Den Beruf zum Hobby machen

Den Beruf zum Hobby machen

Augen auf beim Facebook-Login! Wer als Journalist arbeiten möchte, sollte hauptberuflich besser Rentner oder Oligarch sein. Der Guardian-Digitalchef sagt, Print stirbt. Bodo Ramelow und Salve TV: Wer wirbt da eigentlich für wen?  

Da ist er nun, der Tag, vor dem uns Datenschützer schon immer gewarnt haben: Facebook ändert seine AGB. Wer sich ab heute einloggt, für den gibt es kein Zurück mehr.

Was das bedeutet, und wie man sich gegen die zusätzliche Trackerei schützen kann (im Sinne von: nicht), sollte in jeder gut sortierten Timeline der vergangenen Woche aufgetaucht sein. Falls nicht, sei von unserer kleinen Serviceredaktion zumindest dieser Link gesetzt. Ab sofort ist die angezeigte Werbung also noch ein wenig passgenauer und der Standort noch ein wenig bekannter. Oder, wie es die taz heute erklärt:

„Laut neuen Richtlinien kann Facebook etwa auf Standortdaten seiner Nutzer zurückgreifen und gezielt Werbung von Restaurants in der Nähe schalten. Die Nutzer selbst haben unterdessen keine Wahl: Wer sich ab Freitag im sozialen Netzwerk einloggt, stimmt den neuen Datenschutzrichtlinien automatisch zu.“

Schlecht. Aber wie die taz sagt: Man ist dem Laden völlig hilflos ausgeliefert. Wer will schon zurück zu StudiVZ? (Und ja, die eigentlich schockierende Nachricht in diesen paar Zeilen ist es, dass es das tatsächlich noch gibt.)

####LINKS####[+++] Wie viel Geld braucht ein durchschnittlicher Journalist zum Leben? Ist eine Frage, die zu diskutieren es offenbar immer mal wieder Bedarf gibt. Für Leute, die aus der Debatte nach dem Gefecht zwischen Silke „Klein Erna“ Burmester und Rainer „Onkel“ Esser noch ein paar guterhaltene Meinungen übrig haben, ist nun die Stunde gekommen: Timo Stoppacher nimmt bei fitfuerjournalismus.de die 152 Euro auseinander, die sueddeutsche.de gerade in einer Ausschreibung Wirtschaftsjournalisten als Tagessatz anbietet.

 

„Zunächst klingen 152 Euro am Tag nicht wenig, vor allem wenn man Zeilenhonorare im niedrigen zweistelligen Bereich gewohnt ist“,

scheibt er. Die Lokaljournalistin in mir ergänzt für die Consulter unter uns: im niedrigen zweistelligen Centbereich.

„Wenn ich 5 Tage die Woche diesen Tagessatz bekomme, sind das in einem Monat 3.040 Euro brutto. Auch das klingt ordentlich. Nun bin ich als Freier auch mal krank oder mache Urlaub – in dieser Zeit erhalte ich meinen Tagessatz nicht. Rechnen wir großzügig mit 20 Arbeitstagen im Monat bei elf Monaten im Jahr. Ergibt 220 Arbeitstage mit einem Tagessatz von 152 Euro. Dann kommen im Jahr 33.440 Euro aufs Konto, das sind meine Einnahmen. Zum Vergleich: Ein angstellter Tagesredakteur im ersten Berufsjahr kommt nach Tarifvertrag auf ca. 42.000 Euro brutto. Ein Volontär im zweiten Jahr erreicht ca. 29.000 Euro.“

Ich ergänze: Wo finde ich diese bewundernswerten Zauberwesen, die offenbar im ersten Berufjahr nach Tarif eingestellt werden?

Stoppacher rechnet dann noch Steuern, Rente, Krankenversicherung und sonstige Späße raus und kommt am Ende auf ein Monatseinkommen von 1.556,77 Euro netto „für Miete, Lebensmittel, Freizeit, Rücklage für Altersvorsorge, Urlaub und so weiter. In München, der Stadt mit den teuersten Mieten Deutschlands.“

„Ich weiß nicht, wie es anderen geht. Mir ist das zu wenig. Ich gehe davon aus, dass die SZ nicht jeden einstellt, der gerade so drei Zeilen gerade schreiben kann, sondern im Sinne des eigenen Qualitätsanspruchs eher ziemlich gute Leute haben will. Ich frage mich, ob man die mit diesem Honorar bekommt. Denn immerhin werden Wirtschaftsjournalisten gesucht. Kollegen, die zumindest logisch und strukturiert denken können sollten, besser noch: Sie sollten sich mit Zahlen auskennen. Kein Wirtschaftsjournalist, der sich sein Leben einmal mit diesem Tagessatz durchgerechnet hat, sollte sich auf diese Stelle bewerben.“

Bei der SZ findet man diese Kritik natürlich unberechtigt; Stefan Plöchinger verweist bei Twitter darauf, dass es sich um ein Einstiegsgehalt handele, es Zulagen gebe, und er schreibt den schönen Satz:

„Klar. Ist frei, und deshalb passt die Rechnung auch nicht...“

In andere Worten: Wir gehen davon aus, dass unsere freien Mitarbeiter woanders mehr verdienen.

Kurze Gegenfrage: Wo?

Timo Stoppacher, von dem wir ja wissen, dass er für 152 Euro am Tag nicht aufstehen mag, listet auf seiner Website ein „Portfolio meiner Dienstleistungen“ auf, auf dem ganz oben „klassischer Journalismus“ und weiter unten Bücher, Seminare, Social-Media-Strategien und „Texte jeder Art wie Whitepaper, Pressemitteilungen, Homepage-Texte, Blog-Beiträge, Kundenzeitschriften etc.“ stehen.

Das Kapitel Diversifizierung im aktuellen Handbuch zum Überleben freier Journalisten hat er also gelesen, dessen Überschrift lautet „Falls Sie als Journalist jemals mehr verdienen wollen als ein Gebäudereiniger, machen sie etwas anderes als Journalismus“.

Denn, und das ist ja der eigentliche Punkt: Die SZ ist mit ihrem Tagessatz für freie Wirtschaftsjournalisten die Ausnahme: die meisten zahlen weniger.

Wer sich mal richtig erschrecken möchte, der suche sich beim Freischreiber-Tumblr Was Journalisten verdienen den Tagessatz einer Lokalzeitung raus und setze den in die von Stoppacher aufgestellte Gleichung. Da landet man dann bei den 12.000 Euro brutto, die die jungen Kollegen von Hamburg Mittendrin derzeit zu sammeln versuchen, um einen Redakteur Vollzeit beschäftigen zu können (siehe Altapier). Brutto. Im Jahr.

Auf der Facebookseite von Daniel Bröckerhoff (Yep, Vorsicht, neue AGB) hat sich dazu eine kleine Diskussion entsponnen, in der der Gastegeber es auf die Formel bringt:

„152€ Tagessatz geht, wenn man Single und Mitte 20 ist, in einer WG wohnt und sonst keine großen Kosten hat. Als erster Job nach dem Studium: naja, ok. Aber wieviele Wirtschaftsjournalisten sind Mitte 20 und wohnen in einer WG?“

Die Zeitungen entlassen ihre Festangestellten, um Geld zu sparen, und ersetzen sie durch Freie, die auf zu viel Geld nicht angewiesen sein dürfen. Woraus wir lernen: Wer heute noch Journalist sein will, sollte besser sein Leben lang Student bleiben wollen, schon Rentner oder von Geburt Oligarch sein. Oder Journalismus als kostspieliges Hobby betreiben.

[+++] Natürlich, wir leben ja in einer zwar sozialen, doch Marktwirtschaft, ist es nicht nur die reine Boshaftigkeit der Verleger, die solche Tagessätze hervorbringt, sondern auch der – gähn – Mangel eines Online-Erlösmodells. Um daran doch noch etwas zu ändern, können wir gerade zwei unterschiedliche Taktiken begutachten: Im Lokalen macht die Rhein-Zeitung ab heute die Schotten dicht und setzt auf eine Paywall, die Digitalchef Markus Schwarze übrigens derzeit noch frei zugänglich auf der Website wie folgt erklärt:

„Das vollständige Angebot unserer Informationen aber kann auf Dauer nicht kostenlos sein. Wir machen kein Hehl daraus, dass auch in der neuen Lesewelt journalistische Leistungen und eine Haltung ihren Wert haben; und dass wir neben dem journalistischen und logistischen Handwerk auch zuverlässig wirtschaften. In einem Markt, der digital ist und sich jede Woche mit immer neuen Akteuren und Mechanismen verändert, gilt es die Stellschrauben hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit zu entdecken, einzubauen und zu justieren. Konkret bedeutet das: Werbung allein genügt bei digitalen Seiten nicht, um ein nachrichtliches Angebot dauerhaft zu finanzieren.“

Für eine Lokalzeitung mit Nachrichten, die eben nicht am gleichen Tag auch bei Spiegel Online und sueddeutsche.de stehen, könnte das klappen – zumindest vorausgesetzt der Tatsache, dass man Themen anbietet, die auch für Menschen mit Internetzugang interessant sind, und nicht nur für diejenigen, die aus Gewohnheit einer einzigen Printzeitung als Informationsquelle ausgeliefert sind.  

Genau andersherum versucht es der eben nicht regional beschränkte, sondern mit einer weltweiten Zielgruppe ausgestattete Guardian, wie es ebenfalls Digitalchef Wolfgang Blau im Interview mit dem Standard erklärt.

„Sie können nicht weltweit Leserschaften aufbauen – bei uns inzwischen über 40 Millionen Leser pro Monat – und gleichzeitig das Bezahlgitter herunterlassen. Nach unseren Kalkulationen können wir ohne Paywall auch höhere Erlöse erwirtschaften als mit einer Paywall und dank der leichteren Interaktion mit unseren Leserinnen und Lesern auch einen moderneren Journalismus hervorbringen.“

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob man sich ausgerechnet vom Guardian wirtschaftliche Tipps geben lassen möchte – doch Blau erzählt stolz, dass das digitale Geschäft der Zeitung im vergangenen Geschäftsjahr immerhin 90 Millionen zu der einen Milliarde an Euro beitragen konnte, die sich die Guardian Group auf die hohe Kante legen konnte.   

Allerdings sei der Guardian nicht für alle eine Blaupause, meint, äh, Blau:

„Für viele Verleger gibt es in der digitalen Welt einfach nichts zu gewinnen, und wir sollten ihnen nicht so rasch Verschlafenheit vorwerfen. Ihre Strategie, das alte Printgeschäft so lange zu beschützen wie möglich und ihre digitalen Aktivitäten nur als markenpflegende Begleitmusik für Print zu betreiben, ist plausibel und legitim. Verlage sind keine Stiftungen, und die meisten Tageszeitungen haben nun einmal keine plausible digitale Zukunft, sondern nur eine mittelfristige Zukunft als Printmedien, und danach ist es leider vorbei.“


Altpapierkorb

+++ In den Niederlanden ist ein „ordentlich gekleidete(r) Mann mit Pistole“ (DWDL) in ein Fernsehstudio marschiert, um sich Sendezeit zu erzwingen und „über Sachen (zu) reden, die von sehr großer weltweiter Bedeutung seien.“ Da dort die Kameras liefen, kann man sich nun selbst ein Bild machen, wie die Polizei ihn danach überwältigte und die Situation als unter Kontrolle vermeldet. +++ In London sollen derartige Polizeieinsätze hingegen bitte nicht mehr live übertragen werden, steht im Guardian. +++

+++ Der Tagesthemen-Kommentar von Anja Reschke, die erklärt, dass man niemals einen Schlussstrich unter Ausschwitz ziehen dürfe, hat mal wieder nur das Beste im Menschen hervorgebracht, wie sich im Tagesschau-Blog nachlesen lässt. „Drei Mitarbeiter waren über Stunden damit beschäftigt, die Kommentarspalte zu beobachten und zu betreuen. Dies war auch nötig, weil uns immer wieder auch antisemitische Kommentare erreicht haben, die wir gelöscht haben. Diese Kommentare, es waren ein paar Dutzend, verharmlosten oder leugneten den Holocaust.“ +++

+++ Mediakraft laufen jetzt nicht nur die Youtuber davon, sondern mit Christoph Krachten auch der Geschäftsführer. „Spartacus Olsson, der nun alleiniger Chef ist, sagte, der Abgang von Krachten sei nur eine von ,weitreichenden Änderungen, über die wir in den kommenden Wochen berichten werden.’“, schreibt die SZ heute auf ihrer Medienseite. Selbstredend berichten auch Meedia und DWDL. +++

+++ Was dem BR Markus Söder, ist Salve TV Bodo Ramelow: eine willkommene wie gefügige Plattform. Dass sich mit Letzterem nun die Medienaufsicht beschäftigt, ist für den kleinen Lokalsender nur so mittelschlimm, wie Karoline Meta Beisel und Claudia Tieschky ebenfalls in der SZ schreiben. „Der Trubel um das Format war für Salve TV jedenfalls schon Anlass für zwei Sondersendungen, in beiden war Klaus Dieter Böhm geladen. ,Wie ist denn das möglich: ein so kleiner Sender, ein so großes Medienecho?’, war eine Frage, die man im Sender an den Manager stellte. Böhm schwärmte von traumhafter Reichweite: ‚Wir freuen uns, dass wir so ernst genommen werden.’“ +++

+++ Meanwhile, back at the FAZ-Medienseite: Michael Hanfeld und die zwei neuen bei Sat1 laufenden Serien „Detective Laura Diamond“ und „Scorpion“. („Die Hintergründe der neu anlaufenden Serien bei Sat.1 sind also ganz interessant. Interessanter jedenfalls als die Serien selbst. Geniale Drehbuchschreiber gibt es wahrscheinlich genauso selten wie Leute mit IQ 197.“)

+++ Welche Seite des Shitstorms, ob Jan Böhmermann ein rechtlich geschütztes Pressefoto einfach twittern darf oder nicht, hat nun Recht? Bei Freelens (natürlich Anhänger der zweiten Position) versucht man es in einem Blogpost noch einmal mit Ruhe und Argumenten. „Das alles erweckt den Eindruck, beim Urheberrecht ginge es nur ums Geld verdienen. Im Urheberrecht geht es aber auch um die Kontrolle darüber, wer was mit dem Werk machen darf. Wir Fotografen wollen unsere Bilder nicht pauschal für jedermann zur Nutzung freigeben.“ +++

+++ Entweder ist das Altpapier für die Verleiher des Bert-Donnepp-Preises auf immer der Gewinner der Herzen. Oder beim Grimme-Institut hat man die Website des Preises seit zwei Jahren nicht aktualisiert. Dabei gibt es eine durchaus vorzeigbare neue Preisträgerin in diesem Jahr, die man dort präsentieren könnte, nämlich Ulrike Simon, die uns in der Vergangenheit so verlässlich über die Doku-Soap von der Ericusspitze auf dem Laufenden hielt. Oder, wie die Jury es formuliert und DWDL es zitiert: „Ulrike Simon (...) sorgt dafür, dass wir uns dank ihrer profunden Beobachtungen ein Bild davon machen können, wie es in deutschen Verlagshäusern zugeht, die im Zuge der Medienkrise zunehmend unter Druck geraten sind.“ +++

+++ Stoppt die Druckerpressen, epd medien hat für seine aktuelle Ausgabe jemanden gefunden, der den Deutschen Fernsehpreis vermissen wird: der ebenfalls mal Donnepp-ausgezeichnete Torsten Körner. „Der Deutsche Fernsehpreis war im Übrigen viel besser als sein Ruf, und dass die Kritiker oft genug ihre Kritik mit Haupt- und Belastungszeugen wie Marcel Reich- Ranicki und Elke Heidenreich unterfütterten und deren emotionalen Wutreden zur substanziellen Fernsehkritik erhoben, sprach letztlich gegen die Kritiker selbst“, meint er. Kurzsichtig und kleinmütig sind die Adjektive, die er danach für die Absetzungsentscheidung aussucht. +++

+++ Was sollten Menschen über 18 an einem Freitagabend nach Ansicht des WDR-Programmplaners machen? Genau, vor dem Fernseher sitzen und sich im WDR eine Dokumentation mit dem Titel „Ab 18 – Musik auf dem Index“ ansehen. Kurze Zusammenfassung gefällig? Christian Schröder, Tagesspiegel: „1960 wurde zum ersten Mal eine Schallplatte von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. ,Das Lied einer Dirne’ von der Münchner Sängerin Gisela Jonas befand man als ,in geschlechtlicher Hinsicht ordinär’ und gab es erst ab 18 frei. Seitdem landeten 1400 Tonträger auf der schwarzen Liste, von Peter Toshs Drogenhymne ,Legalize It’ über ,Claudia hat ’nen Schäferhund’ von den Ärzten bis zu Hass-Liedern von Neonazi-Bands wie Bunker 84, Störkraft oder Der Metzger.“ +++

+++ Wer es noch nicht gesehen hat: „50 Shades of Grey“ – Buzzfeed hat sie alle. +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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