Die Erwartungen haben sich erfüllt: Kaum ist das NetzDG seit 1. Januar richtig in Kraft, häufen sich Proteste. So viele Meinungen, vom rasch geäußerten Tweet bis zum auch gedruckt erscheinenden Leitartikel, sind selten so schnell zu einem netz- und medienpolitischen Thema aufgelaufen wie jetzt zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz. So heißt das Gesetz, das die schnelle Löschung "offensichtlich rechtswidriger Inhalte" im Internet verlangt, mit seinem absurd umständlichen vollen Namen. Und fast alle sind dagegen.
Ob all der Protest viel bewegen wird, ist zweifelhaft. Schließlich hat die künftige Bundesregierung, wenn sie zustande kommt, erheblich größere Baustellen. Und bisherige Regierungen haben auch schon noch brisantere Probleme mit ruhiger Hand gelöst bzw. ausgesessen (je nach Perspektive).
Plausibel erscheint der Gedanke der "Zeit"-Journalistin Mariam Lau, dass die meistbetroffenen Netzwerke die Kritik mit anheizen:
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Zumindest liegt nahe, dass die Netzwerke sich der Löschpflichten und der Gefahr hoher Geldstrafen gerne wieder entledigen würden, um ihre gewaltigen Gewinne nicht zu schmälern oder (wie das defizitäre Twitter) überhaupt in die Gewinnzone kommen zu können. Facebook löscht bekanntlich mit zwei, insgesamt inzwischen wohl rund tausendköpfigen Teams in Deutschland. Twitter löscht wohl eher algorithmisch als mit teurem menschlichen Personal, vermutlich in Irland. Schließlich hatte der Satiriker Shahak Shapira im Sommer zwar unter mittelgroßem Medien-Hallo, aber vergeblich den nominell in Hamburg-Altona befindlichen deutschen Twitter-Sitz gesucht.
Vermutlich erledigt Twitter die neuen NetzDG-Pflichten auch ohne sehr tiefe Kenntnis der deutschen Sprache. Womöglich daher kann es nicht unterscheiden, ob eine Politikerin vom rechten Rand polemisch-strategisch und womöglich am Rande der Legalität von "Barbaren" twittert oder eine Satire-Redaktion parodistisch. Ehrlich gesagt, scheint mir aber auch unklar, wie sehr solche Unterscheidungen auf der Ebene von Tweets hülfen. Schließlich stammt jeder Tweet aus irgendeinem meist auf Anhieb schwer erkennbaren Kontext und kann umso leichter in beliebige andere Kontexte eingebettet werden.
Jedenfalls, bei nüchterner Betrachtung ist der echte Schaden bislang gering. Sowohl die AfD und Beatrix von Storch als auch die "Titanic" haben aufmerksamkeitsökonomisch von der Aufregung profitiert. Ihre Botschaften und Namen wurden in den Berichten über die Löschung und durch die Kommentare dazu vermutlich deutlich weiter verbreitet als sie gekommen worden wären, wären sie einfach in den Timelines hinabgerutscht.
Und dass die AfD unter Ausnutzung vieler Mechanismen der klassischen alten wie auch der neuen, sogenannten sozialen Medien eine effiziente Provokations-Strategie fährt, ist eigentlich bekannt. Bloß zieht im täglichen Rennen um die Nutzer-Aufmerksamkeit kaum jemanden Konsequenzen daraus ...
Sich auf Facebook über Twitter ärgern
Facebook hat schon in der Vergangenheit Inhalte gelöscht. Viel Aufsehen erregte die Löschung eines der bekanntesten Vietnamkriegsfotos im Auftritt einer norwegischen Zeitung. Das geschah nach obskuren Kriterien, die vermutlich mit der Nacktheit des Mädchens zu tun hatten, das auf dem Bild vor einem US-amerikanischen Napalm-Angriff flieht. Jetzt gelten in Deutschland nachvollziehbarere Kritierien. Das ist das wichtigste Argument des Justizministers Heiko Maas im Videointerview auf bild.de, unter anderem mit Springer-Haudegen Julian Reichelt (das zwar nicht leicht anzusehen ist, aber instruktiver als so manche Fernseh-Talkshow). Twitter löschte hingegen bislang selbst offenkundig volksverhetzende Inhalte oft nicht. Genau das war der Grund für Shapiras Aktion gewesen.
Wenn nun ein Gesetz deutsche Rechtslagen für global agierende Netzwerke immerhin präzisiert, kann das ein Schritt in eine richtige Richtung sein. Zumindest, sofern die Möglichkeit besteht, dagegen zu klagen. Einzelne Nutzer werden das natürlich kaum tun, die "Titanic" aber, die auf ihre Weise ja auch provokant drauf ist, bei passender Gelegenheit sicher gerne schon.
Ansonsten besteht für jeden die Möglichkeit, in jeweils anderen Netzwerken gegen Löschungen zu protestieren – etwa bei Facebook über Twitter-Sperren, so wie es die "Titanic" just tat. Wie groß die Aufmerksamkeit für irgendwo gelöschte Inhalte anderswo ist, steht spätestens im Januar 2018 fest. Idealerweise werden die Netzwerke schon aus eigenen Nutzerbindungs- und Profit-Interessen nun schnell lernen, welche Äußerungen so rechtswidrig sind, dass sie gelöscht werden müssen, und welche nicht. Die Nutzer dürften auch schnell lernen, an welchen Grenzen entlang sie das äußern können, was ihnen wichtig ist. Die AfD etwa weiß es schon längst und setzt Überschreitungen solcher Grenzen bloß manchmal strategisch ein.
Vom Gesetz betroffen sind sieben Netzwerke: neben den beiden genannten noch Google+, (Googles) Youtube, (Facebooks) Instagram, Pinterest und Soundcloud. Diese Erkenntnis verdankt sich übrigens, wie netzpolitik.org zugeben musste, einer kleinen Bundestags-Anfrage der AfD (was erneut darauf deutet, dass diese Partei digital mindest so versiert ist wie die anderen, älteren).
Wer bis hierher las, weiß es, aber ...
Vermutlich müssen sich viele Nutzer nun wieder vergegenwärtigen, dass solche Netzwerke niemals Gemeinwohl-orientierte öffentliche Infrastrukturen waren, die grundsätzlich allen Bürgern nach gleichen Regeln für alles offenstehen. Sondern dass es gewiss attraktive Angebote sind, die möglichst immer noch mehr Nutzer anziehen möchten, vor allem aber zum Zweck, möglichst viele Daten zu sammeln und zu monetarisieren. (Beziehungsweise im Falle Twitters: Das Monetarisieren zu versuchen.)
Jenseits der Netzwerke gibt es daneben außerdem das wirklich freie Internet. Das ist dort, wo alle Blogs, Portale und beliebige Webseiten betreiben können, zwar längst schon selbst dafür verantwortlich sind, nichts Rechtswidriges zu verbreiten – aber auch alleine löschbefugt.
Was in den beiden vorigen Absätzen steht, sind natürlich Binsen. Alle, die bis hierher gelesen haben, wissen es. Bloß ist dieses Wissen im Zuge der Fixierung auf Facebook und Co oft verloren gegangen. Wenn Nutzer, die Inhalte verbreiten wollen, jetzt wieder lernen, sich niemals allein auf ein einzelnes Netzwerk zu verlassen, sondern mindestens mehrgleisig zu agieren, erfüllt das viel kritisierte NetzDG immerhin einen guten Zweck. Dann könnte es mittelbar zum ersten halbwegs wirksamen Medienkompetenz-Förderungs-Gesetz werden – also die beliebteste Was-mit-Medien-Phrase mit Leben füllen. Falls neuer Wettbewerb unter den Netzwerken entstehen sollte, womöglich mit neuen Akteuren, und dann noch die Regierung wie angekündigt bald nach dem ersten Aktionismus tatsächlich "evaluiert", könnte es sogar zu einem guten Gesetz werden.