"Raiffeisen hat immer davon gesprochen, dass er all das, was er getan hat, aus seinem Glauben, aus seiner Christenpflicht heraus getan hat", sagte Klein, Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Raiffeisens Geburtsort Hamm an der Sieg, dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Das ist ein Pflichtethos, das ihn kennzeichnet."
Raiffeisen habe es abgelehnt, seine Vereine nur als Organisationen zur günstigen Kreditvergabe zu sehen, sagte Klein, der Kirchengeschichte an der Universität Heidelberg lehrt. "Er hat immer versucht, die jeweiligen Ortspfarrer in die Arbeit mit einzubinden." Die Vereine hätten Menschen helfen sollen.
Vor allem in seinen späteren Jahren, als er bereits auf erfolgreiche Arbeit zurückblicken konnte, habe Raiffeisen verstärkt auf die Rückbesinnung zu den christlichen Wurzeln der Bewegung gepocht, sagte Klein. So habe er Wert darauf gelegt, dass die Größe der Genossenschaften der eines Pfarrbezirks entsprach. "Das heißt, Raiffeisen setzte bei seiner Arbeit auf die Jahrhunderte alten kirchlichen Strukturen. Ich sehe das durchaus als einen Startvorteil in seiner Arbeit."
Am Ende seines Lebens habe Raiffeisen die Gründung einer Kommunität und einer Handelsgesellschaft geplant, weil ihm das christliche Merkmal zu schwach ausgebildet war, erklärte Klein: "Das waren zwei Projekte, die versucht haben, das christliche Profil der Darlehenskassen-Arbeit zu stärken." Die Kommunität konnte er nicht verwirklichen. Die Gründung der Handelsgesellschaft, deren Gewinne in die Darlehenskassen-Arbeit flossen, gelang hingegen.
Die Betonung der christlichen Motivation habe auch zu Auseinandersetzungen mit dem anderen großen Genossenschaftsgründer der Zeit, Hermann Schulze-Delitzsch, geführt, sagte Klein. Schulze-Delitzsch sei nicht daran interessiert gewesen, dass die Kirchen Einfluss auf die Genossenschaftsarbeit nahmen. Die Kontroverse sei aber niemals direkt thematisiert worden. "Vordergründig ging es bei der Auseinandersetzung um Systemfragen in der Genossenschaftsarbeit. Aber man kann doch sehr begründet annehmen, dass gerade dieses christliche Element Schulze-Delitzsch ein Dorn im Auge war."
Die starke kirchliche Bindung der Raiffeisen-Vereine habe sich im 20. Jahrhundert nach und nach gelöst, sagte Klein. Nach dem Ersten Weltkrieg hätten vor allem Theologen, die von der Theologie Karl Barths beeinflusst waren, die Tätigkeit des Pfarrers im Raiffeisen-Verein als unnötig betrachtet.