Außer dem Herbst beginnt nun auch die neue Saison deutsche Medienpolitik. Spannende Entscheidungen stehen bevor: Wird der Rundfunkbeitrag um rund ein Brötchen pro Monat preiswerter als bisher (bevor er zum nächsten Jahrzehnt viele Brötchen teurer wird)? Und war die "Tagesschau"-App vor ein paar Jahren denn nun "presseähnlich", wie ein seinerzeit vielleicht noch halbwegs sinnvoll erschienener Rechtsbegriff lautet?
Heute tagt die Arbeitsgruppe "Auftrag und Strukturoptimierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten" (Altpapier gestern; der darin erwähnte FAZ-Beitrag "Was hinter Seehofers Plan für ARD und ZDF steckt" steht inzwischen frei online).
Passend hat der Branchendienst epd medien in seiner neuen Ausgabe (zurzeit nicht frei online) ein sechseinhalb DIN-A-4-Seiten umfassendes Interview mit Heike Raab veröffentlicht. Raab ist als "Staatssekretärin als Bevollmächtigte des Landes" Rheinland-Pfalz "beim Bund und für Europa, für Medien und Digitales" (rlp.de/ PDF) "eine Schlüsselfigur der deutschen Medienpolitik" (epd medien). Schließlich werden die Strippen der Medienpolitik seit jeher in Rheinland-Pfalz gezogen, zumindest sofern überhaupt welche gezogen werden und sie sich nicht von selbst verheddern.
Und dass die Cochemerin auf ihrer eigenen Webseite von sich sagt "Die Bereiche Medien und Digitales sind seit Jahren mein politisches Steckenpferd", dürfte sie von den Kollegen Medienpolitikern unterscheiden. Die reiten privat wahrscheinlich andere Steckenpferde.
Raab zeigt sich jedenfalls gut drin im Stoff. Auf die Beitrags-Frage antwortet sie diplomatisch:
"... Erstens: In einem dualen Rundfunksystem, das auf Medienvielfalt und Pluralismus setzt, brauchen wir einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der auskömmlich finanziert ist. Das wird auch bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht. Zweitens: Das Mediennutzungsverhalten hat sich geändert. Bei vielen Konsumenten fallen neben dem Rundfunkbeitrag auch andere Kommunikationskosten an. Wer gerne Bundesliga- oder Champions-League-Spiele sieht, hat oft Sky abonniert. Viele Haushalte mit Jugendlichen haben Abrufdienste wie Netflix oder Spotify abonniert. Die Kommunikationskosten eines Privathaushalts sind durch diese Angebote gestiegen ..."
Und wird nun erst mal gesenkt? Eher nicht, glaubt Raab:
"Wenn wir jetzt den Beitrag absenken würden, der Bedarf aber jährlich um 1,5 bis 1,8 Prozent steigt - dann müsste der Rundfunkbeitrag ab 2021 auf mehr als 19 Euro erhöht werden. Und diesen Vorschlag durch 16 Landtage zu bringen, halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für ein extrem schwieriges Unterfangen."
Daher also "Strukturoptimierung", worunter Raab weniger eine ARD-ZDF-Fusion versteht wie Horst Seehofer, sondern eher, dass sich nicht immer noch jeder Sender "selbst einen Ü-Wagen, der eine Millioneninvestition darstellt", kauft. Dass gegen Ende der 2010er Jahre die Akzeptanz für öffentlich-rechtlichen Rundfunks wieder dramatisch steigen wird, ist schließlich nicht zu erwarten. Wobei in Kürze für die Zuschauer, die dem Kinderkanal entwachsen sind, der ganz neue Jugendkanal kommt.
"Was erwarten Sie sich vom Start des öffentlich-rechtlichen Jugendangebots?", fragen die epd-Interviewer Diemut Roether und Karsten Packeiser also auch.
Raab: "Es ist jetzt schon echt cool, was hier in Mainz passiert. Ich wünsche dem Jugendangebot von ARD und ZDF, dass sie noch einen Namen finden, der jugendaffiner ist als www.jugendkanal.de. Für ARD und ZDF ist das Angebot auch eine Art Laboratorium, weil dort das Fernsehen der Zukunft entsteht. Man schaltet nicht mehr den Fernseh-knopf ein, sondern schaut es sich im Internet am smarten Endgerät an. Dort wird völlig neu zusammengearbeitet, es gibt Co-Working-Spaces, in denen Kreative aus ganz Deutschland und Europa zusammenarbeiten. Ich war kürzlich in Berlin im Youtube-Space und traf dort zwei jüngere Youtuber, die sagten, cool, wir gehen auch in die Bonni-Türme in Mainz ..."
Ist auf jugendkanal.de gar schon etwas zu sehen? Nein (und der DENIC zufolge gehört die Domain auch nicht ARD, SWR oder ZDF). Aber inwieweit die Coolness-Versprechen des Jugendkanals sich auch jenseits von Mainz entfalten, darf die Jugend gespannt sein.
Oben auf Heike Raabs Agenda steht noch etwas anderes: die Reform der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie der Europäischen Kommission, die am Montag im Europäischen Parlament besprochen werden soll. Da geht's um Pläne des Kommissars-Teams, zu dem Günther Oettinger gehört (siehe etwa dieses und dieses Altpapier). Und laut Raab um die Frage, ob das, was in Deutschland "sehr gut und selbstbewusst mit den Instrumentarien der freiwilligen Selbstkontrolle, den Landesmedienanstalten und Rundfunkräten etabliert ist", von einer "zentralistischeren Medienaufsicht" auf europäischer Ebene übernommen werden soll.
[+++] "Wie die Medienregulierung von der Zukunft überrollt wurde",
schreibt noch eine Medienpolitikerin, zu deren privaten Steckenpferden die Medien ebenfalls zählen dürften. Die Grüne Tabea Rößner hat für irights.info einen Gastbeitrag zur "Tagesschau"-App-Frage verfasst. Sie erklärt zumindest gut, wie es zur sowohl medienjuristisch grotesk verfahrenen als auch von der Medienentwicklung längst überholten Lage gekommen ist:
"Man könnte nun meinen, die Schuld für diese ganze juristische Misere liege bei der EU. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn das Kriterium der Presseähnlichkeit – ob also die App zu viel Text enthält – ist tatsächlich nicht einer Rücksicht auf Vorgaben der EU-Kommission geschuldet. Vielmehr haben erst die Ministerpräsidenten – wenn auch wohl nach intensivem Lobbying der Zeitungsverleger – in den Rundfunkstaatsvertrag hineingeschrieben, dass 'nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote' der öffentlich-rechtlichen Sender im Netz nicht zulässig seien ..."
Schuld seien also die Ministerpräsidenten bzw., weil die andere Steckenpferde haben, deren Staatssekretäre, und natürlich die Verleger.
[+++] Wenn man oft vergisst, wenn man rasch mal "ARD und ZDF" hinschreibt: den ebenfalls aus den Rundfunkbeitragsmilliarden finanzierten Deutschlandfunk, der teilweise auch noch "Deutschlandradio" heißt, aber nicht mehr lange. Diese Woche hat er mit seinen Umbenennungsplänen auf sich aufmerksam gemacht (Altpapier). Nun äußern sich auch die Chefs.
Anne Fromm von der TAZ hat Andreas Weber, der zwar den Titel Deutschlandradio-Programmdirektor trägt, aber schon jetzt "für alle drei Sender der Gruppe" zuständig ist, ans Telefon bekommen. Der habe
"festgestellt, dass immer mehr Menschen uns nicht mehr klassisch linear im Radio hören, sondern über Drittplattformen finden, sei es auf unseren eigenen Webseiten, iTunes, Spotify oder Facebook. Dort konkurrieren wir mit Tausenden Sendern aus der ganzen Welt. Deswegen ist es wichtig, dass wir unsere Marke stärken und noch deutlicher als bislang signalisieren: Wir sind drei Programme unter einem Dach",
erklärt er die Aktion. Und soo teuer werde sie gar nicht, sagt Weber, zumindest vergleichsweise:
"Im Vergleich zur ARD, wenn die so eine Kampagne machen würde, haben wir ein kleines Budget."
Das gehört zu den Vorzügen des öffentlich-rechtlichen Systems: Jemand, der alles noch umständlicher und teurer anstellt und als Negativbeispiel dienen kann, ist stets leicht zu finden. Einen noch höheren Würdenträger, Intendant Willi Steul persönlich, hat Ulrike Simon für die Madsack-HAZ zu greifen bekommen. Er benutzt demzufolge auch noch größere Worte:
"Der Prozess interner Umstrukturierungen und Programmreformen war teilweise schmerzhaft. Er endet – die Form folgt der Funktion – mit der angekündigten Umbenennung. Deutschlandfunk, sagt Steul, stünde nun klar erkennbar für Nachrichten und tiefgründige Analyse und sei die stärkste Marke; Deutschlandradio Kultur, demnächst Deutschlandfunk Kultur, trage den Auftrag bereits im Namen; und das im Januar 2010 gestartete, ausschließlich digital verbreitete D-Radio Wissen, demnächst Deutschlandfunk Nova, sei die junge Welle mit dem Fokus auf Wissensvermittlung. Steul spricht von Flottenstrategie und Markenarchitektur."
Dass der Deutschlandradiofunk jetzt auch eine eigene junge Welle hat, ist ja nun echt, wie heißt es ..? Cool!
+++ Angela Merkel macht die Raute zwischen Tina Hassel und Patricia Schlesinger sowie Volker Herres: Gestern hatte die ARD "500 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Medien" bei ihrem "Hauptstadttreff" zu Gast, und "viele Vertreter des Hauptstadtjournalismus nutzten die Möglichkeit zum lockeren Gespräch, darunter Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, 'taz'-Chefredakteur Georg Löwisch und Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke-Zentralredaktion Berlin" (RBB, mit Rauten-Foto). Herres hielt auch eine kleine Ansprache. +++
+++ Russische Hacker haben den "Hauptstadttreff" offenbar nicht gestört. Wolfgang Michal hat seinen gestern hier verlinkten Blogeintrag "Das Mem von den russischen Hackern" nach Auseinandersetzungen mit Leuten, die darauf hinwiesen, dass es russische Hacker ja tatsächlich gibt, noch mal erweitert (selber Link): "Dass heute in den USA und Deutschland ernstlich davor gewarnt wird, russische Hacker könnten mit ihren Hacks die nächsten Wahlen beeinflussen, ist pure Hysterie – hier wird ein inneres Problem (Trump, AfD) in Panik auf einen äußeren Feind projiziert." +++ Dass russische Hacker kürzlich "auch ein deutsches Medienunternehmen ins Visier" genommen hätten, sagte indes Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen der DPA. Welches, sagte er nicht, aber dass das auch via E-Mail des am Dienstag hier erwähnten angeblichen NATO-Mitarbeiters Heinrich Krammer geschehen sei. Aus irgendwelchen Gründen bringt futurezone.at eine längere Version der Meldung als meedia.de. +++
+++ Dem manager magazin ist nicht bloß gelungen, Yvonne Bauer vom berühmt-berüchtigten Hamburger Bauer-Verlag zu ihrem "ersten Interview seit Jahren" zu überreden (sie sehe "noch eine Menge Möglichkeiten, die Profitabilität durch weitere Effizienzmaßnahmen auszubauen" und spricht auch darüber, wie sie "als Mutter zweier einjähriger Zwillinge die Rolle als Verlegerin meistert"). Darüber hinaus setzt die Zeitschrift einen cleveren Marketing-Trick ein: Die Meldung, zu der der Link führt, stelle nur "einen minimalen Ausschnitt aus der Oktober-Ausgabe des manager magazins" dar, setzt der Spiegel-Verlag geschickt Kaufanreize. +++ "Gratulation an Lutz Meier und Steffen Klusmann vom 'manager magazin'!", ruft kress.de aus (und aggregiert dann über den "minimalen Ausschnitt" hinaus, was Bauer sonst noch so gesagt hat). +++
+++ "Datenschutzrechtlich dürfte das Projekt zunächst wenig Angriffsfläche bieten": netzpolitik.org zum Plan des Mobilfunkanbieters Telefónica, anonymisierte Standortdaten seiner Kunden zu verkaufen. +++
+++ Abschieds-Hommagen an die WDR-Show "Zimmer frei!" haben der Tagesspiegel (Markus Ehrenberg: "Alleine schon das Intro. Westermann, die Journalistin, die Ältere, die Seriöse – die es jetzt sogar ins 'Literarische Quartett' geschafft hat – marschiert ein, stellt sich vor die aufgedrehten Zuschauer im WDR-Studio Bocklemünd und kündigt etwas ungelenk den Gast des Abends an, während sich Alsmann neben ihr mit Haartolle hampelnd einen abfeixt") und die Süddeutsche. +++
+++ Gestorben ist Wolfgang Prosinger, "lange Jahre Chef der Seite 3 des Tagesspiegels" (Tsp.-Checkpoint). +++
+++ Ein "Fachgespräch zur Bedrohung von Journalistinnen und Journalisten bei Demonstrationen" mit Parteivertretern gab es gestern. Der DJV-Vorsitzende Frank Überall und RTL-Chefmoderator Peter Kloeppel trafen u.a. auf die erwähnte Tabea Rößner (augenzeugen.info). +++
+++ Neues zur weiter problematischen Lage der DJV-Mitgliederzeitschrift journalist hat die SZ-Medienseite. +++ Außerdem nennt Katharina Riehl dort die Eigenproduktion "Protokolle des Bösen", für die der Pay-TV-Sender A&E "seit Monaten so begeistert PR-trommelt, als habe man einen bisher unbekannten Fall von Horst Schimanski im Archiv gefunden", "ein kleines und in vielerlei Hinsicht äußerst deutsches Herantasten an eine neue Art des Fernsehens". +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite beschreibt Adrian Lobe, "wie Facebook Amerikas Wahlkampf beeinflusst" ("... wird scheinbar zum Schiedsrichter von Debatten, macht aber weder den Algorithmus seiner Nachrichtenauswahl noch die Mechanismen hinter den 'Reactions' transparent. Und was sind das überhaupt für Reaktionen? 'Gefällt mir', 'Love', 'Haha', 'Wow', 'Traurig' und 'Wütend'. Das ist das Vokabular, mit dem die Facebook-Nutzer politische Debatten kommentieren sollen: Differenzierung Fehlanzeige, sachliche Argumentation nicht vorhanden, dafür geht es allein ums Gefühl, um Stimmungen, mit denen man die Stimmabgabe beeinflussen kann"). +++ Wie derselbe Wahlkampf die Lage der ICANN beeinflusst, schildert das Ex-Mitglied des Icann-Direktoriums, Wolfgang Kleinwächter: "... die lange geplante Entlassung einer wichtigen Aufgabe der Icann (Internet Corporation for Assigned Namens and Numbers) aus amerikanischer Oberaufsicht" werde vom republikanischen Senator Ted Cruz interpretiert "als gefährliche Machtübernahme. Die Regierung Obama, so Cruz, verschenke amerikanisches Eigentum, Russland und China übernähmen das Internet, dessen Freiheit nicht mehr garantiert sei ..." +++
+++ Und der Alternative Nobelpreis für die türkischen Zeitung Cumhuriyet wird dort gewürdigt. +++ Indes hat "die Europa-Ausgabe der als regierungsnah geltenden türkischen Zeitung Sabah ... jetzt eine deutsche Hotline eingerichtet, an die sich Deutsch-Türken wenden sollen, um von ihren 'Erlebnissen mit der Gülen-Terrororganisation' zu berichten. Reporterinnen der 'Aktuellen Stunde'" des WDR haben das ausprobiert (wdr.de). +++
+++ Die TAZ legt heute den Grundstein für ihren neuen Sitz (und bietet dazu eine Wette an). +++
+++ Und Vox-Star Carsten Maschmeyer muss, von dem neulich hier gewünscht wurde, seine Schattenseiten würden wieder bekannter, wurde nun tatsächlich für einen "Untersuchungsausschuss des Bundestags, dessen Titel 'Cum-Ex' lautet, ... als Zeuge benannt" (sueddeutsche.de). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.