Kai Diekmann als Satiriker

Kai Diekmann als Satiriker
Im Fall des Jan Böhmermann dreht sich das Medienrad in atemberaubender Geschwindigkeit. Da wollte Kai Diekmann gestern seinen Beitrag leisten, was ihm durchaus gelungen ist. An seiner Satire wird deutlich, was man heute unter dieser Literaturgattung versteht. Eine Form, wo es um den politischen Inhalt nicht mehr geht.

Um 08.44 Uhr wurde Deutschland gestern Morgen in Aufregung versetzt. Jan Böhmermann gibt ein Interview, und das auch noch Kai Diekmann, dem Herausgeber der Bild. Die Welt stand Kopf wegen solcher Aussagen des viel diskutierten Satirikers.

"Wenn ich ins Gefängnis muss, hoffe ich auf einen Zellentrakt mit möglichst wenigen türkischen Erdogan-Fans. Da würde ich Peter Altmaier dann vielleicht doch noch mal um Unterstützung bitten."

Das nennt man einen souveränen Umgang mit dem eigenen Fall. Diese Gelassenheit zu satirischen Scherzen muss man in so einer Situation erst einmal aufbringen. Schließlich können sich zwar ältere Zeitgenossen noch daran erinnern, dass Satire bisweilen Aufregung verursacht hat. Aber dass eine Bundesregierung deswegen wie ein aufgescheuchtes Huhn reagiert, und das sogar kopflos, ist doch etwas Neues. Um 10:44 Uhr war es mit der Gelassenheit von Böhmermann aber schon vorbei. Dieser hatte nämlich gar nichts gesagt, weil Diekmann dieses Interview erfunden hatte. Sein Selbstbezichtigungstweet sorgte sogleich für den nächsten Aufreger. Wie ist das jetzt zu bewerten? Ist das zulässige Satire oder hat er damit dem umstrittenen Satiriker geschadet?

Nun gibt es keine Bundessatirikerkammer, wo sich nur eingetragene Experten an dieser Literaturgattung versuchen dürfen. Satire muss aber als solche erkennbar sein, ansonsten hält sie noch jemand für einen Bericht. Letzteres führte unter Umständen zu Mißverständnissen, weil dann die satirischen Stilmittel Verfremdung und Überspitzung mit der journalistischen Verpflichtung zur korrekten Sachverhaltsdarstellung in Widerspruch geraten. Deswegen spricht Claus Kleber bekanntlich im heute journal nicht die Texte von Oliver Welke aus der heute show. Oder Welke die von Kleber.

Zweifellos war die Publizierung dieses Interviews auf Facebook ein Hinweis auf die satirische Absicht des Verfassers. Man sollte einen Herausgeber der Bild nicht für so blöd halten, dass er am gleichen Tag in seinem Blatt mit Uschi Glas aufmacht, wenn er ein solches Interview bringen könnte. Ein schlichter Blick auf den Titel der Bild hätte insofern für Klarheit gesorgt. Wesentlich interessanter ist aber die Tatsache, dass Diekmann die satirische Verfremdung des Satirikers Böhmermann mißlungen war. Alle hielten diese vermeintlichen Aussagen Böhmermanns für plausibel, daher für authentisch. Man traute ihm zu, dass er auf diese Staatsaffäre nicht mit dem gebotenen Ernst reagierte, sondern mit seinem Stilmittel der Satire. Ansonsten hätte spätestens hier dieser Böhmermann als Diekmanns Schöpfung auffallen müssen.

Bezeichnend ist die Reaktion auf dieses Interview. Sie formuliert Friedemann Karig bei Jetzt.de so:

„Das ist kein Spiel mehr, und Diekmann weiß das. Es geht hier leider nicht mehr um einen gefaketen Mittelfinger wie bei Varoufakis, oder um die Grenzen von Satire. Es geht für Böhmermann und seine Familie inzwischen um Leben und Tod. Wenn auch nur ein türkischer Nationalist, aus deren Richtung die Morddrohungen stammen sollen, dieses wiederum "beleidigende" Interview so ernst nimmt wie in den Minuten nach Veröffentlichung die meisten deutschen Journalisten und User, dann sind die Folgen nicht absehbar. Dann erhöht sich die Gefahr für Böhmermann weiter.“

Karig nutzt das anschließend noch zur Generalabrechnung mit der Bild. Aber eines hat er nicht bemerkt: Was passierte, wenn ein deutscher Rechtsextremist Böhmermanns Schmähgedicht so ernst nimmt, wie der erwähnte türkische Nationalist dieses fiktive Interview Diekmanns? Oder erwartet Karig ernsthaft, dass der satirische Kontext dieses Gedichts eine solche mißbräuchliche Verwendung ausschließt? Eines ist übrigens sicher: Strafrechtlich hat sich Diekmann nichts vorzuwerfen, weil er schon nach zwei Stunden die Fiktionalität des Interviews offenlegte.

+++ Aber Jan Böhmermann schweigt, weil er nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen will, wie man das so schön anschaulich beschreibt. Über die Strafbarkeit seines Beitrages gibt es unter Juristen eine lebhafte Debatte. Siehe etwa als zwei Beispiele ein Pro und ein Contra. Das allein ist schon ein Argument für die gerichtliche Klärung dieses Falles. Die Verteidiger Böhmermanns argumentieren dabei interessanterweise immer zugunsten der Straflosigkeit seiner Satire. Sie soll erlaubt sein, weil ansonsten die Meinungsfreiheit in Gefahr wäre. Damit verkennen sie aber den politischen Charakter der Satire als Grenzübertretung. Sie war in ihrem Kern immer ein Instrument im politischen Meinungskampf. Die Provokation war das effektive Mittel, um den politischen Gegner in einen Konflikt zu zwingen. Die Gerichte wurden dabei häufig als Bühne für einen solchen politischen Prozeß genutzt.

Niemand anders als Charlie Hedbo kannte diesen Doppelcharakter der Satire. Es ging ihnen nicht nur um die Frage, was Satiriker so alles dürfen, sondern sie wollten den französischen Islamismus politisch herausfordern. Sie kannten das juristische Risiko und gingen es bewusst ein. Ihre Satiren wurden schließlich nicht nur von Islamisten kritisiert, sondern waren in der politischen und medialen Elite Frankreichs heftig umstritten. Das Massaker an der Redaktion war ein Zivilisationsbruch, weil die Täter das in westlichen Staaten eingeübte Verfahren des politischen Meinungskampfes durch den kaltblütigen Mord ersetzten. Deswegen musste man sich mit Charlie Hebdo solidarisieren. Und nicht weil man die Karikaturen positiv bewertete oder Satire angeblich alles darf. Darüber haben Gerichte zu entscheiden und keine Killer mit ihren Kalaschnikows.

Charlie Hebdo hatte ein politisches Anliegen. Deswegen machten sie Satire. Entsprechend offensiv gingen sie mit der Kritik und der rechtlichen Aufarbeitung um. Nur welches politische Anliegen hatte Jan Böhmermann als er seine Sendung machte? Satire betrachtete er offensichtlich nicht als ein politisches Kampfmittel in der Auseinandersetzung mit der türkischen Politik, ansonsten müsste er es weiterhin offensiv vertreten. Ihm ging es um die berüchtigte Metaebene, die sich allein darauf beschränkt, Medienreaktionen auszulösen. Sein Schmähgedicht sollte die Grenzen abstecken, was sich ein Komiker in diesem Land erlauben darf und was nicht. Der türkische Staatspräsident diente dafür lediglich als Demonstrationsobjekt. Die Provokation geriet zum Selbstzweck, nicht die damit verbundene politische Botschaft. Ansonsten müsste er gerade die Strafanzeige des türkischen Präsidenten als einmalige Gelegenheit begreifen, um das Gericht zum politischen Kampfplatz mit juristischen Mitteln zu machen. Dabei hat Böhmermann allerdings ein öffentlich-rechtliches Problem. Das ZDF ist nicht gerade der richtige Ansprechpartner, um mit fliegenden Fahnen in den Kampf gegen Erdogans Despotismus zu ziehen.

Aber für diesen Kampf eignet sich dieser Beitrag noch nicht einmal, weil Böhmermanns Interesse schließlich nicht der türkischen Politik galt. Er wollte mit seinem Schmähgedicht lediglich deutlich machen, dass solche Gedichte verboten sind. Das wusste man zwar schon vorher, weswegen sich daran jetzt der juristische Streit entzündet. Böhmermanns Botschaft beschränkte sich auf die Frage, was Schmähkritik von Satire unterscheidet. Es war ein Spiel mit der literarischen Gattung. Deshalb geht es jetzt juristisch um die Frage, ob die Beleidigungen keine Beleidigungen sind, weil deren Überspitzung den satirischen Charakter deutlich machen. Darum dreht sich der Streit unter den Juristen. Daraus wurde anschließend eine Staatsaffäre, die aber mit diesen Intentionen Böhmermanns überhaupt nichts zu tun hat. Er hat ein Feuer entfacht, ohne sich dessen überhaupt bewusst gewesen zu sein. Damit erinnert er tatsächlich an Kinder, die mit Streichhölzern spielen, ohne die Konsequenzen abzusehen. Denen verbietet man mit guten Gründen, weiteres Öl in das Feuer zu gießen.

+++ Aus dem Grund war Diekmanns Ausflug in die Satire als Spiel mit der Metaebene gelungen zu nennen. Die Reaktionen waren so, wie er es erwarten konnte. Ronnie Grob schildert sie so.

„Was wollten sie ihren Facebook-Anhängern auf die Schnelle mitteilen? Lernt man heute nicht schon in der Schule, dass man genau prüfen sollte, was man teilt, um nicht betrogen zu werden? Und sollten nicht gerade Journalisten etwas genauer hinsehen, bevor sie offensichtlichen Quatsch als echt verkaufen? (Immerhin machten einige von ihnen Nachträge in ihren Posts.)“

Diekmann kam nicht einen Augenblick lang auf die Idee, Böhmermann könnte zu dieser Affäre etwas anderes zu sagen haben als belanglose Scherze. Seine Erwartung, alle anderen werden es genauso sehen, ist eingetroffen. Gerade darin liegt der Witz dieses Fakes. Mit Satire in ihrer klassischen Interpretation hat das nichts zu tun. Es ist Gerede ohne jeden politischen Inhalt, allein dazu geeignet, um Aufmerksamkeit herzustellen. Peinlicherweise erinnert das aber damit zugleich an den Auslöser dieser Affäre. Immerhin beschäftigt sich aber die Bild heute auch wieder mit Uschi Glas. Mit solchen Inhalten kennt sich der Boulevard schließlich aus.


Altpapierkorb

+++ So gibt es im Fall Böhmermann schon die nächste Wendung. Jetzt steht nicht der Herausgeber der Bild im Vordergrund, sondern der Rechtsanwalt des beleidigten türkischen Präsidenten. Nun hat auch Erdogan einen Anspruch auf juristische Vertretung. Niemand denkt bei uns daran, diesen Anwalt gleich mit seltsamen Beschuldigungen in das Gefängnis zu stecken. Der türkische Präsident kann froh sein, es in Deutschland nicht mit der Mentalität seiner eigenen Justiz zu tun zu haben. Dieser Anwalt hat von Jan Böhmermann eine Unterlassungserklärung verlangt. Die hat Böhmermann mit guten Gründen zurückgewiesen. Schließlich schützte ihn diese Erklärung nicht von einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung, sondern wäre sogar als Eingeständnis der Rechtswidrigkeit seiner Satire zu werten. Ansonsten hat sein Anwalt noch mitgeteilt: "Es ist hierbei offensichtlich übersehen worden, dass das Gedicht nicht solitär verbreitet wurde, sondern in einer Gesamtdarstellung, über das, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht." Womit deutlich wird, was oben schon gesagt worden ist. Juristisch wird Böhmermann deutlich machen, warum die Beleidigung keine Beleidigung war.

+++ Ansonsten warten wir ja noch auf die Ergebnisse der Prüfung der Möglichkeit, Böhmermann mit Hilfe des §103 StGB anzuklagen. Man kann wirklich nur hoffen, dass diese Prüfung nicht abgeschlossen wir, während wir diesen Altpapierkorb füllen. Live dabei sein, heißt halt immer hinterherzuhinken.

+++ Wir wechseln das Thema. In der FAZ gibt es heute ebenfalls ein Pro und Contra, aber über den Sinn, die deutschen Gerichte für Fernsehübertragungen zu öffnen. Darin finden sich interessante Überlegungen über die Funktion von Medien.

+++ Heiner Alwart, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Jena, formuliert die Contra-Position: „Nach Lage der Dinge aber ist im Gegenteil zu befürchten, dass dem Publikum der Sinn für Wahrheit und Gerechtigkeit immer mehr abtrainiert wird und dass sich die Gerichte ihrerseits nicht zu schade dafür sind, sich primitiv gewordenen Erwartungen der Öffentlichkeit anzupassen. … . Insbesondere zum Schutz der Strafjustiz sollte diese Rechtsprechung bei nächster Gelegenheit revidiert und die Grenze zwischen Dritter und Vierter Gewalt neu gezogen werden. Nur so wird man Teufelskreise durchbrechen und insgesamt das Niveau der Meinungsbildung steigern können. Die Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft in unterschiedliche Sphären mag auch ihre Schattenseiten haben. Ein Vorteil hingegen dürfte darin bestehen, dass sie Korrumpierbarkeit prinzipiell erschwert und dadurch der Ineffizienz eines Teilsystems vorbeugt."

+++ Burkhard Hess, Direktor des Max Planck Instituts für Verfahrensrecht in Luxemburg, formuliert die Pro-Position: „Juristen schauen auf Rechtstexte und interpretieren Grundrechte im Kontext zeitgemäßer Entwicklungen – als „living instruments“. Die Gewährleistung des öffentlichen Verfahrens muss man heute anders verstehen als vor fast 140 Jahren. Damals beinhaltete die Öffentlichkeit der Zivil- und Strafverfahren eine Garantie gegen die Kabinettsjustiz, sie ermöglichte bürgerliche Emanzipation gegenüber der Obrigkeit. Diese Zielrichtung hat der Öffentlichkeitsgrundsatz heute nicht mehr. Was bleibt, ist das handgreifliche Bedürfnis der demokratischen Gesellschaft nach einer Kontrolle der Dritten Gewalt, die im politischen Prozess genauso Rechenschaft ablegen muss wie die anderen Staatsgewalten. Aus dieser Perspektive ist zu fragen, warum für die Justiz eigentlich de facto restriktivere Maßstäbe gelten als für die anderen Staatsgewalten. Der Öffentlichkeitsgrundsatz fordert eigentlich mehr Transparenz, zumindest jedoch eine stichhaltige Begründung, warum Berichterstattung über die Justiz eingeschränkt wird. Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ist in die Kritik geraten, weil sie das fundamentale Interesse der Öffentlichkeit nach der Sichtbarkeit und Kontrolle der Verfahren nicht gewährleistet.“

+++ Was aber auch spannend werden wird: Das Verbot sexistischer Werbung. In Zukunft werden so die Marketingkosten dramatisch reduziert. Dieser Werbung wird es so gehen, wie der Satire. Niemand weiß abstrakt zu bestimmen, wo die Grenzen zwischen zulässiger Werbung und dem rechtswidrigen Sexismus zu ziehen sind. Es wird immer im Einzelfall vor Gericht entschieden werden müssen. Womit aber jede Werbeagentur die Provokation nutzen kann, um die entsprechende Aufmerksamkeit zu erzeugen.

+++ Wie mit der AfD ungehen? Diese Frage beantworten Journalisten in „Der Journalist“. Es ist dabei Konsens, es mit der Aufregung nicht zu übertreiben.

+++ Auf welche tollen Ideen Juristen ansonsten noch kommen, liest man ebenfalls auf der Seite „Staat und Recht“ in der FAZ. Was passierte, wenn die Bundesregierung ein Strafverfahren in der Sache Böhmermann verhindert? Die Türkei könnte eine Staatenbeschwerde gegen Deutschland vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof einreichen, so Stefan Talmon, Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht in Bonn. „Das Recht auf Achtung des Privatlebens in Artikel 8 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention F.L.) umfasst auch das „Recht auf Schutz der persönlichen Ehre und des guten Rufes“. … . Artikel 8 begründet nicht nur ein Abwehrrecht gegen den Staat, sondern auch eine Pflicht des Staates zum Schutz des Rechts auf Achtung des Privatlebens gegen eine Verletzung durch Privatpersonen, einschließlich der Medien. Bei einer Beschwerde wegen unterbliebener Strafverfolgung prüft der Gerichtshof, ob der Staat seiner Schutzpflicht nachgekommen ist, das heißt, ob seine Strafverfolgungsbehörden und Gerichte das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 EMRK ordnungsgemäß gegeneinander abgewogen haben. Gehen die Aussagen über das von der Meinungsfreiheit gedeckte Maß hinaus, liegt ein Völkerrechtsverstoß vor.“ Angesichts dessen fehlt es der Mediendebatte an Komplexität, so könnte man den Eindruck haben.

Das Altpapier gibt es wieder am Freitag.

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