Was machen eigentlich ... die Zeitschriften?

Was machen eigentlich ... die Zeitschriften?
Sie werden immer noch mehr, einerseits. Gerade erschien mit Gruner+Jahrs und Joko Winterscheidts "JWD" ein weiteres gedrucktes Fernsehprominenten-Magazin.

"Was macht eigentlich ...?" heißt die vielleicht bekannteste "Stern"-Rubrik. Es gibt sie immer noch, davon habe ich mich im Zeitschriftenhandel überzeugt. Am Ende der aktuellen Ausgabe wird die ehemalige Pornodarstellerin Traci Lords interviewt. Heute war ich erstmals seit langem wieder frühmorgens am Kiosk, weil gerade eine ganz neue Zeitschrift erschien: "JWD". Die Abkürzung kann dem Verlag Gruner + Jahr (G+J) zufolge für "Joko Winterscheidts Druckerzeugnis" oder für "Janz weit draußen" stehen.

Und dass das Magazin keinen Trend-Anglizismus als Titel trägt, ist schon mal sympathisch. "Cosy" etwa heißt die nun nur noch zweitneueste deutsche Zeitschrift. Sie kam vor anderthalb Wochen heraus, richtet sich an "einrichtungsbegeisterte Leser ab 25 Jahren" und soll zweimonatlich neu erscheinen. "JWD" soll zehnmal im Jahr erscheinen. Und richtet sich an wen?

"Für die erste Ausgabe sangen die Autoren Nackt-Karaoke in Paris, wohnten in einer nachgebauten Marsstation im Oman und lebten bei kiffenden Nonnen in Kalifornien. Zum #teamjoko gehört, wer sich von diesen Geschichten angesprochen fühlt",

informiert G+J. Was Zeitschriften also machen: Einerseits werden sie, was unterschiedliche Titel angeht, immer noch mehr. 1.607 Publikumszeitschriften gebe es in Deutschland, informiert der Zeitschriftenverlegerverband VDZ (der seine Folien online mit attraktivem Blättergeräusch präsentiert). 1,7 Milliarden Stück solcher Publikumszeitschriften seien 2017 verkauft worden. Das bedeutet allerdings, dass andererseits die gedruckte und verkaufte Auflage weiter sinkt. In der "Printanalysen"-Rubrik von dwdl.de finden sich nahezu ausschließlich schlechte Nachrichten.

Das Paradoxon, das alle Medien trifft

Zeitschriften bilden das Paradoxon, das alle Mediengattungen betrifft, besonders gut ab: Die Vielfalt des Angebots steigt, was man auch Fragementierung nennen könnte. Die Aufmerksamkeit für einzelne Angebote sinkt dagegen, notwendigerweise bei immer mehr Konkurrenz, und bei Gedrucktem, das auch noch Geld kostet, erst recht.

Das wichtigste Gegenmittel, das deutsche Verlage anwenden, lautet also: weitere Titel herauszubringen, die seltener erscheinen und mit zeitloseren Inhalten – für Aktualität sind in absteigender Folge ja Internet, Radio, Fernsehen und Tageszeitungen zuständig – in den Regalen umso länger auf Käufer warten können. Wobei dennoch auch immer wieder Zeitschriften eingestellt werden, bloß ohne großes Aufsehen. Gerade traf es die deutsche "Wired" in ihrer gedruckten Form, die bislang dreimonatlich erschien, und die G+J-Zeitschrift "Wunderwelt Wissen". Davon erfährt allerdings nur, wer nach der jüngsten Ausgabe ("Geheimakte Jesus/ "Was Bibel und Kirche und über den Begründer des Christentums verschweigen") den Wunsch verspüren sollte, sich "auch zukünftigen Lesespaß sichern", das heißt, das an Bauers "Welt der Wunder" orientierte Heft abonnieren zu wollen ...

Ein anderes, offenkundig erfolgreiches Gegenmittel deutscher Verlage gegen den Zeitschriften-Bedeutungsverlust besteht darin, omnipräsenten Fernsehprominenten Gedrucktes auf den Leib zu schneidern. Allein bei G+J ist ProSieben-Star Winterscheidt bereits das dritte Beispiel dafür – nach "Barbara" Schöneberger, der Moderatorin unzähliger Preisverleigungsgalas und Talkshows, und Eckart von Hirschhausen. Der ist "Arzt, Komiker, Fernsehmoderator und Buchautor. Und jetzt auch Chefreporter", wie der Verlag über die "Stern"-Extension "Gesund leben" informiert. Evangelisch ist von Hirschhausen auch, wie evangelisch.de-Leser natürlich wissen. Dass er sich rar mache, dürfte ihm niemand vorwerfen. Auf seiner aktuellen Zeitschriften-Titelseite kuschelt er sich in (und online auch unter) ein Kissen.

"Wer gibt den Che? Wer Luther?"

Jetzt aber: Wie ist denn nun die neue "JWD", die übrigens ebenfalls zur "Stern"-Familie zählt und in einem Stapel gleich nebenan ausliegt?

Hinter dem pfiffigen Titelblatt steckt ein gut gebundenes Magazin, das auf 164 Seiten im besseren Sinne für viele etwas enthält. Es gibt allerhand auf jüngere Männer zugeschnittene Reportagen in langen Textstrecken – aus Kalifornien (über die kiffenden Nonnen sowie den "lässigsten Porsche-Sammler der Welt"), aber auch von anderswo, außer über das erwähnte Nacktrestaurant in Paris etwa über Online- "Livestreamer" im Fernen Osten. Es gibt Sätze, auf denen sich herumdenken ließe ("Manchmal sind es die schlechtesten Ideen, aus denen die besten Geschichten entstehen. So arbeiten wir hier: Wir werfen Ideen in der Gegend herum, und wenn etwas dabei ist, bei dem wir denken: Da müsste man doch ... dann machen wir es einfach"), von Lesern eingesandte Witze, die teils wirklich witzig sind, und unter vielem anderen ein heiteres, aber auch metrisch stimmiges Gedicht ("Lebensgefühl Groko") von Redaktionsmitglied Ingo Neumayer. Die zweite Strophe muss hier zitiert werden:

"Die Positionen aufgeweicht

Wo Haltung war, ist Butter

Wenn jeder sich das Händchen reicht

Wer gibt den Che? Wer Luther?"

Es gibt nicht zu viele Joko-Fotos; viele Typen sehen auch nur etwas wie er aus (und umgekehrt). Viele Anzeigen, die nach alter Zeitschriften-Schule hochwertiges Umfeld symbolisieren (auf fünf der ersten 19 Seiten wird für Autos geworben), sind natürlich dabei, wie gewohnt allerhand redaktionell gestaltete Produkthinweise und Hashtag-gesättigte Eigenwerbung.

Insgesamt hat Redaktionsleiter Michalis Pantelouris, der eigentlich schon mal unter gewissem Nischen-Hallo vom Journalismus (in den Olivenöl-Handel) Abschied genommen hatte und sich außerdem bei uebermedien.de regelmäßig über einige der unzähligen kleinen Zeitschriften aus den engen Nischen und vollen Regalen zwischen "Teen Bo$$ – Dream Big & Learn Fast" und "High Life – Internationaler Lifestyle für Männer", in netter Form lustig macht, das ganz gut hingekriegt. Dachte ich schon, noch bevor ich am Ende die mutmaßliche Rubrik "Was wird eigentlich aus?" las, in der der Joko Winterscheidt "ein Interview in Futur II" über sein künftiges Leben gibt, das von der Freude an Wort- und Sprachspielereien und an längeren Sätzen zeugt, die für interessanten Textjournalismus essentiell ist.

Wäre also schön, wenn aus "JWD" was wird. Schon weil in Zeitschriften zu blättern (und auch mal etwas zu überblättern, um es vielleicht später mal zu lesen), eine Kulturtechnik ist, die Klicken und Wischen im Internet nicht vollständig ersetzen kann, und die manchmal auch einfach Spaß macht.

 

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