Wozu noch Medienkritik? Diese auf den ersten Blick ernst gemeinte und notwendige Frage klingt beim zweiten Hören doch eher nach einem Witz. Mit deutlich vernehmbarer ironischer Note samt Versprechen auf einen sarkastischen Abgang. Denn tatsächlich können wir uns kaum retten vor Medienkritik. Die ersten Seiten der Zeitungen sind von ihr durchzogen und kein Aufsager im Rundfunk kommt ohne sie aus. Ständig erklären Journalisten, was ihre Kollegen schon erklärten, nachdem sie es nur leider falsch verstanden haben. Oder gibt es noch waghalsige Kollegen, die in Redaktionskonferenzen Themen anbieten, die ihre Kollegen und ihr Publikum überraschen?
Nein. Was wir über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir aus den Massenmedien. Dieser kluge Satz war für viele zu lange eine dumme Maxime. In die geruhsame Gewohnheit, die Zeitung von gestern zu lesen, um die für morgen zu schreiben, mischten sich Störenfriede ein. Manche von ihnen schrieben wahnsinnige Sätze, nicht in die Zeitung, sondern ins Internet: „Vielleicht ist es ganz gut, dass immer weniger Menschen Zeitung lesen.“ Dieses Exemplar stammt von Jakob Augstein. Er schrieb es im Sommer unter dem Dach des „Spiegel“.
Was Blattmacher von solchen Texten halten, kann man sich denken. Es im Wortlaut zu lesen lässt einen dennoch erschrecken. Stellvertretend für die F.A.Z.-Redaktion beschrieb ausgerechnet der Spiegel-Online-Pionier Matthias Müller von Blumencron schon zuvor das Internet als „Empörungsmaschine“, einem „Propagandavehikel für jede noch so obskure Theorie“. Noch eher griff sogar der Außenminister in die Debatte ein und drehte den Spieß schlicht um: „Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch“, sagte Frank-Walter Steinmeier im Angesicht etlicher, eine Preisverleihung feiernder Journalisten. Welcher dieser Kritiker hat recht?
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Ein Mangel an Medienkritik ist nicht zu sehen, der wäre für den Journalismus auch nicht gut. Das Problem ist ein anderes. Es tobt ein sehr schädlicher Medienkrieg. Dass hinter ihm noch konstruktiver Journalismus stattfindet, ist immer seltener zu sehen. Als Heiner Flassbeck im hitzigen Sommer der Griechenlandkrise den Lesern seiner Webseite empfahl, die Botschaft zu verkünden, „dass man sich im Internet umfassender und besser informieren kann als bei den Leitmedien“, münzte er seinen Rat auf eigene Erfahrungen mit dem ZDF.
Die Antwort kam prompt. Der Intendant des Senders, Thomas Bellut, beauftragte seine Forschungsgruppe Wahlen mit einer Umfrage zum Medienvertrauen. Das Ergebnis gefiel ihm, soziale Medien „wie Twitter oder Facebook“ wurden beim strittigen Thema Glaubwürdigkeit nämlich „besonders schlecht bewertet“. Die Studie gab ihm schlicht „keinen Hinweis für eine grundlegende Glaubwürdigkeitskrise“ der alten Medien. Aha! „Das Publikum unterscheidet offenkundig die Quellen seiner Informationen nach dem Kriterium der Glaubwürdigkeit“, wusste Bellut noch zu schlussfolgern. Soweit so gut. Wer diese Sätze in der F.A.Z. las, glaubte sie naturgemäß (altersbedingt) sofort.
In die Parade fuhr Bellut aber schon drei Wochen zuvor sein eigener heute-Journal-Moderator Claus Kleber. Das Publikum wählt sein Programm am heimischen Fernseher nämlich offenbar doch nach anderen Kriterien als der Glaubwürdigkeit, zumindest sah Kleber bei einer Vorlesung in Tübingen große Teile der Gesellschaft – nämlich alle Menschen unter 40 Jahren, „die Mitten im Leben stehen“ – „unversorgt von einer, wie wir sagen würden, anständigen Nachrichtenversorgung“. Gerade einmal noch 5 Prozent seiner Zuschauer sind derzeit jünger als 40 Jahre.
Peter Frey, der ZDF-Chefredakteur, also Belluts Programmgestalter und Klebers Chef, juckte das wiederum wenig, als er in einem „Bürgergespräch“ der F.A.Z. im Holzfoyer der Oper von Frankfurt am Main blindlings von einer „Renaissance der Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Nachrichten“ sprach. Dafür haben ihn sogar die anwesenden Rentner auf offener Bühne ausgelacht. Jüngere Zuschauer waren erst gar nicht gekommen. Der Nachrichtenchef des ZDF, Elmar Theveßen, offiziell Freys Stellvertreter, muss sich zumindest heimlich gewundert haben. „Die Menschen fliehen vor komplexen Dingen“, sagte er der Journalistin Jana Baurmann im Interview für „Die Zeit“. Man könne es „im Alltagsgeschäft sehen, da fahren sie Slalom, um die Nachrichten herum“.
Die Frage, ob in dieser Gemengelage, in der Redaktionschefs noch immer das Internet bekämpfen und ihre Mitarbeiter am Publikum vorbeiarbeiten, Medienkritik – also sinnvolle Medienbeobachtungen, statt Medienschelte und Medienkrieg – weiterhelfen könnte, ist knifflig und müßig. Noch wartet das Publikum auf eine Antwort. Aber wie lange eigentlich noch? Zum ersten Mal wurde 2015 gemessen, dass das Publikum den Ergebnislisten von Suchmaschinen mehr Vertrauen schenkt als journalistischen Texten. Ja, der Vergleich hinkt und Vertrauen ist ein schwammiger Begriff. Aber egal, was die Befragten hinter „Glaubwürdigkeit“ verstehen: Dem redaktionellen Journalismus billigen sie immer weniger davon zu. Derzeit fallen die Werte um 10 Prozent pro Jahr. Ein Wert fast so hoch wie die durchschnittlichen Auflageneinbußen.
Und nicht einmal einem der jüngeren Journalismusretter fällt etwas dazu ein. Eine Gesellschaft ohne Journalismus bedeutete beispielsweise für den jungen Online-Chef der „Süddeutschen Zeitung“ ein „Staat der Desinformation“. Was das bedeuten soll? Ich weiss es nicht. Kollegen von ähnlichem Rang und Namen in der Branche zu fragen hat wenig Sinn, niemand sonst ist noch unter 40 Jahren alt.
Deswegen sagen wir es so: Seit etwas mehr als einem halben Jahr schauen wir gemeinsam Fernsehnachrichten, und zwar alle Sendungen des heute Journals und der Tagesthemen. Es gelingt uns unbeschadet, weil wir uns anschließend ins Benehmen setzen und unsere Erlebnisse in einem Podcast verarbeiten. Er funktioniert wie eine Gesprächstherapie, mit einer kleinen Erweiterung, die für uns und unser kleines Publikum den entscheidenden Mehrwert bietet.
Der eine von uns besucht regelmäßig die in der Bundespressekonferenz veranstalteten Regierungspressekonferenzen. Was wir über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir dadurch nicht mehr nur aus den Massenmedien, sondern wir erfahren es auch von den Regierungssprechern. Sollen doch die Hauptstadtjournalisten ihre Vorherrschaftskämpfe um Glaubwürdigkeit und Deutungshoheit in ihren Blättern und Programmen austragen – uns interessiert es nur noch als Widerspruch zu unserem Erleben des Regierungshandelns.
Während uns die ausbleibende Debatte über den Sinn und Zweck des heutigen Journalismus keine Antworten liefert, brachte uns jüngst die Wirklichkeit zum Lachen. In der vergangenen Woche debattierte die Bundespressekonferenz in ihren Räumen über künftige Formate des journalistischen Arbeitens im politischen Berlin. Ganz konkret begegneten sich Gregor Mayntz, der Vorstandsvorsitzende der Bundespressekonferenz, und Tilo Jung auf einem Podium, um darüber zu streiten, wie „konform“ die Hauptstadtpresse arbeite, in wie weit ausgefallene Fragen zulässig seien und ob der direkte journalistische Zugriff auf die politischen Sprecher noch zeitgemäß ist.
Dabei sagte Gregor Mayntz – zeitgleich zur nebenan laufenden Regierungspressekonferenz – den Satz: „Ich kann mir vorstellen, dass wir heute sehr viel über die Tornadoeinsätze der Bundeswehr über Syrien fragen werden.“ Die Vermutung lag in der Tat nahe. Die führenden Köpfe der Bundesregierung hatten nur Stunden zuvor die Fraktionen über den dritten Kriegseinsatz der Bundesrepublik informiert. Wo, wenn nicht in der Bundespressekonferenz, wo sich die Sprecher den Journalisten als erstes stellten, hätte darüber diskutiert werden können? Doch die Wirklichkeit machte der Vorstellung einen Strich durch die Rechnung: An diesem Tag gingen den Journalisten die Fragen bereits nach 8 Minuten aus. Weil auch Bürger im Saal waren, dauerte die Regierungssprechstunde noch etwas an. Aber mit 18 Minuten war sie nicht nur rekordverdächtig, sondern auch beschämend kurz.
Das Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.