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Und täglich grüßt Jan Böhmermann. Diesmal sorgt er für eine Lektion in Gewaltenteilung, wandelt auf den Spuren Rudi Carrells und legt sich mit Ziegen an. Außerdem lernen wir, dass Frau Müllermilch-Hohenstein deutsche Nationalspieler wieder mit Badeschlappen versorgen darf, Schwiegertöchter weiterhin mit Alliterationen an den Mann gebracht werden sollen, und DuMont von Datenschutz wenig hält.

Ich war ein paar Tage auf Reisen und aus diesem Grund nur im Internet, wenn es galt, Fußwege über mehrspurige Innenstadtautobahnen zu suchen oder „seit wann ist Riga eigentlich das neue Mallorca, und vor allem: warum?“ zu googeln (falls Sie eine Antwort haben: ich wäre interessiert). Daher muss ich um Verständnis bitten, falls die folgende Kausalkette etwas lückenhaft sein sollte.

Demnach hat sich Jan Böhmermann vor knapp zwei Wochen so darüber geärgert, dass „Extra 3“ und nicht er den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan bis zur Botschaftereinbestellung verärgert hat, dass er in seiner Sendung eine Schmähkritik über Erdogan verlas, die er der Einfachheit halber mit „Schmähkritik“ überschrieb. In der Folge wurde der Beitrag aus der Mediathek gelöscht, Böhmermann angezeigt sowie ihm der Grimmepreis verliehen, der unfake Yanis Varoufakis machte sich via Twitter für Böhmermann und dessen Humorverständnis stark („Europe first lost its soul (agreement with Turkey on refugees), now it is losing its humour. Hands off @janboehm!“), und der türkische Vizeministerpräsident nannte das Gedicht „ein schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, was auch für diejenigen interessant gewesen sein dürfte, die seit Jahrzehnten darauf warten, dass die Türkei einen solchen Vorgang in anderem Zusammenhang anerkennt.

Dieter Hallervorden veröffentlichte ein Lied, in dem er ebenfalls um eine Reaktion Erdogans bettelte („Ich sing' einfach, was du bist: Ein Terrorist, der auf freien Geist nur scheißt!“ – dafür den ersten Preis im „Reim Dich, oder ich fress Dich“-Wettbewerb der Flohkiste), der Zentralrat der Ziegen beschwerte sich wiederum über die Schmähung, die Böhmermann Ziegen zukommen ließ, Spiegel-TV montierte in einem Beitrag „Je suis Jan Böhmermann“-Schriftzüge auf Müllcontainer, um subtil Stellung zu beziehen, die Berliner BZ machte aus der Geschichte auf ihrer heutigen Titelseite ein Gewichtsproblem Angela Merkels, und bevor Sie mir mit Satire kommen: Nur eine dieser Meldungen nennt als Urheber den Postillon.

Womit ich sagen will: Something is rotten in the state of Agenda Setting, und ab wie vielen Texten zu einem Thema implodiert eigentlich focus.de?

Nur einer mochte die Absurdität der Ereignisse nicht mit Staatsmännigkeit an sich abtropfen lassen und stellte Strafantrag wegen Beleidigung, wie die Mainzer Staatsanwaltschaft gestern Abend bestätigte.

Bereits am Vormittag hatte Regierungssprecher Steffen Seibert erklärt, dass die Grundwerte des Grundgesetzes unverhandelbar seien (Quelle: dpa/Berliner Zeitung), was einen schon kurz darüber nachdenken lässt, was als nächstes kommt? Steffen Seibert bestätigt: Man darf nur bei Grün gehen? Spinat ist gesünder als Schokolade? Die Erde ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten?!

Die Politik muss nun in den kommenden Tagen prüfen, ob sie dem Gesuch Erdogans nach Strafverfolgung Böhmermanns nachkommen möchte, wobei sich diese Frage gar nicht stellen dürfte, wie Heribert Prantl auf der heutigen Meinungsseite der SZ (und in einer längeren Fassung online) argumentiert:

„Nun gibt es viele Leute, die angesichts der halbdiktatorischen Politik des türkischen Präsidenten meinen, Erdo?an habe es verdient, beleidigt zu werden. Das ist ein berechtigter, aber kein juristischer Gedanke. Zur Prüfung der Frage, ob eine Straftat vorliegt, sind im Rechtsstaat nicht ein Präsident, die Kanzlerin und nicht die Feuilletons zuständig, sondern unabhängige Richter. Sie sollen das klären. Sie haben schon kompliziertere Dinge geklärt als den Fall Böhmermann. Und die Gerichte stehen, anders als die Kanzlerin, nicht in politischen Abhängigkeiten.

Also bitte: Die Regierung möge die Justiz ermächtigen, das zu tun, was deren Sache ist – die Sache zu prüfen. Das ist keine Vorverurteilung, sondern der rechtsstaatliche Gang der Dinge. Es geht um neue Vermessung der alten Frage: Was darf Satire? Das ist kein Anlass für Wehleidigkeit, sondern für Vorfreude.“

Ähnlich argumentiert auch Daniel Bax unter „Contra“ in der taz, während Johanna Roth als „Pro“ nur Verlierer sieht:

„Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, sie erscheint wie eine Anmaßung der Politik, über einen juristischen Sachverhalt zu urteilen. Das ist in Deutschland eigentlich lange vorbei. In der Türkei erlebt diese Haltung unter Erdo?an gerade ein unglückliches Revival. Indem sie dessen Verständnis von Satire bedient und sich in der Folge der Ausübung eines völlig veralteten Gesetzes widmen muss, begibt sich die Bundesregierung auch hierzulande auf Erdo?ans Niveau.“

Bei der Tagesschau hat man derweil einen Beitrag aus dem Jahr 1987 aus dem Archiv geholt. Damals hatte sich der iranische Revolutionsführer Ajatollah Khomeini an einem Beitrag aus „Rudis Tagesshow“ gestoßen, in dem er als Bildmontage mit Dessous beworfen wurde.

„Die Reaktion: Der Iran wies zwei deutsche Diplomaten aus und schloss das Goethe-Institut in Teheran. Studenten gingen in Teheran demonstrieren und kritisierten Deutschland lautstark. Personenschützer mussten sich um Rudi Carrell und seine Familie kümmern“,

schreibt dazu Philipp Glitz. Meanwhile, back at the deutsche Bundesregierung:

„Eine Entschuldigung, das wurde abermals betont, komme nicht in Frage. Regierungssprecher Ost betonte, Bonn habe auf Fernsehsendungen keinen Einfluss.“

So einfach kann das sein. Und nun: Themenwechsel.

[+++] Udo van Kampen hat Konkurrenz bekommen. Bislang hielt ich dieses Bild, auf dem er seine Geschäftigkeit durch ein ans Ohr gepresstes Mobiltelefon unterstreicht, für ein Highlight der missglückten Portraitfotografie. Doch seit gestern verbreitet die dpa ein Foto von Gerd Gottlob, auf dem dieser seiner Freude Ausdruck zu verleihen versucht, im Sommer das Finale der Fußball-EM kommentieren zu dürfen.

Sagen wir so: Ein Mann der subtilen Freude ist Herr Gottlob nicht.

Neben der Endspiel-Entscheidung stellten ARD und ZDF gestern ihre gesamte Sendeplanung für die EM vor, die

„nach den jüngsten Terroranschlägen unter massiven Sicherheitsvorkehrungen stattfinden wird. Die Freude wolle man sich aber nicht eintrüben lassen, sagte ZDF-Chefredakteur Peter Frey, der gleichzeitig aber betonte, dass man intensiv über ein ,Was-wäre-wenn’-Szenario spricht. Für den Fall von kurzfristigen Spielabsagen habe man entsprechende Pläne in der Schublade. Beim Thema Mitarbeitersicherheit wollen ARD und ZDF eng zusammenarbeiten“,

berichtet Alexander Krei bei DWDL.

Dort steht auch, wie lang die LED-Wand sein wird, vor der Kahns und Welkes Oliver ihre Moderationen runterzureißen gedenken, und bevor falsche Hoffnungen aufkommen: Ja, das ZDF schickt auch in diesem Jahr "Katrin Müller-Hohenstein (...) ins Quartier der DFB-Elf.“ Nur für den Fall, dass nach ihrem letzen Einsatz noch jemand ohne gebührenfinanzierte Badeschlappen und investigative Schafkopfnachfrage geblieben sein sollte.

Da offenbar gestern Fußballfernsehtag war, gab das Bundeskartellamt zudem die Auktion der Bundesliga-Fernsehrechte frei (u.a. dieses Altpapier). Auf der Medienseite der SZ erklärt Caspar Busse, dass nun erstmals nicht mehr ein Sender alle Rechte auf sich vereinen dürfe.

„,Wie die Erfahrungen aus anderen Ländern – zum Beispiel England – zeigen, führt ein solches Modell meist nicht dazu, dass der Verbraucher am Ende mehr als ein Abonnement benötigt, um alle Spiele sehen zu können’, teilte Kartellamtspräsident Andreas Mundt mit. So könnten auch Unterlizenzen vergeben werden. Trotzdem wird es für den deutschen Zuschauer wohl komplizierter. Der Chef von Sky Deutschland, Carsten Schmidt, muss sich nun entscheiden. Entweder kann er weiter alle Spiele zeigen, aber nicht mehr auf allen Verbreitungswegen, oder er beharrt auf allen Verbreitungswegen – Kabel, Satellit, Internet, Smartphone –, hat aber nicht mehr die Rechte an allen Spielen.“

Irgendwie auch beruhigend, dass es weiterhin Leute gibt, für die solche Dinge wichtige Entscheidungen darstellen.

Heute wird der Chef der DFL erklären, welche Pakete genau zu ersteigern sind. Des Weiteren berichtet über das Thema der Tagesspiegel.


Altpapierkorb

+++ Auch in Polen beschäftigt man sich mit Jan Böhmermann. Hier ist jedoch noch sein Video „Be deutsch“ der Aufreger, wie Stephan Stach auf der Medienseite der FAZ berichtet. +++

+++ Bei Netzpolitik.org erklärt Jonas Klaus, wie schlampig DuMont mit den Daten seiner Abonnenten umgeht („Alle Kundenpasswörter lagen unverschlüsselt als Textdateien auf dem Server.“) Aufgedeckt hatte das ein vermeintlicher Hackerangriff auf die Seiten der Verlages, den dieser am Wochenende vermeldete. Netzpolitik glaubt hingegen, da habe nur jemand seine Server falsch konfiguriert. +++

+++ Was passiert, wenn Pressesprecher mal die Wahrheit sagen, dokumentiert der Tagesspiegel. Dort hat man das sonst hinter einer Paywall verborgene PR-Magazin-Interview des BER-Sprechers Daniel Abbou („Glauben Sie mir, kein Politiker, kein Flughafendirektor und kein Mensch, der nicht medikamentenabhängig ist, gibt Ihnen feste Garantien für diesen Flughafen.“) gelesen, der nun nicht mehr Pressesprecher ist. +++

+++ Die allerschönsten Alliterationen der Sendung mit der Suche nach Schwiegertöchtern hat Stefan Niggemeier bei Übermedien auf 1.30 zusammengeschnitten. Mein Favorit ist der „illustre Infrarotsaunagänger“, aber machen Sie sich ruhig selbst ein Bild. +++

+++ „Carly Twissleman ist eine schrecklich gut gelaunte Frau, an deren goldener Halskette eine Patrone baumelt. Sie war mal professionelle Rodeo-Reiterin, nun fuchtelt sie als Gun-TV-Moderatorin mit der Taurus 9 Millimeter herum. ,Das Ding ist ja superleicht’, sagt sie über die Pistole mit dem Spitznamen ,Slim’, während der Kollege mit dem beeindruckenden Namen KC Kahne vorführt, wie sich diese Waffe unter einem T-Shirt verstecken lässt und dennoch schnell gezogen und entsichert werden kann: ,Das Coole daran ist: Sie können das alles auch! Wählen Sie jetzt die Nummer 844-My-GunTV, dann haben sie dieses Prachtstück bald in ihren eigenen Händen.’ 249,99 Dollar kostet die Pistole. Ein Schnäppchen. Sagt Twissleman.“ Die SZ berichtet mal wieder über Neuzugänge auf dem US-amerikanischen Fernsehmarkt, diesmal in Form eines Shoppingkanals für Waffen. +++

+++ Facebook beendet heute die Testphase und schickt seine Instant Articles in den Regelbetrieb. Die Hannoversche Allgemeine hat dazu alles Wissenswerte zusammengetragen. +++

+++ Beim Tagesspiegel glaubt man, dass junge Menschen heutzutage wegen eines Spielfilms aus dem Jahr 1972 Journalist würden („Zwei junge Männer. Lange Haare, lockere Krawatten, entschlossener Blick. Sie telefonieren. Um sie herum: Akten, Bücherstapel, überquellende Papierkörbe – Redaktionschaos. Die beiden bringen gerade den mächtigsten Mann der Welt zu Fall. Und sehen dabei super aus.“) . An diesen Einstieg aufgehängt ist die gar nicht so umfassende Geschichte des investigativen Journalismus in Deutschland. +++

+++ Was das Nachrichtenmagazin namens Spiegel gerade umtreibt, erzählt dessen Chefredakteur im Interview mit dem Standard. ++

+++ „Die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, ist ein bisschen gewachsen. Das hat nicht zuletzt mit dem so genannten ,Serienboom’ zu tun. Allerdings ist der vermeintliche Wille zur Innovation bei genauerem Hinsehen gar nicht so innovativ, weil es oft nur um eine Orientierung an anderen Märkten geht, ohne wirklich etwas eigenes hervorzubringen“, meint die frühere Sat.1- und kabel-eins-Chefredakteurin Tanja Deuerling zur Innovationsstrategie deutscher Fernsehsender im Interview mit Torsten Zarges bei DWDL. +++

+++ Im jetzt online gestellten epd-Medientagebuch sinniert Diemut Roether über „Der letzte Detektiv“, eine Hörspielreihe des BR aus den 80er und 90er Jahren, angesiedelt in unserer Jetztzeit, wiederentdeckt „in den Toiletten des Frankfurter Lokals Bidlabu. Dort werden statt einfallsloser Fahrstuhlmusik die Jonas-Hörspiele gespielt. Ein guter Grund, sich länger in den Katakomben des Restaurants aufzuhalten als nötig. Doch bevor die Begleitung ob der langen Abwesenheit beginnt, Nachforschungen anzustellen, sollte man die Hörspiele lieber zu Hause zu Ende hören.“ +++

+++ Dem neuesten Versuch der taz, ihre Leser online zum Zahlen zu bewegen, widmet sich der Standard. Mehr zum Buchstabensalat, der gerade taz.de ziert, steht auch im Hausblog. +++

+++ Falls Sie noch unsicher sind, ob Sie 2017 das International Journalism Festival in Perugia besuchen sollen, hat Mark Heywinkel bei Meedia drei Gründe dafür: Es ist schön da, man hängt da fest, und es ist umsonst (außer halt die Anreise nach Perugia). +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch. 

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