechts zu interpretieren oder gar die Abstimmung zu einer Art Referendum über oberste Verfassungsprinzipien zu erklären.“
Genau! Außer, dass es halt ein Film war mit einer angeschlossenen Zuschauerbefragung, wie dieser zu Ende gehen sollte, was zumindest meines Wissens nach in Deutschland bislang ohne Folgen für das Rechtssystem bleibt, das schon ganz andere Fernsehereignisse ausgestanden hat. „Richterin Barbara Salesch“ zum Beispiel (Folge heute: „Die engagierte Jugendamt-Mitarbeiterin Silke Kraft ist sich sicher, dass Robert Günther ihr eine Glaskugel in den Rücken geworfen und ihr damit fast die Wirbelsäule gebrochen hat.“), worauf auch Ruth Schneeberger bei süddeutsche.de hinweist, wenn sie den Bogen zur die Abstimmung begleitenden Ausgabe von „Hart aber fair“ schlagend schreibt:
„Und dann kommt Plasberg. Als sei dieser Urteilsspruch wirklich von politischem Belang, hüpft der ,Hart-aber-fair’-Moderator im Anschluss an den Spielfilm aufgeregt durch sein Studio - man könnte fast meinen, es hätte noch nie ein Fernsehpublikum über ein Urteil abgestimmt. Dabei befragte das ZDF seine Zuschauer einst jahrzehntelang ,Wie würden Sie entscheiden?’ und die Gerichtsshows der Privaten sind ebenfalls seit Jahrzehnten nicht totzukriegen. Neu ist nun, dass das Publikum wirklich entscheiden darf - und der Richter im Anschluss das Urteil des Volkes verkündet.“
Aber, wie gesagt: ein Urteil innerhalb einer Fernsehsendung.
„Nach unseren Dafürhalten traut man den Zuschauern, Lesern, Theaterbesuchern, Bürgern zu wenig zu, wenn man denkt, sie hielten dies für ein Leichtes und seien nicht in der Lage zu erkennen, dass es sich hier um ein Theaterstück respektive einen Fernsehfilm respektive eine Versuchsanordnung handelt und sie die Laienrichter nur spielen. Sie sitzen nicht zu Gericht, sie ,urteilen’, weil das im Stück so vorgesehen ist, in Wahrheit aber nehmen sie moralisch Stellung, ohne dass ihnen die Möglichkeit gegeben wäre, dies so ausführlich zu begründen wie die Juristen im Stück“,
erklärt es Michael Hanfeld in seiner Nachtkritik bei faz.net, dem Walter Baus Meinung im Hamburger Abendblatt an die Seite gestellt sei, der sich darüber beklagt, dass nach dem vorläufigen Ende des Films nur ein paar Minuten für die Abstimmung über dessen Ausgang blieben:
„Da war das Bauchgefühl gefragt, nicht die wohl überlegte, durchdachte Entscheidung. Ein kleines Manko, eines ansonsten herausragenden Fernsehabends.“
Ich wiederhole: Herausragender Fernsehabend. Von guter technischer Performance jenseits einer flüssigen Übertragung war nicht die Rede. Kurt Sagatz im Tagesspiegel:
„In Deutschland hatte die ARD bei der Abstimmung mit technischen Problemen zu kämpfen. Die Internetseite www.IhrUrteil.hartaberfair.de war schwer erreichbar, die beiden Telefonnummern meist besetzt, oder es kam einfach die Ansage: ,Ihr derzeit gewünschter Gesprächspartner ist derzeit nicht erreichbar.’“
Oder, wie Thomas Knüwer in seinem Blog sagen würde: Untergang des Abendlandes! Einself!1!
„Manchmal ist die digitale Inkompetenz in Deutschland derart klischeehaft, dass es niemand glauben würde, erzählte man es jemandem. (...) Doch allein die Konstruktion ist natürlich gestrig. Die ARD hätte auch das Social Web einschalten können – zusätzlich zu Telefon und Onlineabstimmung. Einerseits wäre eine Twitter-Abstimmung eine Option gewesen. Andererseits hätte man auch via Twitter eine simple Hashtag-Zählung wählen können (hier droht natürlich die Verfälschung durch Spam-Bots). Und vielleicht hätte Facebook sich sogar überreden lassen, sein auf Gruppen beschränktes Voting-Tool anzupassen. Auf solche Ideen aber kommt man bei der ARD halt gar nicht.“
Worauf die ARD aber immer kommt, ist das Senden einer Talkshow im Anschluss, zu der an dieser Stelle jedoch nicht mehr gesagt werden soll, als Hans Hoff es bei DWDL tut:
„Man muss der ARD mal ein Kompliment aussprechen. Sie hat am Montagabend ihr Programm mit einem Ereignis der Sonderklasse veredelt. Sie hat es geschafft, eine Auseinandersetzung im Spannungsfeld zwischen Moral und Recht packend in Szene zu setzen, Menschen vor dem Fernseher quasi in Diskussionszwang zu versetzen. Leider hat es die Anstaltengemeinschaft danach komplett gegen die Wand gefahren. Das begann beim DSDS-artigen ,Stimmen Sie ab’-Appell, der zu einem absehbaren Ergebnis führte, endete noch nicht bei den offenbar versagenden Abstimmungsservern und artete danach in das leider schon übliche ,Hart aber fair’-Kasperletheater aus. Ichbrülldubrüllwirbrüll. Chance geschaffen, Chance vergeigt.“
Womit wir zum Fazit kommen können: Gestern Abend wurden die Zuschauer im Ersten vor ein moralisches Dilemma gestellt, dem sie sich zu dieser Sendezeit sonst nicht gegenüber sehen, was eine willkommene Abwechselung war zu anderen öffentlich-rechtlichen Programmen, bei denen man nur zu genau weiß, was man bekommt – beispielsweise Nonnen im freundschaftlichen Clinch mit dem Bürgermeister. Jede verdammte Folge.
Knapp 87 Prozent der Zuschauer urteilten danach entgegen der derzeitigen Rechtslage, wobei nicht abzusehen ist, ob dieses eindeutige Ergebnis nicht auch durch die technischen Probleme oder die Tatsache zu erklären ist, dass Florian David Fitz seine Uniform so gut stand. Am Ende konnte sich Volker Herres über gute Quoten freuen („,Terror - Ihr Urteil’ mit 6,88 Mio. 20,2% MA &,Hart aber fair’mit6,31Mio. 22,5% MA. Kant zur Primetime. Geht doch!“, twitterte er erst ohne, dann mit Foto von sich selbst, um ersteren Tweet dann wieder zu löschen), das Grundgesetz blieb in Kraft und die FAZ hatte die Gelegenheit, auf ihrer heutigen Medienseite über die Geschichte der Geschworenengerichte in Deutschland zu informieren - von der Französischen Revolution über die Paulskirchenverfassung bis zu ihrer Abschaffung in der Weimarer Republik (der Text von Klaus Günther, Strafrechtler von der Frankfurter Goethe-Universität steht derzeit nicht frei online; für 0,45 Euro gibt es ihn bei Blendle).
Dort lässt sich auch lernen, was der deutschen Justiz derzeit mehr zusetzt als ein Fernsehabend:
„Der aktuelle Trend geht in eine andere Richtung: Es geht nicht um den Gegensatz zwischen Laien- und Berufsrichter, sondern zwischen staatlicher und nicht-staatlicher, privater Gerichtsbarkeit. Schiedsgerichte, Mediationsverfahren, selbständige Streitschlichtungsverfahren in Korporationen oder Religionsgemeinschaften bis hin zu einer Paralleljustiz zeugen von der sich verbreitenden Auffassung, Konflikte in Eigenregie besser lösen zu können als durch staatliche Verfahren.“
Und wie nervig es ist, wenn jeder Laie glaubt, den Job besser machen zu können als Menschen mit entsprechender Ausbildung und Erfahrung, können wir Journalisten nur zu gut verstehen.
+++ Nach nur zwanzig Jahren möchte Hubert Burda nicht mehr Präsident des BDZV VDZ (Danke für den Hinweis, @hkornfeld) sein. „Der Verband sei ,so gut aufgestellt wie nie’, wirke ,erfolgreich sowohl in Berlin als auch in Brüssel’, und gerade in diesem Jahr habe man ,politisch enorm viel erreicht’. In Zeiten großer Umbrüche ,im Zuge der digitalen Revolution’, sei es gelungen, ,den VDZ zu einem der besten Verbände Deutschlands zu machen’“, zitiert Michael Hanfeld in der FAZ aus einer Mitteilung an die Delegierten. Als Nachfolger könnte Stefan Holthoff-Pförtner von der Funke-Mediengruppe den besten Verband aller Zeiten in den Sonnenuntergang lobbyieren, so Hanfeld. +++
+++ An den am Samstag verstorbenen ehemaligen BDZV-Präsidenten Rolf Terheyden erinnern DWDL und dpa/Meedia. +++
+++ „Nov. 9, the day after America picks its next president, Donald Trump will need something new to do. Increasingly, it looks like starting his own media empire could be his next business endeavor.“ (Quelle: Quartz) +++
+++ Zu den Freitag sowie gestern auch hier erwähnten Spekulationen über die Zukunft der DuMont-Tageszeitungen im Allgemeinen und der Berliner Zeitung im Besonderen meldete gestern epd: „Die DuMont Mediengruppe will die Mantelteile ihrer Tageszeitungen nicht von anderen Verlagen beziehen. ,Wir haben mehrfach deutlich betont, dass unsere eigene DuMont-Hauptstadtredaktion nicht zur Disposition steht’, sagte ein Unternehmenssprecher“. +++
+++ Die Funke Mediengruppe hat das Internet entdeckt und möchte, dass nun auch digitale Angebote in den Genuss der von ihr verliehenen Goldene Kamera kommen (Pressemitteilung). Auf der dazugehörigen Website steht die schöne Begründung „Das klassische Fernsehen und die tägliche Internetnutzung können schon länger nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden. Zu sehr verschmelzen Inhalte miteinander oder finden bereits vor TV-Ausstrahlung in den Mediatheken großer Sender statt“. Ah ja. +++
+++ „Wenn ich als Moderator allerdings etwas hasse, dann ist es die Unart, den Leuten vorzugeben, wie sie zu denken und zu fühlen haben. Übergroße Betroffenheit zu demonstrieren. Oder zu sagen: Schauen Sie mal – wie toll ist das denn? Ein echtes No-Go. Nein, wir müssen die Dinge auch für sich stehen lassen.“ Sagt Bald-„Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni im Interview mit Christian Meier für Springers Welt. Zamperonis Ehefrau sieht laut deren Bild-Redaktion übrigens genauso aus wie Caren Miosga. Was für ein Zufall. Jetzt hat es jemand gemerkt. +++
+++ Einen Shitstorm später hat auch der Radiosender Kiss FM verstanden, dass es nicht die beste Idee aller Zeiten war, sich einen Rechtsradikalen in die Sendung einzuladen (Altpapier am Freitag). Daher gab es nun eine einstündige Sondersendung und viel Zurückrudern: „,Wir haben jemand mit Samthandschuhen angepackt, der offen den Faschismus lebt’, gestanden die ,Facetalker’ in der Sondersendung ein. ,Ein Mensch, der schon so lange den Weg des Hasses geht, wird sich nicht in einer dreißigminütigen Sendung öffnen und ändern’, räumten sie ein.“ (Joachim Huber und Kurt Sagatz im Tagesspiegel) +++ Wo sich Huber zudem Gedanken macht über mögliche, jedoch nicht abzusehende Comebacks von Stefan Raab und Hape Kerkeling. Einfach, weil es geht. Und weil Raab am Donnerstag 50 Jahre alt wird. +++
+++ Russia Today wurden in Großbritannien die Kontos gekündigt, meldet Russia Today, schreibt der Guardian. „But after several hours of confusion the Treasury said it had nothing to do with NatWest’s move. Sources said the decision to deny RT banking services was made independently by NatWest, and apparently without any official consultation." +++
+++ „,Hallo? Ich bin ein beurlaubter Mitarbeiter von Herrn Pecina’, rief der stellvertretende Chefredakteur durch die Gegensprechanlage, und tatsächlich: Die Tür tat sich auf. Eine persönliche Assistentin des Mehrheitseigentümers von VCP bot freundlich Kaffee an – und ließ ausrichten, ihr Vorgesetzter sei leider nicht da, sie habe auch keinerlei Informationen, wann er ins Büro zurückkehre.“ Auf der Medienseite der SZ berichtet Cathrin Kahlweit über eine Exkursion von Redakteuren der abgewickelten ungarischen Zeitung Népszabadság, die in Wien ihren Verleger sprechen wollten. +++ Außerdem wird informiert, dass Netflix seit Montag auch eine deutsche Serie drehen lässt: „Dark“. +++ Und Viola Schenz rezensiert die Arte-Doku „Liebe Magersucht...“: „Die Doku stellt den Forschungsstand unaufgeregt und sehenswert dar. Sie ist interviewlastig, das macht sie bisweilen etwas ermüdend, aber es beeindruckt, wie klar und klug die vier Betroffenen ihre Sucht sehen und analysieren“. Axel Weidemann meint dazu in der FAZ: „Eindrücklich wird es immer dann, wenn die Frauen und Mädchen selbst zu Wort kommen. Erst die Aussage einer Ärztin, die schildert, wie schwer es ist, sich den Betroffenen zu nähern, zeigt den Wert dieser O-Töne.“ +++
+++ Bildblog goes Compactblog, und was Benedikt Frank über das aktuelle Titel-Thema „Frauen in den Lügenmedien“ schreibt, ist compactgemäß gruselig. +++ Dazu passend gibt es bei Übermedien eine neue Folge „Ulfis Welt“, in der Stefan Niggemeier auseinanderdröselt, dass nicht der US-amerikanische Geheimdienst, sondern eine Spam-Mail vor Deutschland als irres Multikultistan warnt, obwohl Udo Ulfkotte es anders verbreitet. +++
+++ „Wir wollen über das On-Air-Design auch Messages transportieren, wie wir uns sehen“ und andere schöne Sätze sagt Patrick Hörl von Spiegel TV Wissen im Interview bei kress.de. +++
Neues Altpapier gibt es am Mittwoch.