Folgenden Vorspann nicht für einen Scherz zu halten, fällt zunächst nicht leicht:
„IS-Kenner Jürgen Todenhöfer hat sich erneut auf vermintes Terrain begeben: Auf Facebook veröffentlicht er exklusiv das neue Lied von Xavier Naidoo. Ein Anti-Kriegs-Song – mit waghalsigen Aussagen.“
So steht es bei welt.de. Andererseits: Dass dieser Song-Dichter und dieser Kreuz-und-quer-Denker gemeinsame Sache machen, passt dann ja doch wie Arsch auf Eimer, um mal den hier eher selten zu Ehren kommenden Volksmund zu zitieren.
Der Text des „Friedenssongs“ (SZ.de) ist von bewährter Verwirrtheit:
"Muslime tragen den neuen Judenstern, alles Terroristen, wir haben sie nicht mehr gern."
Mit neuen (allerdings wohl in geringerem Maße zirkulierenden) Nachrichten zum Naidoo-Themenkomplex ist am frühen Abend zu rechnen, denn dann dürfte die Rundfunkratssitzung des NDR beendet sein, auf der sich die Gremienvertreter unter Punkt 16 („Verschiedenes“) auch mit der Hü-und-Hott-Strategie ihres Senders bei der Nominierung des deutschen ESC-Gesandten befassen (siehe dazu zuletzt Altpapierkorb von Donnerstag). An dieser Stelle ist es vielleicht eine Erwähnung wert, dass der Rundfunkrat des NDR nicht öffentlich tagt, obwohl die Mitglieder ja, rein theoretisch, die Stellvertreter des Beitragszahlers sind - und obwohl inzwischen die meisten Rundfunkräte der ARD, etwa der des gestern tagenden RBB, es anders handhaben.
Fallen wird in der heutigen Sitzung des NDR-Gremiums gewiss auch der Name des ARD-Unterhaltungskoordinators Thomas Schreiber, der andererseits Unterhaltung „in etwa im selben Umfang koordiniert, wie ein Zitronenfalter Zitronen faltet“. Das meint zumindest Harald Schmidt. Ja, genau jener Harald Schmidt, der hier zuletzt ähnlich selten zitiert wurde wie der heute schon erwähnte Volksmund, und geschrieben hat er das für die (zumindest heute noch) aktuelle Focus-Ausgabe.
„Vorgesetzte, Kollegen und Opfer beschreiben den NDR-Mann als unermüdlichen, stets adrett gekleideten und apart duftenden Zeitgenossen, der allerdings irritierende Verhaltensweisen an den Tag legt, sollten sich Prominente oder eine Kamera in der Nähe befinden“,
schreibt Schmidt des weiteren, und das ist natürlich ganz unterhaltsam, aber frei von Unsouveränität ist die Polemik auch nicht. Jedenfalls scheint es so, als habe Schmidt mit Schreiber noch eine Rechnung offen:
„Besorgte Gemüter fragen nun, ob dem Gebührenzahler durch die Absage Kosten entstehen. Hier kann aus persönlicher Erfahrung beruhigt werden: eher nicht. Denn vertragliche Zusicherung und gesicherte Finanzierung gehören für Thomas Schreiber nicht zwingend zusammen.“
Lars Weisbrod hat für einen Weiterdreher der Naidoo-Sache fürs Zeit-Feuilleton (Seite 65) vergeblich versucht, ein Statement von Schreiber zu bekommen. Probiert hat er das auch bei einigen der weisen 46 NDR-Redakteure, die mit einem Protestbrief die Leichtmatrosen an der Spitze ihres Ladens dazu bewogen haben, die Entscheidung für Naidoo zu revidieren. Aber:
„Auf Nachfrage will sich keiner der Unterzeichner öffentlich äußern (...) Selbst leitende NDR-Redakteure bitten darum, dass man ihre Namen in diesem Zusammenhang nicht nennt. Dass sich keiner findet, der die nachvollziehbaren Einwände aus dem Schreiben noch einmal öffentlich (...) verteidigt - das zeigt wohl auch, wie schwer es Institutionen wie dem NDR fällt, die gerade allgegenwärtigen Debatten um die Grenzen der Meinungsfreiheit offen zu führen.“
Zur „Beziehungskrise“ (epd medien) zwischen Medien und Publikum mag nicht nur beitragen, dass, wie im NDR-Rundfunkrat, die Beitragszahler von Diskussionen ausgeschlossen werden, die quasi in ihrem Namen geführt werden, sondern auch, dass Journalisten, wenn sie nach einer Meinung gefragt werden, (zumindest offiziell) derart mauern oder mauern müssen, als arbeiteten sie für die Deutsche Bank oder den BND.
Der Begriff „Beziehungskrise“ stammt aus einem am Montag bereits erwähnten epd-medien-Artikel von Otto-Brenner-Stiftungsstudien-Autor Fritz Wolf, der mittlerweile online steht. Wolf schreibt:
„Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen (...) spricht auch von ‚Selbstermächtigung des Publikums‘, ein Begriff, der es in seiner schillernden Vieldeutigkeit in sich hat. Dass eine Minderheit dieser Minderheit ihr Verhältnis zu den Medien inzwischen auf den Vorwurf der "Lügenpresse" heruntergekühlt hat, gehört auch zu den veränderten Bedingungen der Kommunikationslandschaft.
Wie jene, die als „Lügenpresse“ beschimpft werden, denn nun umgehen sollen mit jenen, die sie derart beschimpfen, ist eine nicht selten diskutierte Frage.
„Warum manche Medien (...) genau diejenigen hofieren, die sie als ‚Lügenpresse‘ beschimpfen, lässt sich wohl nur mit enttäuschter Liebe erklären“,
meinen die Prinzessinnenreporter.
Schreit womöglich der SWR nach Liebe von jenen, von denen niemals Liebe zu erwarten sein wird? Der will in seinen Nachrichten die AfD nicht mehr „rechtspopulistisch“ nennen, sondern den Namen des Vereins adjektivlos im Raum stehen lassen; die entsprechende „Bitte“, die „Ihre/Eure Uschi Strautmann“, die „Leiterin der SWR-Abteilung Baden-Württemberg Information“, wie es in hübschestem Öffi-Deutsch heißt, an die „lieben Kolleginnen und Kollegen“ schickte, hat Kontext dokumentiert. Die Wochenzeitung kritisiert die Sprachregelung, und Liane Bednarz tut es bei starke-meinungen.de auch.
Ein Blick nach Österreich lohnt in diesem Zusammenhang, wo sich im „Bürgerforum“ des ORF ein Bürger namens Alexander Markovics äußern durfte, „schlagender Burschenschafter und Vorsitzender der ‚Identitären Bewegung‘ in Österreich, die vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) als rechtsextrem eingestuft wird“, wie die Jungle World weiß.
„Wenn man mal vor Ort war, erkennt man, was für eine trostlose, lächerliche Veranstaltung so ein Pegida-Aufmarsch eigentlich ist. Sieht man dieselbe nachher im Fernsehen, hat man den Verdacht, das müsse eine enorm drastische Angelegenheit gewesen sein, und diese rhetorischen Giftkasperle hätten wenigstens als Showleute den Bogen raus. Es wäre ein wichtiger Job für die ‚Lügenpresse‘, nicht nur das Bösartige und Gefährliche, sondern auch das Fade und durch und durch Bekloppte dieser Szene zu zeigen.“
Warum die „Lügenpresse“ zumindest bisher nicht Willens war, für Pegida und AfD eine Bildsprache zu finden, die dem Gegenstand angemessen ist, könnte man demnächst mal Kai Gniffke fragen, den Chefredakteur von „ARD-aktuell“. Für die neue Ausgabe von epd medien interviewt ihn Diemut Roether, es geht unter anderem um die Maßnahmen der belgischen Polizei während des Ausnahmezustands in Brüssel, als diese die Bevölkerung und die Medien aufforderte, „Stillschweigen über Polizeiaktionen auch in sozialen Medien zu bewahren“:
„Wäre eine Informationssperre wie in Belgien auch in Deutschland denkbar und wann unter welchen Umständen würden Sie sich daran halten?“
„Eine absolut heikle Frage, die letzten Endes auch eine ethische Frage wird. Zunächst einmal: Wir lassen uns nicht zensieren, das ist die Überschrift, unter der alles steht. Wenn wir Informationen haben, von denen wir glauben, sie sind wichtig für die Öffentlichkeit, würden wir sie auch veröffentlichen. Wenn wir jetzt aber darüber hinaus von Sicherheitsbehörden Hinweise erhalten, dass es Informationen gibt, die möglicherweise zu einer Gefährdung von Menschenleben in Deutschland führen könnten, wenn wir sie publizierten, wird es ganz schwer für uns. Zunächst einmal müssten wir uns darauf verlassen, dass die Aussage der Sicherheitsbehörden richtig ist. Wenn wir sie anzweifeln, wäre ein Grund gegeben zu sagen, wir halten uns nicht daran. Aber wer von uns würde die Verantwortung übernehmen wollen, wenn tatsächlich etwas passiert?“
Gniffke spricht von einer „Zwangslage“:
„Auf der einen Seite habe ich das Gut der Pressefreiheit, auf der anderen stehen möglicherweise Menschenleben auf dem Spiel. Ich kann diese Frage nicht global beantworten, nur im Einzelfall.“
[+++] Eine andere irgendwie auch „ethische Frage“ (Gniffke) poppt gerade angesichts der Berichterstattung über zwei weitere in Zürich verhaftete Spitzenfunktionäre des Fußballweltverbands Fifa auf. Daniel Gerny kommentiert in der NZZ:
„Die News über die Verhaftung (...) landeten erneut als ‚Scoop‘ bei der New York Times. Es darf als nicht nur vage Vermutung gelten, dass die Zeitung durch eine gezielte Information aus dem Umfeld der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden exklusiv zu der Story kam. Die Kooperation ist Teil der Inszenierung, mit der die Strafverfolger ihrem Verfahren zu Dynamik verhelfen wollen. Doch es ist ärgerlich, wenn die Bilder von der Festnahme schon in den amerikanischen Medien landen, noch bevor die Polizeiwagen vom Hotel Baur au Lac wieder weggefahren sind.“
Die Message seines Textes:
„Live-Bilder von Verhaftungen (...) untergraben unser Verständnis von verfahrensrechtlicher Fairness.“
In weiteren aktuellen Texten zum Komplex Fußball und Medien geht es um die internationale Vermarktung von Übertragungsrechten: Jürgen Kalwa geht für die FAZ darauf ein, dass die Zuschauerzahlen für die deutsche Bundesliga im US-Fernsehen „ernüchternd“ sind, und dwdl.de berichtet, dass die englische Premier League ab der kommenden Saison nicht mehr bei Sky zu sehen sein wird. Die Rechte gingen an die Perform Group.
„Perform hatte kürzlich bereits angekündigt, im kommenden Jahr einen OTT-Dienst an den Start bringen zu wollen - es handelt sich dabei also streng genommen um eine Art ‚Netflix für Sport-Inhalte‘“,
fachsimpelt Alexander Krei. Das bedeutet, dass man die „Kloppomania“ ab kommenden Sommer (so sie dann noch aktuell sein sollte) nicht mehr im herkömmlichen Fernsehen verfolgen kann - es sei denn, Perform vergibt „Sublizenzen an deutsche TV-Anbieter“ (digitalfernsehen.de).
Altpapierkorb
+++ In mitteldeutschen Medien ist derzeit ein Thema, dass Steffen Flath, der ehemalige CDU-Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag, gute Aussichten hat, am kommenden Dienstag zum Rundfunkratsvorsitzenden des MDR gewählt zu werden, also bei jenem Sender, der ab 2016 den Vorsitz in der ARD haben wird. Flath „könnte bald mehr Verantwortung bei der Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks übernehmen“, formuliert die Sächsische Zeitung freundlichst, wohingegen der Leipziger Internet Zeitung Ungutes schwant: „Während selbst die Bundesverfassungsrichter klargemacht haben, dass öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland keine Staatssender sein sollten, versucht die sächsische CDU, ihren Einfluss auf den MDR weiter zu stärken."
+++ Weitere Wortmeldungen zu Mark Zuckerbergs vermeintlichem Altruismus (siehe Altpapier von Donnerstag) findet man etwa in der New York Times: „The point is that we are turning into a society of oligarchs.“
+++ Die Parole „Enteignet Zuckerberg!“ hat man bisher noch nicht vernommen, relativ aktuell ist dagegen „Enteignet Esser!“ Bitte wer? Gemeint ist Peter Esser, der Verleger der in Regensburg erscheinenden Mittelbayerischen Zeitung. Es geht, wie wir bei kress.de erfahren, um einen komplexen Mehr-Fronten-Krieg, den seine Zeitung gegen „20 von 50 Mitglieder des Stadtrats“, die Gewerkschaft ver.di (deren Mitglieder auf einer Demo „Enteignet Esser!“ forderten), den Blog regensburg-digital.de und den BR führt.
+++ Die FAZ beschreibt anhand von mehreren Beispielen die Propagandaarbeit der Sender und Zeitschriften des IS, sowohl der arabischsprachigen als auch der nicht-arabischsprachigen.
+++ Die Organisation Reporter ohne Grenzen will „mehr Druck“ auf die türkische Regierung ausüben, berichtet die taz.
+++ Der Presserat hat 19 Beschwerden gegen Medien, die im September das Bild des toten syrischen Flüchtlingsjungen am Strand von Bodrum gezeigt hatten, als „unbegründet“ zurückgewiesen (Tagesspiegel).
+++ Geiler Gossip in der RND-Medienkolumne von Ulrike Simon, betreffend das hohe Spiegel-Tier Dirk Kurbjuweit: „Kurbjuweiten (...) soll auf der Deutschen Journalistenschule in München ein gängiges Tätigkeitswort sein. Das hat neulich Thomas Leif behauptet. Lustigerweise war den Teilnehmern des Mediendisputs, den der SWR-Chefreporter an jenem Abend moderierte, sofort klar, was kurbjuweiten bedeutet. Zumal kurz davor der langjährige Moskau-Korrespondent und Spiegel-Redakteur Christian Neef geklagt hatte, häufig würden in Redaktionen Journalisten bevorzugt, die sich mehr durch ihre Schreibkunst als durch Sachkenntnis auszeichnen.“
+++ Dass Hans-Peter Buschheuer zum neuen Vorsitzenden des Journalistenverbandes Berlin-Brandenburg gewählt worden ist (meedia.de), könnte Irritationen auslösen bei Kollegen, die 2008 für die Hamburger Morgenpost tätig waren - als es dort, wie so oft, mal wieder kriselte. Damals verhinderte Buschheuer als Handlanger der auch schon fast vergessenen Mecom-Gruppe den vom Mopo-Chefredakteur abgesegneten Abdruck eines „Hilferufs“, den die Redakteure „in eigener Sache“ veröffentlichen wollten (Spiegel Online seinerzeit), verhielt sich also nicht eben belegschaftsfreundlich. Anders als in diesem Frühjahr, als er gegen Spar-Hooligans aus dem Hause M. DuMont Schauberg aufmuckte (Altpapier).
+++ Noch ein paar Worte in Sachen Günther Jauch anlässlich dessen letzter Sendung für die ARD (siehe Altpapier von Montag). Auf der Seite 1 des Freitag schreibt Michael Angele: „Jauchs Informationsquellen scheinen Bild, Spiegel Online und der gedruckte Spiegel zu sein, Letzterer aber nicht regelmäßig. Seine Defizite konnten auch von einem gigantischen Mitarbeiterstab – 80 Leute, davon zehn Redakteure, die ihm direkt zuarbeiten, wir sind hier schließlich bei der ARD – nicht ausgeglichen werden (...) Von Jauch wird am Ende seiner Tage vermutlich die Moderation des Fußballspiels Real Madrid gegen Borussia Dortmund als größte Leistung in Erinnerung bleiben, als es 76 Minuten dauerte, bis ein umgefallenes Tor repariert werden konnte; dafür gab es für ihn und Marcel Reif den Bayerischen Fernsehpreis.“
+++ „Mag das Karo noch so klein sein, in dem sich die hiesige Medienaufsicht bewegt, vor Gericht findet es mitunter seine Bestätigung.“ Mit diesen Worten kritisiert Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite eine das Verbreitungsgebiet seiner Zeitung betreffende medienpolitische Entscheidung des Verwaltungsgerichts Kassel. Demnach muss Sat 1 sein hessisches Regionalprogramm „weiterhin von der TV Illa GmbH produzieren lassen“ (digitalfernsehen.de).
+++ Ebenfalls auf der heutigen FAZ-Medienseite: Regina Mönch lobt Güner Balcis Dokumentation „Der Jungfrauenwahn“. „Die Protagonisten, die (sie) zu Wort kommen lässt, erzählen von dieser schier unüberwindbaren kulturellen Differenz, von der Verteufelung weiblicher Sexualität in muslimischen Gemeinschaften, die mitten unter uns ihre verheerende Wirkung entfaltet.“ Die NZZ nennt den Film „denkwürdig“.
+++ Mehr Dokus: Tilmann P. Gangloff würdigt für epd medien ein ungewöhnliches Ein-Thema-drei-Filme-Konzept: Die Regisseurin Maike Conway hat zehn Jahre lang ein HIV-infiziertes Mädchen begleitet und daraus drei Filme für unterschiedliche Publika gemacht. Der erste Film lief bereits bei 37° in dieser Woche, am Sonnabend und in der Nacht von Montag auf Dienstag folgen nun ein kurzes Stück für den Kinderkanal und die lange Doku im „Kleinen Fernsehspiel“. Siehe auch Die Welt.
+++ Zum Schluss eine Ergänzung zur „Breinersdorfer/Tatort-äh-Debatte“ (Christian Bartels), die hier am Mittwoch ihren Anfang nahm und in der es u.a. um Fred Breinersdorfers Kritik geht, die ARD wiederhole angeblich zu wenig sehr alte „Tatort“-Filme: Am morgigen Sonnabend läuft einer von 1975.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.