Wer nach den Hunden pfeift

Wer nach den Hunden pfeift
Sind die Medien willige Helfer einer ausgefeilten Kommunikations-Strategie der AfD? Vermittelt uns die Nationalmannschaft ein richtiges Bild vom Stand der Integration? Wissen Jérôme Boatengs Nachbarn die Antwort? Außerdem geht es um geklaute Daten, sexistische Magazin-Cover, das richtige Maß Mitleid mit Sebastian Edathy und schlechte Zeiten bei der DuMont Mediengruppe.

Wir schreiben Tag 3 der Debatte um den AfD-Nachbarschaftsexperten Alexander Gauland (Altpapier gestern). In einem Frankfurter Zeitungshaus hat sich die Titelseiten-Schlagzeile von „Gauland beleidigt Boateng“ (FAS vom Sonntag) über „Empörung über Gauland-Äußerung zu Boateng“ (FAZ gestern) zu „Merkel und Seehofer erheben schwere Vorwürfe gegen Gauland“ entwickelt (FAZ heute). Womit die FAZ den Journalisten-Traum als erfüllt ansehen kann, selbst ein Thema ausgegraben zu haben, das eine solche Relevanz entwickelt, dass man es über Tage auf dem Titel halten kann. Auch wenn die Art und Weise, in der das Thema dort am Leben erhalten wird, weniger an „Das sind die neuesten Enthüllungen aus den Panama-Papern“, dafür mehr an „Ehe-Aus bei den Wollnys: Jetzt spricht die Nachbarin“ erinnert. Wobei „die Nachbarin“ (der Wollnys, um im Bild zu bleiben, nicht Boatengs) in diesem Fall in Form von (u.a.) Julia Klöckner und Katarina Barley daherkommt. Was den Erkenntnisgewinn nicht größer macht.

Um den müssen sich schon andere Medien bemühen, was sie tun und sich in drei Argumentationsstränge unterteilen lässt.

1. Die Kommunikationsstrategie der AfD und die Medien als ihr williger Helfer.

„Ihr macht seit der Gründung dieser ehemaligen Kleinstpartei nichts anderes, als diesen Menschen ein Podium für ihre rassistische Weltanschauung zu geben und, wenn sie euch diese Anschauung dann gesagt haben a) diesen Mist zu veröffentlichen und b) euch künstlich zu echauffieren, dass die diesen Mist gesagt haben. Jaja, dass kann alles mit Journalismus und so (v)erklärt werden.“

So beschreibt der Fotograf Christian Ditsch bei den Prinzessinnenreportern den Nachrichtenkreislauf, der immer dann in Gang gesetzt wird, wenn ein Politiker der AfD Grenzen austestet - sei es mit einer Deutschlandfahne als Accessoire oder Äußerungen über Schießbefehle oder dunkelhäutige Nachbarn. Und der die Gefahr birgt, eben jene Grenzen dabei immer weiter nach rechts zu verschieben.  

„Man kann nun der Meinung sein, so viel Öffentlichkeit sei gut, denn so entlarve sich die neue Rechte selbst. Doch diese Ansicht verrät die Überschätzung der Öffentlichkeit durch eine politische Mitte, die glaubt, der liberale Konsens sei unangreifbar. Andererseits sollte man bedenken, dass der Wechsel aus Ungeheuerlichkeit und Dementi zur Strategie der AfD gehört. So gelingt ihr der Marsch durch die Institutionen. Zudem schafft sie es, die Alltagssprache mit politischen Subtexten aufzuladen. Und das ganz hervorragend. Die AfD will ja gerade nicht die liberale Mehrheit überzeugen, sondern eine Minderheit mobilisieren“,

erklärt Andrian Kreye heute auf Seite 9 im SZ-Feuilleton, und hat zur Art und Weise, wie dies geschieht, auch Fachvokabular parat:

„Im englischsprachigen Ausland gibt es längst einen Fachbegriff. ,Dog whistle politics’ nennt man solche Kodierungen, Hundepfeifenpolitik. Das Bild ist griffig. So ähnlich, wie der Mensch die hohen Frequenzen einer Hundepfeife nicht wahrnimmt, Hunde aber sehr wohl, kann die Mehrheit der Bürger den Subtext vermeintlich harmloser Äußerungen nicht entschlüsseln, sondern nur die eingeweihte Zielgruppe.“

Die FAZ ist der Meinung, eine solche Strategie existiere nicht. Dort schreibt Justus Bender auf Seite 2:

„Die Vorstellung, dass es sich bei Skandalen von Höcke, Gauland, Petry oder Beatrix von Storch – Stichwort: Schusswaffengebrauch – um eine durchdachte Strategie handelt, stützen solche Anekdoten nicht. Dafür scheint der parteiinterne Tadel zu ernst. ,Das ist keine Strategie’, sagt ein gut informiertes Parteimitglied, das nicht genannt werden will. ,Das sind einfach Fehler.’ Dass sie der Partei trotzdem helfen, schließt es nicht aus.“

Doch was soll sie auch sagen? „Wir haben uns zum ersten Handlanger der AfD-Fachabteilung für Propaganda machen lassen“?

Viel spannender ist jedoch, wie die Medien des Weiteren damit umgehen, wenn die Partei mal wieder öffentlich ein Weltbild kultiviert hat, mit dem auch die eher schlichteren unserer Vorfahren klar gekommen wären, die ihre Ansichten noch via Keule durchzusetzen versuchten. Womit wir zu

2. Der richtige Umgang mit der kalkulierten Grenzüberschreiung

kommen.

Aktuell läuft das so: Gauland: „Die Leute wollen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ – Medien: „WAS ZUR HÖLLE?! WIE KANN MAN NUR?!111!!!“ Das ist ein Problem, wie der Berlin-Korrespondent des Deutschlandradios Stephan Detjen gestern in einem Gespräch im Deutschlandfunk erläuterte:

„Da wird nicht genau nachgefragt: Was ist eigentlich gemeint? Und ich glaube, dass diese Äußerung – und gerade was wir jetzt über den Kontext wissen – es der AfD leicht macht, zu sagen: ,Wie sind diejenigen, die auf ein Problem hinweisen.’ Und dieses Problem bedeutet, eine mulitethnisch zusammengesetze Nationalmannschaft (...) löst das Problem des alltäglichen Rassismus in unserer Gesellschaft nicht. (...) Dieses Problem ist da, und ich glaube, nur wenn man das anerkennt, kann man die Auseinandersetzung führen und muss dann der AfD die Frage stellen, welche Konsequenzen zieht man denn daraus, und dann gehen die Antworten möglicherweise auseinander.“

In die gleiche Richtung argumentiert auch Stefan Niggemeier bei Übermedien:

Ich will – und das unterscheidet mich vielleicht von Gauland – diese Leute, die mit etwas Glück nicht mehr ,die Leute’ sind, in keiner Weise verteidigen. Ich will schon gar nicht, dass wir Rücksicht auf sie nehmen. Aber es ist wichtig, dass wir nicht so tun, als gäbe es sie nicht. Die wohlfeile Art eines Teils der Reaktionen auf Gauland riskiert das. Zu demonstrieren, dass diese Art des Rassismus nicht akzeptabel ist und vermutlich auch von einer Mehrheit der Deutschen nicht mehr akzeptiert wird, ist richtig. Sich vorzumachen, dass Gauland nur ein verwirrter alter Mann ist und alle anderen längst weiter als er, ist gefährlich.“

Woraus wir lernen: Wenn jemand von der AfD zur Hundepfeife greift, bringt es wenig, ihm diese unter viel Geschrei aus der Hand zu schlagen. Stattdessen sollte man sich lieber nach den Hunden umsehen, die sich zähnefletschend im Gebüsch versteckt halten.

Genau das hat die FAZ aber nicht gemacht, was uns zu guter Letzt zu

3. Die fragwürdige Strategie der FAS/FAZ

führt.

Wie diese Zeitung seit Monaten um die AfD herumtänzelt, sollte auch mal analysiert werden. Da dieses Altpapier heute noch erscheinen soll, beschränken wir uns jedoch auf die interessante Taktik, die Nachbarn von Jérôme Boateng aufzusuchen, um über das Zusammenleben in einem Münchner Villenviertel aufzuklären. Im Internet würde man sagen „WTF?!“; eine wesentlich eloquentere Variante hat Wolfram Eilenberger („Chefredakteur des ,Philosophie-Magazins’, hat aber auch eine Trainerlizenz des Deutschen Fußball-Bunds und ist als aktiver Spieler Teil der deutschen Autoren-Nationalmannschaft“) gestern ebenfalls im Deutschlandfunk präsentiert:

„Und ich muss sagen, ich bin mit der Skandalisierung der ,FAS’-Kollegen sehr unzufrieden. Ich finde auch wirklich schäbig, dass man dann zu den Nachbarn von Herrn Boateng geht und da eigens eine Umfrage startet. Das ist auch eine Form von Skandalisierung, die ich journalistisch nicht befürworten kann und die sehr viel zur Zerstörung des öffentlichen Diskursklimas beiträgt. Ich muss sagen, der journalistische Umgang der ,FAS’-Kollegen mit diesem Faktum, der lässt mich auch sehr unzufrieden zurück.“

[+++] Ebenfalls sehr unzufrieden: Dokumentarfilmer Harold Woetzel. Dieser musste sich vor knapp einer Woche seine schöne Xavier-Naidoo-Doku von Stefan Niggemeier auseinandernehmen lassen, dem in der Darstellung der Debatte um Naidoos vereitelte ESC-Teilnahme die Meinungen der Gegenseite, die den Sänger im Reichsbürger-Umfeld verorten, etwas zu kurz kam.

Nun darf Woetzel bei kress.de zum Gegenschlag ausholen. Niggemeier beziehe sich „dabei auf den gerade 12 Minuten langen Part in einer 54-minütigen Doku“, „Und weil wir bei unserer Doku an Zuschauer denken und nicht an ,Medienkritiker’, sollte da nicht noch einmal die Schnappatmung der notorischen Naidoo-Hasser im O-Ton zu hören und zu sehen sein“, Homophob ist man noch lange nicht, wenn man eine Textzeile aus einem wütenden Rap-Song des Künstler-Duos XAVAS (Naidoo und Savas) in böswilliger Absicht herausreißt, in dem die beiden ihren Schmerz und ihre Wut über organisierten Kindesmissbrauch, perverse Kinderschänder und -mörder künstlerisch verarbeiten" – so geht das über 33.000 Zeichen, was mehreren Saarländern, Fußballfeldern bzw. etwa zwei Altpapieren entspricht.

Warum Sie das interessieren sollte? Weil hier ein trotziges Kind mit dem Fuß aufstampft, wirre Theorien über vermeintliche Mainstream-Medien verbreitet, Journalisten das Beurteilen von Medienpersönlichkeiten auf Basis ihres Auftritts in den Medien abstreitet und zudem die interessante Ansicht vertritt, dass dem journalistischen Anspruch, mehrere Stimmen zu hören, genüge getan sei, wenn diese Stimmen alle nur eine Seite vertreten. Und kress.de das als „ein wichtiges Plädoyer für Journalismus, der sich halt nicht von Vorurteilen und Konstruktionen treiben lässt“, bezeichnet.

Woetzel will einfach in Ruhe ein wenig Naidoo-PR betreiben, und wenn Journalisten ihn dabei stören, diskreditiert er sie mit den Argumenten, die gerade überall herumliegen. Das ist zwar aus meiner Sicht falsch, aber sein gutes Recht. Ein Mediendienst, der dieser Taktik den Stempel des einzig wahren Journalismus aufdrückt, spielt jedoch, um den Kreis zu schließen, mit der Hundepfeife.


Altpapierkorb

+++ Das Manager-Magazin verkauft seine Texte lieber, als diese frei verfügbar ins Netz zu stellen. Aber dafür haben wir ja Meedia, wo Marvin Schade minutiös nacherzählt, was hinter der Paywall Erschreckendes über die DuMont Mediengruppe steht, etwa: „Neben den bekannten Fehlinvestitionen berichtet das manager magazin von ,notorisch’ knapper Liquidität und fehlenden Wachstumsperspektiven“ oder „Das manager magazin schreibt vom möglichen Verkauf wesentlicher Titel und bringt die Funke Mediengruppe ins Gespräch.“ +++

+++ Hacker haben Mitte Mai die Daten von 200.000 Nutzern der Plattform sz-magazin.sueddeutsche.de erbeutet. „Diese umfassen in der Regel Anrede*, E-Mail*, Vorname*, Nachname*, das als Hashwert gespeicherte Passwort*, PLZ* (*Pflichtfelder bei der Registrierung) und sofern von Ihnen eingegeben weitere Angaben wie Geburtsdatum, Adresse und Telefonnummer. Es handelt sich in keinem Fall um Bezahldaten wie Bankverbindungen o.ä.“, erklärt der Verlag. Schön ist das trotzdem nicht. +++

+++ „Sexistische Bildsprache ist Alltag auf den Covern der deutschen Medienlandschaft. Viele deutsche Medien sind Teil des Problems, das sie in einer ernsthaften Sexismusdebatte angehen müssten“, schreibt Politikstudentin Laura, aka @schlauri_ bei kleinerdrei.

+++ Die Medien vermitteln uns ein völlig falsches Bild davon, wie Glyphosat aufs Feld gelangt, erklärt Stefan Niggemeier bei Übermedien (und übernimmt damit den Job des derzeit geschlossenen Bildblogs). +++

+++ Ein Buch, das (US-amerikanischen) „Eltern verstörende Einblicke in das geheime Online-Leben ihrer Kinder“ gibt, stellt heute Anne Philippi auf der Medienseite der SZ vor. +++ Zudem dokumentiert Viola Schenz den aktuellen Dreh im Streit „Hogan versus Gawker“: „Pierre Omidyar, Gründer der Versteigerungsplattform Ebay, ruft die Medienbranche zur Unterstützung von, ausgerechnet, Gawker auf – und stellt sich damit gegen Paypal-Gründer Peter Thiel, der Hogans Anwaltskosten in dessen Prozess mit Gawker finanziert. (...) Während Thiel offenbar Rache an dem Klatsch-Blog nehmen will, ist Omidyar ganz anders getrieben: Man müsse „selbst geschmacklose Presse“ schützen, begründet der 48-Jährige sein Vorgehen.“ +++

+++ Diese Ereignisse sind auch ein Thema für Michael Hanfeld auf der Medienseite der FAZ: „Jeff Bezos gehört die ,Washington Post’; Jack Ma, der Chef des chinesischen Plattform-Konzerns Alibaba Group, hat sich die ,South China Morning Post’ zugelegt; Pierre Omidyar wiederum finanziert das Enthüllungsteam von ,The Intercept’; und auch hinter anderen Websites stecken Online-Konzerne. (...) Da hängt inzwischen so viel miteinander zusammen, dass Allianzen und Gegnerschaften direkt auf die Berichterstattung durchschlagen können, ohne dass man dieser das direkt ansieht.“ +++ Des großen FAZ-Themas der Unberechenbarkeit großer Internetkonzerne nimmt sich dort auch der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio an – diesmal als Warnung vor dem Netz als Datensammler und rechtsfreier Raum: „Obwohl die öffentliche Gewalt ein Garant für die Möglichkeit von Freiheit sein kann, sollte man ihre Janusköpfigkeit im Auge behalten. Wer auf Facebook aus einer hoheitlichen Position einwirkt, damit dort Hass und Gewalt ausgesondert werden, der sollte ins Gedächtnis rufen, dass dazu Gerichte berufen sind. Die Festlegung der Grenzen der Meinungsfreiheit darf nicht privatisiert und nicht entformalisiert werden.“ +++

+++ Da wir gerade beim Thema sind: „Im Prinzip stellen die vom BMWi beauftragten Autoren – die Professoren Heike Schweitzer, Thomas Fetzer und Martin Peitz – die richtigen Fragen, und sie machen auch einige diskussionswürdige Vorschläge. Nur eben Jahre zu spät“, beurteilt Patrick Beuth bei Zeit Online das frisch vorgestellte „Grünbuch Digitale Plattformen“ des Wirtschaftsministeriums, das man sich in voller Schönheit hier ansehen kann. +++

+++ „Bis zum 6. Juni, noch vor dem Start der Fußball-EM, will die Deutsche Fußball Liga (DFL) insgesamt 17 Rechtepakete für die Spielzeiten 2017/18 bis 2020/21 verkaufen.“ Für Markus Ehrenberg ein Anlass, im Tagesspiegel aufzulisten, wer da was will. +++

+++ Schon jetzt steht fest, welche Folgen der Fußball in Form der EM auf das ZDF-Programm haben wird: Das „heute-journal“ wird kürzer ausfallen, und zwar auch an Tagen, an denen die ARD überträgt, meldet DWDL. +++

+++ Das Tagesschau-Blog auf dem Weg zum „So haben wir die Videos aus dem Netz verifiziert“-Fachblog, diesmal zum Thema Unwetter. +++

+++ Der Vollständigkeit halber noch ein Nachtrag vom Wochenende, als sich Spiegel Online und Sophia Thomalla (u.a.) an einer aus ihrer Sicht zu nachsichtigen Geschichte Heribert Prantls aus dem SZ-Magazin abarbeiteten. Dieser hatte Sebastian Edathy in seinem „Exil“ (Quelle: SZ) getroffen, vor allem, weil ihn wohl die Folgen eines derartigen Absturzes beschäftigen, wie Prantl im verlinkten Video erklärt. Den Juristen scheint nach Abschluss des Verfahrens interessiert zu haben, wie es mit dem Menschen weitergeht. Andere Journalisten (und Frau Thomalla) hätten aber lieber noch einmal den Fall aufgerollt. So auch Stefan Winterbauer, der die Geschichte bei Meedia nachzeichnet, oder Christian Füller online beim Cicero. +++

+++ Fernsehtipp zum Schluss: Arte zeigt eine Doku über den Iran nach Abschluss des Atom-Abkommens. Es rezensiert: Thomas Gehringer für den Tagesspiegel. +++

Das nächste Altpapier erscheint am Mittwoch. 

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