Ein Bierchen, ein Bierchen und ein Bus (zwo, drei, vier)

Ein Bierchen, ein Bierchen und ein Bus (zwo, drei, vier)
Immer, wenn bei der Fußball-EM ein Bus zu sehen ist, hat der Journalismus versagt. Die Zeit ist noch nicht reif für "Beckmanns Sportschule". Wen interessieren schon 100 Tote in Bagdad? Safe Harbor heißt jetzt Privacy Shield, sonst ändert sich nix. Und irgendwas mit Jan Böhmermann.

Busse sind die neuen Journalisten. Diese Information mag überraschen, aber offensichtlich haben diese unangenehm an Klassenfahrten, River-Cola und die Streber in Busreihe zwei erinnernden Fahrzeuge eine besondere Gabe, Schwachstellen aufzuzeigen.

In den Stunden nach der Wahl für den Brexit war es ein Bus, der eine zentrale Lüge der Leave-Kampagne demaskierte – einfach, indem seine Aufschrift die große Versprechung von der Umwidmung der Zahlungen an die EU in das Gesundheitssystem in Erinnerung rief, von der Nigel Farage, damals noch im Amt, gleich nach der Abstimmung sagte:

„That was one of the mistakes made by the Leave campaign.“

Manch Journalist mag in die Tischkante gebissen haben, dass es ein Reisebus war, und nicht er, der Farage zu diesem Eingeständnis drängte. Dabei ist diese Erfahrung, aus journalistischer Sicht und mit Eduard Zimmermann gesagt, leider kein Einzelfall. Denn bei der Fußball-Europameisterschaft UEFA EURO 2016™ entlarven Busse nicht nur lügende Politiker, sondern gar Journalisten, die ihren Job schlecht machen.

„Es hat eine irre Bedeutungshoheit bekommen, an- und abfahrende Busse zu zeigen. Am Hotel, am Stadion. Ich mein’, Busse! Meine Güte, das passiert natürlich aus der puren Not heraus“,

sagt Reinhold Beckmann heute auf der SZ-Medienseite (derzeit nicht online; Blendle-Link) im großen Interview mit Cornelius Pollmer. Darauf folgt noch der Satz „Diesem regulierten Hochglanzprodukt, das eloquent verkauft werden soll, dem wollen wir mit dem Unerwarteten entgegensenden“, mit dem Beckmann seinen Totalsendeausfall mit der nach ihm benannten „Sportschule“ rechtfertigen möchte.

(Mehr davon:

„Wir wollten ja etwas Neues wagen, wir wollten mutig sein. Vielleicht waren wir zu mutig, vielleicht haben wir etwas zu viel gewagt, aber warum nicht? Vielleicht war der Spagat etwas zu extrem, aber dann gehen wir eben mit einer Leistenzerrung raus und die ist dann wie bei Sami Khedira auch in ein paar Wochen verheilt. Das ist mir jedenfalls lieber als die Rückkehr zum langen Tisch und zu den breiten Stühlen. Wenn man nicht um Mitternacht etwas Beklopptes senden kann, wann dann?“

In anderen Worten: Ja, jetzt ist das Quatsch. Aber in 20 Jahren! bzw. Selber scheiße Du, uninspirierter Zuschauer!)

Aber der Ansatz mit dem Bus ist in diesem Fall interessanter, zumal wir ihn in der EM-taz in diesem Text von Markus Völker wiedertreffen:

„Jürgen Bergener steht vorm Mannschaftshotel. Oder vorm Mannschaftsbus. Jürgen Bergener, dieser kregle Typ, steht auch im Stadioninnern vor einer Werbetafel und interviewt Mitglieder ,der Mannschaft aus Stahl’ (Bergener). Er ist nah dran. Er ist dabei. Bergener duzt, na logisch. ,Du, Jogi, hey, Mats!’“

Da ist er, der Bus als Zeichen einer vermeintlichen Nähe, dabei bekommt man immer nur seine Außenseite zu sehen, aber immerhin darf die selbständig gefilmt werden und man muss kein Material des DFB oder der UEFA übernehmen.

Wäre dieses Fußballereignis nicht so durchchoreografiert, müssten wir nicht so häufig Busse sehen. Wären die übertragenden Sender souverän statt Fanboys, würden sie diesen Makel thematisieren. Doch statt dessen senden sie Busse, die uns nun immer im Stillen mahnen, dass wir nur der großen UEFA-Inszenierung beiwohnen, und nicht etwa einer öffentlich-rechtlichen Fernsehschalte. Denn (noch einmal Völker):

„Wer wie die ARD und das ZDF ein Produkt sehr teuer ersteht, an Zuschauer und Werbekunden weiterverscherbelt, der wird dieses Produkt nicht schlechtreden. Der geht nicht auf kritische Distanz, sondern kumpelt sich heran an die Leute von der Ballbewegungsbranche.“

Letzteren, fünf Euro ins Synonymschwein erfordernden Begriff ignorierend, schalten wir für ein aktuelles Beispiel zunächst zu Jens Weinreich, der in seinem Blog den gestern hier im Korb schon thematisierten Kritikausfall Mehmet Scholls zum Anlass nimmt, sich dessen Gesprächspartner vorzuknöpfen:

„Bevor mir jemand Arroganz und/oder Majestätsbeleidigung unterstellt, auf seiner Webseite wird der EM-Job als das bezeichnet, was es vor allem ist: ,Matthias Opdenhövel präsentiert UEFA EURO 2016’. (...) Opdenhövel ist eher ein Nummerngirl, er kann selten den Eindruck erwecken, wirklich interessiert an einem für das Publikum gewinnbringenden Gespräch zu sein und seinem Experten-Partner mehr als ein, zwei floskelhafte Sätze zu entlocken. (...) Opdenhövel, der bei ,Schlag den Raab’ wohl besser aufgehoben war und gehaltsmäßig kaum unter Scholl agieren dürfte, hakt seine Notizen ab, leitet zum nächsten Act über, mitunter automatenähnlich – und scheint damit sichtlich zufrieden.“

Bevor Missverständnisse aufkommen: Direkt neben der Meldung mit der UEFA-Präsentation auf Opdenhövels Website steht diese aus dem Oktober, nach der er gerade den Deutschen Sportjournalistenpreis gewonnen hat. Man stelle sich das in anderen Zusammenhängen vor: Anja Reschke präsentiert die Flüchtlingskrise. Hanni Hüsch präsentiert den Brexit.  

Noch unangenehmer wird es nur mit der Lektüre des aktuellen Textes bei Übermedien, in dem Boris Rosenkranz die Nachrichtensendungen während der Halbzeitpause des Spiels Frankreich gegen Island am Sonntag nacherzählt. Sowohl „heute journal“ als auch „Tagesthemen“ machten mit Fußball auf; der verheerende Anschlag in Bagdad, von dem man schon am Sonntagabend wusste, dass er über 100 Menschenleben gekostet und ein komplettes Einkaufszentrum zerstört hatte, versendete sich im Nachrichtenblock.

„Bei den Turnieren der Vorjahre war das ,heute journal’ auch schon kürzer. ZDF-Chefredakteur Peter Frey sagte damals, in der Halbzeitpause zu senden, sei ,eine sehr gute Gelegenheit, unser Nachrichtenmagazin ins Schaufenster zu stellen – und wir wissen, bei dieser Gelegenheit ist ein besonders junges Publikum am Schirm.’ Und was bekommt das junge Publikum, wenn es ins ZDF-Nachrichtenschaufenster sieht? Fußball. Als wüssten die, die Frankreich gegen Island schauen, nicht, wie das Spiel am Tag vorher so war.“

Kurz nach dem Wiederanpfiff des Spiels der deutschen Mannschaft gegen Italien stellte die „Tagesschau“ einen kleinen Clipp auf ihre Facebookseite, in dem das „Tagesthemen“-Team sich rasch zum Private Viewing der zweiten Halbzeit im Studio präpariert: Caren Miosga streift die Pumps ab und rückt die Liegestühle zurecht, während Jan Hofer, die Deutschlandflagge um den Hals, noch rasch das Bier holt (und dazu tatsächlich „Ein Bierchen, ein Bierchen“ singt. Dass es dann noch ploppt wie in der Flens-Werbung, ist danach fast gar nicht mehr schlimm): Ja, natürlich ist das nicht ernst gemeint. Außer halt, dass doch.

An dieser Stelle können Sie sich nun zwei Busse vorstellen, die über den Bildschirm fahren. Auf dem ersten steht „Auch eine Fußball-EM braucht kritische Journalisten“, auf dem zweiten „Auch in Zeiten der Fußball-EM muss Journalismus möglich sein“. Allerdings kommt diesen ein dritter Bus entgegen, und auf diesen hat jemand groß „Spielverderber!“ geschrieben. Denn wer möchte sich schon mit Medienkritik beschäftigen, wenn das Auto noch darauf wartet, mit dem neuesten Deutschlandfahnen-Gadget ausgestattet zu werden?

Ja, sorry, aber es muss sein. Alleine, weil die UEFA so unfassbar unsympathisch, unlustig und unentspannt ist. Aktuellstes Beispiel: ein Video, das alle Elfmeter der deutschen Mannschaft gegen Italien übereinander gelegt zeigt.

„Was für die einen moderne Videokunst – und wenn nicht Kunst, dann doch zumindest ein sehenswerter Hingucker – wird von anderen als Straftat angesehen. Auf Youtube, wohin Prödel sein Elfer-Video ebenfalls hochgeladen hat, ist statt des Filmchens mit den Schüssen der siegreichen deutschen Mannschaft nur noch der Text ,Dieses Video enthält Inhalte von UEFA. Dieser Partner hat das Video aus urheberrechtlichen Gründen gesperrt’ zu lesen. Wo kämen wir auch dahin, wenn die kostbaren Medienrechte an der Euro 2016 von jedermann umgangen werden?“,

schreibt Kurt Sagatz im Tagesspiegel. Wie die Verlinkung oben beweist, ist es der UEFA nicht gelungen, gegen den Schneeballeffekt anzukommen, mit dem sich das Video verbreitet hat. Aber alleine die Tatsache, auf die Idee zu kommen, ein so positiv wirkendes Werbemittel für die eigene Veranstaltung sperren zu lassen, weil es 20 Sekunden Material aus einer vier Wochen laufenden Dauersendung nutzt: Die spinnen, die bei der UEFA! Und die Journalisten, die das zu sagen Bussen überlassen, die auch.  


Altpapierkorb

+++ Safe Harbor heißt jetzt Privacy Shield, sonst ändert sich nix, oder zumindest wenig, erklärt Patrick Beuth bei Zeit Online zur neuen Datenschutzvereinbarung zwischen der EU und den USA, die ab Mitte Juli in Kraft treten soll. +++

+++ „Zeitungen, die der AKP-Regierung eher nahestehen, versuchten schon im April und Mai, mögliche Panama-Enthüllungen zu diskreditieren. So machten sie sich über die Opposition lustig, die mit ,gebrochenem Herz’ daran verzweifle, dass kein AKP-Politiker in den Dokumenten namentlich auftauche“, schreibt auf Seite 6 der SZ Hakan Tanriverdi über die Reaktion der türkischen Medien auf die Panama Papers. +++

+++ In den USA wird der Prozess gegen Adnan Syed neu aufgerollt, nachdem sein Falls durch den Podcast-Erfolg „Serial“ bekannt und das Urteil in Frage gestellt wurde, berichtet Ursula Scheer auf der Medienseite der FAZ. Außerdem geht es um „Faces Behind The Voices“ – eine Ausstellung über Synchronsprecher, die nun über deutsche Bahnhöfe tourt. +++

+++ Wenn es um weltbewegende Medienthemen wie „Irgendwas mit Jan Böhmermann“ geht, dann erweckt selbst die Berliner Zeitung ihr Medienressort zum Leben. Dieses Mal, um mitzuteilen, dass „das Oberlandesgericht in Hamburg auf Anfrage dieser Zeitung bestätigt, [dass] am Mittwoch vergangener Woche eine Klage von Erdogans Anwalt eingegangen [ist].“ Dieser will, dass das komplette Schmähgedicht verboten wird und nicht nur Teile daraus, wie das Gericht zunächst angeordnet hatte (Altpapier aus dem Mai). +++

+++ Zur bereits am Freitag im Korb erwähnten Bravo Eltern Dr. Sommer befragt Bülend Ürük bei kress.de Marc de Laporte, „Verlagsgeschäftsführer Bauer München Redaktions KG“, der zugibt: „Tatsächlich wird bereits heute jede zweite ,Bravo’ von einem Elternteil gekauft.“. Wie uncool ist das denn?! +++

+++ Erinnern Sie sich noch an das rasche, digitale Wachstum, dass sich Julia Jäkel vor zwei Wochen für Gruner + Jahr gewünscht hat? Bei Meedia steht nun, wie das funktionieren soll. +++

+++ „Mein Wunsch wäre es, dass wir über diese Grenze hinaus noch bekannter werden und uns Leute lesen, die nichts mit Medien am Hut haben. Um beispielsweise zu erfahren, dass die Überschrift, die sie in der vergangenen Woche groß in der Zeitung gelesen haben, so gar nicht stimmt“, sagt Boris Rosenkranz im Interview mit dem Europoean Journalism Observatory nach einem halben Jahr Übermedien. +++

+++ Apropos: Kennen Sie „Wo ist Walter“? Das Prinzip dieses Kinderbuches zieht der Verband der Deutschen Zeitschriftenverleger auch bei seiner Publikation Print & more durch, mit seinem Geschäftsführer als Walter, schreibt Stefan Niggemeier bei Übermedien. Wenn Sie selbst „Wo ist Stephan?“ spielen wollen: hier entlang. +++

+++ Das Handelsblatt präsentiert sich seit Montag in neuem Gewandt am Kiosk, und was muss man dazu von Thomas Lückerath bei DWDL lesen? „[D]er orangefarbene Header - entfällt als Orientierung am Point of Sale.“ Wolf Schneider, übernehmen Sie! Bilder der neu gestalteten Zeitung finden sich derweil bei deren Tochter namens Meedia. +++

+++ Es folgt: Ein Blick ins Handelsblatt, wo Hans-Peter Siebenhaar sich beschwert: „Eine Tournee eines ARD- oder ZDF-Intendanten durch die Stadthallen der Republik, um das Gespräch mit den Gebührenzahlern über Programm, Finanzierung und Einfluss zu suchen, gab es in Deutschland noch nie.“ Tja. Außer, das halt doch, zwar nicht in Stadthallen, aber im Fernsehen, wie Daniel Bouhs bei Twitter erklärt.

 +++ Bliebe nur noch zu klären, was heute im Fernsehen läuft. Bei Arte gibt es erst den Themenabend „Aufrüstung, Abschreckung, Angst“ (es rezensiert Viola Schenz auf der SZ-Medienseite), danach die Doku „Ein Stasi-Maulwurf bei der NSA – die unglaubliche Geschichte des Sergeant Carney“, die Kurt Sagatz im Tagesspiegel bespricht. Derweil zeigt die ARD nach den „Tagesthemen“ den im Kosovo-Krieg spielenden Film „Die Brücke am Ibar“, „der mit aller Wucht des Kindlich-Naiven und mit allem Pathos des Romeo-und-Julia-Motivs die Zerstörungsgewalt, Sinnlosigkeit und Dummheit eines Kriegs unter Nachbarn anprangert“ (Oliver Jungen, FAZ). +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch. 

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