Trotz der gelungenen Guttenberg-Persiflage "Der Minister" ist die Politkomödie ein Genre, von dem das deutsche Fernsehen lieber die Finger lässt. Daran wird auch "Die Eisläuferin" nichts ändern, zumal der Film beweist, wie schwierig solche Stoffe sind. Anders als die Sat.1-Romanze "Die Staatsaffäre" mit Veronica Ferres als verliebte Bundeskanzlerin möchte der Film mehr als bloß harmlose Unterhaltung zu sein; dafür aber ist die Umsetzung bei weitem nicht satirisch genug. Das liegt sicher auch an der Vorlage: Katharina Münks Roman ist in erster Linie heiterer Zeitvertreib. Das hätte die von Markus Imboden inszenierte Geschichte (Drehbuch: Martin Rauhaus) auch sein können, aber dafür ist das Tempo viel zu staatstragend, zumal schon die gedeckten Farben von Kostüm und Ausstattung sowie das Licht eher ein Drama signalisieren.
Dabei bringt die Handlung alle Voraussetzungen mit, um der Berliner Republik einen Spiegel vorzuhalten: Als die Kanzlerin (Iris Berben) gemeinsam mit dem Gatten (Ulrich Noethen) beim Urlaub ihren Leibwächtern entwischt, widerfährt ihr ein Missgeschick. Bei dem Unfall erleidet sie eine seltene Form von Amnesie: Ihr Gedächtnis spielt ihr einen Streich und gaukelt ihr vor, sie lebe wieder im Jahr 1989; und das jeden Morgen aufs Neue. Der Kanzleramtsminister (Thomas Thieme) will den Vorfall um jeden Preis vertuschen, schließlich steht und fällt die Popularität der Partei mit der Beliebtheit ihrer Vorsitzenden. Aus seiner Sicht hat die Amnesie sogar den Vorteil, dass die Chefin seinen Einflüsterungen folgen muss; schließlich besteht auch der Rest des Kabinetts aus rückgratlosen Ja-Sagern. Aber die Kanzlerin entsinnt sich ihrer einstigen Ideale und sorgt für einige Turbulenzen, indem sie den Menschen die Verdoppelung der Hartz-IV-Bezüge verspricht oder bei Wirtschaftsverhandlungen mit dem russischen Staatschef auf Einhaltung der Menschenrechte pocht.
Jeden morgen steht die Mauer wieder
Die Geschichte ist eine muntere Mischung aus Amnesie-Vorbildern wie "Und täglich grüßt das Murmeltier", "50 erste Dates" und "Memento". Anders als der Held aus dem "Murmeltier"-Film lebt die Kanzlerin nicht in einer Zeitschleife, sondern fängt jedes Mal nach dem Aufwachen wieder bei Null an; ihr erster Satz ist daher regelmäßig "Die Mauer muss weg", ihr zweiter die Frage, warum der Gatte so alt aussehe. Ansonsten ist der Tonfall des Films überraschend ernst, weshalb einige kleine komische Einlagen Noethens fast aus dem Rahmen fallen. Gleiches gilt für Iris Berbens Verkörperung der Hauptfigur. Die Kanzlerin heißt zwar Katharina Wendt, aber schon der Roman lässt keinen Zweifel daran, wen Autorin Münck vor Augen hatte. Damit das auch der letzte Zuschauer versteht, muss Berben mit ihren Händen ständig die "Merkel-Raute" bilden, sogar im Schlaf, was aber nicht komisch, sondern bloß aufgesetzt aussieht. Da sie abgesehen von den typischen Blazern ansonsten darauf verzichtet, das Vorbild zu imitieren, klingt der Spitzname "Mutti" ziemlich deplatziert; Iris Berben wirkt nun wirklich nicht wie eine Mutti. Der Einsatz für die Unterdrückten ist dagegen umso glaubwürdiger, zumal er sich ja auch mit dem sozialen Engagement der Schauspielerin deckt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Ähnlich disparat ist Imbodens Umsetzung. In seinen Krimis nach Drehbüchern von Holger Karsten Schmidt ("Mörder auf Amrum") zeigt der Schweizer Regisseur regelmäßig, dass er bissige und boshafte Stoffe subtil und beiläufig inszenieren kann. Hier aber muss gerade Thieme, seiner imposanten physischen Erscheinung zum Trotz eigentlich ein Meister der Zwischentöne, permanent poltern. Umso wohltuender ist die Zurückhaltung, mit der Ulrich Noethen seine Rolle als Mann hinter der Staatsfrau spielt. Tatsächlich repräsentiert er sogar den berührenden Teil der Geschichte, weil er die Amnesie seiner Gattin als Chance für einen Neuanfang sieht: nicht für ihre politische Karriere, sondern für die gemeinsame Ehe. Der Titel des Films bezieht sich auf die Figur in einer Schneekugel, die er ihr schenkt: eine Eisläuferin, die einsam ihre Kreise zieht. Die Mauer, von der seine Frau jeden Morgen spricht, bezieht sich aus seiner Sicht auf alles, was das Paar im Lauf der Jahre entfremdet hat. Auch auf dieser Ebene fehlt dem Film jedoch viel zu viel von jener Leichtigkeit, mit der Hollywood so einen Stoff erzählt hätte.