Manchmal stelle ich mir vor, dass Außerirdische – für uns unsichtbar – irgendwo um unsere Erde herumfliegen und uns beobachten. Was die wohl von uns halten würden? Ich glaube, wenn sie uns bei so manchen Tätigkeiten beobachten könnten: Sie würden den Kopf – oder welchen Körperteil auch immer sie stattdessen haben – schütteln und wieder davonfliegen. Vielleicht waren sie auch schon da und es ist genaus so geschehen? Das zweitverrückteste nach der Kirchweih in meinem Wohnort ist zweifellos diese Tradition, mitten im Winter grüne Gewächse aus dem Wald zu holen und sie an Sammelplätzen in den Städten zu lagern. Was da für ein Aufwand getrieben wird! Lastwagenweise werden sie angekarrt. Es muss wirklich etwas absolut Lebenswichtiges sein. Kaum eine Familie, die niemanden zu diesen Sammelplätzen entsendet, um so ein Gewächs abzuholen. Manchmal kommt auch die ganze Familie mit und um die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Exemplar dieser Gewächse entbrennt ein heftiger Streit. Ja, es scheint etwas sehr, sehr Wichtiges zu sein. Vermutlich können diese Menschen, wie sie sich nennen, ohne ein solches Gewächs nicht überleben – warum manche trotzdem ohne auskommen, muss unbedingt wissenschaftlich untersucht werden; vermutlich eine genetische Abweichung.
Und dann, wie auf eine geheime Absprache, werden diese Gewächse überall in den Versammlungsräumen der Wohnungen aufgestellt. Sie werden mit Beleuchtung versehen, die aber nicht sonderlich effektiv ist, da sie den Baum nur ein klein wenig erhellt. Dazu kommen glänzende Kugeln und glitzernde Spaghetti (als solche hat der Spezialist für menschliche Ernährung das Lametta identifiziert) sowie diverse andere Dinge, die keinem erkennbaren Zweck dienen.
Doch nach wenigen Tagen schon scheinen diese Menschen der Gewächse überdrüssig zu werden. Selbst in den Unterhaltungsmedien werden die Menschen dann immer wieder dazu aufgefordert, ihre Gewächse in hohem Bogen aus dem Fenster zu werfen. Dabei fällt immer wieder das Wort „Knut“. Vermutlich heißt das Gewächs so. Knut. An der Entschlüsselung der Botschaft „wohnst du noch oder lebst du schon“ arbeiten die Wissenschaftler noch.
Seltsam, diese Menschen. Einfach zu fremd in ihren Verhaltensmustern. Nicht nachvollziehbar, was die da treiben. So denken sich die Außerirdischen. Und fliegen kopf- oder was-auch-immer-schüttelnd wieder ab. Kein Wunder, dass wir noch nie Aliens gesehen haben: Knut ist schuld.
Doch während die Fremden in ihren Ufos wieder nach Hause fliegen, entbrennt spätestens ab dem 6. Januar unter den Menschen die übliche Diskussion, wie lange so ein Baum denn in unseren Wohnzimmer stehen soll. Als Kinder haben wir es sehr genossen, dass unser Baum so lange stehen blieb wie irgend möglich – und da unsere Eltern ihn immer erst am 23. oder gar am 24.12. frisch aus dem Wald holten, konnte das durchaus Mitte Februar werden, bis er wirklich anfing, richtig heftig zu nadeln. Andere Bäume dagegen fangen schon am Heiligen Abend an, ihre grüne Nadelpracht rings um sich her zu verteilen. Schmeißt man sie aus dem Fenster, kommen die restlichen Nadeln unten einzeln an.
Dann gibt es unter den Weihnachtsbaum-Rausschmeißern noch die Dogmatiker. Die sagen: Die Weihnachtszeit dauert bis zum 2. Februar, das ist Mariä Lichtmess. So lang hat der Baum stehen zu bleiben. Völlig egal, ob er noch Nadeln hat oder nicht. Ich kannte einen Pfarrer, der wirklich darauf bestand, dass der Baum in der Kirche so lange stehen blieb. Er war's ja nicht, der nach dem Baum-Abstransport die Nadeln aus der ganzen Kirche entfernen durfte...
Doch meistens wird die Sache mit dem Baum wohl so pragmatisch geregelt wie in unserer Familie: Da wir den Baum weder verschüren noch irgendwie shreddern können, wird er am Vorabend des gemeindlichen Abholtermins ratzfatz abgeleert und vor die Tür gestellt. Da holen ihn in unserem Fall die Gemeindearbeiter dann ab. Bis zum nächsten Jahr, wenn wir uns wieder auf den Weg machen zu den Grüngewächs-Sammelstellen. Die armen Außerirdischen. Die müssen echt denken, wir haben einen Knall. Dabei ist es doch nur Knut.