Ein ehrenwerter Mann

Ein ehrenwerter Mann

Deutsche Medien werden ironisch, was patriotischen Europäern Probleme bereitet. Die dpa baut an einem Fluxkompensator, junge Journalisten schielen neidisch auf das fürstliche Einkommen freischaffender Künstler, CNN hält es wie die Titanic, und Heinz Erhardt hat auch schon einmal bessere Zeiten gesehen.

Am Vorabend eines Tages, den bis heute drei deutsche Bundesländer als christlichen Feiertag begehen, um Besucher aus dem Morgenland zu ehren, gegen Besucher aus dem Morgenland zu demonstrieren, auf die Idee muss man auch erst einmal kommen. Aber vermutlich war man bei den Anhängern von Pegida gestern zu sehr damit beschäftigt, die Inhalte der Lügenpresse mit Wahrheitsgehalt von denen ohne zu unterscheiden, dass für solche Feinheiten wie Bibelfestigkeit keine Zeit mehr blieb.

Was war geschehen?

„Die für Montagabend geplante PEGIDA-Demonstration in Dresden ist offenbar an internen Streitereien gescheitert. Bereits heute Vormittag hat ein Mitglied des zwölfköpfigen Organisatorenteams seinem Ärger auf Facebook Luft gemacht und daraufhin die Anmeldung der Demonstration bei der Stadt zurückgezogen. Ein neuer Termin ist nicht bekannt.“

So berichtete gestern der Postillon.

„Da diese Information nicht von der Lügenpresse stammt, sondern von Der Postillon, muss sie ja stimmen“,

####LINKS####schrieb daraufhin der Stern auf seiner Facebookseite, und hatte damit blitzschnell erkannt, dass es eine große Schnittmenge gibt zwischen den Menschen, die immer wieder auf Postillon-Artikel hereinfallen, und denen, die weniger als einem Prozent der Bevölkerung eine Islamisierung der restlichen 99 Prozent zutrauen. Aber das Rechnen im Zahlenraum bis 100 kommt ja erst in der zweiten Klasse dran, und das Fach Medienkompetenz fehlt bis heute trotz der unzähligen Forderungen danach ganz. Woher soll der durchschnittliche patriotische Europäer also wissen, dass das, war er für Lügenpresse hält, eigentlich Satire ist?

 

Zumal es Menschen gibt, die bei der Aneignung von Medienkompetenz auch ohne schulische Unterstützung erfolgreich waren und nun in der Lage sind, einen Dienst namens TinyUR1.co zu nutzen und damit schöne Fake-Nachrichtenseiten zu bauen, die vortäuschen, Spiegel Online und die Bild-Zeitung würden die Postillon-Meldung bestätigen.

Dass SpOn sich daraufhin auf seiner Facebookseite von dieser Meldung distanzierte, half auch nur solange, bis wiederum eine gefälschte Gegenmeldung auftauchte.

Woraus wir lernen: Selbstverständlich stehen bei Meedia, Spiegel Online und auch bei sueddeutsche.de bereits Zusammenfassungen der Ereignisse online. Und wir Journalisten sollten im Hinterkopf behalten, dass der uralte Chefredakteur der Lokalzeitung, für den wir als Schüler über Seniorenbingo schrieben, Recht hatte, als er uns vor dem Einsatz von Ironie warnte, weil das niemand verstände.

Blöd nur, dass Journalisten aus Gründen derzeit so von Zynismus zerfressen sind, dass es ernst kaum noch geht. Und ebenso blöd, dass diejenigen in den Redaktionen, die das Gespräch mit den Lesern zu führen haben, gerade ihre Kommunikation auf Ironie-Modus umgeschaltet haben.  

„Journalisten haben sich jahrelang zurückgehalten, wenn notorische Nervensägen - sogenannte Trolle - die Kommentarspalten auf den Seiten und Profilen der Redaktionen mit schlichtweg irrem Zeug vollgeschrieben haben. Inzwischen platzt aber immer mehr Redakteuren der Kragen. Die Journalisten trollen nun zurück, mit möglichst viel Ironie. (...),Der Spiegel’ hat wiederum früh damit angefangen, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Im Sommer hatte die Redaktion versucht, wirre Unterstellungen mit Links auf entsprechende Quellen als ,totalen Blödsinn’ abzutun. Als das aber - wie so oft - nichts half, outete sich der Redakteur als ,Zionisten-Bilderberger-CIA-Illuminaten-Presseoffizier’ und bat: ,Posten Sie hier keine Links, die unsere weltumspannende Verschwörung enttarnen könnten. Wir haben uns so viel Mühe gegeben.’“

So steht es heute in einem Artikel von Daniel Bouhs in der taz.

Dass mittlerweile auch das so-called Morning Briefing des Handelsblattes dieser Strategie folgt, erscheint naheliegend, wenn man folgenden Satz aus der heutigen Ausgabe zitiert:

„Bild-Chef Kai Diekmann ist erkennbar Menschenfreund, nicht Brandstifter.“

Kaum ist das Bildblog zwei Wochen im Winterschlaf, meint Gabor Steingart, die Bild sei ein super Medium, und das nur, weil heute unter anderem Heike Drechsler, Birgit Schrowange und Wolfgang Bosbach dort ihr „Nein zu Pegida“ verkünden dürfen.

So viele Dinge, die man an dieser Stelle dringend sagen möchte. Beschränken wir uns auf eine Gegenfrage: Welche 30 der insgesamt 80 Menschen, die heute ihr Gesicht in die Bild-Zeitung halten, empfinden Sie als nicht prominent genug, werter Herr Steingart? Oder hat es etwa etwas mit dem Rechnen im Zahlenraum bis 100 zu tun, dass Sie nur 50 Prominente sehen, wo es 80 sind?  

Aber natürlich ist das nur Erbsenzählerei gegenüber der Erkenntnis:

Kai Diekmann ist ein ehrenwerter Mann.

[+++] Rein sprachlich ist eine gewisse Verwandtschaft zum Fluxkompensator kaum abzustreiten, und auch inhaltlich soll der nun von der dpa in Aussicht gestellte Next Media Accelerator mit Zeitreisen vergleichbare Wunderwerke vollbringen – nämlich Verlage die Anpassung an dieses Internet ermöglichen, mit Hilfe von Erfindungen von Start-ups, die in besagtem Accelerator gedeihen sollen.

„The plan is to take in a couple of startups each year, which need to focus on content, advertising or services related ideas?—?and of course they need to be technology driven. These will be mentored, coached and gain access to an interesting, high level network. Our aim is not to make them solve our company’s problems but rather fix a core market problem: media industry innovation pace in Europe, especially in Germany has been slowing down. On some days it feels like being in a coma, paralyzed by news about the next fired editor in chief, the next newsroom being laid off, the next cry for regulations for new economy companies“,

heißt es in dem Statement, das gestern bei medium.com veröffentlicht wurde. Auf Englisch. Warum auch immer (eine Art, nunja, Übersetzung gehört natürlich zum Service von Meedia).

In deutscher Sprache berichtet Lars Radau im aktuellen Journalist über das Projekt, welches „Schraubenschlüssen für das Neuland“ erstellen solle, wie er es nennt.

„Erstes Ziel: Die Ideen sollen sich ,primär um Inhalte’ drehen und möglichst flott marktreif sein. Zweites Ziel – und eher Bedingung: Die Ergebnisse sollten für klassische Medienhäuser unkompliziert nutzbar sein.“

Inhalte, marktreif, alles schön und gut. Aber wenn da schon viel Geld in Start-ups investiert wird, könnte man bei der Gelegenheit nicht auch endlich das Problem lösen, wie man mit den schönen Inhalten im Internet, für die es in vielen Redaktionen eben nicht an Ideen mangelt, Geld verdient?

Wie genügsam gerade junge Journalisten in diesem Aspekt mittlerweile sind, lässt sich bei Hamburg Mittendrin ablesen. Seit gestern sammelt das Online-Angebot für den Hamburger Bezirk Mitte Geld, um seine Arbeit zu refinanzieren. 60 Euro kostet die Jahresmitgliedschaft, die es ermöglicht, auch die besonders ausführlich recherchierten Geschichten und multimedialen Angebote zu lesen, die in Zukunft hinter einer Paywall verschwinden sollen. Chefredakteurin Isabella David erklärt das wie folgt:

„Obwohl wir in den vergangenen Jahren viel Unterstützung erfahren haben – danke dafür! – reichen die freiwilligen Zahlungen von euch leider nicht aus, um uns langfristig die Weiterarbeit zu ermöglichen. (...) Wir stehen für unabhängigen, kritischen Lokaljournalismus, der auf Transparenz und einen offenen Dialog mit den Lesern setzt – Mittendrin unterstützen heißt nicht zuletzt auch, die Zukunft des alternativen Lokaljournalismus in Hamburg zu sichern.“

Der Erfolg der Abo-Aktion wird mit einem sich füllenden Kühlschrank bebildert. Schließlich soll es genau darum gehen: den Redakteuren mit ihrer Arbeit Lebensmittel zu finanzieren. Besondern teuer und vielfältig dürfen die aber nicht ausfallen, wenn man der Rechnung der Hamburger folgt. Schon mit dem Gegenwert von 200 Abos „können wir zusätzlich ein Jahr lang einen Redakteur vollständig finanzieren und ein sicheres Monatsgehalt zur Verfügung stellen. Dieser Redakteur hat dann die Möglichkeit, frei von anderen Jobs und Verpflichtungen nur für Mittendrin im Bezirk unterwegs zu sein“, heißt es.

60 Euro mal 200 macht 12.000 Euro im Jahr. Brutto.

Vielleicht hätte man in diesen Zeiten doch nicht Journalist werden, sondern einen Beruf mit Sicherheit ergreifen sollen. Freischaffender Künstler (Modell: erfolglos) erscheint dagegen ein einträgliches Geschäft zu sein.  


Altpapierkorb

+++ Die ARD will im Sommer statt „Rote Rosen“ wieder Tour de France zeigen (Spiegel). Vom Wohlfühlfaktor wird das keinen großen Unterschied machen, meint Andreas Rüttenauer heute in der taz. „Gewiss, einem Sender mit gesellschaftlichem Auftrag steht es gut zu Gesicht, wenn er sinnfreie Seifenopern durch ein journalistisches Format ersetzt. Aber kann man die Berichterstattung der ARD von sportlichen Großveranstaltungen wirklich als Journalismus bezeichnen? (...) Nein, bei all dem, was da aus Frankreich zu befürchten ist, muss man sich beinahe fragen, ob die ARD ihren Bildungsauftrag nicht besser erfüllt, wenn sie zeigt, wie Eliane das Schachspielen lernt. Ist ja auch irgendwie Sport.“

+++ Wenn ich mich nicht irre, war „Nearer My God To Thee“ auch das Lied, das zuletzt an Bord der Titanic gespielt wurde. Nun heißt es, dies solle auch die erste Wahl von CNN im Falle eines Weltuntergangs gewesen sein. +++

+++ „Ich wollte sogar schon mal eine eigene Partei gründen, das wäre aber zu teuer geworden.“ Daher muss Konstantin Neven DuMont nun ohne Partei ins Rennen um den Kölner Oberbürgermeisterposten gehen, wie er im Interview mit dem Tagesspiegel erzählt. +++

+++ Die Süddeutsche Zeitung erscheint heute feiertagsbedingt nicht; dafür hat die FAZ ihre Medienseite thematisch ziemlich vollgepackt. Unter anderem begibt sich Michael Hanfeld auf die Suche nach dem Erfolgsrezept von „Akte“ („Betrügerische Handy-Rechnungen, Nepp beim Online-Versand, der Zugriff von Kriminellen auf Computerdaten – all das war bei ,Akte’ Thema, bevor andere darauf kamen. Zwar rümpfen viele heute mit Blick auf die Sendung immer noch die Nase, weil ,Akte’ sich thematisch dann doch immer wieder auf ,Nackte’ reimt und sich dahinter nicht zwingend sinnstiftende Geschichten verbergen. Aber mit seinem Prinzip hat Ulrich Meyer Schule gemacht.“). Die Sendung zum 20. Jubiläum läuft heute Abend und wird von Joko und Klaas moderiert. +++ Zudem rezensiert Nina Rehfeld „Getting On“, die HBO-Serie von der Geriatrie-Station, die am Mittwoch auf Sky startet. „Dass die Alten in ,Getting On’ bloß Nebenfiguren sind, möchte man der Serie zunächst vorwerfen. Doch anstatt zu drolligen Protagonisten einer Feelgood-Komödie zu werden, fungieren die Greise als grimmiger Chor in einer Farce, die nichts Gutes über unseren Umgang mit alternden Menschen zu sagen hat.“ +++

+++ Falls jemand über Weihnachten noch nicht seine jährliche Heinz-Erhardt-Dosis genossen haben sollte, bietet sich heute Abend Gelegenheit, das nachzuholen. Der NDR zeigt den kürzlich wiederentdeckten Film „Geld sofort“ (Altpapier). „Der Film (...) kann sicherlich nicht dem Vergleich mit Komödien wie ,Immer diese Radfahrer’ oder ,Was ist denn bloß mit Willi los?’ standhalten. Für Fans von Heinz Erhardt, Kinoliebhaber und Historiker ist er dennoch in jedem Fall interessant“, meint Kurt Sagatz beim Tagesspiegel. Auch die FAZ berichtet; Lena Bopp ist aber nur mäßig überzeugt. „Und weil auf diese Weise recht früh, im Grunde schon von der ersten Minute an, klar ist, worauf dieser lange Sketch hinausläuft, ist es allein an Heinz Ehrhardt, dem Geschehen mit seiner Darstellung des gutgläubigen Herrn Zatke jenen Witz einzuhauchen, den das Drehbuch (Johann A. Hübler-Kahla, Franz Gribitz) eigentlich vorenthält. Das gelingt indes – sorry, Sir – nur bedingt.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch. 

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