2016 ist echt ein Scheißjahr. Man möchte es auf den Mond schicken (ist ja gerade nicht so weit), oder zumindest auf den Flur, damit es dort darüber nachdenken kann, was es alles falsch gemacht hat, und es darf erst wieder reinkommen, wenn ihm was eingefallen und es bereit ist, sich zu entschuldigen und zu bessern.
Doch leider funktionieren Jahre nicht wie Grundschüler, und daher müssen die Journalisten das mit dem Nachdenken übernehmen, was sich derzeit, eine knappe Woche nach der Wahl Donald Trumps zum nächsten Präsidenten der USA (man muss das immer noch mal so ausführlich aufschreiben, damit das Gehirn irgendwann realisiert, dass es ernst ist, und nicht wieder einer dieser verunglückten Scherze von Guido Cantz), weiterhin darauf beläuft, statt es besser zu machen erstmal aufzuschreiben, was jetzt besser zu machen ist.
Die Ideen reichen vom Zu- und Hinhören, heute auf der Medienseite der FAZ (Blendle, 0,45 €) von Nina Rehfeld
(„Während sich die Fernsehsender an Trumps Rhetorik berauschten und sie stützten oder sich über ihn lustig machten blieb die Analyse seiner tatsächlichen Popularität aus. Darauf verstanden sich auch die führenden Zeitungen und Magazine des Landes nicht.“)
sowie in seinem Blog von Don Dahlmann vertreten
(„Wer also verstehen will, was sich da zusammenbraut, der muss aus seiner Filterblase raus. Der muss aufhören jeden zu blocken, der die eigene Wohlfühlblase ansticht (Ich rede hier nicht von Trollen, die nur beleidigen). Auch sollte man sich mit den Medien beschäftigen, die die neuen Konservativen produzieren und lesen. Ob die Compact, die Junge Freiheit oder gemäßigt-konservative Magazine wie Cicero – es hilft zu verstehen, was gedacht wird.“),
bis dahin, genau das nicht zu tun – Bernhard Tosch bei den Prinzessinnenreportern:
„Die neuen Faschisten bekämpft man nicht, indem man sie in Talkshows einlädt oder Teile ihrer Forderungen umsetzt, sondern indem man ihnen Widerstand leistet, wozu zuallererst gehört, sie als das zu erkennen und zu bezeichnen, was sie sind. Der Faschist wird nicht weniger Faschist, wenn man ihm sein Faschist-Sein abspricht oder es sich wegwünscht.“
Das ist jetzt gar nicht so fies kritisch gemeint, wie es sich liest, denn ich wüsste auf die Schnelle auch nicht, welche redaktionellen Konzepte geeignet sind, unsere aus den Fugen geratene Welt zu reparieren. Aber die Spannbreite der als einzig richtig empfohlenen Rettungsmethoden ist doch bemerkenswert.
Recht einig ist man sich hingegen, dass sich jemand anderes ändern muss, nämlich Facebook in seiner Form als Nachrichtenlieferant und Gatekeeper. Am Samstag schrieb Mark Zuckerberg eben dort, dass sein freundliches Netzwerk durchaus kein Interesse an der Verbreitung von Falschmeldungen habe. Aber, aber:
„This is an area where I believe we must proceed very carefully though. Identifying the ,truth’ is complicated. While some hoaxes can be completely debunked, a greater amount of content, including from mainstream sources, often gets the basic idea right but some details wrong or omitted. An even greater volume of stories express an opinion that many will disagree with and flag as incorrect even when factual. I am confident we can find ways for our community to tell us what content is most meaningful, but I believe we must be extremely cautious about becoming arbiters of truth ourselves.“
Einsatz Michael Hanfeld, FAZ (Blendle, 0,45 €):
„Auf der einen Seite geriert sich Facebook als größte Zeitung der Welt (in der allerdings nur von anderen gefertigte Inhalte zu finden sind) und inszeniert sich als Wegbereiter des Internets für ganze Erdteile. Auf der anderen Seite macht sich Mark Zuckerberg, sobald es um Inhaltliches geht, einen schlanken Fuß.“
Natürlich bestehen Schwierigkeiten beim Erkennen der Wahrheit. Aber fürs Erste wäre ja schon viel erreicht, wenn ausschließlich der Fantasie mazedonischer Teenager entstammende Meldungen bei Facebook gekennzeichnet würden, so wie es etwa bei ausgedruckten Lokalspitzen seit Jahren gelernt ist, wo ein Kasten signalisiert: Das hier soll lustig sein.
Statt auf die Abwertung von Hoaxes könne man auch auf die Aufwertung etablierter Medien setzen, lautet ein Vorschlag aus der Redaktion der deutschen Wired:
„Aber wie wäre es zumindest mit einem Algorithmus, der etablierten Nachrichtenquellen Vertrauenspunkte anrechnet? Das könnten traditionelle Medien wie die New York Times oder CNN sein, aber auch digitale Durchstarter wie Buzzfeed und Mic.com oder auch Blogs von Wissenschaftlern und Institutionen wie der Weltbank oder Unicef. Vielleicht ließen sich die Daten noch anreichern mit Informationen von Websites wie snopes.com, die regelmäßig falsche Nachrichten entlarven?“
Zwar ist auch das problematisch, zumal es Jahre der Debatte, dass Menschen aus dem Internet ohne angeschlossenes Druckhaus auch gute Inhalte liefern können, und dass nicht jede NGO unabhängig freundlich ist, völlig negiert. Aber im Kern ist es richtig, denn Facebook sollte langsam mal erkennen, dass es auf mehr Einfluss hat als die Tatsache, dass wir endlich Kontakt halten können zu Leuten, die wir in der Schule schon blöd fanden, wie Hannah Jane Parkinson im Guardian als Antwort auf Zuckerbergs Statement so schön schreibt:
„The influence of verifiably false content on Facebook cannot be regarded as ,small’ when it garners millions of shares. And yes, it runs deep. The less truthful a piece is, the more it is shared. In Zuckerberg’s follow-up statement, he seems to have shot himself in the foot, by saying it was ,extremely unlikely’ fake news on Facebook had an impact on the election, but also boasting that Facebook was responsible for 2 million people registering to vote. So which is it, Zuck? Does Facebook have influence or not?“
Menschen bei Facebook, die nicht Mark Zuckerberg sind, scheinen das auch so zu sehen, wie das US-amerikanische Buzzfeed berichtet:
„Facebook employees have formed an unofficial task force to question the role their company played in promoting fake news in the lead-up to Donald Trump’s victory in the US (...).The employees declined to provide many details on the task force. One employee said ,more than dozens’ of employees were involved, and that they had met twice in the last six days. At the moment, they are meeting in secret, to allow members of the group to speak freely and without fear of condemnation from senior management. The group plans to formalize its meetings and eventually make a list of recommendations to Facebook’s senior management.“
Zuckerbergs Mark, der in seinem Netzwerk jeden Scheiß mit Meinungsfreiheit verteidigt, hat in seiner Firma ein Klima etabliert, in dem Mitarbeiter mit anderen Ansichten als seiner ihre Entlassung fürchten – darüber könnte man auch mal was schreiben. Stattdessen melden wir aber an dieser Stelle, was Gizmondo meldet, nämlich dass man bei Facebook durchaus das Problem Falschmeldungen erkannt hat und zu beseitigen bereit war. Aber, aber:
„One source said high-ranking officials were briefed on a planned News Feed update that would have identified fake or hoax news stories, but disproportionately impacted right-wing news sites by downgrading or removing that content from people’s feeds. According to the source, the update was shelved and never released to the public. It’s unclear if the update had other deficiencies that caused it to be scrubbed.“
Fassen wir zusammen: Für viele Menschen ist Facebook eine zentrale Informationsquelle, aus der jedoch auch eine Vielzahl an falschen Nachrichten sprudelt. Deren Verbreitung könnte Facebook unterbinden, möchte das aber nicht, weil ein Großteil dieser Falschmeldungen aus dem rechten Spektrum stammt, welches sich dann wieder zensiert fühlte und über die linksversiffte Medienlandschaft beschwerte, was Facebook wiederum nicht will.
Diese mazedonischen Teenager brauchen dringend einen vernünftigen Job. Anders scheint die Menschheit nicht mehr zu retten zu sein.
[+++] Um aus der Flut an Facebook-Nachrichten von gestern eine, sogar wahre, herauszugreifen, verfasst von der Redaktion von Planet Interview:
„Wir reduzieren vorübergehend unser Archiv von 1500 Interviews auf 1 Interview. Und von diesem einen Interview gibt's leider auch nur 59%.“
Derjenige, der für diese radikale Maßnahme wie Kürzung verantwortlich ist, heißt Nikolaus Blome.
„Das Interview fand am 04.10.2016 im BILD-Büro von Herrn Blome im Berliner Axel-Springer-Hochhaus statt und dauerte 65 Minuten. Herr Blome beantwortete im Gespräch alle gestellten Fragen, auch zur BILD-Zeitung. Eine Antwort, die mit dem Hinweis ‘off the record’ geschah, wurde nicht verschriftlicht. Die nachträgliche Streichung mehrerer Antworten begründete Herr Blome damit, dass er nur ein Interview zu seinem Buch geben wollte“,
steht am Anfang des nun veröffentlichten Rumpf-Interviews. Meedia hat dazu noch die wunderbare Begründung „Ich möchte sicherstellen, meine Rolle als Buchautor von meiner beruflichen Aufgabe bei Bild zu trennen“ erhalten.
Gestrichen wurde Antworten auf Fragen wie „,Die meisten Hauseinbrüche werden von Deutschen begangen.’ Könnte das eine „Bild“-Schlagzeile sein?“ oder „Viele Leser haben (z.B. auf Facebook) kritisiert, wie BILD über einen Sportler berichtet hat, der tatsächlich hingefallen ist: Ein Geher brach bei den Olympischen Spielen in Rio über die 50km-Distanz mehrfach zusammen, hatte Verdauungsprobleme, konnte seinen Durchfall nicht zurückhalten und verlor zeitweise die Orientierung. Bild zeigte Fotos davon und kommentierte u.a. mit ,Dieser Gang ging in die Hose.’ Wie kann es sein, dass BILD sich über so etwas lustig macht?“
Worüber soll man sich jetzt zuerst wundern? Dass hier ein Journalist glaubt, dass man bei einem Interview bestimmen könne, zu welchen Themen man befragt wird? Dass er sich erst im Nachhinein überlegt, dass er diese Fragen, die er beantwortet hat, gar nicht beantworten wollte? Oder, dass es ausgerechnet ein Mann der doch sonst keine Scheu und Grenzen kennenden Bild-Zeitung ist, der so vorgeht?
Für den Fall, dass Sie vor allem interessiert, was Blome denn geantwortet hat, hat Lorenz Meyer im Bildblog schon mal was vorbereitet. Der echte Blome twitterte gestern Abend derweil:
###extern|twitter|NikolausBlome/status/798248527935705088###
#nee,darumgeht’snicht
+++ „Wie alle Oppositionellen wollte man die Cumhuriyet zum Schweigen bringen. Dabei machte die Cumhuriyet keine Opposition, sondern nur ,Nachrichten’. Aber das politische Klima ist im Regime des Ausnahmezustands rauer geworden.“ So schreibt es die Redaktion der Cumhuriyet heute in diversen deutschen Zeitungen, etwa in der SZ, dem Tagesspiegel und der WAZ. Die Idee zur Solidaritätsaktion stammt von Bascha Mika, meldet Der Standard. +++
+++ Musikverlage sind eben auch Verlage, und wie die VG Wort soll auch die Gema ihre Einnahmen an die Urheber weiterreichen, und nicht an die Verlage, hat nun das Berliner Kammergericht geurteilt (dpa/Berliner Zeitung). +++
+++ Stefan Niggemeier deckt auf: Mario Barth hat für manche eine größere Glaubwürdigkeit als die „Tagesschau“. Vielleicht sollte man diese oben angesprochene Menschheit besser gar nicht retten. +++
+++ Die FAZ startet am Donnerstag sein Quartalsmagazin Frankfurter Allgemeine Quarterly – „ein Blatt für die deutschsprachige Intelligenzija (...) - opulent bebildert, mit Modestrecken mit Witz und Charme sowie anspruchsvollen Essays und ausgeruhten Reportagen“ (Bülend Ürük, kress.de), das „den Anspruch der ,FAZ’ mit ,Opulenz, Sinnlichkeit und Eleganz’ verbinden“ soll (David Hein, horizont.net). Kurz: „Sinnlich. Tiefgründig. Vierteljährlich.“ (FAQ über FAQ). +++
+++ „Breitbart pflegt den lauten Krawallton digitaler Start-ups einerseits, will aber andererseits im weitesten Sinn Journalismus betreiben. Verstöße gegen journalistische Gebote wie Distanz zum Objekt der Berichterstattung, umfassende Recherche, Trennung von Meinung und Nachricht sind allerdings Alltag bei der Webseite. Mit zweifelhaften Methoden gelingen ihr einige Scoops.“ Im Politikteil der SZ (S. 7) erklärt Johannes Boie den Letzten, was breitbart.com ist, und was es in Deutschland möchte. +++
+++ Auf der SZ-Medienseite ärgert sich derweil Benedikt Frank über Schulmaterial von ARD und ZDF („Schülern die Medien von denen erklären zu lassen, die sie machen, ist im Prinzip eine gute Idee. Das Unterrichtsmaterial erinnert aber allzu oft an Werbematerial.“), während sich Kathrin Hollmer einmal quer durch die Kochmagazin-Sparte am Kiosk gelesen hat („Für Fans des Achtsamkeits-Trends (Taste of Love), des Foodtruck-Trends (Street Food) und des Landlust-Trends (Landküche, Meine gute Landküche, Landgenuss, Food & Farm). Koch-Ableger von Brigitte, Tina, Vogue und Servus. Von Bloggern (Sweet Paul) und Fernsehköchen (Jamie)“. +++
+++ „Eine Gruppe von Twitter-Nutzern will das Unternehmen kaufen. Die Bewegung #WeAreTwitter hat unter dem Titel ,Free Twitter from Wall Street’ eine Online-Petition gegründet, die Twitter in die Hände der Community legen will. Sie wollen neue Erlösströme erschließen und transparente Regeln gegen Hasskommentare entwickeln.“ Sophie Krause berichtet im Tagesspiegel. +++ Wo zudem Joachim Huber nicht so gut damit leben kann, dass das ZDF seine Politik-Berichterstattung nach Fußballübertragungen im Ersten richtet. +++
+++ Wer wissen möchte, warum Leserfinanzierung allein in absehbarer Zeit nicht den Journalismus retten wird, dem sei die Kommentarspalte unter diesem Artikel bei Netzpolitik.org empfohlen, die Spenden benötigen, um weiter so arbeiten zu können wie bisher. Kostprobe gefällig? „Ein BLOG zu machen ist ein Hobby“, „Ich spende, aber für keinen der damit nervt“, „Ich würde gerne, aber als Sozialleistungsempfänger, der in seiner beruflichen Tätigkeit trotz 60-Stunden-Woche nicht genug verdient, durch das Jobcenter blockiert wird und ständig nur Widersprüche schreiben und Klagen einreichen muss, um nicht auf der Straße zu landen...“. *facepalm* +++
+++ Wer braucht „GZSZ“, wenn er sich auch den Streit der beiden Verlage Rommerskirchen und New Business um das DJV-Magazin Journalist ansehen kann? Die aktuellste Folge - eine einstweilige Verfügung gegen den Chefredakteur Matthias Daniel – hat Meedia. +++
+++ Beim WDR muss alles raus, weshalb Tommy Buhrow nach der Kunstsammlung nun 186 Sendemasten verscherbeln ließ, meldet ebenfalls Meedia, wo man auch weiß, dass nun beim Nachrichtenmagazin Spiegel erstmals betriebsbedingt gekündigt wird. +++
+++ Wie, wann und warum Fernsehsender in den sozialen Netzwerken Live-Videos an den Start bringen, hat sich für DWDL Alexander Krei erklären lassen. Wo zudem Timo Niemeier zum Bild.de-Talk „Die richtigen Fragen“ meint: „Es mag ein ambitionierter Ansatz sein, ein hartes politisches Talk-Format etablieren zu wollen, ganz so hart und wichtig, wie der Titel der Sendung suggeriert, sind die Fragen aber nicht immer.“ +++
+++ „Immer noch tun viele deutsche Medien so, als handele es sich bei der Frage nach der Rolle von Homo- und Transsexuellen in der Gesellschaft um ein Minderheiten-, ein Lifestyle-, ein Luxusthema, als würde von Politikern nicht vor allem deshalb auf Schwule, Homos, Transsexuelle gezielt, um grundsätzlich die Verfasstheit freiheitlicher Gesellschaften infrage zu stellen.“ Meint Johannes Kram in seiner Bildblog-Kolumne. +++
+++ Beste Nachrichten für Fans von Ulrich „Akte“ Meyer, der nach 22 Jahren wieder zu Ulrich Meyer werden möchte, hat Frank Hauke-Steller im Interview für kress.de erfahren: „Die ,Service-Akte’ werde ich auf Wunsch der Sat.1-Gold-Geschäftsführerin weiter moderieren - als Staffelproduktion.“ Puh! +++
Frisches Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.