Wenn die Bundeskanzlerin viele Wählerinnen und Wählerinnen erreichen möchte, geht sie ins öffentlich-rechtliche Fernsehen. Manchmal gastiert sie solo bei Anne Will, manchmal nacheinander bei ARD und ZDF. Das hat sich eingespielt in den zwölf Jahren, in denen Angela Merkel regiert. Und so war es auch am Montag dieser Woche, nach dem Scheitern der Koalitions-Sondierungsgespräche.
Der Unterschied der beiden kurzfristig programmierten Sondersendungen bestand darin, dass Merkel im ZDF-Studio zwei Interviewern gegenüber saß, im ZDF Hauptstadtstudioleiterin Bettina Schausten und Chefredakteur Peter Frey, bei der ARD dann nur einer Interviewerin, Hauptstadtstudioleiterin Tina Hassel, gegenüberstand. Sicher unterschieden sich das Drumherum (das bei beiden Sendern u.a. aus flankierenden kürzeren Befragungen von Politikern anderer Parteien bestand) und einige Fragen. Die Antworten der Kanzlerin unterschieden sich schon weniger. Merkel sagt ohnehin, was sie will. Die für sie zurzeit zentralen Begriffe – "Weichen stellen" und "Heft des Handelns" etwa – verwendete sie jeweils mehrmals. Am Montagabend hat sie den nächsten Wahlkampf eingeläutet, war meine These, als ich (für handelsblatt.com) darüber schrieb.
Auf die Fragen kam es so genau nicht an. Erst recht, wenn man auf ihren genau Wortlaut achtet, wie ich es weniger getan habe (beim Abendkritik-Schreiben kommt es auch auf Schnelligkeit an ...), aber Stefan Niggemeier:
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Das könnte an Loriot erinnern ("Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch, ohne darum herum zu reden ..." – freundlicherweise als PDF ins Netz gestellt von der CDU im holsteinischen Sievershütten), so wie die Spiegelbildlichkeit von Merkels gleich langen Auftritten bei beiden großen Sendern an den Sketch erinnern mag, in dem der "leitende Wahlkampf-Koordinator der CDU/CSU", Herr Müller-Meisenbach, bis zum "Dschld!" um sekundengenau gleiche Sendezeit für beide große Parteien feilscht. Zumindest hat sich Merkels bislang letzter Herausforderer Martin Schulz, als er später auch befragt wurde, beschwert, dass er deutlich weniger Redezeit bekam.
"Journalistische Brechungen" fehlen
Am Dienstag fand in Berlin ein Medien-/Journalismus-Podium der Otto-Brenner-Stiftung statt, auf der (wie meist bei solchen Veranstaltungen) alles aufs Tapet kam, was so zum Themenfeld gehört, von der plausiblen These, dass die laufenden Diskussionen über die Öffentlich-Rechtlichen nur "Vorboten von Verteilungskämpfen" sind, die in Zukunft heftiger werden (OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand), bis zur Neigung deutscher Politik-Journalisten zum "auktorialen Erzählen". Sie schrieben oft, was die Kanzlerin sich zu bestimmten Zeitpunkten gedacht habe, sagte Journalismus-Professor Michael Haller.
"FAZ"-Medienredakteur Michael Hanfeld ist einer, der in Polemiken mit ähnlichen Begriffen hantiert und die Öffentlich-Rechtlichen kritisiert, aber auch oft einzelne ihrer Sendungen lobt. Er hat zu den Montagssendungen ebenfalls eine Kritik geschrieben, die so beginnt:
"Es ist immer wieder erstaunlich, dass bei ARD und ZDF ganze politische Abende vergehen, deren Erkenntnisgewinn einzig und allein darin besteht, dass Politiker ihre Botschaften unters Volk bringen, ohne dass dies eine journalistische Brechung erführe."
Das trifft, unabhängig von der politischen Einstellung, solche Fragen, deren Wortlaut egal ist, weil bloß Stichworte für solche Botschaften geben. Und das ist leider ein Zeichen der Merkel-Ära: Im Fernseh-Hauptstadtjournalismus agieren ziemlich profillose Fragesteller.
"Sind Sie jetzt schon zurückgetreten?"
Das führt zu Nikolaus Brender, dem ZDF-Chefredakteur bis 2010. Dann war sein Vertrag auf Wunsch von CDU-Politikern im ZDF-Verwaltungsrat nicht verlängert worden. Das hatte zu Protesten geführt und zu einer von den Grünen initiierten Klage. Das Bundesverfassungsgerichts-Urteil 2014 dazu ist das bislang letzte zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und sollte den Einfluss der politischen Parteien in dessen Aufsichtsgremien begrenzen. Wie gut das gelungen ist, wird unterschiedlich gesehen: Die großen Parteien, die Senderchefs und die meisten Mitglieder der Aufsichtsgremien finden, es sei gelungen. Alle anderen, die sich mit dem Thema beschäftigen, finden das eher nicht.
Bekannt ist Brender vor allem noch aus der "Elefantenrunde" 2005, die Gerhard Schröders Ära beendete (Brender: "Sind Sie jetzt schon zurückgetreten?"), während Merkels so richtig begann. Der Ausschnitte werden weiter gerne auf Youtube angesehen; "legendär", nennt sie der ARD/ZDF-Sender Phoenix. Da ging es tatsächlich kontrovers zu. Wie weit das das Verdienst des damaligen ZDF-Chefredakteurs und ob Brender als Journalist nicht überschätzt war, ist eine andere Frage. Eine Talkshow mit ihm beim Privatsender n-tv lief nicht lange erfolgreich (darüber schrieb ich 2012). Doch Kanten hatte und hat Brender. Und so etwas fehlt inzwischen eklatant bei ARD und ZDF.
Gewiss haben die Studioleiterinnen und Chefredakteure der Merkel-Ära Qualitäten und, wie etwa Tina Hassels Twitter-Auftritt zeigt, Überzeugungen. Selbstverständlich ist es richtig, Regierungschefs mit Respekt zu behandeln. Aber warum sind solche Tweets nicht in die Fragen an Merkel eingegangen?
Blick zurück aus dem Jahr 2027
Natürlich ist das Problem bei ARD und ZDF bewusst. Auf dem Brenner-Stiftungs-Podium saß auch WDR-Chefredakteurin Sonja Mikich, eine engagierte Kämpferin für öffentlich-rechtliche Belange. Als Kölnerin distanzierte sie sich vom "Hauptstadtjournalismus", betonte, wie sehr die Anstalten aus der Kritik der letzten Jahre gelernt hätten, und nannte als aktuelles Beispiel das Interview, das ZDF-Moderatorin Marietta Slomka im "heute-journal" mit Christian Lindner führte.
Da geht es in der Tat so kontrovers zu wie in den Diskussionen darüber. Ob Slomka den FDP-Chef in Grund und Boden gefragt oder dieser aggressiven Fragen souverän widerstanden hat, wird unterschiedlich bewertet. Ungefähr so sollte Politikjournalismus im Fernsehen aussehen. Warum hat am Montag nicht Slomka Merkel interviewt?
Die Antwort liegt, fürchte ich, darin, dass Lindners FDP eine kleinere Partei ist. In den vielen Rundfunk-Aufsichtsgremien herrschen, wie am gründlichsten das davon befremdete neue ZDF-Fernsehratsmitglied Leonhard Dobusch bei netzpolitik.org schrieb, schwarze und rote Freundeskreise. Vielleicht stimmt der Eindruck gar nicht, dass aus solchen Gründen Politiker kleinerer Parteien offensiver interviewt werden. Immerhin ist Slomkas Sigmar-Gabriel-Interview von 2013 auch ein Youtube-Dauerbrenner. Doch über die Merkel-Interviews von Hassel, Frey und Schausten am Montag ließ sich so gut streiten wie über eigentlich alle Merkel-Fernsehinterviews der letzten Jahre: keine Sekunde lang.
Die Groko-Jahre, in denen um nach alten Proportions-Prinzipien umso mehr Vertreter der Regierungsparteien ihre Botschaften im Fernsehen rüberbrachten, haben den Eindruck der Regierungsnähe von ARD und ZDF erhöht. Dieser Eindruck wird von voreingenommen interessengeleiteten Seiten oft drastisch überzeichnet, aber eben auch immer wieder von besonnenen Kritikern mit Beispielen belegt. Und auch wenn er keineswegs generell zutrifft, erhöht schon der Eindruck die Angreifbarkeit der Öffentlich-Rechtlichen in den künftigen Verteilungskämpfen. In der Merkel-Ära sind politisch profilierte oder wenigstens Brender-kantige Fragesteller, die für "journalistische Brechung" der Aussagen sorgen, rar geworden.
Was die Menschen in zehn Jahren von der heutigen Gegenwart denken werden, war noch so ein zentraler Merkel-Gedanke, den sie am Montag nicht nur zweimal geäußert hat. Die Kanzlerin, die große Teile ihres Renommees daher bezieht, dass sie offenkundig selbst mit Regierungschefs wie Donald Trump zurechtkommt, könnte kontroverser geführte Fernsehinterviews vermutlich bestehen. Vielleicht würde sie sogar überzeugender wirken als zuletzt. In den letzten Jahren der Merkel-Regierung – die durchaus noch die "vier Jahre" dauern mag, von den Merkel ebenfalls mehrfach sprach ... – sollten verantwortungsvolle Politiker den Anstalten mehr politischen Freiraum geben. Schon damit es 2027 nicht heißt, in der Merkel-Ära begann der Anfang vom Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.