Zensur und Selbstzensur

Zensur und Selbstzensur
Pressefreiheit (oder eben nicht) in Ägypten, der Ukraine und Serbien. Lutz Bachmann trägt ein Mottoshirt, das Journalisten nicht gefallen kann. Wie dumm sind eigentlich Lokalzeitungsleser? Das Erfolgsgeheimnis der Katzen.

Der Pressefreiheit geht’s nicht gut.

Seit Sonntag wird in Ägypten der investigative Journalist Hossam Bahgat festgehalten. In der englischsprachigen Online-Zeitung Mada Masr hatte er über einen Militärprozess gegen 26 Offiziere berichtet, die einen Staatsstreich vorbereitet haben sollen. Das Militär bestreitet jedoch, dass dieser Prozess jemals stattgefunden hat.

„Es ist gängige Praxis in Ägypten, dass die Behörden Nachrichtensperren über politisch heikle Ermittlungen und Strafverfahren verhängen; dies geschieht regelmäßig im Zusammenhang mit Terroranschlägen. (...) ,Mada Masr’ ist eines der wenigen Medien, das unabhängig ist und trotz aller Gefahren nicht aufgehört hat, kritisch über die Regierung zu berichten. Bahgats Berichte stechen hervor in einer Medienlandschaft, die sich vor allem in unkritischem Hurra-Patriotismus übt und oft in vorauseilendem Gehorsam gegenüber einem Regime, das zunehmend repressiv gegen jegliche abweichende Meinung vorgeht – nicht nur gegen die Muslimbrüder, sondern etwa auch gegen säkulare und linke Demokratieaktivisten“,

schreibt heute Paul-Anton Krüger auf der Medienseite der Süddeutschen Zeitung.

Mada Masr selbst hat Stimmen vom Ban Ki-moon bis Amnesty International zusammengetragen, die die Festnahme verurteilen.

Wer wissen möchte, was man in Ägypten nicht schreiben darf, ohne dafür einkassiert zu werden, kann Hossam Bahgats Bericht über den Prozess hier nachlesen.

Auch in der Ukraine ist es mit der Freiheit der Presse nicht weit her, wobei in diesem Fall die Journalisten selbst ihren Beitrag dazu leisten, wie Nik Afanasjew im Tagesspiegel darlegt.

„Zu den profiliertesten Verfechtern unabhängiger Berichterstattung in der Ukraine gehöret Valerij Ivanov, Präsident der ,Akademie der ukrainischen Presse’, einer NGO, die sich seit 2001 für Pressefreiheit einsetzt. ,Unsere Journalisten haben zuletzt keinen guten Job gemacht. Bei uns wird Patriotismus oft als Regierungstreue verstanden’, erklärt Ivanov. Internationale Standards würden nicht eingehalten zu Gunsten eines ,journalismus predanosti’ – was frei als ,Ergebenheitsjournalismus’ übersetzt werden könnte, ergeben gegenüber der Maidan-Revolution – und nicht dem Gebot der Objektivität verpflichtet.

Für einen großen Fehler hält Ivanov auch das Abschalten der russischen Sender, einer in weiten Teilen der Bevölkerung durchaus populären Maßnahme. ,Sollen unsere Bürger etwa für die Ukraine im Donbass sterben, aber nicht mündig genug sein, um zu entscheiden, welchen TV-Sender sie einschalten?’“

In Serbien sieht es ebenfalls nicht rosig aus, wie der Journalist und Medienunternehmer Aleksandar Rodi? beklagt, was auf der FAZ-Medienseite nachzulesen ist:

„,Ich sage die Wahrheit: Die Medien in Serbien sind nicht frei und unterliegen großem Druck’, schrieb der Besitzer der Zeitung ,Kurir’ in seinem Blatt. Die Regierung bedrohe die Journalisten und deren Familien, damit sie jede Kritik an Ministerpräsident Aleksandar Vu?i? verhinderten, heißt es in der über drei Zeitungsseiten reichenden Anklage. Achtzig Prozent der Medien seien angepasst und gäben die Realität nur geschönt wieder.“

In Deutschland hingegen können wir uns an diesem Dienstag – wenn ich nichts übersehen habe – darüber freuen, dass bei den Demonstrationen gestern kein Journalist attackiert wurde (eine Chronik der Vorfälle aus den vergangenen Wochen findet sich bei den Prinzessinnenreportern). Allerdings sorgte Lutz Bachmann dafür, dass der Hass auf die „Lügenpresse“ nicht in Vergessenheit gerät:

„Die Medienschelte trug der Gründer der ,Patriotischen Europäer’ heute nur auf der Brust zur Schau - Bachmann war in einem T-Shirt mit dem Aufdruck ,Lügenpresse - Halt die Fresse!’ zum montäglichen ,Spaziergang’ erschienen.“

Das lässt sich online bei der Sächsischen Zeitung nachlesen, wo sich zudem der historische und räumliche Kontext findet, in dem Pegida gestern Abend agierte.

„Auf den Theaterplatz eröffnete Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann die Auftaktkundgebung mit einem ausführlichen Redebeitrag über das historische Datum 9. November und der Aussage, dass man die deutsche Geschichte nicht auf zwölf Jahre unter einem ,irren Diktator’ reduzieren dürfe. Hintergrund: Kritiker von Pegida halten einen Aufmarsch am 77. Jahrestag der nationalsozialistischen Pogromnacht an dem geschichtsträchtigen Ort - dem ehemaligen Dresdner Adolf-Hitler-Platz - für mehr als problematisch.“

[+++] Vor diesem Hintergrund sollte die zwar beschimpfte, aber weder von Zensur noch Selbstzensur bedrohte deutsche Medienlandschaft besonders bemüht sein, ihr Bestes zu geben. Worauf, erfahrene Altpapier-Leser ahnen es, nun ein Beispiel folgt, welches das Gegenteil beweist.

Es stammt bereits vom Wochenende aus dem Blog Spiegelkritik. Dieses dröselt am Beispiel einer Facebook-Meldung des Bürgermeisters der Stadt Jüteborg auseinander, wie Journalisten statt Recherche Empörung bieten.

Aufregenswert fanden diese die Tatsache, dass der Bürgermeister Menschen mit direktem Kontakt zu Flüchtlingen vor Infektionskrankheiten warnte. Man unterstellte ihm lieber Stimmungsmache, statt herauszufinden, dass diese Krankheiten durchaus ein Thema sind, weil manche Flüchtlinge nicht gegen Keuchhusten, Röteln oder Mumps geimpft sind. Deutsche aber – wenn sie nicht gerade unter Impfgegner aufwachsen – in der Regel schon.

„Was wäre nach einer solchen Recherche noch am Posting des Bürgermeisters von Jüterbog auszusetzen? Dass er nicht das lange Erklärstück geliefert hat, welches auch die Journalisten nicht zustande bringen? An seiner Information ist nichts falsch, sie entspricht dem, was das für maßgeblich gehaltene RKI selbst ständig schreibt; sein Angebot, für städtische Mitarbeiter Imfpungen anzubieten (was wohl meint: die Kosten zu übernehmen, die nicht regulär von den Kassen getragen werden, das betrifft regulär Hepatitis und die Schutzimpfungen gegen ,Kinderkrankheiten’ im Erwachsenenalter) ist konstruktiv und nach dem Stand der Dinge verantwortungsvoll, nicht Panik verbreitend. Und es bleibt die Frage, warum die Medien selbst das Thema nicht (flächendeckender) selbst aufgegriffen haben – denn wer vor Ort recherchiert, bei den Helfern etwa, der stößt geradezu unweigerlich darauf.“

Aus dem berühmten Katalog der W-Fragen scheint den Journalisten das "Warum" abhanden gekommen zu sein. Dabei ist es das Spannendste. Macht aber auch die meiste Arbeit.

[+++] Andererseits:

„Wir müssen durch einen kritischen, frechen, fast aufmüpfigen, Widerspruch erregenden Journalismus die Aufmerksamkeitsschwelle heben. Das ist kein Krawalljournalismus. Das ist die Erkenntnis: Ich muss in der heutigen Zeit strampeln, muss mich in die Mitte der Arena stellen, ein Podest aufbauen und ein Megafon nehmen. Das heißt, ich muss aktiv Themen besetzen und in die Öffentlichkeit gehen. Ich muss mich deutlich und drastisch um meine eigene Wahrnehmung als Redaktion bemühen. Sonst geraten wir gegenüber der massiven Konkurrenz ins Hintertreffen, Konkurrenz vor allem um Zeit auf allen digitalen Kanälen und in allen Netzwerken.“

Das sagt Henning Noske, Lokalchef der Braunschweiger Zeitung (Offenlegung: bei der ich volontiert habe. War mittelcool) in einem Interview mit der Drehscheibe, das wiederum Newsroom veröffentlicht hat.

Der Lokaljournalismus sollte es in Zeiten des Internets™ besonders leicht haben. Schließlich bietet er originäre Inhalte, die die Leser im Alltag betreffen und niemals bei Buzzfeed auftauchen werden. Dennoch tut er sich gerade unheimlich schwer, weil er in der Masse kaputtgespart zwischen Verlautbarungen und Digitalskepsis pendelt.

Meiner bescheidenen Meinung nach würde es schon sehr helfen, wenn im Lokalen überhaupt wieder Journalismus gemacht würde. Noske spricht auch von einem Wandel in der Berichterstattung. Er möchte aber, dass diese knallt und nicht zu kompliziert daherkommt.

„Wir verlieren Leser allein dadurch, dass sie die Sprache, die wir oft benutzen, nicht mehr verstehen. Die Lesewert-Forschung hat uns gezeigt, dass es bestimmte komplizierte Zitate, Begriffe, Formulierungen gibt – da steigt der Leser einfach aus. Eine solche Missachtung des Lesers können wir uns heute nicht mehr leisten. Das ist kein Populismus, sondern die volle Konzentration auf die Bedürfnisse und Nähe zu seinen Themen.“

Ich habe nie bei der Bild-Zeitung gearbeitet, könnte mir aber vorstellen, dass man dort mit ähnlichen Vorsätzen zu Werke geht: Der Leser ist dumm und mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Frettchens gesegnet. Lasst uns ihm Hauptsätze in großen Buchstaben servieren.

Möge das nicht die Zukunft des Journalismus sein, nach der wir die ganze Zeit suchen.


Altpapierkorb

+++ Der nach dem Rücktritt Wolfgang Niersbachs fürs erste als DFB-Chef agierende Rainer Koch hat erklärt, dass der DFB nicht juristisch gegen das Nachrichtenmagazin Der Spiegel vorgehen wird, dessen Recherche zur Weltmeisterschaft 2006 ihm gerade so viel Ärger bereitet. Steht bei Spiegel Online. +++

+++ Das Schweizer Wirtschaftsblatt Bilanz soll sich beim Relaunch etwas zu sehr vom Manager Magazin inspiriert haben lassen, steht bei Horizont. „Nun, es gibt – vor allem auf den Nachrichten- und Rubrikseiten – tatsächlich ein paar auffällige Parallelen: die ähnliche Schmuckfarbe Blau, ähnliche Typographie samt Textmarken, ähnlicher Umgang mit Linien und Balken, ähnliches Infografik-System. Außerdem scheinen einige der neuen Schweizer ,Bilanz’-Rubriken und deren Bezeichnungen durchaus vom ,Manager Magazin’ inspiriert zu sein.“ +++

+++ Auf 25 Jahre Der Freitag blickt bei Carta Franz Sommerfeld zurück. +++

+++ Die Berliner Zeitung widmet sich der Zukunft der Nachrichten, welche die New York Times ihren Abonnenten am Wochenende präsentierte. „Der entschieden Low-Tech anmutende Karton enthielt einen Guckkasten, in den man sein Smartphone einlegen konnte, auf das man vorher die neue ,Times VR’-App herunter geladen hatte. Im Angebot zum Auftakt waren zwei Geschichten: Einmal die Begegnung mit drei Flüchtlingskindern – Chuol, Oleg aus der Ukraine, der uns durch sein zerbombtes Dorf führt, und die zwölf Jahre alte Hana aus Syrien, die in einem libanesischen Flüchtlingslager lebt. Die zweite Reportage ist ein Spaziergang durch New York mit dem französischen Foto-Künstler JR.“ +++

+++ „Unser Ziel ist, die Rentenzahlungen an den öffentlichen Dienst anzugleichen", sagte Deutsche-Welle-Verwaltungsdirektorin Barbara Massing dem Handelsblatt, was DWDL zitiert, was wiederum bedeutet, das man als verrenteter Deutsche-Welle-Mitarbeiter bisher mehr bekam als im öffentlichen Dienst üblich, und der Sender nun versucht, dort einzusparen. +++

+++ Das Fernsehprogramm für heute Abend: Arte zeigt die Dokumentation „Durchgecheckt: Wirtschaftsmotor Zuwanderung?“. Beim Hamburger Abendblatt steht die Rezension aus dem Hause dpa. Im BR läuft „Der Zorn der jungen Männer, eine Doku über das standardisierte Anti-Aggressions-Training für junge Intensivtäter, über die Oliver Jungen in der FAZ schreibt: „Der Filmemacher Uli Kick hat eine solche Trainingseinheit über die gesamte Dauer von einem Jahr mit der Kamera begleitet, und herausgekommen ist ein ermutigender Film, der nicht nur zeigt, dass diese Methode tatsächlich funktioniert – das tun auch die Zahlen: zwei Drittel der AAT-Teilnehmer werden nicht wieder straffällig –, sondern vor allem, wie das möglich ist.“ +++

+++ Außerdem widmet sich die FAZ einer neuen Ausstellung im New Yorker Museum of the Moving Image, die dem Katzenkult im Netz auf den Grund geht. +++

+++ Über das Medienimperium der Lena Dunham schreibt Anne Philippi in der SZ. +++

+++ Einen Überblick über die neuen, deutschen Serienwunder („Club der roten Bänder“, „Weinberg“, „Deutschland 83“), gibt Peer Schader bei den Krautreportern. +++

+++ Wer gerne nachlesen möchte, was in der vergangenen Woche bei der Tagung „Digitaler Journalismus: Disruptive Praxis eines neuen Paradigmas“ diskutiert wurde, kann das bei Zapp tun (Beispielsatz gefällig? „Zwar ist die These, wonach Nachrichtenredaktionen bei der Orientierung am Social-Media-Erfolg offenbar weichere Themen bevorzugen, auf Basis von Lischkas Forschung sicher richtig. Doch der Social-Media-Erfolg extrem konfrontativer und am politischen Rand der Gesellschaft operierender Gruppen wie Pegida gibt Lischka nicht unbedingt Recht.“) +++

Frisches Altpapier gibt es wieder am Mittwoch. 

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?