„Böse, böser, Böhmermann“

„Böse, böser, Böhmermann“
Am vergangenen Freitag musste sogar die Kanzlerin zur Causa Böhmermann eine Erklärung abgeben. Allein das zwingt uns schon, sich erneut mit dem Umgang der Medien mit dieser Staatsaffäre zu beschäftigen.

Das ist noch nicht so oft passiert. Ein Satiriker schafft es am Samstag auf den Titel des Spiegel. Der Untertitel „Böse, böser, Böhmermann“ könnte es sogar in die Lebenswelt unserer Kinder schaffen. „Wer hat Angst vorm Böhmermann?“, so lautete die Frage. „Niemand“ wäre die Antwort. „Und wenn er kommt?“ Dann laufen alle los. Das wird sicherlich nicht passieren, weil der schmächtige Jan Böhmermann als Kinderschreck nur begrenzt überzeugungsfähig wäre. Da sind die Kinder in unseren digitalen Lebenswelten schon längst Härteres gewöhnt. Aber zum Schrecken der Berliner Politik hat sich der Satiriker gemausert. Er hat es nicht nur auf den Spiegel-Titel gebracht, sondern die Bundeskanzlerin zu ihrer Erklärung von Freitag genötigt. Solche Meriten erwarb sich noch nicht einmal der unvergessene Dieter Hildebrandt. Der Spiegel konnte aber zum Redaktionsschluss am Donnerstagabend immerhin noch ein zentrales Element aus der Erklärung der Kanzlerin vorwegnehmen. Nämlich den in ihrer Erklärung zum Ausdruck gebrachten Dissens zwischen den Berliner Koalitionsparteien. Ansonsten musste auch das Hamburger Nachrichtenmagazin darüber rätseln, was sich Böhmermann mit seinem Vier-Minuten-Vortrag gedacht haben könnte.

„War der Skandal Berechnung – oder am Ende Zufall?“

Weil Böhmermann darüber niemandem Auskunft gibt, weder dem Spiegel, noch Kai Diekmann, sind die deutsche Medien auf ihre Interpretationskünste angewiesen. Der Spiegel hat eine Erklärung, die an den Zauberlehrling erinnert.

„Ob Böhmermann wirklich aufklären oder wirklich schmähen wollte, darum geht es nicht. Vermutlich wollte er einfach eine andere Ebene der humoristischen Auseinandersetzung erreichen, eine die weder Kommentar ist, noch Protestsong. Und wie bei allen Künstlern ist es letztlich nicht an ihm, sein Werk zu deuten oder vorher schon danach zu fragen, ob es statthaft sei. Ob es konstruktiv weiterbringt oder was die Leute sagen werden.“

Der türkische Präsident hatte solche Interpretationsnöte offensichtlich nicht. Dafür könnten aber in Zukunft die Schüler im Deutsch-Unterricht mit solchen traktiert werden. Schließlich eignet sich Böhmermanns Vortrag inklusive der Erklärung der Kanzlerin vortrefflich für Klausuren in der gymnasialen Oberstufe. Die Sichtweise eines vorlauten Schülers, Böhmermann habe sich dabei gar nichts gedacht, während die Kanzlerin zuviel an ihr Verhältnis zur Türkei dachte, sollte die Note „Ausreichend“ sicherstellen. In den Medien finden die Germanisten ausreichend Material, damit Böhmermann zum Schrecken der Schüler werden könnte. Verdient hätte er es sich.

+++ Nun hat sich fast jeder zu diesem Thema schon geäußert. Dagegen ist nichts zu sagen. Es ist ein Kennzeichen demokratischer Öffentlichkeit, wenn sich jedermann über eine solche Staatsaffäre eine Meinung bildet. In der Türkei soll, im Gegensatz dazu, die Meinung des Präsidenten ausreichen. Wer will das schon bei uns? Nun hat die Bild am Sonntag leider nicht die Nachfahren von Till Eugenspiegel ausfindig gemacht, um deren Sichtweise auf die Causa Böhmermann zu erfahren. So fragten sie die Enkelin von Charlie Chaplin.

„Die Enkel­toch­ter Char­lie Chap­lins sieht Par­al­le­len der Geschichte. „Mein Groß­va­ter wurde jah­re­lang von der US-Regierung daran gehin­dert, den ‚Gro­ßen Dik­ta­tor‘ zu dre­hen, weil die deut­sche Regie­rung mit Wirt­schafts­sank­tio­nen drohte, falls es eine Satire über Hit­ler gibt. Wenn man die aktu­elle Ent­schei­dung der deut­schen Regie­rung auf die dama­lige Situa­tion bezieht, hätte Char­lie Chap­lin den ‚Gro­ßen Dik­ta­tor‘ nie dre­hen kön­nen, weil er stän­dig vor Gericht gestan­den hätte.“

Das ist zwar informativ. Nur hat niemand Jan Böhmermann daran gehindert, seinen Vier-Minuten-Beitrag zu drehen. Noch nicht einmal die Führungskräfte im ZDF hatten sich für dessen Planungen interessiert, von der Bundesregierung ganz zu schweigen. Eine Vorzensur findet bei uns nicht statt. Der Großvater ließ seinen Diktatur unverständlich reden, um gleichzeitig dessen Handlungen zu dokumentieren. Die Karikatur Hitlers machte ihn so erst sichtbar. Das sind andere satirische Stilmittel als bei Böhmermann. Der Vergleich mit Chaplin ist sicherlich nicht fair, weil ihn kaum jemand besteht. Aber warum sind Medien eigentlich der Meinung, die Nachfahren solcher Helden müssten wegen ihrer Abstammung etwas Sinnvolles zu einer solchen Debatte beizutragen haben? Es ist offensichtlich die Magie des Namens ausschlaggebend - und nicht die intellektuelle Substanz.

+++ Was die Bunderegierung noch plant, ist die Abschaffung des § 103 StGB. Er hat erst die Nöte der Kanzlerin ausgelöst. Vor dem „bösen Böhmermann“ hat den kaum jemand gekannt, eingestandenermaßen noch nicht einmal viele Juristen. Der historische Hintergrund namens „Majestätsbeleidigung“ hat schon ausgereicht, ihn als überflüssig zu deklarieren. Darin sind sich die Medien weitgehend einig. Man muss schon lange suchen, um dazu eine konträre Position zu finden. Eine formulierte gestern Volker Rieble in der FAS.

„Dass die Beleidigung von Staatsoberhäuptern (und auswärtigen Regierungsmitgliedern auf Staatsbesuch in Deutschland) in Paragraph 103 Strafgesetzbuch etwas schärfer geahndet wird, dient dem Schutz der diplomatischen Außenbeziehungen. Unser Bundespräsident ist vergleichbar vor Beleidigungen geschützt. Jene Norm schützt elementare Höflichkeitsformen als Grundlage diplomatischer Beziehungen ... . Es geht allein um die Frage, ob die strafrechtliche Aufklärung vor Gericht den diplomatischen Beziehungen zum fremden Staat Schaden zufügt. Das hat die Regierung verneint, weil die Außenbeziehungen zur Türkei wichtig sind. Ob Herr B. sich strafbar gemacht hat, darf die Regierung nicht einmal prüfen – weil die Gewaltenteilung jeden Übergriff in die Gerichtskompetenz verbietet.“

Die bisherige Einmütigkeit ist der Hitze des Gefechts um Böhmermann geschuldet. Die Ankündigung der Kanzlerin, diesen Paragraphen erst im kommenden Jahr abzuschaffen, ist insofern sinnvoll zu nennen. Der Bundesjustizminister ist übrigens in dieser Frage ungewohnt schweigsam, obwohl er ansonsten gerne und schnell auf alle relevanten Rechtsprobleme eine Antwort hat. Die Schnellschüsse der Medien mit ihrer Fähigkeit, den entsprechenden politischen Druck aufzubauen, sollten nicht die Fachdebatte ersetzen. Es ist nämlich kein plausibles Argument, warum die fehlende Kenntnis einer Strafrechtsnorm automatisch deren Überflüssigkeit bedeuten soll.

+++ Schließlich noch zu Bernd Lucke. Der frühere Bundesvorsitzende der AfD war seit seinem Austritt aus der Partei nur noch zur Kenntnis genommen worden, wenn er über deren desaströses Innenleben berichten sollte. Das hat sich mit der Causa Böhmermann geändert. Er nannte ihn so, wie man aus guten Gründen niemanden in der Öffentlichkeit nennen sollte. Wenigstens dann nicht, wenn man keine Beleidigungsklagen riskieren will. Ob der „edukatorische Kontext“, über den in den vergangenen Tagen beim Schmähgedicht soviel die Rede war, die Straflosigkeit von Luckes Beleidigung bedeutet, müssten Gerichte auf Antrag Böhmermanns klären. Solidaritätserklärungen von Künstlern sind nicht zu erwarten, obwohl Luckes Aussagen über die ökonomische Entwicklung in der Türkei durchaus lesenswert sind. Er hat es auf diese Weise geschafft, dass sich jemand wieder für seine neue Partei interessiert, die ansonsten ein stiefmütterliches Dasein fristet. Aufmerksamkeitsökonomisch hat Lucke somit alles richtig gemacht. Die Frage ist nur, ob wir Beleidigungen zur Grundlage unseres politischen Diskurses machen wollen.


Altpapierkorb

+++ Ansonsten noch weitere Hinweise auf die Debatte um Jan Böhmermann. So etwa auf Interviews mit Bernhard Pörksen in „Markt und Medien“ im Deutschlandfunk und mit Friederike Haupt in „Texte, Töne und Zeichen“ auf WDR 5. Im Tagesspiegel schreibt Caroline Fetscher über die „unterschiedliche Bewertung diffamierender Sprechakte.“ Während sich der Islamwissenschaftler Jochen Müller auf dem „Portal für Pädagogik zwischen Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus“ mit der Perspektive türkischer Migranten auf die Causa Böhmermann beschäftigt.

+++ In „Markt und Medien“ ging es zudem um die Visualisierung des Radios, um im digitalen Zeitalter bestehen zu können. Dafür beschäftigt sich die Autorin Vera Linß mit einem Beispiel aus den USA.

+++ Im Tagesspiegel ging es dagegen um jenes Problem, dass sich nicht nur der Autor dieser Kolumne stellte: Bin ich schwerhörig? Ich habe öfter Schwierigkeiten, die Dialoge im Tatort zu verstehen. Das könnte einen medizinischen Hintergrund haben, oder aber an der schlechten Tonqualität liegen. Der Tagesspiegel bietet Hinweise darauf, warum man doch nicht zum Ohrenarzt gehen muss: „Ein Grund ist laut Kock das Gerät selbst, jedenfalls wenn es ein Flachbildschirm ist. Die neuen Geräte seien so dünn, dass sie dem Ton im wahrsten Sinn des Wortes keinen Raum, keine Tiefe mehr zur Entfaltung böten (siehe Kasten). Der Eindruck, „früher“, also zu Zeiten der wuchtigen Röhrenfernseher, sei alles besser gewesen, stimmt in diesem Fall. Ein zweiter Grund seien die Schauspieler. Oft direkt als Fernsehdarsteller ausgebildet, hätten die eher Mikro- als Sprechschulungen, da rangiere in der Wertigkeit authentisch vor verständlich, das erweise sich besonders bei Til Schweiger alias „Tatort“-Kommissar Nick Tschiller. Dann sei da noch die Arbeit am Set. Wegen des allgemeinen Kostendrucks würden so wenig Drehtage wie möglich genehmigt, alles muss schnell gehen – und fürs eventuell nötige Nachsynchronisieren ist erst recht keine Zeit.“ Das ist beruhigend, wenigstens in dieser Beziehung noch nicht zum alten Eisen zu gehören. Wo man als Zielgruppe für die Werbung ja schon seit längerem auf das ZDF angewiesen ist. Wenigstens wenn man das 49. Lebensjahr schon hinter sich gelassen hat.

+++ Schließlich noch der Hinweis auf der Hinweis auf den Leitartikel von Dietrich Leder in der Medienkorrespondenz. Er beschäftigt sich mit der NSU-Trilogie in der ARD. Sein Fazit formuliert er so: „Die Geschichte der NSU-Mordserie ist, wie erwähnt, noch nicht restlos aufgeklärt. Am Ende des dritten Films scheint es so, als ob diese Aufklärung auch gar nicht gelingen könne. Die Szene zeigt einen Verfassungsschützer, der wichtige Akten schreddert. Die ARD ist, bei aller Detailkritik, für die Anstrengung, diese drei Spielfilme und die zwei Begleitsendungen realisiert zu haben und damit diese Geschichte im Bewusstsein zu halten, in der Summe zu loben.“ Dem ist nicht hinzuzufügen.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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