Wie war das gleich?
„Ihr blöden Hyänen, hört endlich auf. Ich kann auch meinen eigenen Namen nicht mehr hören. Es reicht jetzt. Und während wir hier über so einen Scheiß reden, sitzen in der Türkei 35 Leute im Gefängnis, weil Erdogan seine Leute im eigenen Land einsperrt.“
Diese Worte Jan Böhmermanns hat Meedia aus Spotifys aktuellem „Fest und Flauschig“-Podcast transkribiert. Aber was soll man machen, wenn doch jeden Tag eine Meldung mit Nachrichtenwert durch das Internet kriecht? Twittercomeback, neuer Podcast, erste Sendung – die selber blöde Hyäne verzieht sich einfach nicht aus den Schlagzeilen. So auch gestern Abend, als Martin U. Müller bei Spiegel Online als Erster die Entscheidung des Hamburger Landgerichts verkünden durfte, die nicht mit der noch bei der Staatsanwaltschaft Mainz herumhängenden Majestätsbeleidigungs-Klage dank Paragraph 103 zu verwechseln ist sowie besagt: Böhmermann darf die meisten Zeilen seiner Schmähgedichtes nicht wiederholen, möchte er keine 250.000 Euro Strafzahlung riskieren.
Wie jetzt? Nicht ganz Gallien? Nein, und das führt zu schönen Sätzen wie:
„Erlaubt bleiben Aussagen wie ,Sackdoof, feige und verklemmt, ist Erdogan der Präsident’ und ,Er ist der Mann der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt’. Den größeren Teil des Gedichts hält das Gericht hingegen für unzulässig - vor allem wegen des Sexualbezuges mancher Aussagen.“
Nun würde ich schon gerne wissen, wie genau man sich eine zum Schlagen kleiner Mädchen aufgesetze Gummimaske vorzustellen hat, der kein Sexualbezug zugestanden wird, oder sollte bei Gericht jemand aus Versehen „Gurkenmaske“ verstanden haben? Aber stattdessen wird nur wieder berichtet, was die jeweiligen Anwälte sagen:
„,Ich bin sehr beglückt über die gute Rechtssprechung in Deutschland’, sagt Erdogans Rechtsanwalt Hubertus von Sprenger den Beschluss.“
„Böhmermanns Anwalt Christian Schertz sagte: ,Wir halten den Gerichtsbeschluss in der konkreten Form für falsch.’“
Letzterer kritisiert, dass das Gedicht isoliert und ohne die Einbettung in die Sendung beurteilt wurde. „Man werde daher auch hier Rechtsmittel prüfen und gegebenfalls auch überlegen, Erdogan zur sogenannten Hauptsacheklage aufzufordern, um notfalls eine Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht zu erwirken.“
So ähnlich lässt es sich nun nicht nur bei Spiegel Online und hier, sondern auch überall sonst vom Trierischen Volksfreund über Web.de bis hin zum Magazin Creditreform nachlesen. Bei Focus Online kann man in bewährter Weise sogar aussuchen zwischen den Schlagzeilen „Landgericht Hamburg verbietet Teile des Schmähgedichts“, „Landgericht erlässt einstweilige Verfügung gegen Böhmermann“ und „Einstweilige Verfügung gegen Jan Böhmermann“. Der Einfachheit halber schlage ich vor, das Medien-Ressort dort bis auf Weiteres in Jan Böhmermann umzubenennen.
Nur das Gericht selbst gibt sich nicht so medienaffin (hat aber schöne Fotos von sich online), so dass die Begründung noch von Florian Flade von Springers Welt-Investigativ-Team via Twitter verbreitet werden musste.
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Folgen Sie ruhig dem Link und sehen: Was in Zukunft alles nicht mehr gesagt werden darf, hat das Gericht freundlicherweise rot markiert.
[+++] Apropos Böhmermann, apropos Satire: Falls Sie vorhatten, heute Abend die von Thomas Leif im Rahmen des Demokratie-Forums Hambacher Schloss moderierte Debatte „Warum gelten Satiriker heute als die Journalisten mit Tiefgang und Haltung?“ zu besuchen, habe ich eine gute Nachricht für Sie: Sie können doch zu Hause bleiben und „Die große GZSZ Erfolgsstory“ bei RTL sehen (mehr dazu im Korb), denn Bülend Ürük hat diverse Teilnehmer der Debatte bereits im Vorfeld getrennt voneinander befragt und die Ergebnisse über die Online-Ausgaben von Kress und Newsroom verteilt.
Um die bahnbrechenden Erkenntnisse aus den Gesprächen mit dem ehemaligen Grimme-Chef Bernd Gäbler und dem Buchautor und Medienwissenschaftler Benedikt Porzelt kurz zusammenzufassen: Satire vermag harte Themen leicht aufzubereiten, kann und sollte daher Journalismus aber nicht ersetzen, sondern ihn nur ergänzen.
„Die Nachfrage der Zuschauer nach Unterhaltungsangeboten ist vor allem seit den 1990er Jahren stark gestiegen. Satiresendungen bieten die Möglichkeit diese unterhaltungsorientierte Zielgruppe wieder mit politischen Inhalten zu erreichen und Interesse daran zu wecken. Hierbei kommt es aber stark auf die konkrete Gestaltung der Satire an. Wenn nur über persönliche Eigenschaften von Politiker gescherzt wird, kann auch ein zynischer Blick auf Politik gefördert werden. (...) Vom Glaubwürdigkeitsverlust der Medien kann Satire profitieren, da sie auch kritisch auf die Arbeit der Medien eingeht. Sie kann dadurch gegebenenfalls als Gegenentwurf zum vermeintlichen ,Mainstream’ erscheinen“,
meint etwa Porzelt.
Allerdings muss an dieser Stelle noch mal in das Altpapier von gestern und den dort zitierten Boris-Rosenkranz-Text geschaltet werden, der in Zusammenhang mit dem #verafake anmerkte, dass vielen (journalistischen) Redaktionen das Geld für so aufwendige Recherchen fehle, wie sie das Neo Magazin Royale umsetzen könne. Was ein trauriges Bild von Journalismus zeichnet. Andererseits spart dieses auch enorme Ressourcen, indem es allen anderen Medien überlässt, stündlich über ihren Chef zu berichten. Womit es noch trauriger wird.
[+++] Stichwort #verafake: Dieses scheint manche Privatfernsehproduktion in Angst und Schrecken versetzt zu haben. Wie Quotenmeter berichtet, hat RTL II die beiden Testshows „Der große IQ-Test by RTL II“ und „Der große Musik-Test by RTL II“ vor der Ausstrahlung zurückgezogen.
„Wie ein Teilnehmer an der Musik-Ausgabe der Test-Reihe gegenüber Quotenmeter.de erklärte, soll die Produktionsfirma Probleme gehabt haben, die entsprechenden Gruppen mit echten Kandidaten zu besetzen. Im Falle des Musiktests traten im Studio über 40 Radiomoderatoren gegen andere Gruppen an: DJs, Heavy-Metal-Fans, Musiker und Tänzer. Angeblich aber fanden sich nur einige wenige echte Radiomoderatoren, der Rest des Blocks sei mit Abiturienten, Praktikanten oder Statisten aufgefüllt worden.“
Manche, so heißt es, seien sogar Abiturient, Praktikant und Statist in einem gewesen. Kleiner Scherz. Mein Tipp fürs nächste Mal wäre, die Fokusgruppe einfach mit Journalisten zu besetzen, denn im Gegensatz zum Radiomoderator darf wirklich jeder diese Jobbezeichnung für sich beanspruchen. RTL II wäre seine Sorgen damit los. Wie RTL die Absetzung von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ verhindern will, da in der Sendung offensichtlich keine Stars auftreten, bleibt aber spannend.
[+++] Da wir gerade von Spannung sprechen: Diese gehört auch zu der Frage, wie das mit dem Journalismus in Zukunft weitergeht. Zum Glück hat sich kress.de Paul-Josef Raue an Land gezogen, damit dieser in einer vielteiligen Reihe genau diese prophezeit. In der aktuellen Folge geht es um die Debattenfähigkeit der Zeitungen, die Raue existentiell wichtig findet und die nicht nur in teure Konferenzen wie etwa von der Verlagsgruppe Handelsblatt veranstaltet münden dürfe, wie er argumentiert:
„Debatten mit den Leitmilieus sind auch für Lokal- und Regionalzeitungen mehr als ein PR-Gag oder eine zusätzliche Einnahme, sie stärken die Marke und binden die Leser. Doch was ist mit den einfachen Lesern? Was ist mit den Bürgern, die das Fundament der Demokratie bilden?“,
schreibt er, was ich allein durch das Herabblicken auf den vermeintlich einfachen Leser einen, äh, interessanten Ansatz finde. Aber das ist nur das kleinere Problem angesichts der Tatsache, dass hier ein Text mit „Journalismus der Zukunft“ überschrieben wurde, in dem das Internet nur am Rande vorkommt. Stattdessen werden Ombudsredakteure und Leserbriefseiten empfohlen, als steckten wir im Jahr 1973 und die Kommunikation mit dem Leser liefe über Fax.
Dass ein Großteil der von Raue aus vorbildlich angepriesenen Lokalzeitungs-Debattier-Aktionen (Fragebögen. Ältestenrat. „Leser fragen“.) ebenfalls diesen Geist ausstrahlen, könnte das Nachwuchsleserproblem eben dieser erklären.
+++ „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ wird heute Abend 6.000 Folgen alt, was zu schönen Plot-Nacherzählungen wie dieser im Standard führt: „,Ich erinnere mich, wie Katrin Flemming Jo Gerner an einen Eisenhaken gehängt hat, um zu erfahren, ob ihre gemeinsame Tochter Johanna noch lebt’, berichtet Schauspielerin Frank aus dem Leben ihres Serien-Ichs. Der Anwalt hatte der Flemming zwei Millionen geboten, damit sie das Kind bekommt, das sie eigentlich nicht haben wollte. Danach entführte er sie.“ Im Hamburger Abendblatt macht sich Janna Eiserbeck Gedanken über das Erfolgsgeheimnis der Soap. +++
+++ War nicht gerade erst berichtet worden, bei Twitter solle die 140-Zeichen-Grenze Richtung 10.000 verschoben werden? Egal. Jetzt sollen erstmal angehängte Medien nicht länger zu Lasten der Zeichenhöchstzahl gehen, wie es bislang praktiziert wird, berichtet Bloomberg, berichtet der Tagesspiegel. +++
+++ Apropos Twitter: Meedia hat das Ende der Bundesliga-Saison zum Anlass genommen, Follower-Zahlen von Vereinen und Spielern zu vergleichen. Mit der langweiligen Erkenntnis, dass auch auf diesem Feld die Bayern dominieren. +++
+++ „Der ,Guardian’ mag sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten in einer Art Paralleluniversum befunden haben. Rusbridger nutzte die Vorteile der Digitalisierung aus, um die Zeitungsmarke weltweit zu pushen. Gleichzeitig konnte er die Begleiterscheinungen der sich wandelnden Medienwelt dank finanziellem Polster mehr oder weniger ignorieren. Rund 60 Millionen Euro Verlust im vergangenen Jahr waren dann doch zu viel“, analysiert Christian Meier bei Springers Welt den Verzicht Alan Rusbridgers auf den Job bei Scott Trust (Altpapierkorb gestern). +++
+++ Im Pressefreiheits-Vorzeigeland Finnland ist der Quellenschutz bedroht: „Es geht um die Panama Papers. Die finnischen Finanzbehörden möchten die gerne haben“, berichtet die taz. +++
+++ Nachdem das TV-Modell ohne Moderator in Österreich gründlich in die Hose gegangen ist, wünscht sich Hendrik Zörner im DJV-Blog, dass dieses Modell in Deutschland keine Anwendung findet. „Damit nicht nur Seitenhiebe, sondern auch Argumente ausgetauscht werden.“ Weitere Argumente dafür liefert er aber nicht. +++
+++ Yippee! Der große, grenzübergreifende und so viel Freude unter den Völkern bringende Gesangswettbewerb namens Eurovision Song Contest (Altpapier gestern) könnte einen großen Bruder bekommen. Arbeitstitel Worldvision, meldet Der Standard. +++
+++ Heute Abend präsentiert sich Katja Riemann erstmals in ihrer neuen ARD-Serienrolle in „Emma nach Mitternacht – Der Wolf und die sieben Geiseln“, und dazu schreibt Thomas Gehringer im Tagesspiegel: „Der Südwestrundfunk (SWR) will mit der leicht nebligen Titelfigur an die ,Bloch’-Reihe anknüpfen. Der verstorbene Dieter Pfaff hatte den Therapeuten Bloch als einen fachkundigen, warmherzigen Kümmerer gegeben. Und wenn auch vorerst vieles offen ist, eines kann man sicher sagen: Emma Mayer ist kein Bloch. Sie ist schroffer, fixer und, logisch, weiblicher.“ Katharina Riehls Urteil auf der Medienseite der SZ: „Das Problem mit ,Emma nach Mitternacht’ ist nicht der Cast, der ist auch in den Episodenrollen hervorragend. In Teil eins liefert sich Riemann ein Rede- und Psychoduell mit Ben Becker, in Teil zwei versucht sie, Corinna Harfouch vom Selbstmord abzuhalten. Aber auch die besten Darsteller können einen Film nicht retten, wenn das Drehbuch wirklich irre bescheuert ist.“ +++
+++ Außerdem berichtet Jürgen Schmieder auf der Seite mit vielen Spoilern, dass in US-amerikanischen Serien derzeit zu viele Frauen sterben. +++
+++ Auf der Medienseite der FAZ geht derweil Jan Grossarth der Frage auf den Grund, warum Landwirtschaftsvertreter immer so mies über die Presse sprechen. Sein Fazit: „Womöglich gibt es nicht nur eine Reihe inhaltlich schwacher oder unfairer Artikel und Fernsehreportagen über konventionelle Landwirtschaft. Offenkundig gibt es in den Bauernverbänden auch eine strukturelle Krise in Sachen Wahrhaftigkeit und ein Misstrauen gegenüber der Gesellschaft, die pauschal als feindselig erscheint.“ +++
+++ Weitere FAZ-Themen: Netflix’ „Marseille“ und von einer Google-Tochter zu Wlan-Hotspots umgerüstete New Yorker Telefonzellen, die eifrig Nutzerdaten sammeln. +++
+++ „Kaum ein großer Verlag traut sich so richtig an das Veganer/Vegetarier-Thema heran, fast alle Publikationen erscheinen im Eigenverlag oder in kleineren Verlagen“, lautet das Fazit Nora Jakobs, die sich für DWDL mit dem Thema Magazine für Fleischlose beschäftigt hat. +++
+++ Eine weitere Zeitschriften-Rezension gibt es bei Übermedien von Michalis Pantelouris, der schreibt: „Insofern ist die Zielgruppe des ,Feinschmecker’ sehr leicht auszumachen: Es sind Menschen, die sich als Feinschmecker verstehen. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt: Den ,Playboy’ lesen eben nicht nur Playboys; man muss keinen Maserati fahren, um ihn zu lesen.“ +++
+++ Teenies, die auf Youtuber treffen, bleibt ein beliebtes Reportagethema, diesmal im Tages-Anzeiger. +++
+++ Medienschaffende, die versuchen, im Exil mit ihrem Beruf weiter Geld zu verdienen? Die gibt es nicht länger nur in den Romanen von Feuchtwanger und Remarque und Klaus Mann, sondern aktuell auch in Deutschland. Davon berichtete bereits am Wochenende Swantje Unterberg bei „Markt und Medien“ im Deutschlandfunk. +++
Frisches Altpapier gibt es wieder am morgigen Donnerstag.