Ein neues "Media- und Content-House" startet durch, und zwar vor Hintergründen wie dem "der stetig wachsenden Bedeutung von 'Owned Media'" sowie natürlich dem "der zunehmenden Digitalisierung". Konkret geht's darum, künftig "das weltweit optimale Zusammenspiel aller digitalen Inhalte und Kanäle (zu) gewährleisten", "alle redaktionellen Inhalte ... gezielter an den Wünschen der Kunden", die "zwischen guten und weniger guten Inhalten - nicht zwischen Kanälen oder Abteilungen" unterscheiden, auszurichten und so was.
Wer gelegentlich gefragt wird, wohin ungefähr die Entwicklung der Medien geht, und zumindest manchmal mit grundgruseligen Szenarios antworten möchte, in denen Medien zusehends weniger von Journalismus bestimmt werden, sondern (außer von kalifornischen Datenkraken) von sog. starken Marken großer Konzerne, die statt wie früher Werbeflächen in älteren Medien zu buchen, ihre Inhalte lieber noch ungestörter in eigenen Kanälen "ausspielen" - der sollte unbedingt zu media.daimler.com klicken. Die Pressemitteilung unter der sexy Überschrift "'Owned Media' im Fokus von Marketing und Kommunikation: Mercedes-Benz stärkt Redaktionskompetenz" vibriert geradezu vor Bausteinen, die sich für solche Szenarios bestens eignen.
Und eine handfeste Neuigkeit versteckt sich auch darin: Als Mittelpunkt des Media- und Content-House (oder heißt es -Houses?) wurde "Dr. Dominik Wichmann ..., der viele Jahre lang das Magazin der Süddeutschen Zeitung sowie die Zeitschrift Stern leitete", gewonnen.
Beim Daimler werden sie sich freuen, wie in den Medienmedien, die auf solche Personalien anspringen, das Ausspielen des Begriffe-Bullshits bereits funkioniert, ja (horizont.net: "Berührungsängste scheint es zwischen den Disziplinen nicht zu geben. 'Das steigert unsere Effizienz', ist immer wieder von verschiedenen Gesprächspartnern zu hören") noch eigeninitiativ vorangetrieben wird. Und
"vor seinem Intermezzo beim 'Stern' hatte sich Wichmann als Chefredakteur beim Magazin der 'Süddeutschen Zeitung' große Anerkennung erarbeitet. Beim Hamburger Traditionsblatt kam er mit seinen Reformideen letztlich nicht durch",
würdigt das manager-magazin.de Wichmann bzw. hat an diesen Formulierungen soagr noch weiter gefeilt. Vom "Hamburger Traditionsblatt" mit dem Stern drauf zu den Autos dem Stern drauf zu wechseln, ist jedenfalls eine schöne Karriere.
[+++] Eins der allergrößten Media- und Content-Houses weltweit ist der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk. Seit Anfang des Monats spielt er endlich auch maßgeschneiderte Inhalte für 14- bis 29-Jährige aus. Allererste Einschätzungen zum Jungen Angebot mit dem pffiffigen Namen Funk gab es bereits (Altpapier vom 30. September). Doch um Überblick über die 40 funk.net-Einzelangebote zu gewinnen und dann eine Gesamteinschätzung abzugeben, brauchen selbst junge Leute etwas Zeit. Nun ist's so weit.
Christian Vooren vom Tagesspiegel steht nach eigenen Angaben "eher am hinteren Ende der Skala" der Altersgruppen, die Funk ansprechen möchte, und ist sonst vor allem im Sportressort zugange. Jetzt aber hat er sich Funk auf allen Kanälen gründlich angeschaut:
"Die Facebook-Seite gibt es erst seit dem Wochenende, bei Twitter komplette Fehlanzeige. Selbst die App, mit der ich alle Videos und Geschichten sehen kann, ist nur schwer zu finden. Macht nichts, denn einmal auf dem Tablet installiert, stelle ich fest, dass die App ausschließlich fürs Smartphone konzipiert und damit für meine Zwecke nutzlos ist."
Vooren stolpert erst mal über das fröhliche "Fickt euch!", mit dem Funk (nach Bremer Muster, vgl. Altpapier) die Zielgruppe u.a. begrüßt. Später findet er die Idee, "mit möglichst viel Baclava im Mund Popsongs (zu) summen, die dann der andere erraten muss, während beide in einer Toilettenkabine eingesperrt sind", "Banane". Und am Ende ist er sich "nicht sicher, ob ich ein zweites Treffen möchte".
Dominik Speck von epd medien ist auch noch jung genug, um in die Zielgruppe zu passen, und besitzt Medien-Überblick genug, um sich vom "Funk-Logo ... seltsamerweise an DMAX erinnert" zu fühlen. Vermutlich sind Logos, die nicht an andere Logos erinnern, aus den Rundfunkgebührbeiträgen aber einfach nicht zu finanzieren ... Insgesamt findet er Funk jedenfalls in Ordnung:
"Die Videoreportagen des 'Y-Kollektivs' und das als investigativ angekündigte Format 'Jäger & Sammler' unter anderem mit Ronja von Rönne gehen über übliche Webvideo-Inhalte hinaus und lassen eine journalistische Machart erkennen. Das 'Bohemian Browser Balett' von Schlecky Silberstein ist sehenswerte Comedy, die gleich mal vor den 'Systemmedien im Kinderzimmer' warnt. Die Kölner Kreativschmiede Bildundtonfabrik steuert mit 'Gute Arbeit Originals' eine bisher eher klassische Sketch-Comedy bei, präsentiert von Böhmermann-Sidekick Florentin Will."
Und fürs
"'ältere' Funk-Publikum ist immerhin die Verpflichtung von Coldmirror ('Harry Potter und ein Stein') verführerisch: Eine YouTuberin der ersten Stunde, als die Plattform noch nicht zur Manege für produktplatzierende Teenager verkommen war und statt Hipstern echte Nerds den Content ins Internet brachten ..."
Wobei Ronja von Rönne, wie Vooren im tagesaktuelleren Tagesspiegel-Text schreibt, "ihren Reporter-Job bei dem 'Funk'-Format 'Jäger und Sammler' schon wieder hingeschmissen hat."
[+++] Dieses "Jäger und Sammler" wird für Funk übrigens von einem der weiterhin kraftvollsten Media- und Content-Houses, die wir in Deutschland haben, hergestellt: der Bertelsmann'schen UFA.
Diese UFA stellte am Dienstagabend in Berlin Medienbeobachtern ausführlich vor, was sie aktuell alles so macht und plant. Frei online berichtet darüber Peer Schader bei dwdl.de:
"Zu den Prestige-Projekten der Fiction-Unit gehören unter anderem die sechsteilige historische Krankenhausserie 'Charité' von Sönke Wortmann, die im Frühjahr am Dienstagabend im Ersten laufen soll. Das ZDF zeigt die drei mal 90 Minuten lange Oliver-Hirschbiegel-Produktion 'Der gleiche Himmel', ein Gesellschaftsporträt in Zeiten des Kalten Krieges. Außerdem steht im Luther-Jahr der Zweiteiler 'Himmel und Hölle' von Uwe Janson auf dem Programm (ebenfalls ZDF). UFA-Co-CEO Nico Hofmann will zudem das Leben von Siegfried & Roy verfilmen ..."
Ich selbst war auch bei dieser Veranstaltung und hatte mich u.a. für die Frage interessiert, wer denn den Hitler spielen wird in der acht- bis zehnteiligen Nico-Hofmann-RTL-"Hitler"-Serie, die zuletzt im Februar im Altpapier vorkam, als die FAS die Drehbuchautoren Niki Stein und Hark Bohm interviewt hatte, und die davor 2015, 2014 sowie ursprünglich 2012 angekündigt worden war.
Dafür kommen im erwähnten Katalog u.v.a. Stefan Aust vor, der für eine Produktion mit dem Arbeitstitel "Die Porsche-Saga" "dem Mythos Porsche auf den Grund" gehen will, und die britische Krimiautorin Agatha Christie (1890-1976). Da sei es der UFA "gelungen, die deutschen TV Verfilmungsrechte an ihrem Gesamtwerk zu erwerben".
Wer mindestens zweieinhalbmal zu alt für Funk ist, darf sich darauf freuen.
+++ Aktuell findet in Hamburg der Evangelische Medienkongress mit dem Thema "Schein und Sein 4.0 - Mediale Strategien und Werte" statt. Mit dabei mit wie stets bedenkenswerten Thesen: Bernhard Pörksen. Der Medienwissenschaftler "forderte ein neues Schulfach 'digitale Ökologie', in dem Schüler zugleich Informatik, Philosophie, Ethik und eine kritische Medienanalyse lernen sollten. Durch die Digitalisierung seien die klassischen Medien, die früher eine Schleusenwärterfunktion für Information gehabt hätten, schwächer geworden. An ihre Stelle träten nun allgegenwärtige, blitzschnell zugängliche Netzwerke, in denen Privates und Öffentliches verschmelze ... Heutzutage müsse sich jeder, der etwas auf Facebook stelle, fragen, was eine relevante, veröffentlichungsreife Information sei." (siehe hier nebenan sowie generell #ekdmk auf Twitter). +++
+++"'Facebook begünstigt die Eskalation, denn was besonders viel geliked wird, stellt der Algorithmus nach oben', sagt Cornelius Puschmann. Und mit 'gefällt mir' markiert wird eben häufig, was platt, plakativ oder ein Scherz auf Kosten Dritter ist", wurde indes in Berlin diskutiert. Vom fünften Geburtstag des Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft, das insbesondere als Google-Großspenden-Empfänger Beachtung verdient, berichtet das SZ-Feuilleton: "'Die amerikanische Doktrin war immer: Je mehr Information, desto besser. Aber die unsichtbare Hand, die das regeln soll, funktioniert in der digitalen Welt nicht mehr', sagt Urs Gasser, Direktor des Berkman Center for Internet and Society an der juristischen Fakultät der Harvard Universität. Das Bild mit Adam Smiths Analogie zur freien Marktwirtschaft passt. Auf dem Marktplatz der Informationen gibt es derzeit ein ähnliches Marktversagen, wie es in der Ökonomie immer wieder auftritt, wenn sich irgendwo zu viel Macht ballt. Aber wer kann die oberste Instanz sein, die dem Hass bei Twitter, Facebook und Co. Grenzen setzt?" +++
+++ "Facebook lässt nicht locker und möchte sein umstrittenes Angebot 'Free Basics'", das Indien lieber verboten als angenommen hat, nun "offenbar in die USA bringen, berichtet die Washington Post", berichtet netzpolitik.org. +++
+++ Die 2,6 Terabyte schweren "Panama Papers" hat nun auch eine saarländische Ausgründung des Max-Planck-Instituts für Informatiks analysiert und ist zu interessanten Ergebnissen gelangt. Z.B.: "Die politische Ideologie beeinflusst nicht die Entscheidung, ein Offshore-Konto zu verwenden. Konservative und sozialistische Politiker tauchten zu gleichen Teilen in den Panama Papers auf", allerdings tauchten am häufigsten gar nicht Politiker auf, sondern Sportler (idw-online.de). +++
+++ Die SZ-Medienseite bespricht-empfiehlt heute eine Amazon Prime-Serie ("The Path"), ohne darüber das Besprechen-Empfehlen einer Netflix-Produktion ("13th") zu versäumen. Kostenpflichtig geht's um das Festival "Radio Revolten" in Halle. +++ Dass die privaten Fernseh-Konzerne RTL Group und ProSiebenSat.1 einst 635 bis 900 Millionen Euro für das inzwischen insolvente Leipziger Internet-Unternehmen Unister geboten hätten, steht im Wirtschaftsressort. +++
+++ "Über eine Agentur von ProSiebenSat 1" hätten ARD und ZDF kurzfristig Fernsehrechte an der Tennis-Damen-Weltmeisterschaft erworben, weiß der Tagesspiegel. +++
+++ Ein Manager von Discovery-Eurosport, dem US-amerikanischen Konzern, der jede Menge Olympia-Fernsehrechte ein- und u.a. ARD und ZDF weg -gekauft hat, sagte laut Guardian: "We spend a lot of time looking after our brand. We want to be seen as someone who genuinely helps the sports industry and is positive to sports fans. You don’t want to be associated with [negative] stories that make the sports viewing experience worse." +++
+++ In einem langen Gastbeitrag auf der FAZ-Medienseite fordert Gunnar Folke Schuppert, "Emeritus des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung", beim steuerfinanzierten deutschen Auslandssender Deutsche Welle "den Begriff 'Ausland' auch personal zu interpretieren, so dass es beim Auslandsrundfunk um die Rundfunkversorgung des geographischen Auslands, aber auch um die Versorgung von Zielgruppen mit eindeutigem Auslandsbezug geht, so zunächst transnationale Migranten, die in Deutschland Sicherheit und/oder eine wirtschaftliche Perspektive suchen, aber in gleichem Maße auch die vielen Millionen Touristen und Geschäftsreisenden, die Deutschland jedes Jahr besuchen. Das sogenannte Flüchtlingsfernsehen in arabischer Sprache und die Verbreitung des englischen TV-Kanals im Inland sind daher nicht nur kompetenzrechtlich zulässig, sondern eine sinnvolle, wenn nicht sogar gebotene Aufgabe der Deutschen Welle, will sie dem Geist ihres Auftrages gerecht werden". +++ Außerdem geht's ebd. um Ausreisesperren für pakistanische Journalisten. +++
+++ Aus dem Internet dank Crowdfunding nun auch an den Kiosk geht das "deutschtürkische Onlinemagazin" renk-magazin.de, das "das 'bunte Deutschland' zeigen" soll (TAZ). +++ Außerdem ebd.: die Krise, in die sich die Satire in den USA gestürzt habe ("Hillary Clinton darf man nicht karikieren, Donald Trump kann man nicht karikieren"). +++
+++ "Österreichs Rundfunkgebühren sind die höchsten in Europa" sowie "die niedrigsten im deutschsprachigen Raum"? Stimmt beides, je nach Betrachter-Blickwinkel (Standard). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.