Neue Predigttexte: Auch Davids Harfe ist dabei

Foto: akg-images / Rabatti - Domingie
"David besänftigt den Zorn Sauls beim Harfespiel", Ölgemälde von Silvestro Lega (1826-1895)
Neue Predigttexte: Auch Davids Harfe ist dabei
Nach 40 Jahren werden die Predigt- und Lesetexte für die evangelischen Sonntagsgottesdienste verändert. Die so genannte Perikopenrevision soll zum Kirchenjahr 2018/19 eingeführt werden und startet am 1. Advent 2014 in einen Testlauf.

Über welchen Bibeltext sonntags im Gottesdienst gepredigt wird, hängt weder vom Zufall noch vom Geschmack der Predigenden ab. Pfarrerinnen und Pfarrer schauen meistens in die Perikopenordnung (von griechisch perikop? = Abschnitt), das ist eine Tabelle mit sechs Predigttexten für sechs Jahre, dazu Lesungstexte, Wochensprüche, Psalmen und Lieder für jeden Sonn- und Feiertag. Das Praktische daran: Die Texte für einen Gottesdienst sind inhaltlich aufeinander abgestimmt, so dass man nicht erst umständlich etwas Passendes suchen muss.

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Die Tabelle, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat und zuletzt 1978 revidiert wurde, soll nun ein weiteres Mal verändert werden – aber nur leicht. 82 Prozent der Bibeltexte bleiben in der neuen Perikopenordnung erhalten. Was geändert werden soll, wurde in einer breit angelegten empirischen Studie bei den Gemeinden erfragt. "Ein Kritikpunkt war, dass unsere Predigttextreihen sehr einförmig waren", erklärt Oberkirchenätin Christine Jahn vom Liturgie-Referat der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD), die die Revision geschäftsführend geleitet hat. "Wir haben – ein bisschen vergröbert gesagt – ein Jahr lang Evangelientexte gepredigt, das nächste Jahr Episteltexte, also immer eine Textgattung. Den Wunsch nach einer Mischung, nach einer stärkeren Abwechslung für die Predigerinnen und Prediger haben wir aufgenommen."

Die großen Erzählungen aus dem Alten Testament

Ein ganz starker Kritikpunkt war außerdem, "dass das Alte Testament unterrepräsentiert war in der bisherigen Ordnung", berichtet Jahn, weniger als ein Fünftel der Predigttexte stammten bisher aus dem älteren Teil der Bibel, "das entspricht nicht mehr dem, wie man das Alte Testament heutzutage gewichtet und schätzt." In den Bibelwissenschaften ist man in den vergangenen Jahrzehnten mehr auf die Wechselbeziehungen zwischen Altem und Neuem Testament aufmerksam geworden: Es wäre zu einfach, das Alte Testament dem Judentum und das Neue Testament dem Christentum zuzuordnen oder zu behaupten, neutestamentliche Texte enthielten die "Erfüllung" der alttestamentlichen "Verheißung". Sondern beide Teile gehören zusammen und Christen können aus der ganzen Bibel lernen. Die Zahl der Predigttexte aus dem Alten Testament wird deswegen in der neuen Perikopenordnung auf ein Drittel erhöht.

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Den Theologen und Gottesdienst-Experten, die sich im Frühjahr 2010 zu einer Bestandsaufnahme und in Wuppertal trafen, fiel außerdem auf, dass zentrale und eigentlich bekannte Texte in der alten Perikopenordnung fehlten. "Große Erzählungen, von denen jeder dachte, das gehört doch selbstverständlich zu unseren sonntäglichen Lesungen und Predigttexten, waren gar nicht enthalten, wie zum Beispiel der Harfe spielende David vor Saul, Jesus in Gethsemane, der Kampf Jakobs am Jabbok oder die Jona-Geschichte", berichtet Christine Jahn. "Ich glaube, da hat sich etwas verschoben in den letzten Jahren. Wir können nicht mehr damit rechnen, dass diese großen Geschichten anderweitig tradiert werden", zum Beispiel in den Familien oder im Kindergottesdienst. "Bislang konnten wir uns darauf verlassen, dass sie jedes Kind kennen lernt - lernt es aber nicht mehr", stellt Christine Jahn fest. Die Revision der Predigt- und Lesetexte stehe deswegen auch "in dem Gesamtprozess, dass wir uns innerkirchlich bemühen müssen, diese Kernbestände unserer Tradition zu definieren und zu bewahren".

Neue alttestamentliche Geschichten in der Perikopenordnung sind nun tatsächlich die Geschichte vom Harfe spielenden David zum Sonntag Kantate, die Geschichte der Trennung von Abram und Lot, Hagar und Ismael, Samuels Berufung oder Elisas Totenerweckung sowie Teile der Geschichten von Jona und Ruth. Auch über Psalmtexte soll in Zukunft ab und zu gepredigt werden (Psalm 24, 46, 51, 85, 90,113 und 126), was bisher gar nicht vorgesehen war, und gleich zwei Mal kommt mit dem Hohelied (2,8-13 und 8, 6b-7) Liebeslyrik in der neuen Predigt-Tabelle vor. Ein weiterer Wunsch war, dass öfter über biblische Frauengeschichten gepredigt werden soll. So tauchen jetzt zum Beispiel die beiden hebräischen Hebammen in Ägypten in der neuen Perikopenordnung auf. Einige Texte werden dagegen herausgenommen, und zwar solche, die nach heutigem Stand der Erkenntnis antijudaistisch interpretiert werden können, wie zum Beispiel das Gleichnis von den "bösen Weingärtnern"

"Das braucht wirklich den Praxistest"

In dem jetzt beginnenden Kirchenjahr (1. Advent 2014 bis Ewigkeitssonntag 2015) werden etliche Gemeinden die neue Perikopenordnung testen. Dabei bekommen sie die Predigt- und Lesetexte an manchen Sonntagen schon in der zukünftigen Luther-Übersetzung vorgelegt, damit sie sie gleich mit ausprobieren können. Denn die Durchsicht der Lutherbibel von 1984 läuft parallel zur Perikopenrevision und soll 2017 abgeschlossen sein. Das heißt: Wenn die neue Text-Tabelle 2018 in Kraft tritt, liegt ihr "Luther 2017" zugrunde.

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Per Fragebogen geben die Gemeinden ihrer jeweiligen Landeskirche Rückmeldung, wie sie mit den neuen Texten zurecht gekommen sind. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern zum Beispiel hat dazu ihr Gebiet in sechs Teile aufgeteilt und jedem Gebiet eine Jahresreihe zugewiesen, so dass dort sämtliche Gemeinden an dem Test beteiligt sind und tatsächlich alle Predigttexte der neuen Tabelle durchprobiert werden. Andere Landeskirchen weisen einzelnen Kirchenkreisen, Dekanaten oder Gemeinden Sonntage und Texte zu.

"Ich glaube, dass die Gemeinden sich erfreuen werden an manchem neuen Text", ist Christine Jahn überzeugt. Ein wenig unsicher ist sie, ob die neue Mischung der Texte sich bewährt, der Wechsel von Evangelium/Epistel/Altes Testament von Sonntag zu Sonntag. "Ich glaube, dass das positiv ankommt und die Predigerinnen und Prediger belebt", sagt Jahn, "aber wie ist das in Gemeinden, die mehrere Predigtstationen haben, die jeweils vielleicht einmal im Monat drankommen? Haben die dann auch wirklich die ganze Breite der biblischen Textkorpora? Wie ist das, wenn mehrere Kollegen an einem Ort sind - mischt sich das auch gut durch, wenn der Predigtplan wechselt?" Sie hofft es. "Man kann am grünen Tisch nicht alle Eventualitäten durchbuchstabieren, das braucht wirklich den Praxistest."