An diesem warmen Tag im Spätherbst ist wenig los im badischen Leimen, einer Kleinstadt südlich von Heidelberg. Nur vor dem Christlichen Zentrum Heidelberg (CZH), nahe der Bahnlinie, sammeln sich ein paar Menschen. Goldenes Laub weht über den Parkplatz des spitz zulaufenden Gotteshauses. Die Menschen gehen durch das kleine Foyer in den großen Gottesdienstraum. Hier und da ist ein Fetzen Englisch zu hören. Das CZH zählt zur Gemeinde Gottes, einer Pfingstkirche, die ihren Ursprung im amerikanischen Cleveland hat. Diese Verbindung in die Vereinigten Staaten ist noch lebendig.
Der helle, weiß geflieste Raum, in dem der Gottesdienst stattfindet, ist nahezu schmucklos. An einer der hinteren Wände steht in großen Buchstaben "Suchet der Stadt Bestes, Jeremia 29,7". Im Chorraum hängt ein großes Holzkreuz. Zu Beginn des Gottesdiensts spielt eine Band mit E-Gitarre und Schlagzeug. Die Songtexte werden von einem Beamer auf die Leinwand über den Musikern geworfen. Die Gemeinde singt deutsche und englische Lieder. Dazu stehen die Besucher auf, klatschen, tanzen, singen lautstark mit und strecken die Hände in die Höhe. Ein Mann in der ersten Reihe steuert von einem Tablet aus die Lautstärke, alle Musiker haben Bildschirme anstelle von Notenständern. Auch die Empore strotzt vor technischen Spielereien. Bunte Scheinwerfer ragen von der Brüstung und bestrahlen das Podium.
Das CZH wurde 1977 in Waldorf gegründet und hat knapp 180 Mitglieder. Nach dem Bau eines Gemeindegebäudes zog sie 1994 nach Leimen um. Sie sehen sich als "Anlaufstelle für jeden, der echtes Interesse am christlichen Glauben hat".
Den Gottesdienst hält Pastor Sven Brenner, ein charismatischer Mann mit Bart und Brille. Er trägt ein offenes schwarzes Sakko über hellem Hemd und ein Headset. Auf den ersten Blick wirkt er eher wie ein Moderator als ein Mann Gottes – und verkörpert in gewisser Weise beides. Denn genau das ist von zentraler Bedeutung in der Pfingstler-Gemeinde: Gottesdienst bedeutet hier nicht ein streng liturgisches Programm in verstaubter, sakraler Atmosphäre durchzuexerzieren. Die Gemeinde Gottes lebt und feiert ihren Glauben.
Vor der Predigt findet eine kurze Einführung, eine Art Warm-up, statt. Stefan Ueltzhöffer, der in der Gemeinde für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, geht zu einzelnen Kindern und spricht kurz mit ihnen, stellt ihnen Fragen. Kurz darauf werden die Jüngeren in den Kindergottesdienst geführt, der in einem anderen Raum des großen Gebäudes stattfindet.
Die Predigt beginnt mit einem Witz
"Ganz, ganz herzlich willkommen", begrüßt Brenner die Gemeinde in leichtem badischen Akzent. Er duzt die Gemeindemitglieder und scherzt ab und an. Die Gottesdienstbesucher lachen laut und gelöst. Alles wirkt freundlich und familiär. "Vor Gott ist nichts peinlich oder unangemessen", hatte zuvor Ueltzhöffer gesagt. Gott achte darauf, dass wir ehrlich und offen sind, nicht ob wir uns angemessen verhalten.
Die Predigt ist Teil einer Reihe über Beziehungen. An diesem Tag dreht sich alles um das Thema "Krisen, Konflikte und Kritik – Beziehung auf dem Prüfstand". Brenner beginnt mit einem Witz: "Herbert erzählt während der Arbeit: Am Wochenende hat meine Frau von mir verlangt, dass ich sie mal zu einer richtig teuren Location ausführen soll – tja, und da hab ich sie halt zum Tanken mitgenommen." Die Leute lachen. "Super!", ruft einer aus dem Publikum. "Sowas nicht als Tipp mitnehmen, ist eher als Negativbeispiel gemeint!" Und er legt nach: "Sagt ein Mann zu seiner Frau: Wollen wir uns mal ein schönes Wochenende gönnen? Sie: Ja, super Idee! Dann sehen wir uns also erst wieder am Montagmorgen?" Wieder lautes Lachen.
Wenige Tage vor Beginn der Karnevalszeit mutet Brenners Predigt zunächst wie eine Büttenrede an. Doch die Predigt ist kein Kasperletheater, Brenner gelingt es, elegant den Bogen zum ernsten Thema zu spannen. "Letztendlich ist keine Beziehung frei von Spannungen, von Meinungsverschiedenheiten, von Konflikten – und selbst unsere Beziehung zu Gott gibt es nicht ohne Krisen", sagt Brenner. Beziehungen lebten schließlich auch vom Konflikt, der mache es erst spannend. "Es sollte natürlich keine Dauerkrise sein", mahnt er. "In einer Krise hilft es, einen klaren Kopf zu bewahren und nicht zu explodieren." Dann zitiert er aus der Bibel, 1. Mose 13,5-12: Der Zwist zwischen Abraham und seinem Bruder Lot. "Da sprach Abraham zu Lot: Lass doch nicht Zank sein zwischen mir und dir, meinen und deinen Hirten", zitiert Brenner, "denn wir sind Brüder." Woraufhin sich die beiden Brüder mit ihrem Gefolge voneinander trennen. Lot wählt die Gegend am unteren Jordan und Abraham zieht nach Kanaan. "Was mir an Abraham gefällt: Er spricht das Problem offen an!", sagt Brenner. "Nur wenn wir Konflikte anpacken, können wir etwas zum Besseren verändern." Dann wird er konkret: "Eine Ehe scheitert, wenn beide dem Konflikt ausweichen und wenn man nicht am Konflikt arbeitet." Konflikte seien auch eine Chance positiv aus der Krise herauszugehen. "Wir sind eigentlich gegen Scheidung", sagt Brenner nach dem Gottesdienst. "Aber wir wissen auch aus der Praxis, dass es manchmal nicht vermeidbar ist. Geschiedene fliegen jedenfalls nicht aus der Gemeinde!"Die Predigt dauert relativ lang, knapp 40 Minuten. Brenner spricht frei in sein Headset und gestikuliert viel. Nach der Predigt wird gemeinsam gebetet. Die Gemeindemitglieder sitzen mit geneigtem Kopf und geschlossenen Augen da. In diesen stillen Momenten des Gottesdienstes sind die Züge zu hören, die unmittelbar hinter dem Haus, von einer Schallschutzwand verborgen, vorbei fahren. Vereinzelte Gemeindemitglieder sprechen laut ein Gebet, die meisten beziehen sich auf die Predigt, bitten um Beistand in Konflikten. Es folgt ein Abschlussgebet, Lieder und die Verabschiedung. Danach gibt es Kaffee und Kuchen im hinteren Teil des Raumes.
"Es soll nicht alles hinter Geistesgaben verblassen"
"Das war ein relativ normaler Gottesdienst heute", resümiert Brenner. Er bezieht sich darauf, dass in Pfingstgemeinden gelegentlich auch eher ungewöhnliche Dinge geschehen können. Für die Gemeinde Gottes seien Geistesgaben erfahrbar. Das bedeutet, dass in manchen Gottesdiensten sogenanntes "Zungenreden" auftritt, eine der vom Apostel Paulus gegannten Geistesgaben im 1. Korintherbrief. Das Zungenreden mag für Außenstehende wie unverständliches Gebrabbel klingen, welches einer Auslegung durch andere oder denjenigen selbst bedarf, um es verständlich zu machen. "Der Heilige Geist erfüllt uns für den Missionsauftrag und befähigt uns seine Botschaft in die Welt zu tragen", erklärt Brenner. "Das kann man bei uns zwar erleben, kommt aber nicht so oft vor", fügt Ueltzhöffer hinzu. "Es könnte durchaus häufiger passieren." Wie stark das wahrnehmbar sei, hänge auch von der jeweiligen Gemeinde ab. "Wir sind eher eine sachliche und ruhige Gemeinde", erklärt Brenner. "Es soll nicht alles hinter den Geistesgaben verblassen."
Charakteristisch für viele Pfingstgemeinden sind auch die Heilungsgebete. "Das findet bei uns ganz individuell statt, wir veranstalten keine speziellen Heilungsgottesdienste", sagt Brenner. Das Beten für Kranke sei eher allgemein in den Gottesdiensten oder beim wöchentlichen Frühgebet mit eingebunden.
"Ganz offensichtlich herrscht bei uns im Gottesdienst eine relative Spontaneität und Lebendigkeit, die viele als warm und emotional wahrnehmen", erklärt Brenner. Das sei jedoch nur ihre ganz persönliche Form zu feiern. "Wir sehen alle Gläubigen als Brüder, egal wie sie ihren Glauben ausüben: ob still, ob laut – das ist nur eine äußere Form und hat auch viel mit Gewohnheit und Persönlichkeit zu tun."