Facebook kann seine neue Werbekampagne direkt überarbeiten. Seit Montag schaltet „der blaue Web-Riese“ (natürlich: Meedia) Fernseh-Spots, in denen, so zumindest behauptet, echte Nutzer mitteilen, was sie an Facebook stört.
„Dabei hat sich offensichtlich herausgestellt, dass die Kontrolle über die eigenen Inhalte zu den größten Sorgen der Nutzer gehört. ,Mit der Kampagne verfolgen wir das Ziel, bestehende Nutzer darin zu stärken, die ihnen zur Verfügung stehenden Einstellungs- und Kontrollmöglichkeiten zu nutzen’, sagte Facebooks-Kommunikationschefin für die DACH-Region Tina Kulow“,
berichtet Ingo Rentz bei Horizont, wo sich auch ein paar der Filmchen anschauen lassen, in denen Leute sich beklagen, dass ihr Chef ihre Partyfotos sieht und ihre Freunde zu oft ihr Essen posten.
Ach Gottchen. Wie niedlich. Und so 2014!
Vorspulen ins Jahr 2016 in die NZZ-Kolumne von Stefan Betschon gestern:
„Die Medien sind tot, die Öffentlichkeit vernichtet. Informationen gibt es nicht mehr. Genauer: Es gibt so viele Informationen, und Information und Desinformation haben sich so sehr vermengt, dass es besser zu sein scheint, bei dem zu bleiben, was man schon zu wissen glaubt. Wissen ist Glaubenssache geworden.“
So. Das ist doch mal eine Ansage, mit der sich als Medienkolumne arbeiten und direkt an die gestrige Ausgabe anschließen lässt mit der Frage: Wie holen wir die Menschheit aus einer Spirale des Hasses und der Selbstzerstörung heraus, wenn sie sich nur noch über Facebook informieren möchte, wo falsche Nachrichten so unerschütterlich gut laufen wie sonst nur „Inga Lindström“ im ZDF?
Der Trend geht, wie in solchen Fällen üblich, erst einmal zur Bekämpfung der Symptome, und das sind in diesem Fall soziale Medien, die Wahrheitsgehalt und Wahrung der Menschenwürde sowie geltender Gesetze in den von ihnen verbreiteten Meldungen bisher so stark interessierte wie Netflix-Kunden besagte Inga L. (Ich bin da gestern kurz vorbegezappt. DAS IST DOCH NICHT EUER ERNST, ZDF?! Und das bei allem Verständnis für Eskapismus derzeit.) Doch nun tut sich was:
„Google moved first, announcing on Monday a policy update which restricts its adverts from being placed on fake news sites. ,We will restrict ad serving on pages that misrepresent, mis-state, or conceal information about the publisher, the publisher’s content, or the primary purpose of the web property,’ a spokeswoman told Reuters. It remains unclear whether Google has the ability to correctly identify such sites, though. (...) Later that day, Facebook updated the language in the policies for the Audience Network, its own advertising platform. The platform already bans ads in sites that show ,misleading or illegal’ content, and the update makes clear that those terms apply to fake news sites as well." (Quelle: Guardian)
Um noch mal auf die Sache mit den Symptomen zurückzukommen: Zwischen Kanada und Mazedonien sitzen geschäftstüchtige Teenager, hassererfüllte Trolle sowie politische Hardliner ohne Gewissen und blasen falsche Nachrichten ins Netz. Die Verantwortung dafür tragen nun Suchmaschinen und Netzwerke, die deren Meldungen nach oben spülen, woran diese, wenn ich Mark Zuckerbergs Statement vom Wochenende richtig verstanden habe, im Kern nichts ändern wollen. Stattdessen dreht man jenen nun den Werbegeldhahn zu. Und das Absurde ist, dass dies vermutlich der effektivere Weg ist, als etwa bestehende Rechtssysteme auf Facebook ausweiten zu wollen. Danke, Kapitalismus!
Alle Probleme wird dies aber nicht lösen:
„Die beiden Netzgiganten haben bisher keine weiteren Details zu ihren Massnahmen verraten. Beispielsweise ist nicht bekannt, wie eine Fake-Newssite definiert werden soll.“ (Henning Steier, NZZ)
Bzw.
„Mit dem nun verkündeten Schritt nutzen Facebook und Google ihre Machtposition. Beide haben praktisch ein Duopol auf den Online-Werbemärkten: 75 Cent von jedem US-Dollar, der für Online-Werbung ausgegeben wird, fließt an einen von ihnen. Kritikern wird der Plan nicht reichen. Er träfe nur werbefinanzierte Webseiten, die mit gefälschten Inhalten Geld verdienen wollen. Überzeugungstätern und Propagandisten kann das egal sein. Zudem bleibt unklar, wie die Firmen prüfen wollen, welche Beiträge falsch sind. Nutzer können dem Netzwerk schon jetzt falsche News melden, doch das hat bisher offenbar nicht viel geholfen.“ (Jannis Brühl, SZ-Medienseite)
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle ebenfalls erwähnt, dass auch Twitter sich nun mit Inhalten befasst und die Möglichkeit bietet, einzelne Worte und Konversationen stumm zu schalten (Meldung im österreichischen Standard), was ein interessanter Ansatz ist, während der Rest der Welt über die Gefahr von Filterblasen philosophiert.
„We don’t expect these announcements to suddenly remove abusive conduct from Twitter. No single action by us would do that. Instead we commit to rapidly improving Twitter based on everything we observe and learn“,
heißt es dazu im Twitter-Blog, wobei bei Twitter nicht ganz sicher ist, wie viel Zeit überhaupt noch bleibt, etwas zu lernen.
Daher zurück zu der Frage, in wie weit das Abschneiden von Werbegeldern den mit Mist vermischten Informationssturm zu zügeln vermag - Meike Laaff in der taz:
„Dass man jetzt Seiten, die Falschmeldungen verbreiten, nicht mehr werben lassen will, klingt ja nett. Mehr als Kosmetik ist das aber nicht. (...) Am Ende ist es aber so banal wie folgenlos: Mächtig sind soziale Netzwerke, weil wir sie mächtig machen. Mögen manche einwenden, dass schon der Beruf sie zwinge, dort angemeldet zu sein – es privat zu nutzen, sich darüber Nachrichten einspielen zu lassen, dazu zwingt einen niemand. Das ist pure Bequemlichkeit. Die man – willkommen im postfaktischen Zeitalter – noch einmal gut überdenken sollte.“
Juchhu, wir sind Facebook doch nicht hoffnungslos ausgeliefert, sondern können selbst Entscheidungen treffen! Hallo Kant! Was nicht nur bildungsbürgerliche Angabe ist, sondern auch die Überleitung zu einem Text von Michael Litschka von der Fachhochschule Sankt Pölten, der gestern auf der Seite des Europäischen Journalismus-Observatoriums (und offenbar am Wochenende schon im Standard) erschien.
Litschka meint, dass unser bisheriges System, die Einhaltung von Recht und Moral in den Medien den damit befassten Unternehmen zu überlassen, nicht mehr funktioniere, wenn plötzlich auch die Leser selbst zum Medium würden – das Fachwort heißt „Produsage“ und setzt sich aus „production“ und „usage“ zusammen.
„Wir, das nicht länger passive, sondern aktive Publikum, können uns nicht länger vor einer auch individualisierten Verantwortung drücken. Nach einer Renaissance der Publikumsethik verlangen dann auch im deutschsprachigen Raum einige Medienphilosophen und Ethiker wie Rüdiger Funiok und Matthias Rath. Sie berufen sich dabei auf Kant’sche Pflichtenethik, den Habermas’schen Öffentlichkeitsbegriff und eine auf Kritikfähigkeit fußende Medienkompetenz. (...)
Dies erfordert aus Sicht des Autors dieser Zeilen zumindest zwei Dinge: eine früh ansetzende und ethisch aufgeklärte Medienpädagogik, die über technische Fertigkeiten weit hinaus geht sowie ein Commitment seitens der Medienpolitik und der großen Medienunternehmen, die Möglichkeiten und (ethischen) Grenzen der Produsage in ihre Strategien miteinzubeziehen.“
Müssen wir nur noch das Problem klären, dass das Bedienen des eigenen Verstandes auch dazu führen kann, dass am Ende Donald Trump Präsident wird. Aber eine Rückbesinnung darauf, dass wenn nicht ihre algorithmische Sortierung, so doch die Medieninhalte von Menschen gemacht sind, erscheint doch ein erfrischender Ansatz in der aktuellen Debatte.
[+++] Damit sich niemand beschwert, das Altpapier sei wohl zur Sogenanntensozialenmedienkolumne verkommen: Der RBB scheint nach der geschassten Claudia Nothelle einen neuen Programmdirektor gefunden zu haben: Jan Schulte-Kellinghaus.
„Wie die neue RBB-Intendantin Patricia Schlesinger kommt der gebürtige Duisburger vom Norddeutschen Rundfunk. Er leitet dort den Programmbereich Fernsehen und Koordination. In dieser Funktion ist er genau für jene Art regionaler Sendungen zuständig, dank der sich die Zuschauer mit der Vierländeranstalt NDR auf eine Weise identifizieren, von der der RBB in Berlin und Brandenburg träumt“,
schreibt Ulrike Simon in der (so erklärt sich das) zu Madsack gehörenden Märkischen Allgemeinen.
Noch mehr Einordnung hat Markus Ehrenberg im Tagesspiegel:
„Die Personalie passt zum Schema Schlesinger, der selbst ernannten ,Programm-Intendantin’. Es war ziemlich klar, dass es programmdirektorisch mit Leuten im RBB-Hause nichts werden wird. Schulte-Kellinghaus gilt als einer, der weiß, wie man es im Fernsehen machen muss. Mit klarem Plan, aus seinen Jahren beim NDR und ZDF als arbeitsam, aber nicht unbedingt für Überraschungen bekannt. Ein Programmmacher, der sich in den Themen audience flow, also Zuschauerfluss, und Quote bewegt.“
Zwar muss der Mann am 1. Dezember noch vom Rundfunkrat gewählt werden, doch das sei "so sicher wie das Amen in der Kirche“ (noch mal Simon über Twitter).
[+++] Von solchen Informationen wieder ins mediale Alltagsgeschäft zurückgeholt, können wir auch noch rasch ansprechen, wie in Schweden nun das leidige Problem der Refinanzierung des Online-Journalismus angegangen wird, das sich bekanntermaßen allen Medien stellt, die sich ihre Nachrichten nicht ausdenken. Dazu Reinhard Wolff in der taz:
„Das vorgeschlagene Rezept: Ein neues öffentlich finanziertes Medienunternehmen, ein Public-Service-(Digital)-Kanal zusätzlich zu den drei bestehenden im Radio- und TV-Sektor. Angedacht ist eine personelle Ausstattung mit 500 JournalistInnen, die ,Schwedens Spitzenkompetenz im digital vermittelten Journalismus’ repräsentieren sollen. Sie sollen nicht nur die ,weißen Flecken’ füllen, sondern auch auf eine ,gute digitale Debatte hinwirken und fehlerhafte Informationen, die im Umlauf sind, korrigieren’. Außer einer Website werden keine eigenen Distributionskanäle aufgebaut. Die produzierten Inhalte sollen ,in die vorhandenen einfließen’, andere Medien dürfen sie also frei übernehmen.“
Wer die Idee nicht so begrüßt, sind, Überraschung, die schwedischen Verleger, die „einen Deal zwischen dem Staat und den Verlagen, bei dem diese sich zu bestimmten journalistischen Mindeststandards verpflichten und im Gegenzug staatliche Redaktionszuschüsse erhalten“ bevorzugt hätten.
Ich hätte auch gerne ein Pony, Weltfrieden und einen sich nicht aus jeder Verantwortung herauswindenden Mark Zuckerberg. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, wäre mir das Überleben des Journalismus wichtiger.
+++ Die „Tagesschau“ bekommt im kommenden Jahr mit Constatin Schreiber einen neuen Sprecher, und die dazugehörige Kai-Gniffke-Bemerkung „Constantin Schreiber ist ein ebenso erfahrener wie kenntnisreicher Journalist und ein sympathischer Präsentator – kurz: ein Gewinn für unser Team!“ können Sie nun wahlweise bei Welt.de, DWDL, Meedia oder kress.de nachlesen. Für Letztere hat Bülend Ürük auch Kritisches aus der ARD-aktuell-Redaktion erfahren: „Schreiber stehe trotz seiner Kenntnisse vom arabischen Raum für den Ur-Typus des ,Tagesschau’-Moderators, ein Migrant, dem man seine Herkunft auch ansehe, wäre in diesen Zeiten ein positiveres Signal in die Gesellschaft gewesen. Schreiber wird auch dafür kritisiert, dass er sich in den vergangenen Monaten immer wieder selbst inszeniert habe“. +++
+++ Die Frankfurter Rundschau erinnert an ihren am Montag verstorbenen ehemaligen Chefredakteur Werner Holzer. +++
+++ Die Preisträger des gestern Abend verliehenen Otto-Brenner-Preises sind hier nachzulesen. Den in den Kategorie „Spezial“ ausgezeichneten Arno Widmann bejubelt Jan Feddersen in der taz, die Widmann einst mitgründete. +++
+++ Die umtriebige Meedia-Redaktion hat es für nötig gehalten, Nora Illi, vor allem bekannt als Nikab-Trägerin von „Anne Will“, zu interviewen und krude Thesen notiert – etwa, dass Illig den Medien eine Mitverantwortung für die Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen zuspricht. Weil: „Sie geben ihnen das Gefühl, dass wir Muslime sagen können was wir wollen und trotzdem nicht gehört, geschweige denn in der Gesellschaft akzeptiert werden.“ Und wenn man sich als Muslim nicht gehört fühlt, muss man sich natürlich dem IS anschließen...nicht. +++
+++ „Langlebige Zeitungen sind in der Pressegeschichte nicht ungewöhnlich, denn ihren Stoff liefern die aktuellen Ereignisse. Gleichwohl verlangt eine solch dauerhafte Existenz eine erfolgreiche Koordination von journalistischen, technisch-organisatorischen und wirtschaftliche Funktionen.“ Jürgen Wilke, einst Publizistik-Professor an der Uni Mainz, erinnert in der FAZ (S. 8) zum 150. Gründungstag an die Frankfurter Zeitung, Vorläufer der FAZ. Auf S. 11 im Feuilleton ergänzt Tilman Spreckelsen, warum die Zeitung neben Politik und Wirtschaft auch einen Fortsetzungsroman im Angebot hatte. +++
+++ Für die FAZ-Medienseite hat derweil Axel Weidemann Dieter Nuhr interviewt, dessen Programm nun auf Netflix verfügbar ist, wozu dieser tolle Sätze sagt wie „Ich glaube nicht, dass wir gleich Millionen Klicks in Amerika bekommen. Auch dadurch, dass das Programm nicht in Englisch ist.“ Es geht aber auch um Rechtspopulismus und Facebook. +++
+++ Über den Medienwandel beim Wall Street Journal berichtet auf der Medienseite der SZ Kathrin Werner. +++
+++ „Wir haben noch einmal erklärt, dass es sich nach unserer Überzeugung um einen Betriebsübergang handelt. Das Unternehmen hingegen behauptete, es handele sich um eine Betriebsstilllegung.“ So fasst das Betriebsrats- und Gewerkschaftsblog von DuMont die ersten Gespräche über den Sozialplan beim Berliner Verlag zusammen. +++
+++ Noch bringt so ein Instagram-Account keine Klicks, doch deutsche Fernsehsender posten dort dennoch munter vor sich hin, bilanziert Alexander Krei bei DWDL im Rahmen der großen Analysewoche zum Social-Media-Engagement der Sender. +++
+++ „Alle waren gespannt: Was macht ProSieben ohne Stefan Raab? Wir auch. Aber sie sehen mich sehr sehr happy auf das Jahr 2016 zurückblicken.“ Wer es detailiierter wissen will, liest das ganze Interview, das Thomas Lückerath mit ProSieben-Chef Daniel Rosemann für DWDL geführt hat. +++
+++ Nein, ich werde an dieser Stelle keinen Witz über Demenz machen. Aber dass sich das Goldene Blatt mit den immer gleichen Titelbildern und -schlagzeilen jede Woche neu verkauft – wie aktuell bei Übermedien dokumentiert -, ist schon erstaunlich. +++
+++ Des Weiteren bei Übermedien: Michalis Pantelouris rezensiert Zeit Wissen Saison. „Da hat die Wochenzeitung ,Die Zeit’ also eine Line-Extension mit dem Wissenschaftsmagazin ,Zeit Wissen’, das eine Spezialausgabe zur Saison macht, und Saison ist hier nicht das Saison von ,Geo Saison’, das ja für Reise steht, sondern es meint tatsächlich die Jahreszeit, den Winter.“ +++
+++ Über das Sky-Programm in Zeiten teurer gewordener und zu refinanzierender Fußballrechte informiert beim Hamburger Abendblatt Andreas Böhme. +++
+++ „Der Redakteur fragt nicht.“ „Der Redakteur lässt es durchgehen.“ „Der Redakteur reagiert nicht.“ Darob dieser Versäumnisse in einem Interview des Ciceros mit Bodo Ramelow sehr erbost gibt sich Recherche-Spezialist und Kress.de-Kolumnist PJ Raue. +++
+++ Thomas knüwert diesmal zum Thema Supermond. +++
+++ Wer noch einen Fernsehtipp für heute Abend braucht, dem empfiehlt Thomas Gehringer im Tagesspiegel das ARD-Familiendrama „Ein Teil von uns“, der „das Publikum mit einem Thema [konfrontiert], über das in den Familien am liebsten geschwiegen wird: Was geschieht, wenn Vater oder Mutter an den Rand der Gesellschaft abrutschen?“ Es berichten auch SZ („Das alles ist herzzerreißend emotional inszeniert, ohne dabei aufgesetzt zu sein.“) und FAZ („ein Film von großer Kraft: tieftraurig, langsam, Themen wie Familie und Verantwortung behutsam, ohne Schuldzuweisungen umkreisend.“) +++
Das Altpapier erscheint morgen wieder.