Vor einigen Wochen war ich zu einem Kurs in meiner ehemaligen Heimat: Neuendettelsau, mein Geburtsort, nahe bei Windsbach, wo ich aufgewachsen bin. Musikalisch gebildete Menschen werden bei diesem Namen ins Schwärmen kommen, denn sie wissen möglicherweise von der Existenz des „weltberühmten Chors, den keiner kennt“: Dem Windsbacher Knabenchor. Ein Weltklasse-Chor, gegründet nach dem Krieg, der jetzt erst vor kurzem seinen dritten (!) Dirigenten bekam. Von Neuendettelsau aus fuhren wir zur fast jeden Donnerstag stattfindenden Chorandacht hinüber nach Windsbach, ins Chorzentrum, das ich vermutlich vor ziemlich genau 25 Jahren das letzte Mal betreten hatte, um in exakt diesem Saal mein Abiturzeugnis überreicht zu bekommen.
####LINKS####Dann begann der Chor – mit einer meiner Lieblings-Psalmvertonungen von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Ich hatte schon fast vergessen, welche Klarheit, welche Perfektion diese Stimmen haben können. Musik, fast von einer anderen Welt. Rhythmus? Ist zweitrangig gegenüber der Sprache, die fließen muss. Langsam und zögernd, schneller, drängender: Nicht einfach dahergesungen, sondern eine fantastische Interpretation des Bibeltextes.
Das war schon fast zu viel für mich. Doch dann: „Wir singen jetzt eine lang verschollene Psalmvertonung von Emanuel Vogt.“ DER Emanuel Vogt. Meiner, sozusagen. Der ehemalige Dekanatskantor Windsbachs. Leiter des Kirchenchores, in dem ich sang. Der, der mir diese Art, Psalmen zu singen, nahe gebracht hat. Ja, ich liebe es, Introitus zu singen. Er ist Schuld.
Dieser Psalm – ich weiß nicht mehr welcher es war – er berührte mich. Keine einfachen Harmonien, nein. Und doch klare Bewegungen, die Sprache, der Ausdruck steht im Vordergrund. Und das alles mit den klaren, perfekten Stimmen des Windsbacher Knabenchors.
Meine Gedanken gingen zurück zu meinem leider schon vor Jahren verstorbenen Mentor. Zu diesem fast glatzköpfigen, am kleinen Rest weißhaarigen und weißbärtigen Mann mit diesem ganz besonderen Charisma, wie ich es nur ganz selten bei einem Menschen erlebt habe. Er lebte ein wenig außerhalb Windsbachs, in einem wunderschönen Häuschen an der kleinen Gottesruhkapelle, die einst ein Kreuzritter gestiftet hatte. Ich erinnerte mich, wie er, in einem weißen Gewand, im winzigen Chorraum stand und am Glockenseil zog. Wie er in der Osternacht voller Ruhe und Konzentration die Osterkerze in die ungeheizte, unbeleuchtete Gottesruhkapelle trug und dazu sang: „Christus, Licht der Welt!“ Wie er für mich kleine meditative Stücke schrieb für Querflöte und Orgel, die mir heute noch im Ohr klingen. Seine schwungvolle, leicht schnörkelige Schrift. Sein völliges Eintauchen in die Musik, wenn wir gemeinsam spielten.
Seine Psalmvertonungen jedenfalls wurden auch vom Windsbacher Knabenchor schon immer aufgenommen und gesungen, genau wie die seines Nachfolgers Helmut Duffe. Als „Windsbacher Psalmen“ auch auf CD erhältlich, die ich wirklich sehr empfehlen kann.
Dankbar denke ich zurück an diesen großen und doch so bescheidenen Komponisten. Egal, mit wem ich spreche: Wer ihn kannte, spricht in großer Hochachtung von ihm. Sein wohl bedeutendstes Werk ist Ausdruck seiner Bescheidenheit. Es heißt nämlich „Orgelbüchlein für Landorganisten“ und ist genau das, was „kleine“ Organisten eben brauchen: Schöne, wohlklingende und doch einfach zu spielende Vorspiele, Nachspiele, Meditationen. Nicht die großen, hochtrabenden Sachen, sondern schöne Musik, sozusagen für den gottesdienstlichen Alltag.
Völlig um mich geschehen war es an jenem Abend, als der Leiter der Andacht dann noch meinte: „Unsere Gedanken gehen heute zur Gottesruhkapelle, wo die Witwe von Emanuel Vogt heute ihren 85. Geburtstag feiert.“
Ich habe nur ein einziges Foto von ihm im Internet gefunden, doch das zeigt ihn genau so, wie ich ihn Erinnerung habe. Auch seine Selbstdarstellung auf dieser Seite ist so bescheiden, wie ich es von ihm gewohnt bin.
Danke, lieber Emanuel Vogt. Danke für die Musik, die Inspiration, die Liebe zum Psalmensingen.