Warum lassen Eltern ihre Kinder taufen? Was verbinden sie mit der Taufe?
Regina Sommer: Schutz und Segen wünschen sich die meisten Eltern bei der Taufe für ihr Kind. In den Gesprächen mit Taufeltern, die ich für meine Habilitationsschrift ausgewertet habe, brachte es ein Taufvater auf den Punkt: "Das Leben ist verletzlich". Bei der Geburt des Kindes merken Eltern, wie kostbar Leben ist und dass sie selbst nicht darüber verfügen können. Der Erfahrung, dass sie als Eltern das Leben ihres Kindes nicht in der Hand haben, entspricht der Wunsch, ihr Kind Gottes Segen und Schutz anzuvertrauen.
Dies entspricht auch der theologischen Deutung der Taufe, dass der Täufling dem Herrschaftsbereich Gottes unterstellt wird. Außerdem bedeutet Taufe für viele Eltern auch ein Stück Entlastung. Die Paten machen für die Eltern deutlich: Auch Menschen aus der Verwandtschaft oder dem Freundeskreis sind bereit, Verantwortung für das Kind zu übernehmen. Das entlastet die Eltern.
Welche Eltern bringen ihre Kinder zur Taufe? Was machen Familien, wenn nur ein Elternteil Mitglied der Kirche ist?
Sommer: Kindertaufe bedeutet, dass Eltern für ihre Kinder entscheiden. Im Interview sagte eine Mutter: es sei leichter, aus etwas hinauszugehen, als etwas neu zu betreten. Eine Kindertaufe gibt daher dem Kind die Möglichkeit, von innen die Kirche und den Glauben kennenzulernen und sich dann später selbst zu entscheiden. Auch wenn ein Elternteil selbst nicht in der Kirche ist, sehen die Eltern es nicht als widersprüchlich an, dem Kind durch die Taufe es zu ermöglichen, die Kirche von innen zu erfahren. In Ostdeutschland kommt es auch vor, dass ungetaufte Eltern ihre Kinder zur Taufe anmelden. Die Kindertaufe ist dabei für sie auch ein Versuch der Annäherung an die Kirche. Durch das Erleben der Taufe erschließen sich ihnen neue Zusammenhänge. Beispielsweise hat sich ein Elternpaar bei der Taufe ihres zweiten Kindes dann selbst taufen lassen.
Tauffeiern müssen verschiedene Gefühle ansprechen
Decken sich das Taufverständnis der Eltern mit dem der Pfarrerinnen oder Pfarrer, die die Kinder taufen?
Sommer: Es gibt eine gewisse Spannung zwischen dem intuitiven Taufverständnis der Eltern und der theologischen Deutung der Taufe durch Pfarrerinnen und Pfarrer. Aber es gibt auch Anknüpfungspunkte. Die Erfahrung, dass Leben verletzlich ist, dass Schwangerschaft und Geburt nicht nur zum Leben, sondern auch in den Tod führen können, machen Tod und Leben selbst zum Thema der Taufe. Dies deckt sich mit der Tauftheologie des Paulus im Römerbrief, der bei der Taufe Tod und Heil bzw. Leben zusammen denkt. Für Paulus ist die Taufe eben keine Schutzimpfung, die vor allen dunklen Seiten des Lebens automatisch bewahrt. Dass dies so ist, wissen auch die Eltern. Statt negative Emotionen zu verdrängen, können Eltern daher ermutigt werden, diese zuzulassen. Ein Kleinkind zu betreuen kann nämlich zu Überforderung und zu Aggressionen führen. Wenn in der Taufe auch diese dunklen Seiten des Lebens angesprochen werden, stärkt dies die Eltern.
Welche Folgerungen lassen sich für die Taufpraxis in den Gemeinden daraus ziehen?
Sommer: In unseren Gemeinden haben wir die verschiedenen Lebensformen häufig nicht im Blick. Nur ein Viertel der Alleinerziehenden, die zur evangelischen Kirche gehören, lassen ihr Kind taufen – dies ist viel niedriger als bei klassischen Familien. Wie wir Taufe feiern, müssen wir gezielt auf die verschiedenen Familiensituationen zuschneiden. Auch wenn der Gemeindegottesdienst der Ort ist, wo theologisch die Taufe hingehört – denn der Täufling wird in die Gemeinde aufgenommen – so sind andere Formen des Taufgottesdienstes dennoch sinnvoll: z.B. ein Tauffest mit vielen Täuflingen oder die Taufe im Familien- oder Freundeskreis am Samstagnachmittag. Hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Für mich stellt sich die Frage, wie wir in der Kirche die Tauffeier so gestalten, dass auch Patchwork-Familien oder Elternpaare, die nicht der Norm entsprechen, sich in der Art der Gestaltung wiederfinden können.
Wie kann auf die Bedürfnisse der Eltern in den Taufgottesdiensten besser eingegangen werden?
Sommer: Das eine ist die Art der Gestaltung – was aber inhaltlich wichtig ist: Der Taufgottesdienst ist kein reiner Segnungsgottesdienst – sondern die Ambivalenzen des Lebens müssen auch ins Taufritual einbezogen werden. Wir können uns durchaus der überkommenen Taufliturgie anvertrauen, die neben dem Heilsversprechen auch die Gefährdung des Lebens durch den Tod anspricht. So wird der Taufgottesdienst auch ein Ort, an dem Ängste und Befürchtungen einen Platz haben. Diese im geschützten Ort zuzulassen, entlastet den Umgang mit Ängsten und Aggressionen im Alltag.
Wie verstehen Patinnen und Paten ihre Rolle heute?
Sommer: Beim Patenamt sehe ich eine Diskrepanz, wie Eltern es verstehen und wie es theologisch zu interpretieren ist. In der Liturgie nehmen die Paten die Aufgabe von Taufzeugen wahr und versprechen, bei der christlichen Erziehung mitzuwirken. Eltern haben oft eine hohe Erwartung an das Patenamt und sind sehr sorgfältig bei der Auswahl der Paten. Sie sehen in Paten oft Elternersatz im Falle des eigenen Todes oder Wegbegleiter für das Kind. Die kirchliche Bindung der Paten ist dagegen für die Eltern zweitrangig. Daraus ergeben sich manchmal Probleme, wenn Menschen des Vertrauens das Patenamt nicht wahrnehmen können, da sie keiner Kirche angehören. Hier im Gespräch mit den Eltern zu einer guten Lösung zu kommen, sehe ich als eine wichtige Herausforderung an.
Kindertaufe und Erwachsenentaufe sind Normalität
Die Zahl der Säuglingstaufen sinkt, die Zahl der Taufen älterer Kinder und von Erwachsenen steigt. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?
Sommer: Dies lässt sich nicht so pauschal sagen, außerdem gibt es bei der Taufe regionale Unterschiede. Die Kindertaufe ist gängige Taufpraxis, allerdings hat sich in den letzten Jahren der Zeitpunkt der Taufe etwas verschoben. Häufig erfolgt die Taufe nun in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres – und nicht mehr als Säugling. Außerdem werden Kinder in allen Altersstufen getauft, Kindergartenkinder und auch Schulkinder. Außerdem sind Erwachsenentaufen – dies gilt besonders für Ostdeutschland - Normalität. Für ungetaufte Kinder ist der Konfirmationsunterricht das Taufkatechumenat, für Erwachsene müssen wir dies noch entwickeln. Dies stellt eine Herausforderung dar.
Überhaupt, die Pluralisierung unserer Möglichkeiten, zu leben und zu glauben, hat dazu geführt, dass die Taufe keine reine gesellschaftliche Konvention mehr ist, sondern dass sich die Eltern dafür entscheiden können und müssen. Das heißt für Gemeinden, aktiv zur Taufe einzuladen. Dafür gibt es auch in verschiedenen Kirchenkreisen sehr interessante Aktionen, z.B. kann Eltern bei der Entlassung aus dem Krankenhaus ein "Taufpaket" überreicht werden, dass Informationen zur Taufe enthält. Auch müssen die Gemeinden ganz verschiedene Angebote machen, von der Säuglings- bis zur Erwachsenentaufe. Ganz wichtig dabei ist, dass sich die Gemeinden dabei für alle sozialen Milieus öffnen. Großzügig zu sein, schadet dabei der Kirche nicht.
Sie haben für Ihre Arbeit viele Taufeltern interviewt. Gab es dabei auch ein Aha-Erlebnis, mit dem Sie nicht gerechnet hätten?
Sommer: Ich habe versucht, aus den Interviews Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten – aber jeder Einzelfall ist anders. Besonders berührt hat mich dabei eine alleinerziehende Mutter, die von Hartz IV lebt. Sie wollte ihr Kind taufen lassen, damit es später ein würdiges Begräbnis erhält. Über diese Begründung habe ich mich erst gewundert, aber was diese Mutter meinte: Mit der Taufe wird das Kind Mitglied einer Gemeinschaft, die es als vollwertiges Glied annimmt – und zwar vom Lebensanfang bis zum Lebensende, denn Gott grenzt niemand aus, auch keinen Hartz-IV-Empfänger. Dies hat diese Mutter gespürt und deshalb war die Taufe für sie so wichtig.
Dr. Regina Sommer ist Privatdozentin für Praktische Theologie am Fachbereich Ev. Theologie in Marburg und Ausbildungsreferentin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Vor dieser Tätigkeit hat sie als Gemeindepfarrerin die Taufpraxis sieben Jahre lang intensiv kennengelernt und mitgestaltet. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.