Kermani: Symbolischen Gesten kommen in der Ukraine schlecht an

Kermani: Symbolischen Gesten kommen in der Ukraine schlecht an

Köln (epd). Die Menschen in der Ukraine stören sich nach Einschätzung des Schriftstellers Navid Kermani vor allem an als unsensibel empfundenen symbolischen Gesten aus Deutschland. Angesprochen worden sei er nicht wegen Waffenlieferungen, sondern vor allem wegen des nicht vollzogenen Öl- und Gasboykotts, sagte Kermani, der aktuell in der Ukraine unterwegs ist, am Freitag im WDR-„Morgenecho“. Vor allem gehe es um „symbolische Gesten, die hier als sehr unsensibel wahrgenommen werden“. Als Beispiel nannte Kermani die Einladung von Bundespräsident Präsident Frank-Walter Steinmeier zu einem Solidaritätskonzert, bei dem auch russische Musiker spielen sollten. Die Einladung war von dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk harsch abgelehnt worden.

„Wenn man das Gefühl hat, man soll zu einem falschen Frieden verdonnert werden, dann kommt das hier sehr schlecht an“, berichtete Kermani. Der Publizist ist derzeit in der Ukraine für eine Reportage für die Wochenzeitung „Zeit“ unterwegs. Unter anderem plant er Stationen in Lwiw, Kiew und Odessa.

Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels erklärte, der Angriff Russlands habe zu einer großen Einigkeit unter der ukrainischen Bevölkerung geführt. Als er das Land im Jahr 2016 bereist habe, sei die Ukraine ein gespaltenes Land gewesen. Viele Menschen hätten sich wegen der Sprache, Kultur und Geschichte eher Russland zugehörig gefühlt. „Jetzt ist es vollkommen egal, welche Sprache man spricht“, erklärte Kermani. „Man will mit diesem Russland nichts mehr zu tun haben. Man will nach Europa.“

Der Wille, Widerstand zu leisten, sei in der Ukraine so stark, weil die Menschen um die Existenz kämpften, erklärte der Schriftsteller. Russland kämpfe nicht um seine Existenz, es sei ein Krieg der Armee. In der Ukraine kämpfe hingegen ein Volk. Die Mobilisierung betreffe alle Schichten. So sei er bei Pfadfindern gewesen, die ein ganzes Haus übernommen hätten. „Da sieht man Jugendliche, die die Verteilung der Hilfe selbst organisieren - so professionell als wären sie eine weltweit tätige NGO.“ Das Gefühl, dass man als Gesellschaft kulturell und physisch vernichtet werden könnte, führe dazu, „dass man unglaublich einig ist“.

Bei seiner Reise in die Ukraine versuche er, mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, sagte der Autor. „Ich klopfe auch an Haustüren, solange die Türen noch da sind, und versuche, ins Gespräch zu kommen.“ Dabei erfahre er Geschichten, wie sie auf Pressekonferenzen vielleicht nicht so geschildert werden könnten.