Zeitlose Kirche

Zeitlose Kirche
Foto: epd/Thomas Morell
In Hamburg hat eine Kirche ihren Zeiger verloren.

Es war einmal, vor langer langer Zeit, als das Smartphone und selbst die Armbanduhr noch nicht erfunden waren und die Männer in harter Arbeit auf dem Felde schufteten, während die Frauen liebevoll zu Hause das Essen bereiteten. In dieser märchenhaft-verschwommenen Phase der Menschhheitsgeschichte, also known as „gute alte Zeit“ (aus der Hungersnöte, Pest, Cholera und Kindersterblichkeit gerne ausgeblendet werden) geschah es, dass die Dorfgemeinschaft trotzdem irgendwie gemeinsame Zeiten benötigte. War ja echt blöd, wenn die Klöße schon verkocht waren, wenn die Männer irgendwann hungrig vom Feld heimkamen. (Also, jetzt dann wieder nicht so arg früh in der Menschheitsgeschichte, sondern erst nachdem sowohl Kartoffeln als auch Klöße erfunden waren.)

So kam es, dass die Türme an den zentralen Gebäuden des Dorfes – den Kirchen – hoch gebaut und mit Uhren und Glocken versehen wurden, welchselbige wohl tönend und stolz weit hinaus über die Felder erschallten. Noch in meiner Kindheit hieß das 11-Uhr-Läuten in Mittelfranken „Klößläuten“, obwohl ich noch nicht so alt bin, dass damals die Armbanduhr nicht schon erfunden gewesen wäre. Klößläuten deshalb, weil die Hausfrauen dann so langsam mit dem Klöße machen beginnen mussten, damit sie um 12 Uhr fertig waren. Oder so ähnlich.

Kirche nicht nur am Puls der Zeit – sondern selbst der Puls der Zeit. Ach, was ist davon noch übriggeblieben. Einer Hamburger Kirche – genauer gesagt: Der St. Katharinen-Kirche in der Hamburger Innenstadt – ging die Zeit in Form des Minutenzeigers heute völlig verloren. Der fiel einfach vom Glauben ab, will sagen, vom Ziffernblatt. Fiel vierzig Meter in die Tiefe und wurde vom Aufprall völlig verbogen.

Ob das nun etwas mit der Relativität der Zeit zu tun hat, auf die uns schon Einstein hinwies? Verbogene Raumzeit und so etwas. Das halten wir dann doch für relativ unwahrscheinlich.

Jedoch führte dieser Unfall – bei dem zum Glück nur die Zeit beziehungsweise deren Zeiger, aber kein Mensch zu Schaden kam – dazu, dass die Feuerwehr ausrücken musste. Schließlich hing da oben am Turm noch ein zweiter Zeiger, möglicherweise auch absturzgefährdet.

Wie es zu diesem Malheur kommen konnte, ist derzeit noch nicht wirklich geklärt. Vielleicht ging der Uhr einfach die ständige Zeitumstellung auf den Zeiger, die demnächst wieder angestanden wäre.

Jedenfalls liegt besagter Zeiger jetzt verbogen, aber sicher im Inneren der nun ziemlich zeitlosen Kirche.

Google Adsense denkt übrigens schon weiter und blendet uns Anzeigen von Gerüstbauern ein. Ja, das könnte jetzt anstehen. Hat aber noch ein bisschen Zeit.

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