Willi und die Doyens einer neuen Zukunft

Willi und die Doyens einer neuen Zukunft

Es wäre in unser aller Sinne, wenn noch viel mehr bislang unbekannte Heinz-Erhardt-Filme entdeckt würden. Die Redakteure der NZZ fürchten um ihre liberale Publizistik und Kultur. In den USA ist es keine gute Idee, sowohl Journalist als auch Aktivist zu sein. Und Wayne Carpendale darf sich loben lassen.

Ja, auch heute wird es wieder um Journalisten gehen, die sich vor Entlassungen und sogar um ihr Leben fürchten, um führungslose Zeitungen und um die Angst vor einem Rechtsruck. Aber beginnen soll dieses Altpapier mit etwas Positivem: Der NDR wird am 6. Januar einen bislang unbekannten Heinz-Erhardt-Film senden, der nun in einem Nachlass in Wien aufgespürt wurde.

„37 Minuten lang ist der neu entdeckte Streifen mit dem Titel ,Geld sofort’. Bei dem Fund handelt es sich um eine kleine Sensation. Erhardt spielt in der Komödie einen jungen Mann, der heiraten will und einen Kredit für einen Fernseher und einen Kühlschrank braucht. Dabei gerät er in die Fänge des betrügerischen Finanz-,Experten’ Direktor Ehrlich, den Oskar Sima spielt. (...) Die originalen Filmrollen stammen aus einem Nachlass mit Material des Regisseurs Johann Alexander Hübler-Kahla. Möglicherweise sei der Film Anfang der 1960er-Jahre entstanden, hieß es. Die Romanvorlage ,Eine kleine Geschichte aus einer großen Stadt’ stammt von Gabriel D'Hervilliez“,

heißt es beim Sender.

Warum das eine gute Nachricht ist angesichts der Fantastillarden an Wiederholungen bereits bekannter Heinz-Erhardt-Filme, die die Öffentlich-rechtlichen so oft zeigen wie sonst nur ZDFinfo Dokumentationen über Hitler?

(Kurze Beweisaufnahme zwischen Weihnachten und Neujahr:

  • 25. Dezember, 10.45 Uhr: „Unser Willi ist der Beste“, HR.
  • 26. Dezember, 13.35 Uhr: „Der letzte Fußgänger“, NDR.
  • 27. Dezember, 01.25 und 12.30 Uhr: „Die Herren mit der weißen Weste“, NDR.
  • 28. Dezember: 9.00 Uhr: „Unser Willi ist der Beste“, RBB.
  • 28. Dezember 10.15 Uhr: „Drillinge an Bord“, ZDF.
  • 29. Dezember, 08.25 Uhr: „Ach Egon“, 3sat.
  • 29. Dezember, 10.00 Uhr: „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“, 3sat.
  • 29. Dezember, 11.20 Uhr: „Das kann doch unseren Willi nicht erschüttern“, 3sat.
  • 31. Dezember, 12.40 Uhr: „Drei Mann in einem Boot“, ZDF.
  • 31. Dezember, 22.20 Uhr: „Ach Egon“, BR.
  • 1. Januar, 13.55 Uhr: „Immer die Radfahrer“, ZDF.)

####LINKS####Wenn Sie wie ich gestern Abend siebeneinhalb Minuten paralysiert vor dem „Weihnachtscheck“ im NDR gesessen und zugesehen hätten, wie der „Weihachtsbaumtester Herr Müller“ fachmännisch zwei Weihnachtsbäume aus dem Baumarkt bzw. dem Wald auf Unterschiede prüfte („Dieser Baum hat doch ganz viele objektive Fehler.“, „Ein fülliger Zweig!“), dann wüssten sie, dass jede weitere 37 Minuten lange Kamelle mit Heinz Erhardt ein Geschenk für die dritten Programme ist, da sie uns damit – rechnen wir mal realistischerweise mit drei Wiederholungen – jedes Jahr fast zwei Stunden mit neuen Produktionen ersparen können. Wobei die Geschichte mit den betrügerischen Finanzexperten sogar relevanter klingt als die Weihnachts-Check-Erkenntnis, dass man auch mit weniger Geld ein ganz passables Weihnachtsfest feiern kann.

 

[+++] Kommen wir nun zum weniger Lustigen und beginnen da mit der NZZ, die offenbar haarscharf an einem Rechtsruck unter einem neuen Chefredakteur Markus Somm vorbeigeschrammt ist (siehe auch Altpapierkorb gestern).

„Somm gilt als Vertrauter des rechtspopulistischen Politikers Christoph Blocher, der seit Jahren seinen Einfluss in der Schweizer Medienlandschaft vergrößert. Die Berufung seines Biografen Markus Somm hätte die freisinnige NZZ grundlegend verändert. Am Montag erklärte Somm, er habe nach ,reiflicher Überlegung’ entschieden, in Basel zu bleiben“,

schreibt Charlotte Theile heute auf der Medienseite der Süddeutschen Zeitung.

Die Redakteure hatten sich vehement gegen Somm gewehrt, sind nach seiner Absage aber noch nicht beruhigt, wie ein Brief an den Verwaltungsrat der NZZ zeigt, den das Schweizer Fernsehen auf seiner Internetseite veröffentlicht hat:

„Auch nach der Absage von Somm sind wir tief besorgt über die Zukunft der NZZ. Sollte sich die politische Richtung, in der offenbar nach einem neuen Chefredaktor gesucht worden ist, bestätigen, so verurteilen wir diese Pläne in aller Schärfe. (...) Mit der Wahl eines Chefredaktors mit rechtskonservativer Gesinnung gerieten die liberale Publizistik und Kultur der NZZ unter die Räder. Dagegen wehren wir uns mit allem Nachdruck.“

Falls der Hinweis auf Publizistik und Kultur nicht ausreichen sollte, wird zudem ein „finanzielles Desaster“ heraufbeschworen, das mit der Bestellung eines rechtskonservativen Chefs eingeleitet würde und das sich zumindest ansatzweise auch aus dem Text in der SZ herauslesen lässt, in dem es heißt:

„Für den Schweizer Medienwissenschaftler Kurt Imhof wäre ein rechtskonservativer Mann an der Spitze der NZZ vor allem für deren Auslandsstrategie ein Problem gewesen – in Österreich, wo das Blatt zuletzt mit einem Pilot-Projekt online ging, hätte man Somm kaum vermitteln können, das gleiche gilt wohl für Deutschland. Auch in Zürich hätten etwa 20000 Abos auf dem Spiel gestanden, glaubt Imhof. ,Viele wären wohl zum Tages-Anzeiger abgewandert.’“

Bleibt die Frage, wer dann Markus Spillmann folgen wird? Mit dem schönen Satz „Wir werden einen neuen Chefredakteur haben, wenn wir soweit sind“ zitiert Der Standard NZZ-CEO Veit Dengler.

Wolfgang Büchner soll ja einen neuen Job suchen. Und seit gestern auch Hartmut Mehdorn. Wenn man kurz darüber nachdenkt, haben der Berliner Flughafen und Printzeitungen im Jahr 2014 doch erstaunlich viele Gemeinsamkeiten.

[+++] Mehr Entführungen, mehr Journalisten auf der Flucht, dafür weniger Tote, das ist die Jahresbilanz, die die Reporter ohne Grenzen gestern vorgestellt haben.

„In einigen Regionen erleben wir eine neue Qualität der Gewalt im Umgang mit Journalisten, die erschreckt: Medienwirksam inszenierte Enthauptungen durch den IS und massenhafte Übergriffe gegen Journalisten in einigen Ländern zeugen von einer menschenverachtenden Haltung und extremen Geringschätzung der Pressefreiheit. Journalisten dürfen nicht zur Verfügungsmasse für die Propaganda von Terrorgruppen, Kriminellen oder autoritären Staaten werden, sondern müssen gerade in Krisengebieten wirksamer als bisher geschützt werden“,

sagt ROG-Vorstandssprecherin Astrid Frohloff in der Pressemitteilung (den kompletten Bericht gibt es hier).

178 Journalisten sitzen derzeit im Gefängnis, die meisten in China und Eritrea, einer aber auch in den USA, und ja, das ist eine miese Überleitung zu dem Text, der heute auf der FAZ-Medienseite über Barret Brown steht, der die Frage, ob Journalisten auch Aktivisten sein sollten, für sich eindeutig mit „Ja“ beantwortet hat, als Sprecher von Anonymous auftrat und seit 2012 inhaftiert ist.

„Er sah sich als ,leitender Stratege’ des Kollektivs, der mitentschied, wen man online angriff, wann und warum. Oft wühlte er sich durch Daten, die von den Hackern erbeutet wurden. Deshalb und wegen eines Drohvideos steht er nun vor Gericht. Browns Geschichte ist ein Teil dessen, was manche als ,Hackerkriege’ bezeichnen und er selbst als Informationskrieg: den Kampf Amerikas gegen Whistleblower, Informanten, Journalisten. Die Frage ist, ob Brown in diesem Krieg Kombattant war oder Zivilist“,

schreibt Jan Ludwig, der Brown in seinem Gefängnis bei Dallas besucht hat, und der danach ein Fazit formuliert, das man auch hier als Abschluss einfach mal so stehen lassen kann:

„Brown ist manchmal ein Spinner. Aber er ist auch ein Wühler, ein Zweifler, ein Aufdecker. Ein Journalist. Und wer Journalist ist, sollte hacken dürfen, sagt Brown. Als die globale Überwachung durch die NSA bekannt wurde, fragten sich Journalisten, ob sie nun selbst auf die Barrikaden müssten oder ob Fotos von den Barrikaden weiterhin reichen. Der Fall Brown zeigt, wohin die Doppelfunktion führen kann: Auf den Barrikaden lebt es sich gefährlich. Vielleicht sind Journalisten und Aktivisten wie Brown, Greenwald, Snowden, Laura Poitras und Jacob Appelbaum die Doyens einer neuen Zunft. Aber fast keiner von ihnen lebt in den Vereinigten Staaten. Der Einzige, der es doch tut, wird heute einen Gerichtssaal in Dallas in Ketten betreten.“


Altpapierkorb

+++ Von Menschen, die Journalisten mit Informationen versorgten und dafür bezahlen mussten, erzählt die Dokumentation „Schweig, Verräter!“, die heute Abend auf Arte läuft. „James Spione erzählt die Geschichte des frommen Kiriakou und auch die des NSA-Agenten Peter Drake und der Anwältin Jesselyn Radack. Sie alle haben gegen das Loyalitätsgebot, womöglich auch gegen einen Eid verstoßen, weil sie nicht mehr bereit waren, die so herrlich als ,erweitert’ umschriebenen Verhörmethoden zu decken. Alle drei verlieren ihre Arbeit, die Familien werden zerstört, sammeln Schulden an, die in keinem Leben mehr beglichen werden können. Das sind die Kollateralschäden im amerikanischen ,Krieg gegen den Terror’. Bis heute ist kein einziger CIA-Angehöriger wegen Folter verurteilt worden“, schreibt Willi Winkler auf der Medienseite der SZ. Auch in der taz gibt es eine Rezension. +++

+++ Die taz hat zudem Reaktionen auf die sonntägliche Aktion gegen regierungskritische Journalisten in der Türkei zusammengetragen. +++

+++ Die Mitarbeiter der Deutschen Welle haben gestern gegen geplante Einsparungen demonstriert und bei Newsroom lässt sich die dazu gehaltene Rede von DJV-Bundesvorstand Frank Überall nachlesen. +++

+++ „Vox gilt selbst unter Kritikern als der am wenigsten schlimme Privatsender. Man kann zuschauen, ohne sich ernsthaft zu verletzen. Man kann bestenfalls sogar Spaß haben an der im Übermaß servierten Dokutainment-Mixtur aus Mode-, Koch- und Auswanderungsspielchen.“ Hans Hoff hat für die SZ Vox-Geschäftsführer Bernd Reichart getroffen und die Erkenntnis mitgebracht, dass dessen selbstgebackenen Kekse zu hart sind und die Vox-Hauptzielgruppe in Form von Frauen derzeit lieber selbst einkauft als anderem beim Einkaufen zuzusehen. +++

+++ Apropos Frauen: Das Jahr 1918 hat angerufen und möchte die Meldung zurückhaben, dass bei der Rhein-Zeitung nun erstmals eine Frau als Nachrichtenchefin engagiert wurde. +++

+++ „Ware Mädchen – Prostitution unter Zwang“ heißt die RBB-Dokumentation über Zwangsprostituierte aus Osteuropa, die heute Abend läuft und von Kurt Sagatz im Tagesspiegel besprochen wird. „Die RBB-Reportage geht weit über die plakative Schilderung der Missstände hinaus. Vor allem die Recherchen von Luer und Goll in Rumänien erklären einige Hintergründe. Die Legalisierung der Prostitution in Deutschland im Jahr 2002 war eine gute Nachricht für die osteuropäischen Menschenhändler.“ +++

+++ Und wir dachten, „Eisberg“ sei ein seltsamer Name für ein Medienprojekt. Doch nun gibt es die „Task Force Victor“, wie bild.de das Team nennt, das es auf die sozialen Netzwerke loslässt und über das Meedia berichtet. +++

+++ Zum Abschluss noch etwas Kuscheliges: Torsten Zarges hat für DWDL Wayne Carpendale interviewt („Herr Carpendale, nach Ihrem Moderationsdebüt bei ,Deal or no Deal’ haben Sie viel Lob bekommen, oftmals mit dem Unterton ,Wow, das hätten wir dem gar nicht zugetraut’. Ist es manchmal gut, unterschätzt zu werden?“, „ Wenn Sie heute Ihren Beruf irgendwo eintragen müssen, schreiben Sie dann Schauspieler oder Moderator?“, „Was ist für Sie das Reizvollste an ,Nur die Liebe zählt’?“).

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?