Verfasser des vierten Jubiläums-Altpapiers ist Robert Kisch, Autor des u.v.a. medienbranchenkritischen Romans "Möbelhaus". Robert Kisch, der unter einem anderen Namen früher als Journalist gearbeitet hat (und sehr erfolgreich war), beschreibt in dem Buch seinen Alltag als Möbelverkäufer.
Die deutsche Nation wurde bekanntlich in letzter Sekunde gerettet. Vermutlich stand sogar der Fortbestand der europäischen Wertegemeinschaft auf dem Spiel, nimmt man das Ausmaß der Empörung als Maßstab. Aber der Sieg ist unser, Xavier Naidoo darf nicht zum ESC.
Und ich so, hä?, wieder nix mitbekommen, weil ich derzeit nur unregelmäßig im Medienwahn mitschwimme. Wer? Was? Wohin? Das war alles viel zu schnell für mich. Geht es um etwas Wichtiges?
"Es war klar, dass er polarisiert, aber die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht. Wir haben das falsch eingeschätzt",
meinte ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber.
Fast schon nachdenklich die ersten Meinungen hinterher - und für einen Unbeteiligten bleibt die stumpfe Frage: Hä? Ich meine, hä?
Worum geht es? Um einen Mucke-Peinlich-Doof-Niemand-guckt-das-Fernsehscheiß. Dafür so ein Shitstorm?
Aber, erinnere ich mich, das ist nicht neu. Anfang der Neunziger Jahre ist mir dieser junge Mann mit dem unaussprechlichen Namen überhaupt nur deshalb aufgefallen, weil in jeder, aber in wirklich jeder Szene-Kolumne hasserfüllt über Naidoo geschrieben wurde. Damals, in den dunklen Zeiten, bevor es Internet gab, polarisierte er aufgrund seiner irgendwie christianisierten Textierung. Ich kann mich nicht erinnern, davor oder danach derartige Ausbrüche von Verachtung gelesen zu haben. Und damals – ich kannte immer noch keinen Song von Naidoo, nur den Hass – hab ich auch schon so naiv gedacht: Hä? Ich meine, hä? Das ist doch nur Pop-Mucke, Unterhaltungsdreck, was macht ihr so eine Welle? Warum dieser Hass?
Das löste sich interessanterweise dadurch auf, dass der kleine Südafrikaner so irrsinnig erfolgreich wurde. Damit schien es offensichtlich albern zu werden, ihn zu hassen. Vorerst.
Jetzt bleibt als Assoziationskette für Xavier Naidoo „homophob“ (sein Name erscheint ganz oben, wenn man das Wort bei Google eingibt) und „rassistisch“.
Er selber kommentiert das relativ souverän und gelassen.
[+++] Aber dieser Hass bringt mich auf eine weiteren interessanten Schauplatz. Roland Emmerich hat einen Film gedreht, er läuft gerade in Deutschland an. Bislang war dieser Regisseur für mich eher uninteressant, Blockbuster, Popcorn, gähn. Der Film heißt „Stonewall“, er hat ihn teilweise selbst produziert. Wir werden das Low-Budget-Produkt aber wahrscheinlich gar nicht erst zu sehen bekommen, weil er von seiner Zielgruppe boykottiert wird. In den USA haben queere Gruppen gegen den Film demonstriert.
Der Film handelt von der schwulen Szene New Yorks der 60er Jahre, die sich in der Christopher Street gegen Polizeiübergriffe schließlich auch militant zur Wehr setzte. Nicht die Art von Story, die mich wirklich interessiert, geb ich ehrlich zu – aber spannend finde ich auch hier wiederum die Heftigkeit der Proteste. Erst recht, weil Emmerich selber schwul ist und den Film aus eigenen Mitteln finanziert hat.
Er sagt dazu in einem Interview einige bemerkenswerte Sätze, offensichtlich resigniert:
„Auch auf den Pressefotos von den Riots sieht man fast nur Weiße. Aber jetzt soll das plötzlich ein schwarzes Transgender-Ding gewesen sein. Man darf auch nicht vergessen: Die meisten Kritiker, die über so einen Film schreiben, sind selbst schwul. Und in unserer Kultur weiß es natürlich jeder besser. Da hat plötzlich jeder einen Doktortitel in Stonewall-Geschichte. Whatever.“
Dieses Phänomen der Geschichtsschreibung im alternativen Umfeld ist äußerst spannend. Und sehr brisant. Da versteht man keinen Spaß, es geht immer gleich um alles.
[+++] Apropos homophob, immer noch Matussek. Wenn auch kurz vor dem Verstummen. Interessant ist hier etwas anderes. Matthias Matussek, der oft und gerne als Katholik angeführt wird, vor allem von ihm selber, hat, wie beinahe alle Vorzeigekatholiker (siehe Martin Mosebach etc.), in der Öffentlichkeit noch nie etwas Katholisches geschrieben. Waaas? Er schreibt doch ständig über Homosexuelle oder über die Gefahr, die angeblich von muslimischen Flüchtlingen ausgehe.
Ja, tut er, aber genau das hat Null-Zero-Nothing mit einer spirituellen Grundlage zu tun.
Ich habe mal seine eigene Homepage studiert.
Auch da nichts Katholisches. Es geht um Pornographie, ein bisschen um den Papst, da wieder im Hinblick auf Sünden, natürlich Homosexualität, Kirchensteuer usw … Aber kein einziges Wort über Gott. Über Liebe. Oder: Jesus Christus, das Gebet, undsoweiter.
In diesem Zusammenhang auch interessant: Kein einziger Artikel über Demut, Verzeihen, Scheitern, das große Überthema: Kontemplation.
Es bleibt zwar die Frage, ob es in einer Welt-Redaktionskonferenz zum großen Eklat gekommen ist oder doch nicht, aber Fakt auch hier wieder: Ein Katholik dürfte überhaupt nicht so handeln. Niemals, never, unter gar keinen Umständen. Ansonsten wäre eine riesige Entschuldigung fällig.
Die würden wir von Claus Kleber in jedem Fall kriegen.
Nach den Anschlägen in Paris und der aktuellen Warnstufe in Belgien wächst die Angst. Vor allem im Heute-Journal. Das fällt mir insofern auf, als ich in den letzten Wochen nur Schlagzeilen gelesen, aber kaum bewegte Bilder gesehen habe. Die Anschläge von Paris habe ich lediglich als knappe Textnachricht empfangen, und seitdem fühle ich mich autistisch. Das, was vorgefallen ist, ist schrecklich, aber mir fehlt die Paranoia-Anbindung. Ohne Fernsehbilder, ohne Live-Geschehen fehlt die hysterische Dimension.
Schalte ich jetzt wieder das Heute-Journal ein, dann sehe ich Claus Kleber, wie er pausenlos über seine Ängste spricht und von allgemeinen Ängsten, von Unbehagen und Gefühlen. Gebe ich Claus Kleber bei Google ein, erscheint als zweite Position: Claus Kleber weint.
Ich kann mich täuschen, aber ich meine, dass Kleber früher einmal eher als cool galt. Ist das der neue Stil im Journalismus, hemmungslose Gefühligkeit?
Das passt zu einem ebenfalls diskutierten Video, in dem ein Journalist „live“ in Paris herumtapert. Spannend hierbei seine immer wiederkehrende Aussage: „Ich weiß nicht, was hier passiert.“ Ist das der neue Stil im Journalismus, völlige Ahnungslosigkeit?
Diese fehlende Anbindung habe ich 2001 schon mal erlebt. Damals allerdings zuerst als Bilder-Overkill, Live-Berichterstattung auf allen Kanälen, der legendär-satanische Anschlag mit Flugzeugen. Zwei Tage später sollte ich auf Hochzeitsreise fliegen. Nach Südafrika. Es war zu dem Zeitpunkt unsicher, ob überhaupt noch Flugzeuge starten würden (so die deutsche Betrachtung), es spazierten auch kaum Passagiere am deutschen Flughafen herum. Aber in Südafrika existierte schlichtweg kein 9/11. Keinerlei Berichterstattung über die Twin-Tower. Während wir aus Deutschland kamen, im sicheren Gefühl eines nahenden Weltuntergangs, titelten die südafrikanischen Zeitungen ausschließlich über den Seitensprung eines hohen Politikers, und im Fernsehen lief "Big Brother". Drei Wochen lang wussten wir nicht, ob Old Europe überhaupt noch existierte.
Offensichtlich steht es noch.