Das Medienmedien-Portal meedia.de ist am allerunverzichtbarsten, außer natürlich als einer der wichtigeren Spieler auf dem Feld der täglichen Fernseheinschaltquoten-Verbreitung, für alle, die schnell wissen wollen, worüber das sog. Netz gerade spottete oder ob Kanye West, aber auch Tobi Schlegl wieder was gepostet haben.
Andere, analytischere Farben der Medienbeobachtung spielen selten größeren Rollen. Aber aktuell hat Georg Altrogge in der New York Times und anderswo einiges über die Lage im syrischen Aleppo gelesen und daher (sowie in Antizipation der Olympischen Spiele) einen impressionistischen Leitartikel geschrieben:
"Es ist alles nachzulesen, was in der zweitgrößten syrischen Stadt passiert oder aller Wahrscheinlichkeit nach noch geschehen wird, wenn man es denn wissen will oder danach sucht. Die Wahrheit ist aber auch: Wer das eben nicht vorhat, dem wird es leicht gemacht, von der Politik und auch von vielen Medien. Aleppo ist kein Topthema, anders als noch vor Monaten die Flüchtlingsbewegung, die nun wie von Zauberhand gestoppt scheint. Tatsächlich gibt es kaum weniger Flüchtlinge; sie sind nur so weit weg, dass das Wegsehen plötzlich leicht geworden ist. Medien helfen dabei, denn auch in einer globalisierten Welt folgen sie noch dem Grundsatz, ihre Berichterstattung danach zu hierachisieren, was vor der Haustür geschieht und uns 'unmittelbar betrifft'. Afrika oder Syrien gehören nicht dazu, darüber berichtet man bevorzugt unter ferner liefen im hinteren Politikteil und auf den Panoramaseiten."
Ich weiß nicht, welche Panoramaseiten aus Syrien berichteten. Aber zu den wahren Kernen des Textes könnte gehören, dass Nachrichtenportal-Startseiten, die alle nach ähnlichen aufmerksamkeitsökonomischen Mustern gestaltet werden (und alle hoffen, überhaupt ökonomisch zu funktionieren), die Wirklichkeit bzw. deren Wahrnehmung noch anders verzerren als bislang bewusst ist.
Wegen der vielen darin enthaltenen Motive, die deutschen Medienbeobachtern durch den Kopf gehen, lohnt es jedenfalls, Altrogges Ruckrede Satz für Satz laut zu lesen. Es ist ein schöner Erfolg, dass sie in den "Meistgelesen"-Charts auf der Startseite, anhand derer meedia.de wie die meisten Onlinemedien selbst natürlich auch hierarchisiert, wie es was bringt, zwar nicht am "Mode-Fauxpas" eines Sportreporters ("ARD rätselt bei Twitter über Herkunft seines Hawaiihemds") vorbeikommt - darüber spottet halt das Netz, da kann keiner was für -, aber den Beitrag über Kanye West (trotz der Reizworte "Ikea" und "#Foodporn" zugleich in der Überschrift! SEO-Experten wissen, was das heißt ...) hinter sich lässt.
[+++] Silke Burmesters "Warum hast du nichts getan?" in der TAZ neulich (Altpapier vom Mittwoch) geht für Medienressort-Verhältnisse relativ viral. Das dürfte mit reingespielt haben. Und was können Medienleute tun? Wie darin bereits angedeutet: Reporter ohne Grenzen natürlich!
Das Portal der ROG enthält nahezu ausschließlich schlechte Nachrichten. Dass tagesaktuell ein "internationales Bündnis von Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbänden eine globale Kampagne" startet, ist auch nur auf den allerersten Anschein eine gute. Vermutlich wird das Bündnis sich die Zähne ausbeißen an der ziemlich stabilen Institution, gegen deren Vorhaben es sich richtet: der deutschen Bundesregierung. "Die Überarbeitung des BND-Gesetzes ist ein Angriff auf die Pressefreiheit", zitieren die ROG die OSZE-Medienbeauftragte Dunja Mijatovic. Auf englisch bei rsf.org liest sich das eindrucksvoller ("surveillance of foreign journalists by German Foreign Intelligence Agency BND"). Hier lässt sich, wieder auf deutsch, dagegen unterschreiben. Aber
"Sind das nicht Tropfen auf einen heißen Stein?"
Vieles Wissenswerte über die Arbeit der ROG, die international (auch auf englisch) französisch RSF heißen, erfährt man in Ulrike Simons Interview mit dem Geschäftsführer der international zweitgrößten Sektion, der deutschen. Das Interview ist in Madsacks HAZ kostenpflichtig zu haben (0,25 Euro bei Blendle), im Badischen und Märkischen gratis. Christian Mihr berichtet zum Beispiel von Projekten in der Türkei:
"... Ich bitte um Verständnis, dass ich nicht ins Detail gehen kann. Nur so viel: Wir beschäftigen uns kritisch mit dem türkischen Internet-Gesetz hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit. Außerdem bemühen wir uns mit lokalen Partnerorganisationen um Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz von Journalisten im Kurdengebiet. Und im September werden wir einen Bericht zu den Besitzstrukturen der Medien in der Türkei veröffentlichen. Das läuft im Rahmen unseres weltweiten Datenbank-Projekts 'Media Ownership Monitor' mit Hilfe des Entwicklungsministeriums BMZ."
In diesem also Bundesregierungs-geförderten "Ownership Monitor" ging es zuletzt um Tunesien.
Den Tiefschlag hebt sich Mihr für den Schluss auf. Auf die Frage " Wo sehen Sie die größte Gefahr?" antwortet er nicht etwa mit aktuellen Entwicklungen in Rechtsstaaten oder Umstürzen in Pseudo-Rechtsstaaten mit der Türkei oder mit Staaten, die zu groß scheinen, um überhaupt ernsthaft kritisiert zu werden (wie China, wo Zhou Shifeng, Anwalt der Die Zeit-Mtarbeiterin Zhang Miao, gerade zu einer langen Gefängnisstrafe verurteil wurde; siehe zeit.de, Süddeutsche). Sondern Mihr sagt:
"Das größte strukturelle Problem sehe ich in der Zunahme zerfallender Staaten. Beispiele sind Syrien, Somalia, Pakistan. Aufgabe von Organisationen wie unserer ist es, Staaten an ihre Verpflichtung zu erinnern, sich an die Menschenrechte zu halten. Selbst in einer harten Diktatur wie der ägyptischen oder in China bewirken wir damit Reaktionen. Doch wo kein Staat mehr ist, können wir uns empören, anklagen und Rankings der Pressefreiheit veröffentlichen, soviel wir wollen – Drogenkartellen oder der Al-Shabaab-Miliz ist das wumpe."
Die Radio-Digitaldebatte (siehe u.a. dieser Altpapierkorb) wird in FAZ, epd medien und Medienkorrespondenz mit laangen Texten von Vertretern sehr unterschiedlichen Meinungen geführt. Den am Mittwoch hier erwähnten Beitrag von Rainer Henze ("Vorstand des Webdienstleisters laut.ag und Vorsitzender der Fokusgruppe Audio im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW)"), der sich scharf gegen den digitalen Standard DAB+ aussprach ("Das sogenannte Digitalradio DAB+ ist im heutigen Kontext insofern etwa so innovativ wie eine Audio-CD"), hat die FAZ inzwischen frei online gestellt. Und weil es zwischen den Positionen so schön kracht, dann auch den gedruckt schon vor längerem (AP-Korb) veröffentlichten Beitrag des Journalisten und DAB+-Befürworters Jürgen Bischoff ("Die Geschichte des Digitalradios in Deutschland ist ... eine von Murks und Unvermögen, ein an sich sinnvolles System in den Markt zu bringen") dazu gestellt. Und nun?
Jürgen Brautmeier, als Noch-Chef der Landesmedienanstalt in Düsseldorf (bzw. nordrhein-westfälischer Medienwächter) einer der ein bisschen Entscheidungsbefugten, hatte sich in der FAZ gemeinsam mit dem noch entscheidungsbefugteren Staatssekretär Marc Jan Eumann bereits im Frühjahr geäußert. Und allzu oft möchte die FAZ-Medienseite, auch wenn sie mehr Platz hat als jede andere gedruckte Medienseite, solche oft sperrigen Experten-Gastbeiträge vermutlich auch nicht haben. Jedenfalls hat Brautmeier nun auf juergenbrautmeier.de weitergebloggt:
"Der Fachmann staunt und der Laie wundert sich. Denn eigentlich hat die seit Mitte April geführte erneute Debatte über den Sinn oder Unsinn von DAB+ bis jetzt nur zu dem Punkt geführt, den Marc Jan Eumann und ich schon am Anfang als Frage aufgeworfen hatten: Wer soll das bezahlen bzw. ist die Politik bereit, öffentliche Gelder für die Förderung bzw. das Mittun der privaten Radios bereitzustellen? Alle sind sich mittlerweile einig, dass dies die entscheidende Frage ist, aber niemand traut sich bisher eine klare Antwort zu ..."
Bevor er mit einem Goethe-Reim aussteigt, gelangt Brautmeier zu einer für Medienwächter-Verhältnisse tatsächlich relativ klaren Antwort:
"Es ist an der Zeit sich einzugestehen, dass bei DAB alle Versuche, künstlich bzw. mit öffentlicher Förderung etwas durchzusetzen, was ein Teil der Branche und besonders der Nutzer nicht wirklich annimmt, bisher keinen durchschlagenden Erfolg hatten – und auch wohl nicht mehr haben werden",
lautet sie. Mit dem Geld sollte der Internet-Ausbau gefördert werden. Die Crux deutet der zweite Teil der Überschrift "'Der Worte sind genug gewechselt': Die Politik sollte sich jetzt entscheiden!" an.
Die Politik, die immerzu von allen angerufen wird, von Georg Altrogge übrigens auch, setzt zumindest in Deutschland ihre Prioritäten nicht im geringsten in der Medienpolitik. Was Radio betrifft, ist die Politik wahrscheinlich weiterhin damit zufrieden, wenn ihre bekannten Vertreter regelmäßig vom Radio angerufen werden, ihre Meinung zu Erdogan oder sonst was sagen können und damit, sofern sie halbwegs knackig zugespitzt haben, ein bisschen in den Radionachrichten zirkulieren. Der Rest ist ihr vermutlich weitgehend wumpe.
[+++] Was die Politik in Radio-Dingen aktuell tut, berichtet Volker Nünning bei medienkorrespondenz.de:
Sie will "die Mitgliederzahl der beiden Aufsichtsgremien des Deutschlandradios jeweils vergrößern", und zwar des bundesverfassungsgerichtlichen ZDF-Urteils wegen, demzufolge in solchen Gremien ja "maximal ein Drittel der Vertreter aus dem staatlichen bzw. staatsnahen Bereich kommen" darf. Beim Deutschlandradio war es bislang ein höherer Anteil. Damit der Anteil sinkt, sollen neue, staatsfernere Mitglieder dazukommen, über die, äh, die Politik entscheiden wird.
+++ Heute zurück vorm Oberlandesgerichts Köln: die ziemlich alte Frage nach der Presseähnlichkeit der "Tagesschau"-App. "Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche Aussagekraft eine juristische Entscheidung haben kann, die auf der inhaltlichen Bewertung einer fünf Jahre zurückliegenden Ausgabe einer Nachrichten-App beruht. In der 'Tagesschau'-App von diesem Donnerstag wird beinahe jeder Beitrag entweder durch einen Hörfunk- oder TV-Beitrag ergänzt, im Fall der Messerattacke von London sogar durch beides. Zugleich haben sich in den zurückliegenden fünf Jahren auch die Webseiten der Zeitungshäuser verändert und enthalten ebenfalls verstärkt Audio- und Videoinhalte" (Kurt Sagatz, Tagesspiegel). +++ "Allein das Wort Presseähnlichkeit erscheint im Jahr 23 des World Wide Web reichlich anachronistisch. Einer der Richter, die sich in den vergangenen fünf Jahren mit der Klage ... befassten, bezeichnete den Begriff freundlich als 'ein bisschen schwammig' ..." (Diemut Roether im epd medien-Tagebuch). +++ Das steht noch nicht frei online (aber das vor einer Woche hier erwähnte über den "Lagerfeuer"-Charakter des Fernsehens auch bei Amok-Terror-Sondersendungen ...). +++
+++ "Möglicherweise ist ja genau das der eigentlich größte Schritt der Veränderung, wenn wir heute über die Digitalisierung reden: dass Medien kein geordnetes Nacheinander, sondern ein assoziatives Nebeneinander sind. Einfacher gesagt: Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn Menschen Informationen querbeet, über alle Kanäle und ganz nach eigenem Gusto konsumieren. Und selbst wenn man das schlimm fände, es wird nicht zu ändern sein" (Christian Jakubetz, blog.br24.de). +++
+++ Noch mal epd medien: des ebenfalls vorige Woche hier erwähnte lange Interview mit ARD-Degeto-Chefin Christine Strobl, u.a. über die Sky-ARD-Serie "Babylon Berlin", steht ebenfalls frei online. +++
+++ Noch mal Ulrike Simon: Für ihre RND-Madsack-Kolumne traf sie im Wendland in reetgedeckten Kneipen einst bei Gruner+Jahr arrivierte Journalisten ... +++
+++ Noch mal Marc Jan Eumann, nun mit Carsten Brosda als Co-Autor: Was die beiden aus der Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz berichten, steht bei der MK nun frei online. +++
+++ Vom Projekt einer Kultur-Zeitschrift mit dem wortverspielten Namen "A Syrious Look" aus Berlin als dem "Zentrum der Kulturdiaspora" berichtet der Tagesspiegel. +++ Außerdem aus den USA: "Er glaubt nicht, dass ihm das schlechte Verhältnis zur Presse schaden wird. Über Twitter und Facebook tritt [Donald] Trump direkt mit seinen Anhängern in Kontakt." +++
+++ Und während mehrfach pro Woche der US-amerikanische Sender Fox News auch für deutsche Leser betrachtet wird, weiß kaum einer etwas über den Nachrichtensender BFM TV im Nachbarland Frankreich. Heute stellt Fabienne Hurst den privaten Nachrichtenkanal, der sich "in den vergangenen Jahren der Berichterstattung in Echtzeit verschrieben und es dadurch zum umstrittensten, aber auch erfolgreichsten Infosender Frankreichs gebracht" hat, auf der FAZ-Medienseite vor. "Die Wissenschaftlerin Valérie Robert, die an der Sorbonne den Studiengang Deutsch-französischer Journalismus leitet, vergleicht BFM TV indes mit der 2012 eingestellten Klatschzeitung 'France Soir': 'Im Grunde hat BFM TV diese Zeitung ersetzt: Während früher in allen Cafés, Teestuben und Imbissen 'France Soir' auslag, flimmert heute BFM TV über die an den Wänden angebrachten Flachbildschirme.' Der Sender sei eine Art französische 'Bild'-Zeitung in bewegten Bildern." Nicht im Artikel erwähnt wird die neue und gemessen an der bisherigen Berichterstattung wohl gravierende Haltung, keine Attentäter-Bilder mehr zu zeigen. +++
+++ Gestorben ist der Radiomoderator und Grimmepreis-Juror Hans-Heinrich Obuch (ndr.de, MK). +++
+++ Bemerkenswert: keine Netflix-Serie auf der SZ-Medienseite. Allerdings werden die dort vorgestellten sechs sechsminütigen Filme über Kriegsberichterstatter/ Fotojournalisten ("... Da ist Nicole Tung, die 2014 ihren Freund und Kollegen James Foley verlor, als der IS ihn vor laufender Kamera exekutierte. Das sei der Punkt gewesen, an dem die Fotografie persönlich wurde, sagt sie seltsam lapidar. Da ist Joao Silva, der auf eine Landmine trat und beide Beine verlor – und selbst diesen Moment auf Film festhielt ..."), die auf thisisconflict.com zu sehen sind, "released by Netflix". +++
+++ Außerdem geht's ebd. um "Darknet", die "übersetzte Serie aus den USA" auf N24. +++ Und anhand eines lokalen Nachrichtenportals aus Heidelberg darum, dass "einfache Sprache ... gar nicht so leicht ist". +++
+++ "Ganz ehrlich, Rock’n’Roll fehlt dem Journalismus heute sehr" (Michalis Pantelouris im uebermedien.de-Bahnhofskiosk neulich über eine Springer-Zeitschrift). +++ Aber das Junge Angebot von ARD/ ZDF wird kommen, und wer sich übers Wochenende ins dafür abgeschlossene Vertragswerk vertiefen möchte, kann das hier tun ... +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.