Hach, ist das schön. Der Sonnenaufgang an der Küste gerade auf thenewday.co.uk ist kein Trailer für die nächste "Broadchurch"-Staffel, sondern die Startseite des/ der
"first brand new newspaper for 30 years. A newspaper that believes that life is short, so let's live it well",
wie die Zeitung selbst mitteilt. Viel mehr weiteres bietet das Blatt, das am Schalttag erstmals, da noch gratis, an britische Presseverkaufsstellen gelangte, nicht im Internet: "Der 'New Day' verzichtet dezidiert auf eine Online-Ausgabe, lediglich auf Facebook und Twitter will man präsent sein". Thomas Kielinger kommt bei welt.de unter der Überschrift "Die Engländer drucken jetzt 'News Alerts'" aus dem Sich-Wundern kaum heraus:
"Das Leben, ein Nutzwert. Auch rückt der Sport weg von den Schlussseiten und findet sich zweimal auf Doppelseiten im Innern, weg von der Annahme, das interessiere nur die Männer. Am Fuße jeder Seite läuft wie eine Erkennungsmelodie die Zeile: 'Das Leben ist kurz. Lass es uns gut leben.' Und zwar ohne Meinungsseite! Kontroverse Themen werden von jeweils zwei Standpunkten aus belichtet, der Leser soll sich seine Meinung selber bilden."
Einen noch beschwingteren Korrespondentenbericht lieferte Sebastian Borger für den Standard und die Frankfurter Rundschau:
"Hat da jemand langweilig gesagt? 'Eine moderne, peppige Zeitung' will Chefredakteurin Alison Phillips machen, und zwar für Optimisten, die ein zur Hälfte gefülltes Glas halbvoll wähnen, nicht halbleer".
Zugleich streicht Borger heraus, dass in britischen Zeitungsregalen nicht lange Gedränge herrschen wird, da bekanntlich in Kürze, am Karsamstag, der "gedruckte Independent im digitalen Orkus" verschwinden wird.
Ob es ernsthaft gelingen kann, mit fröhlich-konstruktivem Journalismus, mit dem hierzulande Gruner + Jahr das auch schon gewaltige Wagnis einer wöchentlichen Illustrierten (Altpapier, turi2.de) unternimmt, sogar ein mit 25, später dann 50 Pence zwar billiges, aber doch kostenpflichtiges tägliches Druckerzeugnis am Leben zu halten (die Kurzes-Leben-Wortspiele erledigten die GB-Korrespondenten gleich selbst ...), wird spannend.
[+++] Rasch noch ans Ende des eben verlinkten FR-Artikels:
"[Hat Ihnen der Artikel gefallen? Dann bestellen Sie gleich hier 4 Wochen lang die neue digitale FR für nur 5,90€. ]"
"Die 'Frankfurter Rundschau', eine gemeinsame Tochtergesellschaft, macht ebenfalls einen kleinen Gewinn."
Das "gemeinsam" bezieht sich darauf, dass die FR nominell der FAZ und der "Frankfurter Societät, einer Schwestergesellschaft", gehört. Verwandtschaftsmetaphorisch ist das also Unfug. Doch zumindest innerhalb der Mediennische ist der große FAZ-Artikel "Der F.A.Z. gelingt die Ertragswende" im Wirtschaftsressort lesenswert. Das ungenannte Autorenteam pflegt den Altpapier-bekannten, durch Euphemismen bestechenden Funke-Mediengruppen-Sound ("Der Umbau der F.A.Z. zu einem schlanken Verlag mit Konzentration auf wesentliche Verlagsbereiche kommt gut voran") nicht zu oft und reißt die Grenzen zwischen Kommentar und Meinung, die aufrechtzuerhalten häufig eine Qualität der FAZ ausmacht, auch nur manchmal ein ("Die gelungene Ertragswende ist Beleg dafür, wie richtig die Restrukturierung und Neuausrichtung des Verlags war").
Ja, in ihrem Überschwang will die FAZ sogar noch mehr Papier bedrucken:
"Schon bald wird es ein neues Angebot von der F.A.Z auf Papier geben. Mit dem Titel Frankfurter Allgemeine Woche kommt in diesem Frühjahr ein kompaktes Wochenmagazin auf den Markt. Für die Woche wird ein junges Team aus F.A.Z.-Redakteuren vor allem für jüngere Leserinnen und Leser die wichtigsten Themen aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Wissen erklären, einordnen und kommentieren. Die Frankfurter Allgemeine Woche eignet sich besonders gut als Ergänzung zum digitalen Nachrichtenstrom, durch die Konzentration auf das Wesentliche wird sie eine gute Orientierung in der Informationsflut geben."
Eine Menge auch konkreter Zahlen enthält der Artikel überdies, und da er außer im Internet auch schwarz auf weiß gedruckt wurde (S. 13), wird er schon weitgehend stimmen. Grundsätzlich ist's ja eine gute Nachricht, wenn eine unabhängige Zeitung wirtschaftlich halbwegs funktioniert ...
[+++] Lust auf frischen Original-Funke-Mediengruppen-Sound bekommen? Funke
"bündelt weitere Satztätigkeiten unter der FUNKE PrePress ... Die Bergedorfer Buchdruckerei soll im Bereich der Druckvorstufe neu aufgestellt werden",
teilte die Mediengruppe gerade mit. Das heißt, die Essener engagieren sich nun auch am aktuellen Konzentrations-/ Vielfaltverlust-Schwerpunkt Norddeutschland (Altpapier, Altpapier), und zwar im etwas abgelegenen Hamburger Stadtteil Bergedorf. Bemerkenswert neuer Akzent in Funke-Mitteilungen: Bereits im zweiten Absatz klingt an, worum es geht ("Wegfall eines großen Auftrags", "Umsatzverlust", "Stellenabbau", den turi2.de auf 40 beziffert).
[+++] Harter Schnitt. Ein Vorwurf, der sich dem öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen nur selten, wenn überhaupt machen ließe: dass es sich weit von Positionen der Regierung entfernt. Falls Sie zufällig noch Lust auf "Merkel-Deutologie" (Lorenz Maroldt in seinem gestrigen Morgen-Newsletter) haben sollten: Für medienkorrespondenz.de hat nun auch Dietrich Leder, einer der erfahrensten Fernsehbeobachter, den jüngsten Talkshow-Auftritt der Bundeskanzlerin analysiert ("Der Verdacht, dass das Rollenspiel zwischen Anne Will und Angela Merkel abgesprochen war, wurde auch nicht entkräftet durch den Eingangssatz der Moderatorin, die Titelfrage sei denn auch 'die einzige Frage, die die Bundeskanzlerin vor dieser Sendung kannte' ...").
Kehrseite dieser Medaillen: Wer Gelegenheit sucht, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine Staatsnähe vorzuwerfen, wird verdammt oft schnell fündig. Insofern eine gute Idee, dass die "Tagesthemen" gestern abend etwas machten, das nicht wirkte, als sei es von Steffen Seibert ausgegangen: Sie zeigten ein Interview mit dem immer noch amtierenden syrischen Präsidenten.
Bzw. sie zeigten Ausschnitte aus einem 28-minütigen Interview, das die ARD vollständig im Internet zeigt (und auch transkribiert hat). Und sie flankierten die wenigen Ausschnitte mit viel Drumherum, darunter einem Interview des Assad-Interviewers Thomas Aders durch "Tagesthemen"-Moderator Thomas Roth. Aders schilderte wortreich das Making-of:
"Was mich sehr erstaunt hat: Der Präsident wollte nicht mal die Fragen vorher haben. Das kann man nicht von jedem Bundestagsabgeordneten behaupten." (hier bei Min. 07:15)
Die Nervosität, mal etwas zu tun, was nicht auf Bundesregierungs-Linie liegt, und der Stolz, unter "zahlreichen Medien", die "sich um ein Interview mit dem syrischen Machthaber" "bemühen", die Nase vorn gehabt zu haben, sind deutlich spürbar - zumal im Darf-man-das?-Blogeintrag, den der "Tagesschau"-Chefredakteur Kai Gniffke dazu abgesetzt hat:
"Assad und sein großer PR-Stab sind Medienprofis. Man muss wissen wie man fragt, um die Chance zu haben, mehr zu erfahren als erwartbare Worthülsen. Man muss sich emotional auf Assad einstellen, um nicht unversehens die eigene Meinung zu vermitteln, sondern in der Rolle des journalistischen Fragers zu bleiben. Es geht nicht darum, Assad zu überzeugen, sondern nur darum Informationen zu bekommen. In jedem Fall braucht man gute Nerven. Denn zuerst wartet man als Journalist lange auf das Interview, dann geht es plötzlich ganz schnell und man muss klar im Kopf sein und sich nicht vom großen Apparat einschüchtern zu lassen ..."
Dass außer Baschar al-Assad gegenüber im großen Apparat der Medienprofis von der ARD und derer, die auf ihn Einfluss nehmen und zu nehmen versuchen, sowieso gute Nerven nötig sind, vermittelt dieser Dr.-Gniffke-Post ziemlich gut.
Wie gut die ARD tatsächlich über die Kriege in und um Syrien informiert, darüber dürfte sich weiter streiten lassen (wobei, dass sie es nicht perfekt tun kann, natürlich auch an den mörderischen Kriegen selbst liegt). Das Assad-Interview wird dabei jedenfalls nicht geschadet haben. Und wenn die "Tagesthemen" nicht wegen zweier am selben Abend gelaufener Fußballspiele von ihrer üblichen 30-Minuten-Dauer auf eine Viertelstunde reduziert worden wären, hätte das Missverhältnis zwischen dem Interview selbst und dem Übers-Interview-Reden auch weniger absurd gewirkt.
Falls Sie das Interview übrigens vollständig im englischen Original hören (und sehen) wollen, also ohne deutsches Voice-over, das unbewusst oder bewusst ja auch manches verschlucken und verschleifen kann: Das gestattet der Kanal Syrian Presidency auf Googles Youtube.
+++ Sie wollen jetzt auch Gremiengremlin werden? Das geht. Schließlich zählt der WDR-Rundfunkrat zu den wenigen Was-mit-Medien-Institutionen, die künftig mit mehr statt weniger Personal arbeiten wollen. Und dwdl.de präsentiert eine Ausschreibung für "zwei Sitze ..., für die man sich bewerben kann, wenn man keinem Verband angehört" wie denen, deren Vertreter sonst so darin sitzen. Das wäre zwar "ehrenamtlich ..., es gibt aber eine Aufwandsentschädigung, die derzeit bei 1.000 Euro im Monat liegt. Dazu kommen Sitzungsgeld und der Ersatz von Reisekosten sowie Tage- und Übernachtungsgelder", sodass Freiberufler womöglich schon davon leben könnten. +++ Dass man in solchen Gremien dann auch mal fehlen darf, macht Karsten Packeiser bei epd medien anhand der Anwesenheitsliste deutlich, "die der ZDF-Fernsehrat erstmals für die Sitzungen aus dem Jahr 2015 veröffentlicht hat". Ihr zufolge hat Markus Söder, der zweifellos medien-interessierte Bayer, 2015 "kein einziges Treffen des Aufsichtsgremiums besucht". Bloß gibt's dann natürlich kein Präsenzgeld. +++
+++ "Es war kurz vor halb vier am vergangenen Freitag. Der türkische Nachrichtensender IMC TV übertrug ein Live-Interview mit den gerade aus der Untersuchungshaft entlassenen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül", bekannt durch ihre lange Einkerkerung (Altpapier), "und plötzlich war der Bildschirm schwarz. Technischer Fehler?" Nein, schildert die TAZ. +++
+++ "Schon unter Präsident Barack Obama hat die Pressefreiheit in den USA Schaden genommen, weil die Verfolgung von Investigativjournalisten und Whistleblowern stark zunahm", und sollte Donald Trump ihm nachfolgen, dürfte alles noch viel schlimmer werden (reporter-ohne-grenzen.de). +++
+++ Kostenpflichtiger Aufmacher der SZ-Medienseite: "Spanische Journalisten schufteten auch vor der Krise schon wie die Kulis für ein paar Peseten. Sie lernen auf den Journalistenschulen, dass es ihre Hauptaufgabe sei, Massen von Zitaten und Zahlen zusammenzutragen, die sie wegen der großen Arbeitsbelastung dann meist einfach abspulen. Informativ, aber nicht gerade ein Lesegenuss". Dann verloren schätzungsweise "11.000 spanische Journalisten ... innerhalb von sieben Jahren ihren Job", und viele von ihnen machen nun besseren Journalismus als die Medien, bei denen sie vorher waren, und verschärfen deren Probleme. "Wir arbeiten gratis, aber sind glücklich", sagte einer von ihnen, Miguel Mora von ctxt.es, Sebastian Schoepp. +++
+++ RTL modelt seine teils kostenpflichtigen Mediatheken leicht um (SZ). Dazu interviewt dwdl.de RTL Interactive-Geschäftsführer Marc Schröder ("Wir diskutieren die richtige Tiefe der Facebook-Begleitung permanent. Es ist aber auch Ressourcen-seitig nicht darstellbar bei 28 Millionen Fans, jeden Facebook-Post zu beantworten und jeden Dialog zu moderieren.") +++ "Zusammen mit '7TV' von der Münchener Konkurrenz gibt es damit nun zwei starke deutsche Plattformen, die sich den übermächtigen US-Streamern entgegenstemmen" (netz-tv.blogspot.de). +++
+++ Welche öffentlichen Institutionen in Deutschland sich tatsächlich netzpolitisch engagieren: Verbraucherzentralen (netzpolitik.org). +++ "Max Schrems, von dem die Klage ausging, die zum Fall von Safe Harbor geführt hatte, bezweifelt, dass sich Datenschutzbehörden und der Europäische Gerichtshof zufriedengeben werden, nur weil man das Schwein mit zehn Lagen Lippenstift angemalt hat" (dies. zum "Privacy Shield"-Abkommen). +++ Was in diesem Altpapierkorb nicht vorkommt: sog. "#Schweinefleischpflicht". +++
+++ Wo doch wieder ein Chefredakteur gesucht wird: beim Münchner Merkur (FAZ, SZ). +++
+++ Das Bundesgerichtshof-Urteil zu Bewertungsportalen ist Thema der Tagesspiegel-Medienseite. +++
+++ Gibt es in Deutschland eine "Konjunktur" bei Late Night Shows? Schreibt zumindest die TAZ anhand von "Boomarama" von Tele 5 und "SWR3 latenight"/ "Die Pierre M. Krause Show" im SWR-Fernsehen.+++
+++ "Der Ericusspitze den Rücken kehren" (meedia.de) wird Christian Stöcker, Ressortleiter des besten SPON-Ressorts, der Netzwelt. +++
+++ Themen der der FAZ-Medienseite: dass "Google zum ersten Mal zugeben" musste, an einem Unfall eines seiner selbstfahrenden Autos Schuld zu sein (siehe auch TAZ). +++ Und "worüber Apple und das FBI tatsächlich streiten" ("Apple will sich angesichts der Ermittlungsinteressen des FBI als Anwalt der Privatsphäre seiner Smartphone-Nutzer profilieren. Das entbehrt nicht der Ironie, weil der Konzern alles andere als vorbildlich in Sachen Datenschutz ist. Aber Apple argumentiert auf anderem Wege: Sein Code falle, so der Konzern, als geistiges Eigentum unter die Meinungsfreiheit nach dem Ersten Zusatz zur amerikanischen Verfassung ...", schreibt Adrian Lobe mit Bezug auf Yochai Benkler). +++
+++ Viel Lob für den Fußballwetten-Thriller, den die ARD heute abend zeigt: "Ein ARD-Film über die Wettmafia in Kinoqualität" (SZ), "meisterhafter Thriller" (Michael Hanfeld, FAZ). Hintergründe zur Produktionsgeschichte hat Tilmann P. Gangloff hier nebenan. Man könnte vielleicht stutzen, dass es um serbische Wettpaten geht, was sich beim Geschehen, das als Vorbild dient, leicht anders darstellte ... +++
+++ Und das Mainzer TV-Duell Klöckner vs. Dreyer gestern im SWR-Fernsehen beschreibt gut nachvollziehbar Timo Frasch bei faz.net. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.