"Die Kirchenleitung darf nicht einfach ihre Position für die einzig christliche erklären und damit andere, die zu anderen politischen Schlussfolgerungen gelangen, in die Ecke stellen und ausgrenzen", sagte der 67-jährige Sozialphilosoph der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt". "Die evangelische Kirchenführung in Deutschland tut derzeit so, als würde aus dem Ethos des Christentums eindeutig ein Eintreten für eine liberale Migrationspolitik folgen. Das ist aber nicht so." Deshalb dürften die Gegner einer liberalen Migrationspolitik nicht in den Anruch des Unchristlichen gebracht werden, betonte Joas.
"Religion ist nicht Moral. Und Kirche sollte auch keine Agentur sein, sollte sich nicht mit ihrer Nützlichkeit anpreisen", fügte Joas hinzu: "Es stellt eine Falle dar, wenn Kirchen sagen: Wir sind wichtig, weil wir wesentlich für gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen. Das mag ja zutreffen, aber es darf nicht bestimmender Vorsatz sein. Bekanntlich wird niemand gläubig, weil man ihm sagt, es sei gut, zu irgendeinem Zweck gläubig zu sein. Das reduziert die Religiosität auf eine Art Autosuggestion. Dagegen wehre ich mich."
Wer gesinnungsethisch argumentiere, wirke "zuweilen hilflos und zuweilen arrogant. Hilflos dann, wenn jemand sich für nachweisbare Folgen seines gut gemeinten Handelns nicht interessiert, arrogant dann, wenn schon das Erheben solcher Einwände als minderwertig abqualifiziert wird", sagte der Ernst-Troeltsch-Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Joas beobachtet vor allem den Wertewandel in der modernen Gesellschaft.