Von fragwürdigen Brillen und polierten Fressen

Von fragwürdigen Brillen und polierten Fressen

Warum sollte man eine Datenbrille erfinden wollen? Warum steht Frank Schirrmacher nicht mehr in der Herausgeberzeile der FAZ? Und warum moderiert Peter Kloeppel eine Sondersendung zu Michael Schumacher, die Frauke Ludowig besser zu Gesicht gestanden hätte?

Über mehrere Ausgaben hat die FAZ ihre Seiten freigeräumt, um an Frank Schirrmacher zu erinnern. In fast 200.000 Zeichen wurde seit Freitag dem verstorbenen Herausgeber gedacht, wie der Kollege Matthias Dell gestern an dieser Stelle ausgerechnet hat. Nun, fast fünf Tage nach der Todesnachricht, ist die sichtbare Trauerarbeit offenbar abgeschlossen. Es erscheinen wieder Artikel, in denen nicht von Schirrmacher die Rede ist. Und doch fragt man sich beim Blick in die Zeitung von heute, warum sich nun ausgerechnet der Aufmacher auf der Medienseite einem Technik-Thema widmet, in dem manche die Verheißung und andere den totalen Überwachungsstaat sehen.

Es geht um Google Glass, dessen Chefentwickler Thas Starner Florian Zimmer-Amrhein interviewt hat. Auf dem dazugehörigen Foto sehen wir Starner mit einem Prototyp seiner Brille eine Bretzel kaufen, was in der Hinsicht verwirrt, als dass die Brillenart vermuten lässt, der Herr wäre gerade auf einem Tauchgang und es hätte sich ihm ein Aal quer über das linke Auge gelegt. Wer sich für Datenbrillen begeistert, darf offenbar nicht eitel sein. Doch natürlich ist nicht Schönheit das Thema hier, sondern die Antwort auf die Frage, die Zimmer-Amrhein in folgender formvollendeter Schlichtheit stellt:

„Herr Starner, Sie entwickeln seit 25 Jahren Computerbrillen und waren wohl der erste Mensch, der ein solches Gerät täglich benutzte. Warum?“

Nun stellt sich heraus, dass Starner ein Problem mit Multitasking hat – bei Vorlesungen gleichzeitig zuzuhören und mitzuschreiben fiel ihm als Student schwer. Manche hätten es daraufhin vielleicht mit autogenem Training oder mehr Kaffee versucht. Für Starner war die Lösung „ein Bildschirm an meiner Brille, durch den ich meine Notizen und zugleich den Dozenten und die Tafel im Blick haben konnte.“

Außer in Vorlesungen nutzte er das Gerät dann auch bei Gesprächen auf dem Gang, deren Erkenntnisse er dank seiner Computerbrille gleich festhalten konnte.

####LINKS####

Ganz recht: Steht ein nerdiger Student mit einer Brille von angsteinflößender Dimension Anfang der 1990er Jahre auf den Gängen des MIT und hält alles fest, was dort gesagt wird. Klingt irgendwie cool, aber auch sehr bedrohlich. Womit schon damals das Feld abgesteckt wurde, in dem sich die Diskussion um die Datenbrille noch heute bewegt. Thas Starner hat dazu eine klare Meinung:

„Jede Technologie kann in den falschen Händen eine Gefahr sein. Jeden Augenblick könnte jemand das Navigationssystem in Ihrem Auto, Ihr Telefon oder Ihr Wi-Fi anzapfen, das wäre gar nicht schwer. Aber denken Sie ständig an diese Gefahr? Neue Technologie schürt immer Erwartungen und Ängste. (...) Mir geht es aber nicht darum, die technischen Möglichkeiten des Endgeräts zu beschränken, sondern um einen gesellschaftlichen Verhaltenskodex, sich ethisch korrekt zu verhalten. Und das bedeutet für mich, Geräte möglichst so zu entwickeln, dass sie ein solches Verhalten begünstigen.“

Leider fragt Zimmer-Amrhein nicht nach, wie so ein Alleskönner geschaffen sein muss, um seine Nutzer aus moralischen Bedenken davon abzuhalten, all diese Möglichkeiten auch auszuschöpfen.

Und schon denkt man wieder an Frank Schirrmacher.

Dessen Nachfolge hat die FAZ nun zumindest vorübergehend und zumindest hinsichtlich der offiziellen Zuständigkeiten geregelt: Günther Nonnenmacher verschiebt seinen geplanten Ausstieg aus der Riege und übernimmt zusätzlich zu seiner Position als für die Außenpolitik verantwortlicher Herausgeber auch die Verantwortung fürs Feuilleton.

„Die schnelle Interimslösung im Herausgeber-Gremium ist mindestens so ungewöhnlich wie die neue Herausgeberzeile der FAZ. Nur zwei Tage nach dem Tod Schirrmachers ist die FAZ bereits am Samstag ohne seinen Namen in der Herausgeberzeile erschienen. (...) Angesprochen auf die sehr schnelle Löschung von Schirrmachers Namen aus der Herausgeberzeile, erklärte der Sprecher: ,Zu diesem Punkt kann man eigentlich nur etwas Falsches sagen. Es ist jedoch total logisch, dass mit der ersten Ausgabe, für die Schirrmacher nicht mehr mitverantwortlich war, auch sein Name nicht mehr genannt wird.’“,

schreibt Thorsten Schmitz heute auf der Medienseite der SZ. Auch andere stoßen sich an dem schnellen Verschwinden aus der Herausgeberliste - Stephan-Andreas Casdorff im Tagesspiegel:

„Ihn als Herausgeber zu belassen – das wäre mal schön konservativ gewesen, erhaltend und bewahrend. Und anständig sowieso.“

[+++] Harter Schnitt: Die schon so oft erwähnten Krautreporter (zu denen ich an dieser Stelle gleich offenlegen möchte, dass ich mit einem der Gründer auch schon einmal eine Zeitung gegründet habe) sind hier gestern aus Gründen ein wenig zu kurz gekommen. Für alle, die die Zeit zwischen Freitagmittag und heute Morgen in einem medialen Erdloch verbracht haben, hier noch einmal der Schnelldurchlauf: Das Crowdfunding war erfolgreich, es sind über 15.000 Unterstützer zusammengekommen, allerdings gefühlt auch fast ebenso viele Gegner des Projektes.

Die einen meinen, das Blog sei nach einer Großspende von der Rudolf-Augstein-Stiftung nicht mehr als unabhängig zu bezeichnen.

Andere meinen das nicht.

Falk Steiner stellt auf seinem Blog das Geschäftsmodell in Frage.

Christoph Kappes hat gleich sechs übellaunige Bemerkungen zusammengetragen.

Patrick Gensing wundert sich auf tageschau.de, dass die Hoffnungsträger des Journalismus aus dem Journalismus kommen.

Und was sagen die Krautreporter selbst?

„Klar war es belastend, vier Wochen lang die Fresse poliert zu bekommen, aber vor allem hat es dem Projekt geschadet. Das vorschnelle Urteil hätte zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden können. (...) Die heftigen Reaktionen zeigen aber auch, dass Krautreporter nicht nur für uns etwas Außergewöhnliches ist, sondern auch für unsere Kritiker.“

Letzteres Zitat ist von Herausgeber Sebastian Esser und sogar halbwegs aktuell, nämlich von der heutigen Medienseite der SZ. David Denk hat ihn interviewt und auch noch herausbekommen, dass Esser die Behauptung, dass Krautreporter von mehr als 17.000 Kollegen ermöglicht wurde, für einen Mythos hält. Dass 900.000 Euro die unterste Grenze waren, um ein nachhaltiges Geschäftsmodell und eben kein „weiteres crazy Internetprojekt“ auf die Beine zu stellen. Dass sich trotz der vielen Schelte schon 100 freie Autoren gemeldet haben. Und dass das nicht immer ganz einheitliche Auftreten der Truppe während ihrer Kampagne Teil des Konzeptes für die Zukunft ist.

„Die kleine Redaktion um Chefredakteur Alexander von Streit soll sich vor allem um Koordination und Qualitätssicherung kümmern. Im Interesse unserer Glaubwürdigkeit werden wir auf Fact Checking besonderen Wert legen – hauptsächlich vor Erscheinen, aber auch indem unsere Abonnenten die Möglichkeit haben werden, im fast fertigen Text Anmerkungen zu hinterlassen. Was wir allerdings ausdrücklich nicht wollen, ist ein einheitlicher Stil. Gerade die bunte Mischung von Themen und Zugängen soll Krautreporter ausmachen.“

[+++] Ein bisschen mehr Fact Checking hätte wohl der Sendung gut getan, die RTL gestern Abend um 20.15 Uhr aufgrund der Nachricht ins Programm hob, dass Michael Schumacher nicht mehr im Koma liege. Stefan Niggemeier hat sich die Sonderausgabe von „RTL aktuell“ für faz.net angesehen und dokumentiert dort, dass nach dem Checken der Fakten vermutlich keine einzige von 30 Sendeminuten mehr übriggeblieben wäre. Denn viel mehr als aufgeblasene Spekulationen gab es nicht zu sehen.

„Wenn wenigstens nicht Peter Kloeppel im Studio gestanden hätte, sondern Frauke Ludowig oder irgendein anderer halbseidener Boulevardmensch! Aber RTL wollte beides: Die maximale Kapitalisierung dieser Nachricht und den seriösen Anstrich; das alberne Gerücht und die Distanzierung davon. Kloeppel verabschiedete sich mit den Hinweis, dass man seine Wünsche und Gedanken in einem ,Online-Genesungsbuch’ bei rtl.de aufschreiben könne.“


Altpapierkorb

+++ Der Programmreform beim Deutschlandradio widmet sich der Tagesspiegel. „,Das Programm von Deutschlandradio Kultur soll im Sinne eines Diskursradios Themen und Ereignisse als kulturelle Phänomene betrachten. Dabei wird unser weiterhin sichtbares Kennzeichen die Kulturalisierung der Politik und die Politisierung der Kultur sein’, sagte Programmdirektor Andreas-Peter Weber am Montag bei der Vorstellung des Programms.“ Für die nächtliche Call-in-Sendung „2254“ scheint derweil trotz der Proteste der Hörer und Anrufer (Altpapier vom Freitag) in Zukunft kein Platz mehr zu sein. Man will sie am liebsten ins Digitale abschieben. In der Berliner Zeitung bezieht sich Ulrike Simon noch einmal auf den Ärger, für den diese Reform unter den Mitarbeitern sorgt (Altpapier): „,Bettlägerig’ sei man nun nicht mehr, sagt Weber, ,wir machen aber noch keinen Leistungssport’. Er nennt es normal, dass es durch den Wegfall eingeübter Strukturen zu Irritationen kommt, daher sei die Führung mit den Mitarbeitern ,in interne Diskussionen getreten’. Bei der internen Kommunikation hapert es dem Vernehmen nach noch immer. Die Festangestellten kämpfen mit allerlei Umwälzungen, die Freien hoffen, bei einer Versammlung mit Weber, an diesem Donnerstag endlich Näheres dazu zu erfahren, wo und ob überhaupt sie in Zukunft noch Aufträge bekommen.“ +++

+++ Die Süddeutsche Zeitung interessiert sich für den Online-Auftritt der Abendzeitung, schrieb schon gestern das Handelsblatt. Eine Kooperation mit sueddeutsche.de gibt es bereits; die beiden Websites weisen ihre Besucherzahlen gemeinsam aus. Woraus sich laut Handelsblatt ergibt, warum man bei der SZ nicht auf die 3,16 Millionen (von insgesamt 8,16) Besucher der Abendzeitung in der Statistik verzichten mag +++

+++ Im Irak wird die islamistische Terrororganisation Isis nun auch mit dem Abschalten von Twitter, Facebook und Google bekämpft, schreibt die taz. +++

+++ Andere Länder, andere Fußball-Guck-Sitten, beschreibt Jürg Altwegg auf der Medienseite der FAZ am Beispiel Frankreichs. Dort laufen nicht nur viele Partien hinter der Bezahlschranke des Pay-TV-Senders BeIn, der französischen Tochter von Al-Dschazira, der sich wiederum die Rechte vom Privatsender tf1 gesichert hat. Auch die Art der Präsentation unterscheidet sich: „Die Fifa hat in den brasilianischen Stadien 34 Kameras aufgebaut. Bei Auftritten des französischen Teams nimmt tf1 zusätzlich drei eigene in Betrieb. Frankreichs Fernsehregisseure pflegen eine besondere Inszenierung des Fußballs. Bei Übertragungen in deutschen und englischen Sendern gibt es rund 800 Einstellungen, bei einem Spiel Bayern gegen Dortmund wurden schon mal nur 546 Schnitte gezählt. In Frankreich sind es mindestens tausend.“ +++ Dem deutschen Fernsehen fehlen demnach etwa 200 Einstellungen pro Spiel, aber dafür hat es Mehmet Scholl. Und der ist Gold wert, meint zumindest Markus Ehrenberg im Tagesspiegel. „Opdi und Scholli haben das feinsinnig-selbstironische Zusammenspiel von Delling und Netzer auf ein anderes Niveau gehoben.“ Wem das noch nicht genug der Lobhudelei ist: „Trockener Humor, Spontaneität, Bissigkeit, manchmal auch Euphoriebremse zur rechten Zeit. Scholls Sprüche füllen Bände.“ +++

+++ Der Schweizer Verlegerverband ist es leid, immer nur Schlechtes über sich zu lesen, und hat nun selbst ein Buch zur Lage der Medien herausgegeben, schreibt die NZZ. Verlags-Kritik sei aber dennoch enthalten. +++

+++ Sky Deutschland produziert erstmals selbst eine Serie, berichtet Sikle Bigalke auf der Medienseite der SZ. „100Code“ heißt sie, und es geht um einen amerikanischen Cop, der nach Stockholm kommt, um dort eine Mordserie aufklären zu helfen, und (wer hätte das gedacht) sich nicht allzu gut mit dem schwedischen Kollegen zu verstehen. „Die beiden hassen sich. Der Schwede findet den Amerikaner laut und unzivilisiert, der Amerikaner den Schweden alt und grantig. Gleichzeitig haben beide mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen: Eklund schaffte es nicht, seiner Tochter ein besserer Vater zu sein. Conley fühlt sich für den Tod seiner Freundin verantwortlich.“ Im Frühjahr nächsten Jahres soll die erste Folge zu sehen sein. +++

Frisches Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

 

 

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?