Länge läuft

Länge läuft
In Küstenregionen taucht überraschend ein neuer Zeitungsriese auf. Springers Welt und der Zeitungsverlegerverband modeln sich jeweils um (mit weniger bzw. mehr Personal). Das Powerhouse Axel Springer hat seine Samsung-App gestartet und Mark Zuckerberg zu Gast. Wer wiederum in Zuckerbergs noch ominöser Berliner "Townhall" zu Gast ist. Glückliche Gewinner freundlicher Google-Spenden. Außerdem: bis zu 45-seitige AGBs; Peter Lustig hat einst John F. Kennedy aufgenommen und geprägt wie David Bowie.

Keine Anpassungsträgheit (den Begriff lernte ich gestern vom legendären Trendforscher Peter Wippermann, bei dieser Veranstaltung, die aber nicht spektakulär genug war, um sonst noch in diesem Altpapier aufzutauchen ...) vorschützen. Eine Menge Veränderungen muss wieder registriert werden.

Zum Beispiel gibt's einen "neuen Zeitungsriesen" (DPA/ handelsblatt.com) in Norddeutschland. Der Verlag der Neuen Osnabrücker Zeitung, die "auch wer sie noch nie in der Hand hatte, kennt", weil sie für eine Regionalzeitung so oft zitiert wird (Süddeutsche), kündigte in ihren bisherigen und in ihren künftigen Medien überraschend an, "die führenden Medienhäuser in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern" kaufen zu wollen. Es handelt sich um unter den Abkürzungen sh:z (für Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag) bzw. mh:n (für "medien holding:nord") bekannte Blätter und Portale zwischen Flensburg, Pinneberg und Schwerin.

Diese Entwicklung kommt so überraschend, wohl auch für den online umtriebigen Online-Chefredakteur der Flensburger, der sich bis zum Donnerstag morgen bei Twitter noch nicht äußerte, dass noch keine Einschätzungen vorliegen - außer dem natürlich naheliegenden (zuletzt vorgestern in Thüringen exemplifizierten) Verdacht, dass, "wenn Medienhäuser sich zusammentun", das "in der Regel, um zu sparen, nicht um die Qualität zu erhöhen", geschehe (DJV). In der Original-Mitteilung heißt es aber: "Die Verlags- und Druckstandorte werden weitergeführt, da es keine geografischen Überschneidungen in den bisherigen Verbreitungsgebieten gibt." Was erst mal vor allem bedeutet, dass keinerlei kartellrechtliche Probleme zu erwarten sind.

Wer kauft und verkauft? Die Osnabrücker stehen nach eigenen Angaben für eine "Traditionslinie von Zeitungsverlegern, die bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht". Es verkauft ein sehr kompliziertes Konstrukt (KEK-Datenbank) [in dem die Beteiligungsgesellschaft C.C. Christiansen, anders als ich hier zunächst schrieb, keine große Rolle spielt]....

[+++] Da die Osnabrücker nun "in den Kreis der zehn größten Zeitungsverlage des Landes" aufsteigen und insgesamt (bis zum nächsten Auflagenrückgang im nächsten Quartal) auf 460.000 Tageszeitungs-Exemplare pro Tag kommen, sind sie locker qualifiziert für eine Führungsrolle im auch frisch neu, nämlich nach eigenen Angaben "stärker denn je" aufgestellten Zeitungsverlegerverband BDZV.

Attraktiv "schlanke Gremienstrukturen" gehen mit der Veränderung einher, dass "das bisher fünfköpfige Präsidium ... künftig 21 Mitglieder haben" kann. Solche Reformen kriegen, unterstützt von den renommiert-berüchtigten Schicklers, nur Zeitungsverleger hin. Jedenfalls werden zu den 21 künftig "neun Vertreter von Verlagsunternehmen, die in mehreren Bundesländern aktiv sind und eine Auflage von mehr als 300.000 Exemplaren vorweisen können", gehören. Achten Sie ggf. beim Lesen der Pressemitteilung auf das perfekte Symbolfoto zur Bildunterschrift: "Mit großer Mehrheit wurde die neue Satzung verabschiedet".

Ebenfalls neu aufgestellt: Springers Welt. Am empathischsten aus Sicht des urhebenden Chefredakteurs Stefan Aust berichtet nicht etwa kress.de, sondern meedia.de. Nicht ohne schöne Aust-Bonmots (fürs Altpapier registrieren wir gerne, "dass 'auch im Internet gilt: Länge läuft'") sowie raffinierte eigene Wortspielchen ("'Die Welt ist dreidimensional', sagt der Chefredakteur doppeldeutig") analysiert Georg Altrogge:

"Aust spricht gegenüber Meedia von einer 'gewissen Standardisierung', die Kosten sparen und im Gegenzug redaktionelle Kapazitäten freisetzen soll. Das Ziel des Vollblutjournalisten: Mehr Kraft in die Generierung exklusiver Stories stecken, um die Marke Welt zu stärken und gegenüber Wettbewerbern zu punkten".

Dass der Fachbegriff "Freisetzen" in Medienkonzern-Zusammenhängen häufig mit der Generierung eines Arbeitsplätze-Abbaus zusammenhängt, wissen Vollblut-Medienmedienleser. Dass tatsächlich auch bei der Welt "bis zu 50 Arbeitsplätze ... weg" sollen, erfahren meedia.de-Leser, sofern sie scrollen. Bei der traditionell Springer-skeptischeren TAZ erfährt man es schon weiter oben, und auch, dass Aust vieles wieder "umschubst", "was sein Vorgänger Jan-Eric Peters aufgebaut hat".

[+++] Jener Jan-Eric Peters ist im Powerhouse Springer auf einer anderen spektakulären Baustelle tätig: als "Chief Product Officer" der App namens Upday (siehe Altpapier aus dem September). Nun hat diese das Licht der Displays neuer Samsung-Smartphones, auf denen sie vorinstalliert ist, erblickt. Eine erste Besprechung gibt's bei horizont.net:

"Im Bereich Mynews kann man die angezeigten News mit einem Häkchen als besonders interessant markieren – so will die App die Interessen des Nutzers besser kennenlernen und noch relevantere Ergebnisse liefern",

beschreibt David Hein "das Nutzerlebnis", und:

"Die klassischen Nachteile von Nachrichtenaggregatoren kann die Ergänzung der maschinell ausgewählten News durch redaktionell ausgewählte Inhalte aber nicht ausgleichen. Upday ist eine sehr gelungene Nachrichten-App ... jedoch ..."

Woraus die klassischen Medienmediennachrichtenaggregatoren von turi2.de lesen: Die App verhindere nicht, "dass Nutzer in der Filterblase landen." Sollte ausgerechnet Springer so was verhindern wollen, oder geht es nicht eher darum, als Anbieter einer einer eigenen Möglichkeit für Millionen Nutzer, sich Filterblasen zu schaffen, nachzuziehen?

Jedenfalls ist der erfolgreichste Anbieter solcher Möglichkeiten in Berlin oder zumindest im Anflug, um "bereits am Donnerstagabend ... als erster Preisträger den neu ins Leben gerufenen Axel Springer Award" zu bekommen: Facebook-Schöpfer Mark Zuckerberg (EPD/ evangelisch.de; faszinierendes Nutzerlebnis für alle, die axel-springer-award.com klicken).

[+++] Die Spannung rund um das "Townhall Q&A", das Zuckerberg am Freitag ebenfalls in Berlin abhalten lässt, bleibt hoch ("Der Ort der Veranstaltung wurde bisher nicht öffentlich mitgeteilt, die Gäste sind handverlesen"). 60 dieser Gäste sind "Studierende und Mitarbeiter des HPI", des Hasso-Plattner-Instituts, wie "Deutschlands universitäres Exzellenz-Zentrum für IT-Systems Engineering" bzw. das 1899 Hoffenheim der deutschen Instituts-Landschaft bekannt gab:

"Trost für solche, die auf dem Event keinen Platz mehr bekamen: Man kann die Fragerunde Zuckerbergs auch live im Internet verfolgen. 'Mark wird am Tag des Q&As den Link zum Livestream auf seiner Facebook-Seite veröffentlichen', hieß es von Seiten des Unternehmens. Ab 13 Uhr soll die Veranstaltung beginnen."

Falls Sie in Ihrem Medienmedien-Menü Wert auf Facebook-Kritik legen: Lesen Sie auch den Tagesspiegel-Bericht darüber, wie zu Facebooks erratisch-opportunistische Bemühungen, Hasskommentare auch zu bekämpfen, die zeitweilige Sperrung des Facebook-Auftritts des Hasskommentare dokumentierenden Tumblr-Blogs "Perlen aus Freital" gehörte. Nach "Kritik unter anderem von Bundesjustizminister Heiko Maas" sei diese Sperre dann wieder aufgehoben worden.

[+++] Wenn wir bei Charity sind, über die Giganten des kalifornischen Datenkapitalismus in Europa gerne berichtet haben wollen: Google ließ auch ein paar Millionen springen. Zwar bei weitem nicht so viele, wie es bei seinem Steuerdeal mit Großbritannien gespart haben dürfte (Standard), aber immerhin 27 Millionen Euro gehen im Rahmen seiner "Digital News Initiative" an Projekte aus 23 europäischen Ländern.

Wer darüber berichtet, sind vor allem die glücklichen Gewinner, im deutschsprachigen Raum etwa der Tagesspiegel, golem.de (mit einem Projekt, durch das "Leser ... selbst die Länge und Tiefe des Artikels bestimmen können" sollen, den sie gerade lesen) und die Neue Zürcher Zeitung.

Besonders ins Auge springt die wortreiche Google-Lobhoodlelei des von der NZZ in die Jury der Google-Inititative entsandten Managers Veit Dengler im Gespräch mit kress.de ("Es ist der angelsächsische Geist, dass man auch etwas zurückgibt an die Community. Davon können wir uns in Europa durchaus etwas abschauen") - wobei Google-Manager, die für so was bezahlt werden, natürlich locker noch ein paar Schippen draufzulegen verstehen ("unsere Pläne ..., mit unserem Vorhaben noch einen Schritt weiter zu gehen und nicht nur eine, sondern zwei Millionen Europäer digital weiterzubilden").

[+++] Um wieder runterzukommen hilft es, den "Datenschutz-Check" der Stiftung Warentest bei insgesamt 16, darunter auch europäischen Online-Unternehmen zu lesen ("Der Musik­dienst Spotify liefert gleich am Anfang eine Vorahnung: 'Wir hoffen, Sie sitzen bequem und sind bereit, gute Musik zu hören. Es geht los ...' Wer die Daten­schutz­bestimmungen aufmerk­sam weiterliest, sollte in der Tat gut sitzen").

"Klären sie umfassend darüber auf, was mit den Nutzer­daten passiert? Ist der Text verständlich geschrieben? Sind die Formulierungen eindeutig oder lassen sie sich unterschiedlich auslegen? Das Ergebnis: Die Dokumente sind zwar bis zu 45 Seiten lang, aus Verbrauchersicht wirk­lich aussagekräftig ist jedoch keins. Einige liefern wenigs­tens ein paar wichtige Informationen: GMX, Maxdome, Napster, Otto, Watchever und Zalando. Die meisten machen den Leser aber nicht schlauer, darunter die Texte von Welt­konzernen wie Apple und Google."


Altpapierkorb

+++ "Es gibt Dinge, die sagt man nicht im Fernsehen, die sagte nur er. Man sagt nicht, dass die Werbung, die gleich kommt, doof ist. Erst recht sagt man nicht, dass es nun aber an der Zeit wäre, den Ausknopf zu drücken. Ihm war das aber egal. 'Ihr wollt doch nicht den ganzen Tag in die Glotze gucken. Ihr wisst schon Bescheid: Abschalten!'" (aus Hans Hoffs Nachruf in der SZ auf Peter Lustig). +++ "'Löwenzahn' war wohl die einzige Sendung, die ihre ZuschauerInnen nicht in einen Audience-Flow einlullen wollte, sondern sie vom Bildschirm verscheuchte. ... Lustig hat mit diesem pädagogischen Kniff Bemerkenswertes geschafft: Er versöhnte das Bildungsbürgertum mit dem Medium Fernsehen" (Jürn Kruse in der TAZ). +++ "Als unlängst David Bowie starb, bekannten erstaunlich viele Mitmenschen, wie stark der Künstler sie geprägt habe, obwohl man getrost bezweifeln darf, dass alle tatsächlich Bowie-Poster in ihren Jugendzimmern hängen hatten. Wer als Kind in den Achtzigern daheim ein Fernsehgerät hatte, der wurde jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit von Peter Lustig geprägt" (Jörg Thomann in der FAZ unter der Überschrift "Sein Bauwagen war unser Sehnsuchtsort"). +++ Noch mehr ein Medienmedien-Thema aus dem gleichen traurigen Anlass: Hat Kai Biermann von zeit.de das Gerücht, Peter Lustig habe "Kinder nicht ausstehen ... können", "versehentlich verursacht", oder waren es bös- bzw. aufregungswillige Weiterverbreiter von der Bild-Zeitung? Jedenfalls tut das Biermann nun "furchtbar leid" ... +++ "Er drehte in Heiligensee, liebte in Schöneberg, lebte am Ku'damm", also jeweils in Berlin (Tagesspiegel): "Peter Lustig war einst Tontechniker beim legendären Besuch von John F. Kennedy vor mehr als 50 Jahren am Rathaus Schöneberg in Berlin ..." Siehe also auch BLZ. +++ Und sein erwähnter Bauwagen, in den auch Cem Özdemir "immer einziehen" wollte, wie er nun twitterte, ist inzwischen im Filmpark Babelsberg zu besichtigen. +++ Zuletzt lebte "der gebürtige Breslauer" jedoch "in der Nähe von Husum", wo er auch starb - Anlass, auch noch mal zur eingangs erwähnten shz.de zu klicken. +++

+++ Den "Text", der "die Diskussion über Flüchtlinge in Deutschland" "veränderte", schrieb ein  Beamter der Bundespolizei über die Ereignisse zu Silvester am Kölner Bahnhof. Gegen ihn ermittele nun die Polizei "wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses" (Süddeutsche). +++

+++ "Eine der mächtigsten Politikerinnen Deutschlands reiht sich so ein in den endlosen boulevardesken Mahlstrom aus Posts, Tweets und Whatsapp-Nachrichten. Hannelore Kraft aus Mülheim-Dümpten präsentiert sich ihrem Internetpublikum als vernetzter Mensch wie du und ich – und hinterlässt den Eindruck, sie sei irgendwie in ihr Amt hineingeraten": Im großen Kommentar auf S.1 der FAZ befasst sich Reiner Burger mit Hannelore Krafts Video-Blog/ Vlog. +++

+++ Das "erste öffentliche Aufeinandertreffen aller Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Baden-Württemberg", bei dem auch der der AfD zugegen war, haben die Stuttgarter Nachrichten veranstaltet. Es berichten u.a. diese selbst, die verlagsverwandte Süddeutsche und die FAZ. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite gibt Christian Füller einen Einblick über "Open Educational Resources" (OER), deren Einsatz im Schulunterricht die Stiftung Wikimedia im Auftrag der Bundesbildungsministerin Johanna Wanka testet. Schulbuchverlage wurden offenbar nicht gefragt und sind nicht erfreut. +++

+++ Ein Fernsehsender weniger: Die DuMont-Zeitungsgruppe stellt das lokale Köln.tv ein (Pressemitteilung, dwdl.de aus Köln) +++

+++ "Große Unruhe", die beim Bayerischen Rundfunk herrsche, schildert kress.de. +++

+++ Den jüngsten Moderatoren-Einkauf des ZDF aus dem Privatfernsehen, den "in Phoenix/ Arizona geborenen Steven Gätjen", stellt der Tagesspiegel vor. +++

+++ Und dass zu den Plänen der Bundesregierung "die Schließung der eigenen Kopierwerke für analogen Film" gehöre, obwohl "die rein digitale Sicherung" alter Filme "mit unbekannten Risiken und hohen Kosten verbunden ist", weiß bzw. warnt die grüne Medienpolitikerin Tabea Rößner ("Widersinnige Filmvernichtung nimmt immer dramatischere Züge an"). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

 

 

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