Provider providen

Provider providen
Aber wer kontrolliert Multimedia? Manche Probleme im Umgang mit dem Internet haben einfach mit den unscharfen Begriffen zu tun. Solange mittwochabends im linearen Fernsehen Fußball läuft, kann die Welt nicht ganz aus den Fugen sein. Außerdem: ein Stadion, das den Namen eines Zeitungsverlags trägt; hochwertiges Restvertrauen zu verkaufen ...

Wenige Politiker verkörpern größtmögliche Sicherheit so sicher wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Wer sonst würde sich zutrauen, sogar live vor Sondersendungs-Kameras alles, was zur Beunruhigung der Bevölkerung beitragen könnte, ausdrücklich zu verschweigen?

Kameras programmgemäß angesetzter Sendungen scheut der Minister natürlich auch nicht. Gestern war er sechs Minuten lang im ZDF-"Morgenmagazin" zu Gast, wurde über den islamistischen Axt-Terrorangriff bei Würzburg befragt und sagte dabei u.a. etwas über das Internet. Das wurde dann in Meldungen zusammen mit dem, was andere gerade so übers Internet sagten, weitergemeldet, z.B. bei faz.net:

"Im Kampf gegen die Propaganda von Terrororganisationen will Bundesinnenminister Thomas de Maizière Internet-Dienstleister stärker in die Verantwortung nehmen. 'Wir wollen, dass die Provider selbst eine Haftung und Verantwortung dafür übernehmen, wenn Straftaten in ihrem Netz stattfinden', sagte der CDU-Politiker ..."

Ist es nicht eher das eine Internet, zu dem solche Provider ihren Kunden Zugänge anbieten, damit sie darin herumsurfen? Der entsprechende Lobbyverband eco wies jedenfalls ziemlich unmittelbar per Pressemitteilung darauf hin, dass "terroristische Inhalte ... schon jetzt sofort gelöscht" würden, sobald sie eben "bekannt werden".

Woraufhin netzpolitik.org das Interview-chen bzw. die das Internet betreffende sehr kurze Passage darin transkribierte:

"Moderator: Dieser junge Mann hat sich möglicherweise durch Propaganda radikalisiert, die der IS massenhaft im Internet verbreitet. Haben Sie da Handhabe bei Providern, möglicherweise das mehr einzuschränken?

de Maizière: Das ist in der Tat ein sehr wichtiges und ärgerliches Thema. Wir sind intensiv mit den Providern im Gespräch. Wir wollen, dass Anleitungen zum Bombenbauen, dass Aufstachelungen zum Hass, dass das verschwindet aus dem Netz. Das ist schwierig, die Anbieter sind oft nicht in Deutschland. Und die sagen, wir sind neutral, es gibt Meinungsfreiheit, wir können das nicht beurteilen, das ist eine andere Sprache, usw. Aber ich halte das nicht für überzeugend. Wir wollen, dass die Provider selbst eine Haftung und Verantwortung dafür übernehmen, wenn Straftaten in ihrem Netz stattfinden."

Markus Beckedahl fand ebenfalls, dass der eco-Verband in diesem Fall recht hat und fragte daher beim Bundesinnenministerium nach, was genau der Minister meinte. Antwort:

"Der Bundesinnenminister hat seine bereits bekannte Haltung betont: Die Unternehmen müssen auch selbst mehr Verantwortung dafür übernehmen, was auf ihren Plattformen geschieht. Dies sollten sie zuallererst freiwillig und im Bewußtsein ihrer gesellschaftlichen Verantwortung tun. Es ist nicht die alleinige Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass auf Seiten wie Facebook, Twitter oder Youtube keine rechtswidrigen Hassbotschaften oder Bombenbauanleitungen abrufbar sind. Die Unternehmen, die mit ihren Seiten viel Geld verdienen, müssen wie jedes andere Unternehmen vor allem selbst für die Einhaltung ihrer eigenen Nutzungsbedingungen und der deutschen Gesetze sorgen."

Den Kern des Ministeräußerung-Problems machte ein Kommentator unterm netzpolitik.org-Beitrag deutlich, der im Namen von 1&1 aus Montabaur, also eines der großen deutschen Internet-Provider, schrieb:

"... Danach bin ich auch von Host-Providern ausgegangen ... – und habe die Aussage gar nicht verstanden. Denn das Löschen bei strafbaren Inhalten funktioniert zumindest bei uns schon immer, wie wir ja spätestens seit der Diskussion um Netzsperren wissen. Dass das erst nach Kenntniseralngung des Providers geschehen kann, sollte auch klar sein – denn wenn wir aktiv in den Daten unserer Kunden herumschnüffeln würden, wäre das ein klarer Datenschutz-Verstoß (und würde auch praktisch nicht funktionieren).
Das in der Antwort des BMI plötzlich von Plattformanbietern à la Facebook, Twitter & Co. die Rede ist, macht das Ganze zumindest etwas verständlicher – zeigt aber auch, wie vorsichtig man mit den verwendeten Begrifflichkeiten sein sollte."

Ein so banales wie fundamentales netz- und damit auch medienpolitisches Problem besteht also einfach darin, dass alle für so gut wie alles, was Internet betrifft, mit englischsprachigen Originalbegriffen hantieren - und zumindest manchmal unklar bleibt, was gemeint ist. Es wäre albern, jeden Fachbegriff einzudeutschen, aber die Unschärfe der zurzeit zirkulierenden Begriffe schadet offenkundig dem Verständnis der Sache. Während viele etwas providen, hätte de Maizière im Jargon der Medienbürokratie übrigens wohl von "Intermediären" sprechen müssen. Aber dann hätte ihn schon der ZDF-Moderator kaum verstanden, und sonst erst recht niemand ...

Und es war ja der Moderator, der "Provider" sagte, worauf der Minister eben den Begriff übernahm. Und in die Kerbe hieb, in die sein Kollege Heiko Maas auch gerne haut. Facebook soll eben endlich schneller löschen.

Ob der US-amerikanische Konzern auf solche Wünsche der deutschen Politik inwzischen eingeht, dazu treffen laufend unterschiedliche Meldungen ein. Im aktuellen Spiegel beschwerte sich Maas noch "über den mangelnden Fortschritt beim Kampf gegen Hetze im Netz". Tagesaktuell wird dagegen Lob für Facebook vermeldet (u.a. hier nebenan), und zwar vom Geschäftsführer der "Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter", die also so freiwillig und im Bewußtsein ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, wie das Innenministerium es möchte,  "Multimedia" wie z.B. das Internet kontrolliert:

"Nach Angaben von FSM-Geschäftsführer [Otto] Vollmers finden wöchentliche Gespräche mit dem deutschen Facebook-Büro statt. Mehrere Treffen habe es zudem mit der Dubliner Zentrale gegeben. ... 'Nun reden wir über die konkrete Umsetzung des deutschen Rechts in die Facebook-Richtlinien.' Dieser komplexe Schritt nehme auch deshalb einige Zeit in Anspruch, weil er tief in die Beschwerdestrukturen von Facebook eingreife."

Wobei Facebook selbst Mitglied dieser nicht überragend oft in Erscheinung tretenden Organisation (aber mit flippiger, äh, Homepage) ist. Und dass Facebook in Deutschland zwar mit einer wachsenden Schar von Vermarktern, PR-Menschen und Lobbyisten vertreten ist, aber weiterhin durch niemanden, der öffentlich inhaltliche Verantwortung für das Konzept übernimmt, ist ein Teil des Problems, den deutsche Politiker, zumal auf europäischer Ebene, durchaus zu lösen versuchen könnte. Bloß wachsen die Zweifel, ob sie Probleme überhaupt benennen können. Vielleicht sollten sie doch einfach ein Bundesinternetministerium gründen, das die in einzelnen Abteilungen gewiss vorhandenen Kompetenzen zusammenführt.

Ein anderer Aspekt desselben Problems: Selbst wenn Facebook alle Hasskommentare blitzschnell löschen würde, bietet es inzwischen ebenso wie andere Anbieter in diesem Netz Livevideo-Dienste an, mit denen z.B. islamistische Mordanschläge oder Todesschüsse durch US-amerikanische Polizisten von Tätern wie zufällig Anwesenden in Echtzeit weltweit gestreamt können. Kontrollieren kann das niemand, weil eben live. Diese Entwicklung, über die schon allerhand berichtet wurde, auch im Altpapier, hat Nach- und Vorteile und ist vermutlich unumkehrbar. Ob Thomas de Maizière davon schon Kenntnis hat?

[+++] Andererseits, solange mittwochabends im linearen Fernsehen Fußball läuft, kann die Welt nicht ganz aus den Fugen sein. Vorgestern im ZDF

"waren im Schnitt 4,80 Millionen Zuschauer dabei, die den Marktanteil auf starke 19,1 Prozent trieben. Der Tagessieg war der Live-Übertragung damit nicht zu nehmen",

benennt dwdl.de im konstruktiven Happy-Sound den Einschaltquoten-Erfolg des Spiels, über das zuvor im Sportressort von Springers Welt gestanden hatte:

"Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir nicht mehr Fußball im Fernsehen benötigen. Wir brauchen Fußball, der uns fesselt, uns emotionalisiert, über den am nächsten Tag geredet werden kann. Bayerns B-Elf gegen Manchesters C-Team wird das nicht leisten können. Wenn eine TV-Anstalt ihr Programm füllen will, dann nicht auf unsere Kosten. Und wenn das 'Heute Journal' wieder auf zehn Minuten zusammengestaucht werden muss, dann bitteschön nicht wegen so etwas Belanglosem."

Falls Sie Lust bekommen haben: Am Freitag morgen finden sich noch 115 Minuten in der ZDF-Mediathek. Als Experten am Spielfeldrand performen anfangs Katrin Müller-Hohenstein und Kalle Rummenigge, Olli Kahn scheint nicht dabei gewesen zu sein. Damit rasch zum Medienressorts-Topthema: Wieviele Millionen verdienten und verdienen die Fußball-Experten de öffentlich-rechtlichen Fernsehens?

Einerseits berichtet kress.de nun, dass kress pro, die kostenpflichtige Zeitschrift aus dem gleichen Haus, unter Berufung auf einen "vertraulichen Bericht des Landesrechnungshofes in Rheinland-Pfalz, den ARD-Quellen eingesehen" und an kress weitergegeben hätten, Günter "Netzers geheime Super-Honorare" bei der ARD von 2007 bis 2010 öffentlich macht.

Darauf springen viele an, der Tagesspiegel im Kennersound ("ARD und ZDF halten dem Catenaccio die Treue") sowie mit einem vielsagend nichtssagenden O-Ton des ARD-Sportkoordinators Axel Balkausky ("...Netzer hat für die ARD über viele Jahre einen Riesenjob gemacht und war ein exzellenter Begleiter, der viele Preise gewonnen hat. Er war von den Zuschauern hoch akzeptiert, und das ist für uns am Ende das Allerwichtigste"), Ursula Scheer in der FAZ mit der Beobachtung, dass "die nichtjournalistische Hälfte des früheren Fußball-Moderatorengespanns" Netzer/ Delling mehr als die journalistische Hälfte. Wobei Gerhard Delling, anders als die meisten Journalisten, aber auch klar zum Millionär aufgestiegen sein dürfte.

Andererseits meldet turi2.de, dass kress pro an seinen Berichten über Olli Kahns ZDF-Verdienste wohl nicht festhalten möchte, seitdem dieser multiple Markenbotschafter gegen diese Berichte klagt ...

[+++] Wenn wir beim Fußball sind: Hätten Sie geglaubt, dass in Deutschland ein Fußballstadion steht, das den Namen eines Zeitungsverlags trägt, also als Marketingpartner wie zum Beispiel ... die (okay, ehemalige) AOL-Arena bei der Hamburger Müllverbrennungsanlage?

Mit diesem Kuriosum erfreut Ulrike Simon am Rande ihrer aktuellen RND-Madsack-Medienkolumne. Es ist das Stadion eines traditionsreichen Vereins, der gerade wieder in die Zweite Liga aufgestiegen ist, und nach eigenen Angaben das "derzeit steilste Einrangstadion Deutschlands": Das Dresdener DDV-Stadion ist nach der DDV-Mediengruppe ("Wir für Sachsen") benannt, die übrigens zwei ganz großen Sympathieträgern der Politik- und Medienlandschaft gehört, zu 60 Prozent dem "ansonsten zeitungsfreien" (Simon) Verlag Gruner + Jahr und zu 40 Prozent der SPD bzw. ihrer Medienholding DDVG ...

Eigentlich geht es in der Kolumne natürlich um etwas anderes.


Altpapierkorb

+++ Die Auflagen der Zeitungen und Zeitschriften sinken und sinken. Aktuelle Zahlen stehen hier nebenan. +++ "Vertrauen von Millionen Menschen in die Kompetenz der Marke Focus" besteht aber offenbar noch, zumindest nach Angaben der Focus Magazin Verlag GmbH, die daher Menschen, die den Beruf sog. Coaches ausüben, ein "hochwertiges Focus-Siegel" für nur 5000 Euro (zzgl. MwSt.)" zum Kauf anbietet (Süddeutsche). +++

+++ Indem er die beiden Bayerischer Rundfunk-Mitarbeiter Wolfgang Jandl und Richard Gutjahr einander gegenüberstellt, sieht Stefan Niggemeier bei uebermedien.de "Das Ende des Nachrichtenfernsehens, wie wir es kennen", kommen. Immerhin, es kommt in so vielen kleinen Schritten, dass es niemanden mehr wirklich überraschen dürfte. +++

+++ Zu den "kampferprobten Streithähnen" (Daland Segler, fr-online.de), die gestern abend bei Maybrit Illner die Lage in der Türkei durchnahmen, gehörte auch Deniz Yücel (Ex-TAZ, jetzt Springers Welt). Siehe also auch welt.de selbst, hier, dort usw. ... +++

+++ "Freie, mutige Berichterstattung beschränkt sich mittlerweile auf eine Handvoll Zeitungen (Cumhuriyet, Birgün, Özgür Gündem, Evrensel) und wenige Seiten im Netz (T24, Diken, Bianet). Im Fernsehen gibt es eigentlich gar keine kritischen Berichte mehr" (Yavuz Baydar in seinem "Türkischen Tagebuch" im SZ-Feuilleton). +++

+++ "Die Woche auf Föhr macht den deutschen Lokaljournalismus zumindest für kurze Zeit mal wieder zu einer Geschichte, die man ohne bedächtiges Kopfwiegen erzählen kann. Auch wenn man sich natürlich fragen darf, ob es dem Beruf des Lokalreporters gerecht wird, wenn man ihn auch einfach so ohne Ortskenntnis als Ferienabenteuer machen kann": Da schreibt Ralf Wiegand auf der SZ-Medienseite (Blendle-Link) über das "bundesweit für Aufsehen" (Insel-Bote-Video) sorgende Experiment beim Föhrer Insel-Boten, um das es auch in diesem Altpapier ging. +++ Außerdem Thema der SZ: "das Sommerloch bei RTL". +++

+++ Wer einen laut kress.de "schonungslosen Blick auf die 'Glaubwürdigkeit der Medien im Präsidentschaftswahlkampf'" wirft, ist WDR-Intendant Tom Buhrow. Kress fasst dessen Beitrag fürs Buch "Amerika stellt die Weichen" zusammen: "Immerhin, beruhigt die Leserinnen und Leser, müssten wir uns in Deutschland vor einer Etablierung des 'kommerziellen Krawall-Journalismus' der USA vorherrscht nicht fürchten. Denn während der Rundfunk in den Vereinigten Staaten fast ausschließlich werbefinanziert ist und journalistisch unabhängige Sender ein Nischendasein fristen, 'erstrahlt der Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland besonders hell. Trotz mancher (berechtigter) Kritik ... ....'". Heißt: Sobald er zurück in die Heimat schweift, lässt der Blick wieder Schonung walten. +++

+++ Nochmals kress.de: Es vermeldet ferner einen "großen Verlust für das NDR-Investigativ-Ressort", und zwar an das NDR-Landesfunkhaus Schleswig-Holstein, wo eine "neue trimediale Abteilung Politik und Recherche" entstehen soll: Julia Stein, u.a. Netzwerk Recherche-Chefin, übernimmt das. +++

+++ Und unter der Überschrift "Macht uns Google dumm?" beruhigt Adrian Lobe auf der FAZ-Medienseite dann: "Google macht uns zwar nicht dumm. Wir können mit weniger Wissen mehr Informationen erschließen. Doch scheinen wir diese Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt kaum zu überprüfen und als eine Art Gottgegebenheit zu akzeptieren. Das Wissen erscheint nur noch als fertiges Endprodukt wie das iPhone im Apple Store und nicht mehr als Erwerb." Und eine hübsche Anekdote über ein schwedisches Ehepaar in Italien enthält der Artikel überdies. +++

+++ Und was macht eigentlich Horst Derrick Tappert (Tsp. via Bild-Zeitung)?

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?