Das Berliner Babylon ist ein schönes, großes, altes Programmkino am Rosa-Luxemburg-Platz. Und "Babylon Berlin" wird nun also endlich die große sowie, um ARD-Programmdirektor Volker Herres zu zitieren: "packende", "internationalen Standards gerecht" werdende, "opulente" usw. deutsche Fernsehserie.
Gleich drei wichtige Pressemitteilungs-Multiplikatoren versandten gestern, nachdem der Drehstart im April auf einer Pressekonferenz im Babylon "mit großem Aplomb angekündigt" (FAZ-Medienseite mit kleiner Meldung) worden war, die Pressemitteilung: die ARD, Sky sowie die von beiden beauftragte ungekrönte Königin der zahlreichen deutschen Pressearbeits-Agenturen, Just Publicity (die gar den just hier erwähnten Dominik Graf betreut).
Eine rasche Analyse des identischen Wortlauts (ARD) ergibt: Volker Herres darf zwar als erster blurben; von ihm stammen die oben zitierten Adjektive. Als erster senden dürfen wird 2017 aber der Sender, dessen Vertreter Carsten Schmidt in der PM erst als Zweiter ran darf ("herausragend", "mutig", "großartig" usw.), die Pay-TV-Plattform.
Das ist das Neue und, wie die SZ in ihrem Pressekonferenz-Bericht ("Es überwogen die Danksagungen, das Wort 'Innovation' war wohl das am häufigsten benutzte") formuliert, "Erstaunliche" an der Sache: Für das bis zu 40 Millionen Euro teure Projekt, das schon so lange angekündigt wurde, dass nicht mehr alle immer glaubten, es würde wirklich noch realisiert, tun sich das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen und das private Pay-TV zusammen. Daran, dasss Pay-TV in Deutschland schon mal Ehrgeiz gehabt hatte, nicht ausschließlich Abspielstätte von Hollywood-Importen zu sein, erinnern derzeit die Nachrufe auf Roger Willemsen (AP von gestern, vorgestern), der in den 1990ern ja einige Sendungen beim Sky-Vorgänger Premiere hatte. Spätestens seit Rupert Murdochs Sky den Laden übernommen hat, werden solche Ambitionen zwar ähnlich regelmäßig beteuert wie Netflix ankündigt, auch mal eine deutsche Serie produzieren zu wollen, wurden allerdings in einem erheblich längeren Zeitraum auch genauso oft verwirklicht, also gar nicht.
An Position drei in der Pressemitteilung folgt dann ARD-Degeto-Geschäftsführerin Christine Strobl ("... Leckerbissen ..."). Weiter unten können sich auch Regisseur Tom Tykwer und seine Co-Auoren, die eigentlichen Kreativen äußern. Was bei der Pressekonferenz gesagt wurde, es aber nicht in die Pressemitteilung schaffte, steht in redaktionelleren Berichten. Z.B. das flapsige Herres-Verb "wuppen" (kress.de), z.B. sein "Think big" (z.B. DPA/ BLZ).
Und Kurt Sagatz zitiert im Tagesspiegel die in der PM gar nicht erwähnte Chefin der nordrhein-westfälischen Filmförderung, Petra Müller, die mit einem selten verwendeten Adjektiv verblüffte ("... bezeichnete die Serie als 'nationale Aufgabe'"), und einen nachdenkenswerten Tykwer-Satz. Es geht um die Zeit, in der "Babylon Berlin" spielt, das Jahr 1929:
"'Damals war die Vorstellung, dass Adolf Hitler in wenigen Jahren Reichskanzler wird, genauso abwegig, als wenn man heute sagt, Frauke Petry wird in drei Jahren Bundeskanzlerin', sagte Tykwer."
Der Artikel auf der SZ-Medienseite, der nicht ganz mit der bei jetzt.de gestellten Online-Version identisch ist, zitiert zum Abschluss Christine Strobl mit "Was heute noch ungewöhnlich wirkt, wird in fünf Jahren vielleicht Alltag sein. Ich rate allen dazu, dieser veränderten Welt nicht ängstlich gegenüberzustehen". Aber das bezieht sich, auch wenn Strobl ja mit wichtigen Politikern gut bekannt ist, auf etwas völlig Anderes (irgendwie auf ARD-Sky-Koproduktionen, wobei unklar bleibt, wer davor Angst haben könnte ...).
Es bleibt jedenfalls alles spannend.
[+++] Falls der Set für Tykwers Serie nicht bereits in Babelsberg gebaut würde wie gemacht für eine anno 1929 spielende Berlin-Serie wäre das heute "Soho House" heißende Gebäude. Es wurde 1929 von jüdischen Berlinern als Kaufhaus eröffnet und wenige Jahre später sozusagen zum Hauptquartier der Hitlerjugend. In der einen Katzensprung vom Babylon entfernten Location fand auch am Dienstag eine Pressekonferenz in ziemlich ähnlicher Sache statt: "die erste deutsche Serie gewartet, die für einen Streaming-Service produziert wird", wurde angekündigt (dwdl.de), ein "sechsteiliger Action-Thriller" namens "Wanted".
Die Überraschung war größer als bei ARD/ Sky, weil nicht etwa Netflix, sondern Amazon Prime diese, heißt es wieder: nationale Aufgabe? zu wuppen ankündigte. Der Sound war, schwer zu glauben, doch da kann man Torsten Zarges gewiss trauen, noch superlativischer, aber auch service-orientiert (Hauptdarsteller-"Showrunner"-"Head-Regisseur" sowie Produzent Matthias Schweighöfer: "hochgradig spannende Herausforderung, ... auf die ich mich riesig freue und ...", Amazon-Mann Christoph Schneider: "... setzen wir nicht nur den Wunsch vieler unserer Kunden nach exklusiven deutschen Inhalten um ..."). Wiederum dabei war auch der Tagesspiegel, der bereits fragte, ob die Serie denn "auch im Free-TV laufen" werde.
[+++] "Ein altgedienter Redakteur hat einst bemerkt, es gebe unter den Überschriften für Zeitungsartikel nur eine einzige, die Leser praktisch zur Lektüre zwinge – nämlich 'Geld zurück'".
Jürgen Kaube greift im FAZ-Feuilleton (S. 10) erst mal tief ins Schatz-Nähkästchen der Zeitungsredakteure, um sich anschließend aber doch heutige Gedanken zu machen über das bei Washington Post entwickelte "Computerprogramm ..., das ihren Redakteuren die Entscheidung über eine möglichst attraktive Präsentation von Artikeln weitgehend abnehmen soll".
Altpapier-Leser wissen natürlich, dass diese Post nicht mehr klassischen Verlegern gehört, sondern dem schwerreichen Gründer des gerade erwähnten Amazon-Konzerns, Jeff Bezos. Das Programm heißt, wie die Zeitung selber schreibt, "Bandito", und soll das leidige Internet-Problem, welche Überschrift und welchen Vorspann man einem Artikel voranstellt, damit er geklickt oder halt gelesen wird, lösen. Kaube ist, nicht überraschend, skeptisch:
"Welche Leserschaft wird es noch honorieren, wenn über jedem Artikel steht, dass er die wahren Gründe für etwas mitteilt und jeder Vorspann mit 'Doch warum?' endet? Es zeigt sich auch, dass der Übergang zwischen der Präsentation eines Artikels und dem Artikel selbst, zwischen Verpackung und Inhalt, fließend ist. Schließlich gilt für die meisten Wörter in einem Text, dass es auch andere sein könnten."
[+++] Andererseits, allein die Überschriften "Google setzt Recht auf Vergessen in der EU schärfer durch" (heise.de), "Google weitet Recht auf Vergessen aus" (SPON) bzw. "Google weitet Filterung der Suchergebnisse aus" (faz.net; Print-Überschrift: "Gefiltert") und "Blockade für Europa" (Süddeutsche-Feuilleton) umreißen in ihrer Gesamtheit recht perfekt, worum es geht. Um ein Recht, dessen Sinn relativ umstritten ist und dessen Durchsetzung bislang allein den Suchmaschinen bzw., angesichts von Googles 95-Prozent-Marktanteil, der Suchmaschine überlassen bleibt.
Das vom Europäischen Gerichtshof 2014 festgestellte "Recht auf Vergessenwerden" gilt bislang nur auf Googles Seiten mit Länder-Kennung, also für Deutschland auf google.de. Über google.com laufende Suchen enthalten die jeweils national entfernten Ergebnisse. Das soll sich ändern:
"Dazu wertet das Unternehmen die IP-Adressen aller Suchanfragen aus. Die IP-Adresse ist so etwas wie das Kennzeichen eines Computers und verrät, in welchem Land er sich befindet. Weist die IP-Adresse auf einen Standort in jenem Land hin, in dem ein Antragsteller erfolgreich Suchergebnisse entfernen ließ, werden nur die gefilterten Ergebnisse angezeigt – unabhängig davon, über welche Google-Version gesucht wird",
beschreibt Stefan Tomik in der FAZ. Johannes Boie (SZ) ergänzt:
"... doch zeigt die Installation des Geoblockers vor allem, wie fraglich es ist, supra- oder auch nationale Grenzen per Gerichtsurteil ins Netz einzuziehen. Denn grundsätzlich ist Geoblocking ein Werkzeug der Zensur. Datenschützer und Bürgerrechtler verteufeln es in aller Regel. Technik wie Geoblocking wird außerdem nach ihrer Installation oft auch für Zwecke eingesetzt, für die sie ursprünglich nicht installiert wurde".
Ein im Großen und Ganzen sinnvolles Recht kann einstweilen nur von einem Quasi-Monopolisten umgesetzt werden, mit Mitteln, die eigentlich niemand gut finden kann, wobei die Alternative dem Datenkraken noch mehr Einfluss zuschanzen würde ... Es bleibt verdammt schwierig.
[+++] Vielleicht möchte jener Mann, der im Inneren des verunglückten Zugs in Bayern ein Handyvideo aufgenommen und es bei (Googles) Youtube raufgeladen hat und über den sich ARD aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke "kein Urteil erlauben" möchte (blog.tagesschau.de bzw. Altpapier gestern, gerade überm Strich), einmal das Recht auf Vergessenwerden in Anspruch nehmen.
Während hierzulande die bekannten Streitigkeiten anhand der Ausstrahlung eines Ausschnitts aus diesem Video in der "Tagesschau" neu aufgeführt werden (EPD/ evangelisch.de), hat die eigentlich oft gelobte BBC "sich dazu entschlossen, lange Sequenzen aus dem bei Youtube hochgeladenen Video auszustrahlen, parallel dazu mit dem Mann gesprochen, der in den Minuten nach dem Unglück mit dem Handy filmte" (Tsp.). Was der ARD, auch nicht selbstverständlich, Lob der FAZ einbringt ("zeigte ... mehr Zurückhaltung als die BBC").
"Dass aber Zuschauer auf die Allgegenwart der Handykameras, die noch die furchtbarsten und privatesten Momente anderer und ihrer selbst im Bild festhalten, auf dass sie jedermann online sehen könne, mit Abwehr reagieren, ist eine gute Nachricht", findet Ursula Scheer.
Wer bis hierher gescrollt hat, besitzt ja Medienkompetenz genug. Hier wär der BBC-Beitrag zu sehen, hören und lesen.
+++ Dass "bei Gruner Leute arbeiten, die es über Jahre nicht stört, dass sie jenseits der Legalität beschäftigt sind und nun, wo Arbeitslosigkeit droht, nicht einmal willig sind, etwas Rotes auf der Betriebsversammlung zu tragen, um als BetroffeneR sichtbar zu sein", veranlasste die bei Gruner+Jahr umtriebige TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester, ein 40-Zeichen-Schimpfwort zu ersinnen (also nicht das "Königspudel" in der Überschrift, das gilt, auch nicht als Schimpfwort, Roger Willemsen) ... +++ Mit Gegenrede für G+J in die Bresche ("klarer Aufwärtstrend erkennbar") wirft sich meedia.des Georg Altrogge ("Tatsächlich gab und gibt es gerade am Baumwall frei arbeitende Journalisten, Fotografen oder Grafiker, die sich bewusst für dieses Geschäftsmodell entschieden haben, und nicht wenige leben gut damit und davon". "Warum der Baumwall nah am Shitstorm gebaut ist" ist freilich eine Überschrift, die arg zum Klicken animieren möchte, ohne vom Text gedeckt zu sein. +++
+++ U.a. wegen Ulrich Wickerts Behauptung, der russische Geheimdienst könnte hinter den"Lügenpresse"-Attacke stecken (Altpapier) geht Moritz Gathmann bei uebermedien.de (nicht ganz frei online) fundiert der Frage nach, inwieweit russische Staatsmedien deutsche Debatten beeinflussen. "Zum Begriff der 'fünften Kolonne' Folgendes: Wer leichtfertig mit solchen Begriffen hantiert, der ist näher an Russland, als er denkt", schreibt er. Zu den darin gesetzten Links gehört auch "Quatsch", den die Grüne Marie-Luise Beck bei Facebook postete. +++
+++ Als Hingucker oben auf der SZ-Medienseite: eine kommunistisch-rot eingefärbte Bildmontage mit Frauke Petrys und dahinter Lutz Bachmanns Kopf sowie einer Zeitung mit der Fraktur-Titel "lügenpresse". Darunter steht, online unfrei, ein weiteres Experten-Interview zum partiell gleichen Themenfeld. "Es gibt keinen dramatischen Vertrauensverlust", sagt Carsten Reinemann, Münchner Professor für Kommunikationswissenschaft. Aber: "Es gibt neue Medien wie Compact oder Online-Portale wie Kopp oder Politically Incorrect, und wir sehen auch beim 'Focus' eine Positionierung, die in die Richtung geht. Die 'Junge Freiheit' wächst. Wir werden in Deutschland mit dieser neuen Vielfalt, wir werden mit dieser starken Präsenz von rechtspopulistischen Positionen zurechtkommen müssen." Sein Vorschlag: "Auf den Vorwurf 'Systemmedien' könnte man als Medium auch durchaus selbstbewusst sagen: Ja, wir sind Systemmedien, wir stehen nämlich für bestimmte Werte, für Pluralismus und Vielfalt". +++
+++ Neues vom Rundfunkbeitrag: Welche Bundesländer für und gegen eine Senkung sind, steht bei heise.de/ DPA. +++ In der FAZ glossiert Michael Hanfeld dazu. Pole der Diskussion: Einerseits fordern Linke-Politiker, dass "der Nachteilsausgleich für Menschen mit Behinderung, also die Rundfunkbeitragsbefreiung, ... wiedereingeführt werden" soll. Andererseits bezifferte die Bild-Zeitung die schönen Pensionen, die öffentlich-rechtliche Angestellte bekommen (siehe digitalfernsehen.de), wobei der "Renten-Soli" nicht so neu ist, wie das Blatt tat ... +++
+++ Ferner auf der FAZ-Medienseite: die Meldung vom Mord an der mexikanischen Journalistin Anabel Flores Salazar. +++ Jürg-Altwegg-Kritik am DJV wegen dieser Mitteilung: "Nicht das Parlament, sondern das Volk stimmt am 28. Februar über die 'Durchsetzungsinitiative' ab, vor welcher der DJV warnt. Bei den Abgeordneten hätte die Initiative keine Chance, und sie wurde von der Schweizerischen Volkspartei SVP auch nur lanciert, weil das Parlament die Umsetzung der von der SVP gewonnenen Abstimmung zur 'Ausweisung krimineller Ausländer' bremste" +++ Außerdem wuppt die FAZ die tägliche Vorstellung einer US-amerikanischen Serie ("Was macht eigentlich der Ableger der legendären Serie 'Breaking Bad'? ... Ein Besuch am Set von 'Better Call Saul'", Nina Rehfeld mal nicht aus Phenix, sondern Albuquerque). +++
+++ Wird nur über Angriffe von Rechten auf Journalisten bei Demonstrationen berichtet und über Angriffe von Linken auf Journalisten bei Demonstrationen geschwiegen? Nein, findet Sabine Grüneberg, der letzteres widerfuhr, und verweist auf den EPD und die BLZ. +++
+++ "'Das ist uns zuletzt 1971 passiert', sagt Aftenposten-Chefredakteur Espen Egil Hansen: 'Damals musste unser Mann in Moskau die Sowjetunion verlassen.'" Nun wurde eine Korrespondentin der norwegischen Zeitung "von der Türkei zur 'unerwünschten Person' erklärt" (TAZ). +++
+++ Und dann ist noch der Mann, der wohl damit anfing, Werbung außerhalb von Zeitungen zu platzieren, vor 200 Jahren geboren worden. An Ernst Theodor Amandus Litfaß erinnern Tagesspiegel ("Als Reklame analog die Welt eroberte") und SZ-Feuilleton ("... die Litfaßsäule überlebt die Digitalisierung gerade auch wegen der Digitalisierung. Denn vor allem das Smartphone macht, wie der Fachverband Außenwerbung weiß, die Menschen immer mobiler. Sie sind mehr unterwegs. Für die 'Out of home'-Werbung sei das günstig ..."). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.