Die Frage der Woche, Folge 93: Wer ist eigentlich für Digitalisierung zuständig?

Die Frage der Woche, Folge 93: Wer ist eigentlich für Digitalisierung zuständig?
Meine Gedanken zur aktuellen Debatte um die Digitalisierung von Kirche: Geschafft ist das noch nicht. Aber von null anfangen müssen wir gottseidank auch nicht.

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

Hannes Leitlein hat mit seinem Text über das "Wandeln im finsteren Digital" eine Debatte angestoßen, die sich an verschiedenen Plätzen im Netz weiter fortsetzt. Ich habe sicherlich nicht alle davon im Blick. Das, was ich mitbekomme, geht aber schonmal in die richtige Richtung. Dazu habe ich aber auch eigene Gedanken zum Text und zum Thema als jemand, der einen Teil des digitalen Daseins der evangelischen Kirche selbst umsetzen darf.

Ich finde es gut und richtig, die Institutionen der verfassten Kirche daran zu erinnern, was sie unter anderem 2014 bei der "Digitalsynode" beschlossen haben, und immer wieder darauf hinzuweisen, dass Digitalisierung kein umkehrbarer Trend, sondern eine etablierte Wahrheit ist. Das tut auch Hannes in seinem Text, der in der Digitalisierung von Kommunikation die Erfüllung des Versprechens vom Priestertum aller Getauften sieht: "Denn die hierarchische Verkündigung wird in ihrer ganzen Gestrigkeit von immer weniger Menschen ernst und angenommen. Sie steckt in einer Glaubwürdigkeitskrise, gilt in den Augen vieler als paternalistisch und anmaßend", schreibt er. Die vorgeschlagene Lösung: die Interaktion mit und zwischen allen, um gemeinsam die Inhalte zu prägen, die "Kirche" ausmachen - zum Beispiel Orientierungshilfen gemeinsam verfassen, mit all den Mitteln, die das Internet dafür bietet.

Er stellt auch die inzwischen schon klassische Forderung, Internet und Digitalisierung endlich als Selbstverständlichkeit zu begreifen und "die digitale Gegenwart theologisch zu deuten, in ihr das Evangelium zu erkunden, zu teilen, zu leben".

Dafür hat er viel Zuspruch bekommen.

Aber vor allem deshalb, weil sich dieser Ruf an die Kirchenleitungen und Kirchenämter richtet. Denn im Priestertum aller Gläubigen braucht es eigentlich keine Segnung ex cathedra für die Digitalisierung. Wir können das nämlich alle schon machen. Zu fordern, "Kirche" müsse die Möglichkeiten des Internets wahrnehmen, klingt hohl in den Ohren derjenigen, die das jetzt schon tun. Jede Pfarrerin, jeder Pfarrer auf Facebook, jeder twitternde Kirchenmensch, jedes Konfiprojekt mit Smartphones im Gottesdienst ist schon längst so weit.

In der Gemeinschaft der Heiligen ist die Digitalisierung schon angekommen

Wir reden also über zwei verschiedene Kirchenbilder, die man meiner Meinung nach voneinander unterscheiden muss, wenn wir über "Digitalisierung" reden. Luther hat sie in seiner Schrift "Vom Papsttum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig" benannt: Die "geistliche, innerliche Kirche", die aus allen Gläubigen besteht, ungeachtet ihrer äußerlichen Darstellung. Und die "leibliche äußerliche Kirche", die sich unter anderem über die Dekorationen des Amtes auszeichnet.

In der Gemeinschaft der Heiligen ist das Thema Digitalisierung schon längst angekommen. Nicht bei allen, aber Kirchenalltag hat schon einen Platz in der digitalen Kommunikationswelt. Von Social-Media-Gottesdiensten und Twitterandachten über den Snapchat-Adventskalender bis zu Konfi-WhatsApp-Gruppen: Es ist nicht schwer, als Christ in sozialen Medien Anschluss zu finden. (Siehe z.B. diesen Twitter-Strang, der sich an der Digitalisierungsdiskussion entsponn.) Da ist die Forderung von Hannes Leitlein schon längst umgesetzt.

Die "äußerliche" Kirche dagegen ist noch nicht so weit, Digitalisierung in all ihren Facetten selbstverständlich zu unterstützen. Sie steckt aber auch nicht in der digitalen Steinzeit. Sonst gäbe es beispielsweise (evangelischerseits) die Konferenz der Internetbeauftragten der Gliedkirchen und Werke nicht.

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Es ist nun so, dass diese Runde aus der verfassten Kirche kommt. Dort sitzen vor allem die Referenten der Landeskirchenämter, die für das Thema "Internet", dem Vorreiter bei dieser Digitalisierung, zuständig sind. Die meisten von denen tippen sich die Finger wund und reden sich den Mund fusselig, um ihren Themenbereich in der eigenen Landeskirche zu etablieren, und haben auch immer wieder gute Ideen: von den internen Datenbanken und Webseiten-Baukästen für Gemeinden bis zu den Livestreams von Landessynoden. (Auf Twitter habe ich schon @ChBreit, @ralpe, @ina_gliemann und @wtlx genannt, es gibt noch mehr - stöbert mal durch die Leute, denen die folgen.)

Die kommunikativen Gräben sind noch nicht fest überbrückt

Wenn also die Jugenddelegierten der EKD-Synode in ihrer lesenswerten Vorlage für den Ratsvorsitzenden unter anderem fordern, es brauche eine "Vernetzungsrunde, um Initiativen in den Landeskirchen, Werken und Verbänden zum Digitalen Wandel zu koordinieren, Synergieeffekte zu nutzen und Erfahrungen auszutauschen", dann kann ich nur sagen: Die gibt es schon. Ebenso wie übrigens auch Konferenzen zur Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft, die die Jugenddelegierten als "kirchliche re:publica" wollen - aber mit Kirche im Web und dem Barcamp Kirche Online sind auch hier schon die richtigen (ökumenischen) Ansätze dabei. Da bekommt man auch mit, was in den Kirchen alles schon selbstverständlich läuft. (Den dort geforderten Praxis-Preis gab es übrigens auch schonmal. Hieß Webfish und ist zugunsten des VELKD-Preises "Evangelium Digital" nicht weitergeführt worden.)

Aber das alles erweckt noch lange nicht den Eindruck flächendeckender "Digitalisierung". Denn das, was dort überall besprochen und diskutiert wird, bleibt häufig punktuell. Mindestens und immer aber bekommen nicht alle alles mit. Das ist schließlich das Wesen dezentralisierter Netze wie dem WWW.

Und dazu kommt Luthers Postulat, dass es die innere und die äußerliche Kirche nicht ohne einander geben kann. Meine Erfahrung ist, dass in der längst digitalisierten Welt der kommunikative Graben zwischen diesen beiden in Sachen Digitalisierung immer nur zeitweise überbrückt wird. Feste Wege, wie das Hin und Her funktionieren kann, gibt es noch nicht, die muss sich jeder noch immer selber bahnen.

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Da ist die instutitionelle Kirche dann wieder gefragt. Denn bei allem Priestertum aller Getauften gibt trotzdem die Amtskirche die Normalitäten vor, unter anderem dadurch, wie sie Geld verteilt, und welche Aufträge sie an dieses Geld knüpft. Kirchliche Medien sind die Vorreiter, die tatsächlich Geld für digitale Aktivitäten bekommen, das sieht man an den Webseiten der Gliedkirchen der EKD und den Medienhäusern. Aber auch da, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, muss man sich Experimente immer wieder aus dem eigenen Budget absparen.

Und der Ruf "werdet digitaler!" darf nicht an den Türen der Medienhäuser enden. Er muss auch viel lauter in die Ämter. "Digitalisierung" ist ein Begriff, der unfassbar viel umfasst. Vor allem ist das ein Querschnittsthema! Sie betrifft jeden einzelnen Arbeitsbereich der Kirche und ist schon längst kein Spezialistenthema mehr. Das muss das Bodenpersonal auf allen Ebenen vermittelt bekommen.

Residenzpflicht für Pfarrer*innen auch in Social Media?

Deswegen sind die konkreten Forderungen aus dem Papier der Jugenddelegierten (vor allem 6, 7 und 8 - Stabsstelle im Kirchenamt, Multi-/Social-Media-Spezialisierung im GEP und digitale Werkzeuge im Kirchenamt) gut und wichtig. Tobias Graßmann (@luthvind) hat die Ideen im Blog Netzwerktheologie in diese Richtung weitergesponnen und fordert unter anderem eine entsprechende Ausbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer und eine Präsenzpflicht analog zum Pfarrhaus in Social Media.

So muss die Diskussion weitergehen! Der Ruf nach "mehr Digitalisierung" muss konkret ausgesponnen werden. Die globale Kritik, "die Kirche" sei da "noch nicht weit genug", reicht nicht. Die Menschen in der Kirche, die ihre Gestalt ausmachen, sind an vielen Stellen schon sehr weit. Die beste Unterstützung, diese Einzelstränge zu einem stärkeren Netz zu verweben und die Bedeutung dieses Netzes für die Gesamtgestalt von Kirche zu bekräftigen, kann aus den Amtsbüros kommen. Geschafft ist das noch nicht. Aber von null anfangen müssen wir gottseidank auch nicht.

Wegen unserer 7-Wochen-Ohne-Aktion kann man auch diesen Inhalt bis zum 5. April nicht kommentieren. Ich weiß, das ist jetzt gerade blöd, aber: Wir haben Sie und euch eingeladen, statt Einzelkommentare die Gedanken zu evangelisch.de als Ganzes aufzuschreiben und an info [at] evangelisch.de zu schicken. Was ich hier aufgeschrieben habe, ist natürlich auch Teil meiner eigenen Gedanken zu dem, wie wir die Plattform weiterentwickeln wollen und können. Ich freue mich darauf, noch mehr zu lesen. Facebook und Twitter bleiben aber gute Orte für den weiteren Austausch zum Thema Digitalisierung.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


Wenn Sie Fragen zu evangelisch.de oder unseren Themen haben, sind die Redaktion und ich auf vielen verschiedenen Kanälen erreichbar:

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