Grooßes, überkommene Ressortzuschnitte in gedruckten und digitalen Medien sprengendes Querschnittsthema seit gestern vormittag: Mark Zuckerbergs Spende im Wert von (zumindest, wenn man das Wachstumspotenzial der zu stiften versprochenen Facebook-Anteile mit bedenkt, vielleicht bis zu) Billiarden Dollars.
Deutschsprachige Meinungsäußerungen aller Art liegen vor, von höchstens 140 Zeichen langen Tweets, wie meedia.des Stefan Winterbauer sie in seinen Essay wider "Die deutsche Miesepeter-Kultur" einbindet, bis zu ausgewachsen feuilletonistischen Zeitungs-Leitartikeln der Ressortleiter Meinung, die in entweder gewaltigen, Nachdenken erfordenden oder knapp vor Drucklegung zumindest grammatikalisch noch stimmig gemachten Sätzen kulminieren wie:
"Statt darüber zu grübeln, wie selbstlos oder eigennützig die anderen sind, sollten die Mega-Spenden vielmehr ein Anlass zu der Frage sein, wie unser Gemeinwohl fit gemacht werden kann für eine Gesellschaft, in der der Staat nicht nur durch äußere Feinde, sondern auch durch innere Absetzbewegungen unter Druck gerät." (DuMont-Zeitungen).
In so einen sowohl global als auch gesamtgesellschaftlich argumentierenden Überblicksartikel gehört natürlich das mit den Steuern (Harry Nutt clever: Facebook hat "sich im Universum des globalen Ökonomie nicht gerade als treu Steuer entrichtendes Unternehmen erwiesen"), das Andrian Kreye (der vermutlich auch bessere Produktionsbedingungen hat) im Leitartikel auf der SZ-Meinungsseite einen Tick konkreter formuliert:
"In Europa beispielsweise entzieht sich Facebook konsequent der gesellschaftlichen Verantwortung des Steuerzahlens. 2014 belief sich Facebooks Firmensteuer in Großbritannien auf 4327 Pfund, in Deutschland im Jahr zuvor auf 220.000 Euro, und im Steuerparadies Irland, wo der Konzern sein europäisches Hauptquartier unterhält, bezahlte Facebook für 1,8 Milliarden Euro Umsatz nur 1,9 Millionen Euro Steuern."
Mit attraktiven Wortschöpfungen wie "Risikowohltäter" und "Risikophilanthropie" greift Kreye auch die ebenfalls erwähnungsbedürftigen, von Europa eben unterschiedenen US-amerikanischen Traditionen auf. "In den Vereinigten Staaten ist es nicht unüblich, dass Milliardäre einen riesigen Teil ihres Vermögens für philanthropische Projekte spenden", informiert der Tagesspiegel, der im selben Artikel überdies berichtet:
"Vor allem viele amerikanische Berühmtheiten posteten auf Facebook ihr Glückwünsche und Bewunderung ob der Großzügigkeit und der Idee Krankheiten heilen und Bildungslücken schließen zu wollen. Arnold Schwarzenegger klickte 'gefällt mir' ...",
und wer wissen will, was Melinda Gates oder Sheryl Sandberg, die Facebook-Geschäftsführerin, äußerten, muss direkt zu tagesspiegel.de klicken. Wer hingegen wissen will, ob sich denn Miley Cyrus, Taylor Swift oder Adele noch nicht geäußert haben, den lässt der Tagesspiegel einstweilen im Stich. Allerdings haben das Blatt und sein Internetauftritt einen vom Bericht getrennten Kommentar, in dem Christian Tretbar, im Gegensatz zu Kreye, argumentiert:
"Zuckerbergs Milliarden werden helfen. Punkt. Sie entbinden den Staat nicht von seinen Aufgaben. Und sie ändern nichts daran, Facebook auch für seine Datenschutz- oder Steuerpolitik zu kritisieren. Aber diese Gleichzeitigkeit muss man aushalten."
Gleichzeitigkeit aushalten, das ist zumindest ohnehin der zentralen Herausforderungen im Internet.
"Miesepeter-Kultur", wie Tretbar sie differenzierter kritisiert als Winterbauer (der bei meedia.de natürlich auch nicht ins Differenzierte abgleiten darf), ist wahrscheinlich so typisch deutsch wie die Kritik an deutscher Miesepeter-Kultur. Wahrscheinlich recht typisch deutsch ist ferner der Drang, sehr vielem, was aus den USA kommt, ob es nun ein Gerücht über noch weiter verbesserte iPhones ist, das nächste Netflix-Ereignis oder halt einfach ein Hollywoodfilm, viel Platz an prominenter Stelle einzuräumen.
Und das alles harmoniert prächtig mit dem Konsensprinzip in der breiten digitalen Mitte der deutschen Medienlandschaft. Deren Akteure fühlen sich dann am relativ wohlsten (wie angespannt die wirtschaftliche Lage des Onlinejournalismus ist, wissen sie ja auch alle ...) wenn alle das, was alle berichten, auch ungefähr gleichzeitig gleich groß fahren.
Rein journalistisch könnte es sinnvoll sein, offensichtliche PR, wenn man sie für wichtig hält (und extrem wichtig ist Facebook, leider, wirklich), erstens zu vermelden, dabei aber nicht zu viele Fotos und Videos "Courtesy of Mark Zuckerberg" zu verwenden. Zweitens könnte man es mit sonstigen, gerne tagesaktuellen Meldungen zu Zuckerbergs Konzern verknüpfen. Z.B.: Über die vom europe-v-facebook.org-Aktivisten Max Schrems "bei drei europäischen Datenschutzbehörden", darunter dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, eingebrachten Beschwerde (13 Seiten, PDF), um zu erreichen, dass diese "das Safe-Habor-Urteil des Europäischen Gerichtshofs ernst nehmen und auch tatsächlich durchsetzen", berichtet nur die wie Schrems österreichische futurezone.at.
Drittens müsste, um herauszufinden, wie gut Mark Zuckerbergs Tat tatsächlich ist, kontinuierlich beobachtet werden, was daraus wird und ob Zuckerbergs Milliarden eher beim steuerbegünstigten Ausbau weiterer Zuckerberg-Unternehmungen helfen oder auch sonst. Und dabei müsste berücksichtigt werden, dass wahrscheinlich nicht allein, aber auch der PR dienenden Aktionen wie Zuckerbergs Brief unter anderem den Zweck erfüllen, ältere, negativere Berichtserstattungsanlasse wie das Safe-Habor-Urteil zu überlagern.
Passiert ist ja erst mal nicht mehr als:
"Mark Zuckerberg schreibt einen Brief an seine neugeborene Tochter, die wahren Adressaten aber sind – wir".
So leitet Michael Hanfeld, sehr zurecht, seinen Artikel über dieselbe Sache auf der FAZ-Medienseite ein, bevor er sie dann seinen Furor mit dem altem humanistischen Mehrwert anreichert, den FAZ-Abonnenten wohl brauchen (Zuckerberg "sitzt ... auf dem größten trojanischen Pferd seit den Zeiten von Odysseus" und macht "der Welt ein Danaergeschenk").
Den wohl informativsten deutschsprachigen Artikel zur Sache hat der wiederum österreichische Standard.
+++ Bisher gar nicht typisch deutsch war, lange über den eigentlich feststehenden nationalen ESC-Teilnehmer zu diskutieren. Standen nicht immer alle, denen der Schlager-Grand Prix nicht sowieso zu doof war, wie Die Mannschaft hinter den jeweiligen, äh, Künstlern? +++ Eine aufschlussreiche Randnotiz der reichen Debatte um Xavier Naidoo hat Thomas Knüwer (indiskretionehrensache.de) isoliert: die stark sinkenden Anzeigenpreise auch der Qualitätszeitungen. "Was Journalisten nur einfach nicht realisieren: Die Anzeigenpreislisten von Print-Medien sind nur noch grobe Annäherungen an mögliche Realitäten. Man darf" dem Naidoo-Freund Marek "Lieberberg ruhig glauben, wenn er von einem Rabatt über 50% spricht – so etwas ist heute Normalität. Tatsächlich wird sogar von Rabattierungen im Bereich von 80% bei einigen Blättern gesprochen, wenn ein entsprechendes Volumen geschaltet wird." +++ Wobei Lieberbergs Pro-Naidoo-Anzeige immerhin eindrucksvoll bewiesen hat, was generische "Print wirkt"-Anzeigen eher ungeschickt behaupten: Print wirkt ja tatsächlich, wenn die Süddeutsche den Initiator einer Anzeige in der FAZ deswegen interviewt (woher dann auch die ungefähren Anzeigenpreis-Infos stammen). +++ Und auch wenn die "Prominenzblase", in der zu leben Knüwer in einem weiteren Blogbeitrag die Unterzeichner von Lieberbergs Anzeige bezichtigt, auch gruselig sein mag, ist Lieberbergs Aussage "Ich hätte einfach von der Intendanz etwas mehr Stehvermögen und Zivilcourage erwartet" im SZ-Interview nicht falsch. Die absurde Naidoo-Geschichte zeigte jedenfalls auch, dass Stehvermögen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen keineswegs die Regel ist. +++
+++ Wo öffentlich-rechtliches Stehvermögen steht wie ein Fels in der Brandung lange vergangener Jahrzhente: in der Fernseh-Unterhaltung. Neue ZDF-Pläne im "Challenge- und Spiel-Bereich" schildern Altpapier-Autor René Martens in der SZ, Sonja Alvarez im Tagesspiegel und am ausführlichsten dwdl.de. +++
+++ Wenn das ZDF sich dann vielleicht noch "Big Stars - Promis specken ab" sichert, das wohl seit Frühjahr 2014 "im Keller von Sat.1 vor sich hin modert" (interessanter dwdl.de-Artikel aus der Welt der Reality-TV-Produktion), dürfte sich das Publikum der Mainzer Anstalt radikal verjüngen. +++
+++ Ob Michaela Kolster und Michael Hirz "zwei ältere, ergraute Experten" sind, lässt sich dem Tagesspiegel-Interview mit ihnen nicht auf Anhieb ansehen, da es oben mit einem Olli-Welke-Foto bebildert ist. Weiter unten zeigt sich: So grau sind die Phoenix-Programmchefs noch nicht. Aber erfahren genug, um auf Joachim Hubers Fangfrage "Warum will Phoenix nicht der überfällige Nachrichtensender im deutschen Fernsehen werden?" nicht einzugehen. "Abstand ist nicht schlecht, man ist nicht Teil der Käseglocke. So ist Phoenix: Wir sind dabei, aber wir halten Distanz, wir lassen uns nicht hineinsaugen", lautet ihr schöner letzter Satz. +++
+++ Mehr Infos zum gestern hier erwähnten, heute im Rundfunkrat präsentierten mutmaßlichen neuen Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks hat der Standard. +++ Indes einen frischen Verwaltungsdirektor hat der MDR (Medienkorrespondenz). +++
+++ Überhaupt: Anstalts-Personalien! Neue Intendanten werden gerade beim Hessischen Rundfunk gesucht und beim RBB (jetzt "noch transparenter" als sie früher gesucht wurden, weiß der Tagesspiegel). +++
+++ "Die Landessenderdirektion hat sich allerdings mit den Verantwortlichen der aktuellen Sendungen darauf verständigt, nicht grundsätzlich bei jeder Nennung die AfD mit dem Begriff rechtspopulistisch zu kombinieren", hörte das Handelsblatt von einem Unternehmenssprecher des SWR. +++
+++ Mehr Meinungen zur Spiegel-Spar-Agenda (Altpapier gestern): Der neue Vorsitzende der Journalistengewerkschaft DJV, Frank Überall, vermeidet zwar das unlöschlich mit seinem Vorgänger Michael Konken verbundene Wort "empört", ist es aber doch und auch zurecht. +++ In der TAZ schreibt Anne Fromm, dass Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer die alte Hierarchie im Verlag, gemäß der alte Mitarbeiter KG-Mitglieder erheblich mehr Rechte genießen als jüngere, neuere Mitarbeiter, "gern ändern" würde, "dafür aber in der aktuellen Reform kein Platz gewesen" sei. +++ Der Verlag "verfügt ... immer noch über riesige redaktionelle Ressourcen, aber die Bäume wachsen nicht mehr in den Himmel", insofern ist "das Nachrichtenmagazin, ein faszinierender Teil der Erfolgsgeschichte des Nachkriegsdeutschlands, ... kein Goldesel mehr", meint bildgewaltig Rainer Stadler (Neue Zürcher). +++
+++ Bei den Fußballfernsehrechten bleibt zumindest Fußball-, also Vereineseits doch alles beim alten (TAZ). +++
+++ Auf der SZ-Medienseite porträtiert Hans Hoff dann noch Max Giermann, "die bekannteste multiple Persönlichkeit im deutschen Fernsehen". +++ Auf der FAZ-Medienseite beschreibt Ursula Scheer das neue Google Cultural Lab (oder Institute), mit dem sich auch Google mal wieder "als philanthropischer Mäzen" positioniert. "Die Berliner Philharmoniker gehören dort ab sofort ebenso zum festen Ensemble wie die Staatsoper Unter den Linden, die Carnegie Hall ...", und der Name Carnegie ist Lesern diverser Zuckerberg-Artikel ja gerade erst begegnet. +++ Außerdem bespricht Nina Rehfeld die Serie "The Royals", die zwar um englische Majestäten kreist, aber ein US-amerikanische Produktion ist. +++
+++ "Ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis, einen Code, den fast nur Journalisten kennen, der aber deutlich sichtbar bei so gut wie jedem Beitrag ist. Dieser Code besteht im Normalfall aus zwei Wörtern, manchmal drei, in Ausnahmefällen auch vier oder fünf oder mehr. Er ist für jeden lesbar, aber nur für die wenigstens interpretierbar. Diesen Code kennen fast nur Journalisten, weil fast nur sie auf ihn achten. Das Coole an dem Code ist, dass er sich erschließt je öfter man ihn liest. Der Code ist der Name des Autors": Da verrät Rico Grimm bei krautreporter.de, woran sich falsche Berichterstattung erkennen lässt; da gibt's natürlich noch andere, schon bislang weniger geheim gewesene Möglichkeiten. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.