Der Preis ist aus

Der Preis ist aus

Jubel rund um den roten Teppich: Der Deutsche Fernsehpreis wird abgeschafft! Die SZ entschuldigt sich im Dutzend für eine antisemitische Karikatur. Der Rechercheverbund von SZ, WDR und NDR steht als Konstruktion in der Kritik. RTL-U-Boot Markus Lanz ruiniert dem ZDF weiter die Showquoten. Rezensionen zu "Der Rücktritt" und einer Siegfried-Lenz-Verfilmung. Und Neues vom Humor im Fernsehen.

Ein Beispiel für eine eigentlich gute Nachricht, die als schlechte Nachricht erzählt wird: Der Deutsche Fernsehpreis wird abgeschafft.

"Am 3. Oktober wird ein letztes Mal zu sehen sein, wie Preise an die üblichen Verdächtigen gehen, wie sich Branchenmenschen bei der vielstündigen Verleihungszeremonie langweilen und hinterher angesichts miserabler Einschaltzahlen maulen, dass der Deutsche keine vernünftige Preisverleihung hinbekomme."

Soweit in der angemessenen Nachrichtlichkeit die Süddeutsche Zeitung. Ähnliche Interpretationen stehen anderswo: "Qual" und "Elend" unterzeilt der Spiegel und wird im Text nicht euphorischer. Die 2013er-Ausgabe sei "eine Resteversteigerung im Ramschladen" gewesen, so die FAS (ausführliche Version online) bzw. eine "Peinlichkeit für das deutsche Fernsehen an sich" (FAZ von heute), der Preis – selbst aus Sicht der Sender – eine "riesengroße Lachnummer" (FAS). Der Tagesspiegel schreibt im Bemühen um neutrale Wiedergabe der Bewertungen anderer Medien, der Preis stehe im "Ruf des gegenseitigen Schulterklopfens". Und wenn selbst Thomas Lückerath von DWDL, der Fernsehen im Zweifel ja lieber gut als schlecht findet, von einer Veranstaltung schreibt, die nicht "als allzu sehenswerte" wahrgenommen worden sei, dürften die letzten Zweifel ausgeräumt sein, dass die Säge ziemlich klemmt.

Dem Spiegel, der die Meldung vom Ende hatte, bevor sie vom ständigen Sekretariat des Fernsehpreises am Samstag vorsorglich selbst verbreitet wurde, ist immerhin noch die stärkste tl;dr-Version der ganzen Fernsehpreisgeschichte geblieben – das Zitat eines Fernsehbranchenvertreters: "Das Kunststück muss man erst einmal hinbekommen: einen Preis, der weder von der Branche, noch vom Publikum, noch von den Sendern akzeptiert wird." Michael Hanfeld von der FAZ kommt mit einem ähnlichen Zitat direkt dahinter, hier zitiert nach Faz.net: "'Wir haben es geschafft, einen Preis zu vergeben, den weder die Branche noch das Publikum will,' sagt einer der Beteiligten." Am Rande: In der gekürzten FAS-Printversion steht das online falsch, nämlich innerhalb des wörtlichen Zitats gesetzte Komma richtigerweise außerhalb der Anführungszeichen. Da freut er sich doch, der innere Printabonnent.

Aber wo waren wir? Qualitätsfernsehen: Was die Zukunft des Deutschen Fernsehpreises angeht, gibt es eine offizielle und eine, wenn man den Zeitungen glauben kann, korrekte Version. Als Vertreter der offiziellen Version, derzufolge noch "über zukünftige Form und Ausrichtung des Deutschen Fernsehpreises beraten" werde, tauchen WDR-Intendant Tom Buhrow auf sowie ZDF-Intendant Thomas Bellut (der via Spiegel von der Suche nach einem alternativen Konzept kündet). Ob es also einen anderen Preis gibt, "bleibt vorerst abzuwarten", so die einen (DWDL). Während andere (FAZ von heute) schreiben, dass "inoffiziell (...) ganz andere Stimmen zu hören" seien und sich, wie die SZ, an ein endgültiges Urteil wagen:

"Das sollte nach Neuanfang klingen, ist aber ungefähr so wirkungsvoll wie der Versuch, frisch geköpfte Hühner durch Mund-zu-Mund-Beatmung zum Eierlegen zu animieren."

####LINKS#### +++ Apropos lustiges Tierbild: Alexander Bommes von der ARD lese seine Sportnachrichten vor, "als stünden seine Nachrichten eben nicht im Sport, sondern im Vermischten, direkt unter der Meldung von der Entenfamilie aus Gütersloh, die beim Ausparken im Wohnzimmer der Wombels landete". Schreibt Tobias Rüther in seiner FAS-Fernsehkolumne, in der es offiziell nicht um den Gütersloher Bertelsmann-Konzern und dessen RTL-Group geht. Aber als tl;dr-Version der RTL-Informationsprogrammgeschichte von "Notruf" bis "RTL exklusiv" funktioniert das doch gut.

Über RTL gibt es, während RTL-Halbschwester Gruner+Jahrs China-Geschäft auf der SZ-Medienseite gewürdigt wird, heute wenig Neues. Außer vielleicht, dass RTL-U-Boot Markus Lanz gewitzterweise dem ZDF weiter die "Wetten, dass..?"-Quoten ruiniert (siehe dazu den Altpapierkorb). Der Name von RTL fällt zudem noch in der weiteren Quotenmeldung, dass nämlich "Fastnacht aus Franken" im Bayerischen Rundfunk besser abgeschnitten habe als ARD-Erstprogramm und eben RTL. Die drei beispielhaft eingeschalteten Minuten, in denen es ein Dutzendmal um eine Person ging, die oft "genickt" habe, um einen "Nicker" also, bestätigten mal wieder die These, dass jede Gesellschaft ihr Fernsehen verdient. Falls Sie den Witz nicht verstehen, denken Sie daran, wie "Nicker" fränkisch ausgesprochen wird. Der Seehofer Hodde fand's zum Wegschmeißen – aber über ihn werden ja auch bestenfalls harmlose Affirmationswitzchen gerissen im Bayerischen Pappnasenrundfunk.

Dass die Öffentlich-Rechtlichen laut Spiegel und Focus in Zukunft noch humorvoller werden wollen (u.a. evtl. Otto Waalkes ins ZDF, Revitalisierung von "Verstehen Sie Spaß?" in der ARD, "Extra3" ins Hauptprogramm), muss man daher zumindest nicht im Komplettpaket per se als gute Nachricht interpretieren.

+++ Nicht witzig ist auch, was in einer frühen Freitags-SZ-Ausgabe auf der Meinungsseite zur Facebook-Übernahme von Whatsapp gedruckt wurde. Um den Wortkommentar (siehe Altpapier) geht es dabei nicht; Thema von "Gärtner kritischem Sonntagsfrühstück" in der Titanic ist vielmehr die Karikatur der "Krake Facebook", die für einen Tintenfisch erstaunlich hakennasig aussieht. In der heute noch abrufbaren Freitags-E-Paper-Version ist die Karikatur deutlich verändert; da ist wohl jemandem spät, aber immerhin selbst aufgefallen, dass eine solche Darstellung selbst dann antisemitisch wäre, wenn der Facebook-Gründer nicht aus einem jüdischen Elternhaus käme. Einen kleinen Auszug aus der bisherigen Verteidigungslinie der SZ sehen Sie im Screenshot links.

+++ Was ebenfalls die SZ betrifft: Der Rechercheverbund von besagter mit WDR und NDR (siehe Altpapier) stößt nun doch auf zumindest publizistische Widerstände, die passenderweise vorgetragen wurden, kurz bevor am Samstag auf der SZ-Seite-3 eine große Uli-Hoeneß-Reportage von Hans Leyendecker (SZ) und Georg Mascolo, dem freien NDR- und SZ-Mitarbeiter, der den privatwirtschaftlich-öffentlich-rechtlichen Verbund leitet, stand – kurz bevor man also Anschauungsmaterial für die These bekam, dass da ein privatwirtschaftliches Unternehmen, die SZ, zumindest irgendwie von Rundfunkgebühren profitiere. Cicero Online und der Freitag schlagen in diegleiche Kerbe:

Der Verbund möge "der Frage nachgehen, wie viel von unseren Rundfunkgebühren von NDR und WDR dafür aufgebracht werden, um die Ausgaben für ein privatwirtschaftliches und gewinnorientiertes Unternehmen wie die Südwestdeutsche Medienholding niedrig zu halten?", empfiehlt Julian Heissler im Freitag. Und Petra Sorge schreibt in ihrer Cicero.de-Kolumne: "Die Süddeutsche profitiert natürlich auch von nicht-monetären Vorteilen – etwa Recherchekapazitäten oder dem Zugriff auf den öffentlich-rechtlichen Korrespondentenpool". Dass man bei der Bewertung zwischen Publikumsinteresse und rechtlicher Konstruktion unterscheiden muss, ist klar. Sorge erinnert sich, nachdem sie (und ein Experte) sich das SZ-/NDR-Multimediaprojekt "Geheimer Krieg" angeschaut haben, nicht nur an dieses Ding namens Drei-Stufen-Test, sondern auch an ein Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1991. Und irgendwie ahnt man, dass das letzte Wort zu diesem Rechercheverbund noch nicht gesprochen sein könnte:

"1991 entschieden die Karlsruher Richter (6. Rundfunk-Entscheidung), dass bei der Beteiligung des WDR an einem privaten Rundfunksender in Nordrhein-Westfalen strenge Regeln anzulegen sind. So müsse klar zu unterscheiden sein, welche Inhalte von welchem Medienpartner stammen."


ALTPAPIERKORB

+++ Das meistgelesene Altpapier des vergangenen Jahrs handelte in erster Linie von einem Nico-Hofmann-Filmprojekt, "Unsere Mütter, unsere Väter". Blöd vielleicht, dass wir seine neueste Produktion nun hier unten verbuddeln, aber so groß ist der Wirbel um "Der Rücktritt" über die Wulff-Affäre nach allem Vorgeplanke längst nicht. Aber kann ja noch, der Sat.1-Film läuft ja erst morgen. Die Sonntags-FAZ kann im Dokudrama nicht recht das Drama entdecken, urteilt aber sehr differenziert. Mit gewohnter Eindeutigkeit vertritt dagegen etwa Hans Hoff in seiner Kolumne die Meinung, es handle sich um einen bemerkenswert guten Film +++

+++ Diverse Rezensionen gibt es heute erstmal zur Siegfried-Lenz-Verfilmung "Die Flut ist pünktlich" (ZDF, 20.15 Uhr), nämlich etwa in der TAZ ("Der Film unterscheidet sich von wirklich allen Lenz-Adaptionen seit 'Der Mann im Strom' dadurch, dass er ohne Jan 'Schnodderschnauze' Fedder auskommt"), der FAZ ("dieser Fernsehfilm ist um Längen besser als alles, was uns das ZDF in letzter Zeit – zuletzt mit großem Wagner-Tamtam am Sonntagabend – als 'Event'-Fernsehen verkaufen wollte"), der SZ ("da geht der Film eigene Wege. Doch er bleibt unter der Rubrik 'Literaturverfilmung' seinem eigenen Genre treu, dem Fernsehspiel") und im Tagesspiegel ("Das Ganze ist hervorragend besetzt, elegisch erzählt... Der Film ist richtig gut. Alleine schon wegen Ina Weisse") +++

+++ Zu "Wetten, dass..?": Die Texte über die Samstagsausgabe bewegen sich im Feld der reiner Quotenbetrachtung ("erneuter Alltime-Minusrekord"), des erschütterten Moderatorenverrisses ("Der Mann ist das Problem"), verbrauchter Moderatorenverrisslust ("Wobei das Lanz-Bashing inzwischen bereits überflüssig ist") und des Lobs, das sich aber durch die Überhöhung des Maßstabs Quote umgehend entwertet +++ Christian Jakubetz beklagt die Existenz einer Fernsehkritiker-Filterbubble; und wenn man seine eingangs geäußerte Fernsehkritikerknüwerei abzieht, ist da sicher was dran +++

+++ Und die Winterspiele: Jubel wegen Quote (DWDL), wobei die DWDL-Unterzeile Bände spricht: "Nach mehr als zwei Wochen können ARD und ZDF ein positives Fazit ziehen – obwohl es weniger Medaillen gab als erhofft." Warum sollten die Sender auf die Idee kommen, den Erfolg ihrer Berichterstattung vom Erfolg jener abhängig zu machen, über die sie berichten? Oder anders, weil das ja die DWDL-Formulierung ist und keine ARD-ZDF-Formulierung: Warum erwarten offenbar einige von ARD und ZDF, dass sie ihr Fazit an den sportlichen Erfolg binden? +++

+++ Anja Seeligers Perlentaucher-Beitrag zur jüngsten Literaturdebatte sei hiermit zitiert: "Die teilweise erstickende Uniformität und Leere im deutschen Kulturbetrieb ist genau den Bürgerkindern geschuldet, die sich jetzt die Stellen und öffentlichen Gelder teilen", schreibt Anja Seeliger zur Personalsituation (auch) in den Feuilletons" +++

+++ Ergänzend zum auch oben schon verlinkten Freitags-Altpapier ("Pornos aus Kiew") über das journalistische Genre des "Apocalypsticles" aus der Ukraine: dieser Blogtext von Andreas Herzau: "Es ist aber kein Journalismus (mehr), sondern nur eine dokumentarische Erlebniswelt, die den besonderen Prickel hat, eben echt zu sein und nicht Fiktion, Kino oder X-Box? Die Berichte sind in der Regel nur eine Bildbeschreibung dessen, was wir sehen. Keine Einordnung, kaum Hintergrund, kein historischer Kontext nirgends" +++

+++ Thomas "New Media" Knüwer empfiehlt die Abschaffung des Presserats und, wo er gerade schon dabei ist, hey, why not?, nebenbei auch gleich noch die der Landesmedienanstalten (bei sich zu Hause und bei Carta) +++

Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?