Der Wecker klingelt bei mir um 7 Uhr morgens. Eigentlich will ich um 8 Uhr an der Uni sein, um zu arbeiten oder in eine Vorlesung zu gehen, aber vor 7 Uhr aufstehen habe ich schon länger aufgegeben. Nicht dass ich faul wäre. Nur wenn ich nicht gezwungen werde, wächst der Schwierigkeitsgrad, sich selbst zum Aufstehen zu bewegen exponentiell, je früher der Wecker klingelt.
Da mein Wecker um 7 Uhr klingelt, schaffe ich es erst auf halb 9 in die Uni, wenn überhaupt. Wenigstens verpasse ich äußerst selten meine Pflichtseminare. Studenten dürfte folgender Tagesablauf ziemlich bekannt vorkommen: Zwischen den Seminaren und deren Vor- und Nachbearbeitung müssen noch Emails beantwortet, Telefonate geführt, unfertige Hausarbeiten weiter geschrieben, Formulare für Anträge ausgefüllt, Einkäufe erledigt, Waschmaschinen befüllt, Zimmer geputzt, Freunde getroffen, Gemeindeveranstaltungen besucht und zum Teil auch vorbereitet, Aufgaben für den Hiwijob erledigt, Bücher gelesen, Klavier geübt, Nachrichten geguckt und Essen gekocht werden. Klar falle ich nach solch einer Liste todmüde ins Bett und komme wieder kaum um 7 aus dem Bett. Und da soll noch Zeit sein um mit Gott zu chillen? In meinem Alltag hat das keinen Platz.
Für eine gewisse Zeit hatte ich mir fest einen Vormittag unter der Woche mit Gott eingeplant. Ein ganzer Vormittag nur für Gott und mich! Damals hatte ich noch die Zeit, um mit Gott zu chillen. Oder sagen wir es so: Ich hatte die Zeit auch damals eigentlich nicht. Ich habe nämlich neben dem Studium mit zwei anderen Studenten eine ganze Campusgruppe mit etwa 80 Mitgliedern und jeder Menge Aktionen geleitet. Ich habe mir die Zeit einfach genommen. Zeit, die mir gut getan hat.
Das Einzige, was mich daran immer gestört hat, war, dass ich in dieser Zeit nie die große Erkenntnis bekommen habe. Gott ist mir nie auf eine besondere Weise erschienen und plötzliche Offenbarungen hatte ich auch keine. Es gab einfach keinen messbaren Output. Und das hat mich gestört. Ich konnte diese Zeit weder vor mir selbst noch vor anderen dadurch rechtfertigen, dass sie wirklich etwas gebracht hätte. Chillen mit Gott? Wer macht das denn wirklich? Früher oder später taucht bei mir immer die Frage auf: Was bringt’s?
Doch ist das die falsche Frage. Chillen will gerade eine Tätigkeit ausdrücken, die um ihrer selbst Willen getan wird. Der produktive Output beim Abhängen (Chillen) ist gleich null. Aber der heilsame Effekt für meine Seele ist unbezahlbar. Vielleicht gerade weil diese Zeit so unglaublich unproduktiv sein will. Denn wo sonst darf ich mal einfach sein? Welche Tätigkeit gibt es denn noch, bei der keinerlei Leistung von mir gefordert wird? In unserem Alltag, in dem wir einfach funktionieren müssen, findet das Chillen und speziell das Chillen mit Gott keinen Platz, weil das Funktionieren und Leisten so tief in uns verwurzelt ist, dass wir hilflos werden, wenn wir plötzlich nichts mehr tun sollen. Chillen mit Gott! Es wird höchste Zeit, eine gesunde Kultur des Chillens unter uns Christen zu fördern. Wie sonst will man in unserer Zeit erfahren, dass das Evangelium stimmt: Ich darf kommen und bin angenommen, so wie ich bin, und nicht so wie ich tue!