Ein Early Adopter, frühzeitiger Anwender von neuen, sich dann durchsetzenden Möglichkeiten zu sein, zählte bislang eher nicht zu den Vorwürfen, die sich der Deutschen Telekom machen lassen. Aber jetzt vielleicht.
Kaum wurde für EU-Europa die Netzneutralität durch diffuse Formulierungen zur Dispositon gestellt (AP vom Di., Do., frische Zusammenfassungen von Gesetz und Kritik daran in der Medienkorrespondenz), da prescht der in Sachen öffentlicher Wahrnehmung noch unverbrauchte Unternehmenschef Timotheus Höttges mit einem Beitrag auf der Telekom-Webseite telekom.com voran, den sogar das keineswegs managerskeptische manager-magazin.de "unverblümt" nennt.
In netten Formulierungen, unter einem großen Foto seines Charakterkopfs füllt Höttges genau das mit Leben, was die Kritiker der Netzneutralitäts-Gesetzes zuvor mit abstrakten Beispielen zu erklären versuchten, z.B.:
"Google und Co. können sich weltweite Serverparks leisten, damit die Inhalte näher zu den Kunden bringen und die Qualität ihrer Dienste so verbessern. Das können sich Kleine nicht leisten. Wollen sie Dienste auf den Markt bringen, bei denen eine gute Übertragungsqualität garantiert sein muss, brauchen gerade sie Spezialdienste. Nach unseren Vorstellungen bezahlen sie dafür im Rahmen einer Umsatzbeteiligung von ein paar Prozent."
Heißt: Google, das sowieso niemandem mehr irgendetwas bezahlt, muss nichts an die Telekom zahlen, aber falls jemand Kleines mit Google konkurrieren wollen sollte, dann der.
In den Netzwelt-Ressorts hagelt es Hohn für Höttges. "Das hat beinahe Slapstick-Qualität", kommentiert Patrick Beuth bei zeit.de über einem noch größeren Höttges-Foto (und benutzt weiter unten das Wort "Schutzgelderpressung", dessen zweiter Bestandteil auch hier noch mal in anderem, ähnlichen Zusammenhang wiederkehrt). Spiegel Online weist wie das Manager Magazin aus demselben Haus darauf hin, dass sich der größte Telekom-Konkurrent Vodafone beim Ausschöpfen des neuen Geschäftsmodells "Internet-Maut" schon solidarisch erklärte. Und sueddeutsche.de ergänzt die Aussage des immer gern zitierten Mark Zuckerberg, wonach es sich bei Netzneutralität um ein "Erste-Welt-Problem" handle.
Wer zunächst etwas mehr Veständnis für die Telekom hat, ist Christopher Lauer, der schließlich selbst (als "Leiter Strategische Innovation") auch bei einem börsennotierten Konzern (der Axel Springer SE, deren Portal welt.de leider darauf hinzuweisen vergisst) zugange ist:
"Alle verdienen mit dem Internet viel Geld, nur nicht die Telekommunikationsunternehmen. Finden die Telekommunikationsunternehmen. Die Telekommunikationsunternehmen betreiben zwar die Infrastruktur des Netzes, sind aufgrund ihrer Monopolstellung aber stark reguliert, weswegen die Möglichkeiten, mit der Netzinfrastruktur große Gewinne einzufahren, eher beschränkt sind. Hinzu kommt, dass der Ausbau und die Wartung des Netzes kostenintensiv sind"
Soweit würde Höttges zustimmen, Lauers Folgerungen
"Es ist total hirnrissig, eine Infrastruktur wie das Internet privatwirtschaftlich zu betreiben"
und
"Richtig wäre es, die Netzinfrastruktur in Deutschland wieder zu verstaatlichen",
wie es sich ja bereits verhalten hatte, als der Telekom-Vorgänger Deutsche Bundespost viele der heute noch genutzten Leitungen legte, würde der Telekom-Chef natürlich nicht mehr zustimmen.
[+++] Außerdem: Betreiber von Infrastrukturen, die von ihren Kunden monatlich Geld einziehen, haben immerhin etwas, das andere im Internet, zum Beispiel Nachrichtenportale, sehr gerne hätten - verlässliche Einnahmen, mit denen sich mittelfristig planen lässt. Manager kennen dieses Prinzip noch von den gedruckten Abonnement-Zeitungen, die vieler dieser Portale betreiben, und wissen, dass deren verlässlichen Einnahmen genauso verlässlich Quartal pro Quartal schrumpfen. Es hat halt
"in den vergangenen zwölf Jahren ... eine Medienkrise die nächste gejagt."
Sagte just ein gern gesehener Dauergast im Altpapier (zuletzt am Dienstag; beachten Sie auch den Kommentar des DJV-Pressesprechers): der gerade noch amtierende Vorsitzende der Journalistengewerkschaft DJV. Gerade noch, weil auf dem bevorstehenden "spannenden Verbandstag" (so der eigens angelegte journalist.de-Verbandstag-Blog) nach zwölf Jahren Konken unter mehreren Bewerbern ein neuer Vorsitzender gewählt werden soll.
Diese Gelegenheit hat kress.de genutzt, um ein großes Abschieds-Interview mit dem oft (und oft ja auch zurecht) empörten Charakterkopf von der Journalistengewerkschaft zu führen. Es hat gleich schon wieder (Konken: "Als ich antrat, hatte der DJV 42.000 Mitglieder. Jetzt liegen wir etwa bei 36.000. Dieser Rückgang ist nicht schön, aber wir haben nicht so stark verloren wie manche DGB-Gewerkschaften") einen halbwegs prominenten Austritt aus dem DJV provoziert. Zumindest kündigte Sebastian Esser, einer der Haupt-Herausgeber des crowdgefundeten Portals krautreporter.de, diesen via Facebook an, da das Interview "zum Wegrennen" sei.
"Das wichtigste Thema wird aus meiner Sicht die Finanzierung des Journalismus werden. Damit meine ich nicht die Verlage und Sender, sondern den Journalismus. Es gibt viele private Modelle wie die Krautreporter. Aber auf Dauer sind dies nur einzelne Episoden, weil das Spendenaufkommen in Deutschland zu gering sein wird. Es besteht auch die Gefahr, dass durch Großspenden aus der Wirtschaft die notwenige Distanz verloren geht. Wenn sich der Auflagenrückgang so fortsetzt, werden wir in zehn Jahren weniger Zeitungen haben. Das heißt aber nicht, dass dann Online dominiert. Denn wenn Print stirbt, stirbt auch Online, da das Geld immer noch über die Printprodukte erwirtschaftet wird. Trotz der Bezahlschranken gibt es bisher noch kein tragfähiges Geschäftsmodell für den Online-Journalismus."
Auch wenn es krautreporter.de gelingen sollte, noch 100 Herausgeber zu finden, bleibt das Portal eine vielleicht hübsche Blüte, die von einem relevanten Nachrichtenportal so weit entfernt ist wie, proportional, die Deutsche Telekom von Googles Innovationskraft. Und der Gedanke, dass weniger Print keineswegs heißen muss, dass "dann Online dominiert", ist sogar ziemlich neu in der deutschen Debatte.
Was Konken dann als "neue Art der Finanzierung" ins Spiel bringt, die "Haushaltsabgabe für Zeitungen, egal ob sie als Printprodukte oder online erscheinen", wie er es nennt (Esser dagegen, nun via Twitter: "Presse-GEZ"), ist natürlich ein heißes Eisen im weiten Feld. Es müsste in einer hochdifferenzierten, sowohl (privatwirtschaftlich) eher negativ dynamischen als auch (öffentlich-rechtlich) arg verkrusteten Medienlandschaft wie der deutschen verdammt lange diskutiert werden und würde wahrscheinlich solange, bis die Krise sich erheblich verschärft hat, schon an Staatsferne-Fragen scheitern.
Bzw., all das wird in diversen Nischen ja längst gelegentlich diskutiert, ein Early Adopter ist Konken nun nicht. Drüber gesprochen wurde etwa beim jüngsten "Herbstforum der 'Initiative Qualität im Journalismus'", von dem die Medienkorrespondenz unter der leicht buzzfeed-artigen Überschrift "Klassische Medien unter nie gekanntem ökonomischen Druck" berichtet.
Falls Sie jetzt noch als Beleg den "nächsten Spar-Hammer in der Zeitungslandschaft" brauchen: meedia.de hat ihn ausgepackt, und kress.de auch (mit mehr Vorgeschichte). Es ist, für Zeitungsverhältnisse, kein ganz großer Hammer. Die Südwestdeutsche Medienholding will auf Rat der berühmt-berüchtigten Schickler-Berater "innerhalb von zwei Jahren 70 bis 75 Jobs" streichen, natürlich nicht ohne die "Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit ... zu sichern und weiter auszubauen"-Floskel. "Unter anderem bei Rechnungswesen und Controlling; Redaktionen sind nicht betroffen", ergänzt die Süddeutsche Zeitung, die als SWMH-Medium selbst betroffen ist. Und dwdl.de verknüpft die News mit einer weiteren von der FAZ.
[+++] Was überm Strich nun noch fehlt: mehr "Erpressung". Gleich dreimal taucht das Wort in den ersten beiden Absätzen des Aufmacherartikels der FAZ-Medienseite (zurzeit nicht frei online) auf. Da hat sich Ursula Scheer des Themas Werbeblocker angenommen, das auch in einigen jüngeren Altpapieren (diesem und diesem etwa, in dem es auch um faz.nets Umgang damit ging) vorkam.
Scheer hat mit Springer-Digitalchefin Donata Hopfen gesprochen, die bei bild.de weiterhin Werbeblockernutzer blockt ("'Bislang sehen wir nur leichte Schwankungen bei den Besucherzahlen', sagt sie ..."), und mit Till Faida und Wladimir Palant von der Kölner Eyeo GmbH, die erstens die bekanntesten solcher Blocker und zweitens nicht unobskure Geschäftsmodelle für werbetreibende Unternehmen anbietet:
"Wer die Softwarefirma bezahlt, kann die Werbung auf seiner Website freikaufen. Sie landet dann auf einer 'Whitelist' mit 'acceptable ads', einer Positivliste mit akzeptabler, vermeintlich nicht störender Reklame also, und passiert den Filter. Kostenpunkt: In der Regel dreißig Prozent der Mehreinnahmen aus Werbung, die Websites durch diese Freischaltung generieren, sagt Faida. Google, Yahoo, Microsoft, Amazon, Ebay, Fox und CNN sollen auf seiner etwa siebzig Namen umfassenden Liste zahlender Kunden stehen, auch Web.de und Gmx.de. Die öffentlich einsehbare 'Whitelist' allein sagt noch nicht aus, ob Geld fließt. Äußern will sich Faida dazu ebenso wenig wie zu den Umsätzen, die er mit seinen 42 Mitarbeitern erwirtschaftet. Er stellt sich lieber als eine Art Robin Hood des Internets dar, der nur von den Großen nehme. ... Faida sagt, 'Adblock Plus' sei der einzige Werbefilter, der überhaupt mit Inhalteanbietern spreche, statt einfach ihr Werbegeschäft kaputtzumachen."
Scheer ließ sich aber nicht um den Finger wickeln, oder ist's die starke Meinungsfreude des FAZ-Medienseitenchefs Micahel Hanfeld, die zwischen beinahe allen Zeilen hervorblitzt?
"Es ist die Argumentation eines Parasiten, der seinen Wirt nicht töten möchte, weil er ihn dann nicht weiter aussaugen könnte."
Um aber noch mal Stephan Ruß-Mohl aus dem oben verlinkten MK-Artikel zu zitieren: Der Kommunikationswissenschafts-Professor sagte auf der Berliner Tagung,
"dass die Verlage an der mangelnden Zahlungsbereitschaft für Online-Inhalte selbst schuld seien. Schließlich würden sie die Medienkrise und die daraus resultierenden Probleme für die Qualität des Journalismus nicht ausreichend in den eigenen Zeitungen thematisieren."
Die FAZ thematisiert die Medienkrise nun zunehmend massiv auf ihrer gedruckten Medienseite, und das lässt sich ihr, von Detailaspekten der Wortwahl vielleicht abgesehen, kaum vorwerfen.
+++ Janis Varoufakis klickt gut, wahrscheinlich. Sein lukrativer bzw. teurer Auftritt in einer italienischen Talkshow bereichert gerade viele gedruckte (FAZ, SZ) und Online-Medienseiten (welt.de: "Es gab mehr als 1000 Euro pro Minute", mit Beleg-Link zu yanisvaroufakis.eu; faz.net). Wobei sich zeigt, welche Medienseite die zurzeit trotz allem wohl beste ist: Nur Jörg Bremer in der Print-FAZ hat die interessante Bonus-Inof, dass die entsprechende Talkshow von Endemol für die RAI produziert wurde. +++
+++ Zeitungen begrüßen ein neues Bundesverfassungsgerichts-Urteil, das das Handelsblatt erstritt, als "Meilenstein im deutschen Presserecht" (Jochen Zenthöfer, FAZ: "Die Richter haben den Weg zu einer transparenten Justiz geebnet"). +++ Mit dem "Austernprinzip", dem gemäß etwa "die Entscheidungsgründe im Fall des früheren Arcandor-Chefs Thomas Middelhoff ... bis heute nicht herausgegeben" wurden, "ist nun Schluss" (Süddeutsche). +++ Das damit entkräftete Urteil des Meininger Landgerichts schildert Christian Rath in der TAZ. +++
+++ Indes einen staatlichen Angriff auf die Pressefreiheit gab es in England, auf einen BBC-"Newsnight"-Journalisten (SZ-Medienseite). +++ Was das ZDF sich "bei Netflix abgeschaut" habe, nämlich, "wie man zeitgemäß hochwertige Serien unter das Publikum bringt", ist außerdem Thema ebd.. +++ Und "während es bei TV-Dokus sonst üblich ist, Bilder, die für sich sprechen, zuzutexten", verzichte "Flucht, Fußball und ein...", heute im NDR-Fernsehen, "auf jeglichen Kommentar. Für einen Film, der zur besten Sendezeit läuft, ist das bemerkenswert", lobt ebenfalls ebd. Altpapier-Autor René Martens. +++
+++ Jedenfalls ein Beispiel Hanfeld'scher Meinungsfreude auf der FAZ-Medienseite: die "Preisfrage: Welches Sendeunternehmen ist das?":" Das Programm wird immer schlechter, die Zahlen werden immer besser. Die Zuschauer bleiben weg, der Umsatz steigt. Die eigene Produktion geht gegen null, der Gewinn durch Beteiligungen an anderen Firmen ist erklecklich". Es ist, löst gleich der folgende Satz auf, die "Sendergruppe Pro Sieben Sat.1", die aber vielleicht gar keine Sendergruppe mehr sei. "Oder "wenn, dann wohl nur als Abspielstation für Programme aus Übersee". +++ Indes nun auch wieder selbst produzierte TV-Serien, wenngleich nach niederländischem bzw. katalanischem Vorbild, spielen demnächst RTL 2 und Vox ab (dwdl.de). +++
+++ Das Kleinanzeigen-Battlechen zwischen dem Freie-Journalisten-Verband Freischreiber und dem Tagesspiegel (Altpapierkorb vom Mi.) wurde noch fortgesetzt (meedia.de). +++
+++ Was das gestern hier angesprochene Verhältnis von Europa zu Edward Snowden angeht, weiß netzpolitik.org zu berichten: "Außerdem stimmten 285 Parlamentsmitglieder gegenüber 281 für die Forderung, dass Anklagen gegenüber dem Whistleblower Edward Snowden fallengelassen werden, ihm Schutz gewährt wird und er als Verteidiger von Menschenrechten anerkannt wird". +++
+++ Die Frage, ob es sein kann, dass "eines der sinnlosesten Gesetze überhaupt" verabschiedet wird und "sich nach wenigen Tagen niemand mehr drum schert?", bereitet Simion Hurtz so auf, dass sie wohl auch datenschutz-desinteressierte Millenials interessieren sollte (sueddeutsche.de). +++
+++ Und im Tagesspiegel schildert Mohamed Amjahid Erfahrungen als Kandidat fürs "Homeland"-Casting und Sonja Alvarez die gegen Facebooks "absurde Löschpolitik" gerichtete "#NippelstattHetze"-Initiative. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.